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Adventsstimmung im Heidenlande. – Chinesische Krippenfiguren. – «Fahr' aus, unreiner Geist!» – Rüsttag. – Das Fest der Kinder. – Das Hochfest der Liebe. – Kinderjubel. – Des kleinen Christkönigs soziales Programm. – Zum Schluß eine Entengeschichte.
Die liturgischen Feste des Jahres sind wie ein lieblicher Widerschein, ein lockender Widerhall aus den Freudengefilden der ewigen Heimat, eine geheimnisvolle Harmonie zwischen der himmlischen und irdischen Kirche, die des Streitenden Herz erhebt, des Wandernden Schritte beflügelt. Jubel und Trauer im Leben des Heilandes spiegeln sich wider am Leibe der Kirche im kreisenden Wechsel, nach Zeiten und Orten.
Nach Orten und Zeiten. – In ganz katholischen Landen überwiegt ein heller Grundton, das frohe Bewußtsein des Vollbesitzes der Glaubens- und seiner Gnadenquellen. Im Heidenland hingegen herrscht die Stimmung des Advents: ernst, aber hoffnungsvoll; düster, doch nicht traurig. Denn die Nacht des Irrwahns ist durchbrochen durch viele lichte Punkte, sternengleich; denn am Horizont, wenn auch noch ferne, kündet glimmendes Morgenrot den nahenden «Aufgang aus der Höhe (Luk. 1,68).
Lebendiger denn irgendwem erschließt sich dem Missionär der Sinn der Adventsliturgie mit den erschütternden Sehnsuchtsrufen der Altväter nach dem Messias. Seufzt nicht auch er täglich, stündlich, daß sein Reich komme, seine Grenzen dehne über Chinas weite Gaue?
Hier hat die heilige Weihnacht, wie überhaupt alle Feste, den ursprünglichen Sinn bewahrt, wie er in der alten Kirche zur Geltung kam, während die weltlichen Zutaten in vielen Christenländern gar oft den religiösen Gehalt verdrehen oder gar entstellen und den Segenstag zum Sündentag machen.
Das würdigste Weihnachtsfest war unstreitig das erste, das der Hirten auf Bethlehems nächtlichen Fluren, im entlegenen Stalle. Die üppige Großstadt Jerusalem ahnte nichts davon.
So wird auch im Missionsland mehr das geistliche Festgeheimnis begangen, in stillen Kapellen und armen Kirchen, abseits der großen Straße, fern vom rührigen Rummel der Städte. Millionen wissen nicht, daß es die weihevolle Nacht ist, denn ihnen ist noch das Licht nicht erschienen, hat noch das Kind nicht gelächelt.
Nur hie und da, im weiten Land, sind einzelne biedere Bauern mit schwieligen Händen, arme Kulis in flickenreichem Kittel, verachtetes Volk, die eilen herbei auf holperigen Wegen, durch Schnee und Schlamm, stundenweit, zur Mission, einer Hütte vielleicht aus Lehm und Stroh, wo sie ihren geistlichen Vater wissen, wo das göttliche Kind sie erwartet, wie ehedem die Hirten.
Sie achten nicht der Unbild der Nacht, im Herzen tragen sie Sonnenschein, sie kommen zum Gott des Friedens, er tröstet und erquickt ihre Seelen – sonst suchen und erwarten sie nichts. –
So ist's heute auf hundert armen Außenposten des Missionslandes.
In Hwangshihkang, das schon ein besser entwickeltes Zentrum darstellt, ward die heurige Weihnacht dank der Gegenwart von 5 durchreisenden Missionären und 8 neuen Schwestern außergewöhnlich feierlich mit einem starken europäischen und klösterlichen Einschlag begangen.
In religiöser Hinsicht erinnerte vieles an die Urkirche.
Wie an den Vortagen der Hauptfeste, die in der Heimat dem Laien nur noch als Fast- und Putztage bekannt und nicht sonderlich beliebt sind, brachte auch die Vigil vor Weihnachten ein für uns ganz seltenes Schauspiel, nämlich die feierliche Taufe von Neuchristen.
Es war ein Erntetag des Katechumenats, ein Scheuertag eigener Art, eine geistige Tempelweihe.
Leider waren die Kriegswirren der Glaubensverbreitung sehr ungünstig; zudem hielten die Missionäre auf den benachbarten Stationen ähnliche Feiern ab.
So war in Hwangshihkang die Weihnachtsernte spärlich, zumal die großen Tauftage auf Ostern und Pfingsten zu fallen pflegen. Es gab diesmal nur 4 Täuflinge, zwei große und zwei kleine: To, unser alter Gärtner, und Li, der 18jährige Koch, der schon Vater eines Jungen ist, der nun gleichzeitig mit zur Taufe gebracht wird; dazu noch ein 4jähriges Mädchen, das in seiner Familie wohnt.
Seine Frau hat es noch nicht so weit gebracht, besucht aber fleißig das Katechumat. Lis alter Vater, der schon genannte schwerhörige Lungdse, unser treues Faktotum, der das ganze Anwesen der Mission überwacht, ist gleichfalls noch rückständig im Katechismus. Er glaubt aber alles, was die Engel und die Schwestern glauben, wie er treuherzig meint, und will, daß sein ganzes Haus getauft werde. Auch seine Stunde ist hoffentlich nicht mehr fern.
Heute ist er überglücklich zwei Generationen als Erstlinge in die Kirche vorauszusenden.
Der 24. Dezember ist schon ein wahrer Festtag. Die Kirche trägt Weihnachtsschmuck: Tannenkränze an den Wänden, Fichten und Föhren um den Altar, das dunkle, duftende Grün durchflochten mit Blumen und Bändern und Schleifen in glühendem Rot, denn rot ist die Farbe der Freude.
Sonst schlafen sie bei ihren Angehörigen in der Stadt, heute aber verbrachten die Täuflinge die Nacht in der Mission, um nur ja nicht zu spät zu kommen.
Festlich gekleidet harren sie in aller Morgenfrühe vor der Kirchtüre. Die zwei Kinderchen stecken von der Zehe bis zum Scheitel in ganz neuen Sachen, bedeckt mit bunten Mützen, die ein abergläubisches Götzenbild tragen. Das paßt nun schlecht zur kommenden Teufelaustreibung, daher wird die zierliche Heidenkappe eilig durch eine schmucklose, neutrale ersetzt, unter dem schreienden Protest der kleinen Beraubten und dem mißmutigen Murren der heidnischen Mama, deren stickerische Eitelkeit sich gekränkt fühlt. Sie wäre ja sonst keine Evastochter gewesen.
Die Zeremonien beginnen. Wie sind sie so sinnvoll und eindringlich, immer begleitet vom Zeichen des Kreuzes, das die Welt erlöset, des Satans Macht gebrochen, das den Tempel schmückt: den Tempel aus Stein und den Tempel der Seele.
Durch die Kraft des Kreuzes wird der unreine Geist gebannt aus diesen Heidenherzen, um dem Geiste Gottes Platz zu machen.
Nach diesen langen Vorbereitungen endlich reicht ihnen der Priester die Stola und führt die ganze Gruppe unter Absingen des Glaubensbekenntnisses und des Gebetes des Herrn hinein in die Kirche, zum Taufbrunnen. Das ist heute ein einfaches Holzgestell mit dem Taufwasser und den heiligen Oelen.
Es folgt die laute Absage an Satan und seine Werke und all seinen Pomp. Diese Worte haben im Heidenland ihren ganz lebendigen Sinn, denn ringsum spreizt sich der Götzenwahn trotz republikanischer Erlasse in ungebrochener Kraft.
Die großen Täuflinge legen selbst ihr Treuegelöbnis ab, fest und freudig. Für die Kleinen antworten die Paten. Es ist, als ob der Böse sich sträubte, seine Beute preiszugeben; denn die Kinderchen werden furchtbar unruhig, der Kleine schreit, das Mädchen rennt umher, der Großonkel muß der Patin zu Hilfe kommen, die Wilde zu halten.
Da fließt das erlösende Wasser, der Weiheakt ist vollzogen, die Höllenmacht ist zerstoben; alles ist ruhig, froh, friedlich. Aus dem vordem scheuen Auge leuchtet und lächelt das Paradies. Erfüllt ist das segnende Schlußwort des Priesters: «Gehet hin in Frieden, und der Herr sei mit euch!» Pax! Emmanuel! –
Joseph, der Gärtner, und Franziskus, der Koch, wohnen jetzt mit den andern Christen der hl. Messe bei, einer Danksagungsmesse. Bei der Wandlung wird die Freude durch krachendes Feuerwerk, das der alte Lungdse heute freigebig spendierte, weithin verkündet.
Nach dem Gottesdienst werden die Neugetauften von allen begrüßt und beglückwünscht und zeigen strahlenden Blickes die vom Pater erhaltenen Andenken: ein großes Bild des hl. Joseph mit dem Jesuskinde, ein Kreuz und einen Rosenkranz.
Ueberlassen wir für heute die Glücklichen ihren Verwandten und Freunden und stören wir sie nicht beim Taufschmaus den der Großvater mit Aufbietung seiner ganzen chinesischen Kochkunst bereitet. –
Für die Schwestern verlief dieser Tag, wie schon viele der vorhergehenden, fast wie in der Heimat, mit Rüsten und Vorbereiten, alles möglichst still, mit verständnisvollem Geflüster, denn es ist ja ein besonderer Reiz der Weihnachtsfeier, daß sie Ueberraschungen, unerwartete Freuden bringe, und hier noch mehr als anderswo.
Das Wetter war winterlich, winterlich wie noch nie, neblig, naßkalt, trübe, drückend draußen und drinnen; denn es fehlte der summende Ofen, der in der heimatlichen Weihnachtsstube so behaglich wohlige Wärme spendet. Wir froren aufrichtig, viele hatten Frostbeulen; man mußte sich wärmen durch emsiges Schaffen und häufiges Hauchen.
Wer Mut und Glauben hatte, der konnte auch ins Kinderhaus hinüber, wo die Chinesen in der Scheidewand zwischen den zwei Haupträumen aus Ziegelsteinen so etwas aufgebaut hatten, das sie Ofen nannten, das aber eher einem rauchschnaubenden Ungetüm glich, das sich zu rächen schien, für die unverdauliche Kost, die man ihm in den Rachen warf.
Nebenamtlich war nämlich unser Koch auch Heizer und Brikettfabrikant ... Aus Lehm und Kohlenstaub machte er Kugeln, wie riesige Knödel, mit denen er den «Ofen» fütterte und dessen Appetit mit einem großen Fächer aus Hahnen- und Entenfedern anzuregen suchte.
Es rauchte entsetzlich, und nach dem bekannten Sprichwort mußte auch Feuer vorhanden sein, aber Wärme fühlte man nicht.
Und als gar eine verwöhnte Europäerin räusperte und hustete und zu verstehen gab, die Einrichtung sei gut zum Räuchern, aber nicht zum Heizen, da meinte der an seiner Berufsehre empfindliche Brikettmacher, er könne seine Ware in der Stadt um schweres Geld loswerden, und kein Europäer würde ein ähnliches Fabrikat auf den Markt bringen ...
Der brave Mann hatte recht! – –
Das Winterwetter hatte aber, wie jede düstere Wolke, auch eine Sonnenseite: die Banditen hatten sich in ihre abgelegenen Bergwinkel zurückgezogen und entwarfen Pläne für die Zeit der linden Lüfte. Einstweilen hatten wir Ruhe.
Nach 10 Uhr gehen wir ins Oratorium und singen die Metten; wir bilden ja eine stattliche Kommunität von 14 Schwestern. Welche Wonne empfindet man, die herrlichen Verheißungen des Propheten Isaias erfüllt zu sehen und zu genießen; mit welcher Wehmut gedenkt man der Millionen ringsum, denen das Licht noch nicht aufgegangen, die noch vom Wahn umnachtet sind.
Als wir gen Schluß sangen: «Und das Wort ist Fleisch geworden», trat der Missionär aus der Sakristei, im weißen Chorrock, mit weißer Stola – und weißen Haaren wie Simeon, das Jesuskind auf den Armen tragend. Er legte es erst auf den Altar und trug es dann, von zwei Kerzenträgern begleitet, in die Krippe. Es war eine ganz ansehnliche Krippe in einem von den Missionären selber gezimmerten Stall auf knorrigen Stützen unter einem echten chinesischen Strohdach.
Am Fuße des Altares stimmte er das Te Deum an, das die Schwestern abwechselnd mit den sechs Patres weitersangen.
Jetzt folgte eine zweite Ueberraschung, die man auch nur in einer Missionskirche erlebt: eine feierliche mitternächtliche Erstkommunion.
Die Eigenart der Feier lag hauptsächlich in der seltsam zusammengesetzten Schar der Kommunionkinder: das jüngste war eine Frau von 16 Jahren, das älteste eine 82jährige Urahne mit einem verkrüppelten Arm, gestützt von ihrer Tochter, einer Großmutter, die auch schon 61 Lenze zählte, im ganzen 6 Frauen unseres Katechumenats, dazu die zwei neugetauften Männer.
Der Pater holt sie ab an der Kirchtüre, langsam folgen sie ihm, zwei und zwei, mit brennenden Kerzen in der zitternden Hand und selig strahlendem Blicke, dem Blicke der Taufunschuld – eine rührende Szene! ...
Was Wunder, wenn da die Gedanken zurückfliegen in die fernen Tage der Jugend, und manches europäische Auge zu schimmern beginnt, und Tröpflein fallen und Tropfen so süß, wie Tauperlen aus dem Paradies: Wonnetränen der Missionärin.
Diese armen Frauen und Greisinnen sind ihre geistigen Kinder, sie durfte mithelfen sie glücklich zu machen, sie zum göttlichen Kindlein zu führen, dort im Tabernakel ... Sie hört Ihn: «Was ihr diesen Aermsten tut, ihr habt es Mir getan.» Matth. 25, 40. Er lächelt ihr dankbar zu ... Vor diesem himmlischen Liebesblick verschwindet jegliches Erdenglück wie Rauch und Staub ....
Wer jubelt heute so dankbar und froh wie die Missionärin im Gloria in excelsis Deo! –
Prächtig schallen die liturgischen Weisen durch die heiligen Hallen.
Der Höhepunkt naht, als dreimal das Glöcklein zum himmlischen Mahle ruft. Die Erstlinge der Nacht, die auf eigenen Plätzen der Feier gefolgt, treten an die Stufen des Altars, voran der Gärtner und der Koch, mit fromm gefalteten Händen, zuletzt die zwei alten Weiblein.
Bebend vor innerer Ergriffenheit und Seligkeit sinken sie auf die Kniee, und neigen sich bis fast zum Boden. Gewiß hat der Freund der Einfältigen und Armen sie mit göttlicher Liebesglut an sein Herz gedrückt. Denn sie scheinen überwältigt von innerem Glück und wollen sich gar nicht mehr erheben.
Mit einem verklärenden Schimmer auf dem runzeligen Antlitz schwanken sie, sich gegenseitig stützend, endlich auf ihren Platz zurück.
Gäbe es eine bessere Vorbereitung auf die eigene hl. Kommunion als Zeuge eines solchen Schauspiels zu sein?
Nach dem Hochamt sangen wir im Oratorium die feierlichen Laudes nach Klostersitte, und die Hochw. Herren Patres feierten an den verschiedenen Altären das dreifache Opfer. Wohl wenige Schwesternhäuser in der Heimat hatten in jener Nacht, wie wir, fünfzehn hl. Messen.
Die Christen beteten und sangen abwechselnd Weihnachtslieder in ihrer Sprache, aber vielfach in unsern alten Melodien:
Stille Nacht, Heilige Nacht,
Jesu schin ging, Dschang-seng Beling,
Es war ein heller, jubelnder Wettstreit zwischen rauhen Bauernkehlen und zarten Kinderstimmen, die gewiß das Herz des göttlichen Kindes erfreuten wie weiland die jodelnden Hirten und die jubelnden Engel auf Bethlehems Triften.
Nach dem zweiten Hochamt nach 10 Uhr ging groß und klein zum wohlverdienten Frühstück. Meister Lungdse hatte den Großbetrieb mit 5 Küchengesellen und andern Helfern – lauter Freiwilligen. Im Hofe war ein Notherd errichtet, der redlich seine Pflicht tat.
Es gab Bretzeln in Erdnußöl gebacken, gedämpften Reis ohne Salz und Schmalz, Weißkohl mit Bohnenkäse,
Chinesisch
«Doufu». Er wird aus dem mit Wasser angerührten Sojabohnenmehl durch ein Ferment gefällt, frisch oder leicht angeräuchert gegessen und fehlt auf keinem guten Bauerntisch.
Die
Sojabohne wird in China, besonders in den nördlichen Provinzen feldmäßig, meist nach der Weizenernte, gebaut und bildet ein wichtiges Volksnahrungsmittel. Die kleinen Schoten sind behaart. Das Gestäude dient als Viehfutter.
Es gibt mehrere Arten. Aus den einen wird ein
Speiseöl gewonnen, andere werden mit Weizen und Mais zu
Brotmehl vermahlen, aus andern werden durchscheinende, gelatineartige
Plätzchen oder
Nudeln hergestellt, die wegen ihres hohen Nährwertes als Fleischersatz dienen. Ihr Wohlgeschmack hat ihnen sogar in die feinen Pariser Hotels Eintritt verschafft unter dem Namen «Vermicelles de Chine». ein spezifisch chinesisches Bauerngericht wie unser heimisches «Sauerkraut und Speck». Es war ein wahrer Genuß, den braven Leuten zuzuschauen, wie sie mit gottgesegnetem Appetit und staunenswertem Geschick die Eßstäbe handhabten.
Gegen Abend war Christbaumfeier mit Bescherung und zwar nacheinander an drei Orten, im Kinderheim, im Katechumenat, wo zierliche Tännchen standen, und endlich im Arbeitszimmer der Schwestern, wo ein armer, krummer Tannenast sich mit den Abfällen seiner beiden Festkollegen wie mit fremden Federn geschmückt hatte ...
Recht so! Unsere Hauptfreude bestand ja darin, den andern Freude zu machen.
Der Christbaum ist in China selbstverständlich ein Importartikel, ist er sogar in vielen christlichen Ländern noch unbekannt. In unserer Mission ist er schon lange eingebürgert und erfreut sich großer Beliebtheit, sogar bei den Heiden.
Mehrere Bürger der Stadt, Herren und sogar bessere Damen, hatten gebeten, an unserer Feier teilzunehmen. Sie wohnten ehrerbietig dem Morgengottesdienst bei und besichtigten im Laufe des Nachmittags die Anstalten, mit besonderem Interesse das Kinderheim.
Die Zeiten sind wohl endgültig vorbei, wo heidnische Fanatiker, die den armen Findlingen so selbstlos erwiesene Liebe, die ihnen ein Rätsel war, durch Schauermären zu erklären suchten und dem Pöbel weismachten, daß die «fremden Teufel» den Kindern Eingeweide und Augen ausrissen, um daraus ihre Zaubermedizinen zu bereiten. Diese Wahngebilde des Lügengeistes, die so manches Waisenhaus vernichteten, finden keinen Glauben mehr.
Unsere Besucher zeigten sehr viel Sympathie. Am Abend meldeten sich zwanzig Mann als Christen an und baten um Unterricht. Der Pater hatte in seiner Wohnung eine längere Besprechung mit ihnen – ein Anfang des Katechumenats. Möge ihnen der Heiland in der Krippe, der sie angezogen, auch die Gnade der Beharrlichkeit geben.
Das war die dritte Weihnachtsüberraschung des Missionslandes. Nun folgte der Jubel der Weihnachtsbescherung.
Die Bescherung ist zwar in erster Linie für die Kinder gedacht; hier aber sind nicht nur die Kleinen, sondern auch alle Großen, Kinder der Kirche und der Missionäre und fühlen und benehmen sich auch als solche.
Nach den üblichen Vorträgen und Liedern, aus denen wir Neulinge nur die bekannten Melodien «Ihr Kinderlein, kommet», verstanden, kam die Verteilung, zuerst für die Jungen, die heute den Vortritt haben, und dann für die Alten.
Der Pater hatte reichliche Einkäufe, auch an europäischen Geschenken, in der Hauptstadt gemacht, während unser Christkind seinen Bedarf an chinesischen Geschenken am Orte selber gedeckt und damit indirekt manche gute Beziehungen mit den hiesigen Geschäftsleuten angeknüpft hatte.
Da gab es bunte Spielsachen, blinkende Musikinstrumente und obendrein eine große Düte mit Orangen, Erdnüssen, Zuckerzeug, daß die Knirpse laut aufjubelten.
Die größern Mädchen und Katechumenen erhielten ein Stück buntes Tuch und das Material zu je einem Paar Stoffschuhe, die sie sich nachher selbst anfertigen.
Die auswärtigen Christen und Teilnehmer, wohl etwa 200, empfingen einen Teller voll Obst und Naschwerk.
Am reichlichsten wurden die Angestellten der Mission bedacht, die außer den gewöhnlichen Gaben noch irgend ein gutes Kleidungsstück, eine Wintermütze und dgl. erhielten.
Eine ähnliche, weniger feierliche Bescherung, besonders für die Letztern, findet auch statt zu Neujahr und am Namensfest des Paters und der Schwester Oberin.
Es ist dies durchaus keine Verschleuderung von Missionsalmosen, wie Fernstehende etwa meinen könnten, sondern eine notwendige Anpassung an die Landessitten, die stärker als Gesetze sind.
Auch die heidnischen Arbeitgeber machen zu bestimmten Zeiten, bei der Ernte, oder gelegentlich gewisser Feste, solche Geschenke an ihre Leute, die ein Gewohnheitsrecht darauf haben.
Die Missionäre nun verlegen diesen Tribut möglichst auf ein religiöses Fest, um dem heidnischen Brauch ein christliches Gepräge zu geben. Es ist aber für ein christliches Gewissen auch eine Pflicht sozialer Gerechtigkeit, eine Anwendung der katholischen Lehre über den dem Arbeiter geschuldeten Lohn, im Bunde mit echter Liebe.
Die Arbeiter und Bediensteten werden in China sehr schlecht bezahlt, kein soziales Gesetz, keine Berufsorganisation schützt sie gegen Ausbeutung. Sie müssen sich mit ihrem niedern Lohn abfinden und tragen ihr Los auch stoisch geduldig, solange sie wenigstens genug zum Leben haben und nicht verhetzt werden.
Daß der heidnische Dienstgeber, der Reiche, der Höhergestellte sie von seinem Herrenstandpunkt aus von oben herab behandelt, finden sie ganz in der Ordnung. Das Schicksal will es nun einmal so, daß sie zu einer minderwertigen Klasse gehören, jene zu einer bessern.
Das Christentum aber lehrt, trotz aller Achtung vor der gottgewollten Ordnung und dem Standesunterschiede, daß alle Menschen Kinder desselben Vaters und Brüder in Christo seien, der Herr und der Knecht. Die vom heidnischen Stolze verpönte und verachtete Armut und ehrbare Arbeit ist vom Gottmenschen geadelt und geheiligt worden.
Der christliche Chinese überträgt seinerseits die ihm durch Jahrtausende anerzogene Achtung vor der Autorität auf den Missionär. Bei aller Zurückhaltung, die ihm sein Amt und seine Würde auferlegt, wird dieser aber nicht, wie der heidnische Vornehme und Mandarin, den kalten, kurzen Gebieterton sich zu eigen machen, sondern seinen Untergebenen gegenüber sich als Vater zeigen: gütig, aber nicht familiär, herablassend, aber nicht sich wegwerfend. So wird er die gute chinesische Sitte mit christlicher Tugend paaren, sein Ansehen wahren und steigern, und erfolgreich wirken. Denn die Seinen werden den Unterschied zwischen einem heidnischen Obern und ihrem «Schenfu» (geistlichen Vater) so nennen sie den Missionär, bald gewahr und werden sich nicht mehr als sklavische Lohn- und Augendiener betragen, sondern mit wahrhaft kindlicher Ehrfurcht, Liebe und Treue ihm anhangen.
Dasselbe gilt auch für die Missionärin.
Daher auch das warme, herzliche Familienverhältnis, zwischen Hirt und Herde, das einen reichen Ersatz bietet für das, was man in der Heimat verlassen und das die Arbeit in den Missionen sehr erleichtert. –
Zum Schluß eine chinesische Entengeschichte:
Wir erlebten jüngst eine kleine, etwas komische Entengeschichte, die neben andern Lehren über chinesische Zustände auch obige Wahrheit bestätigt und daher hier ein Plätzchen finden möge.
Also unsere Enten waren, wie jeden Morgen, zum nahen See spaziert, und kehrten nach vollbrachtem Tagewerk in geschlossener Kolonne, im Entenmarsch, zurück ... zwei ausgenommen.
Wirklich, trotz wiederholten Zählens, trotz allen Suchens, zwei waren spurlos verschwunden.
Das passiert hie und da ja auch in andern Ländern, dachte die Meisterin des Geflügelhofes, es war eben nichts daran zu ändern. Mou yu fase ... Nichts zu wollen!
Damit waren unsere Diener aber nicht zufrieden.
Zwei Enten, ausgesprochen Missionsenten, fehlten! Das war schrecklich!
Was mußten die guten Schwestern von der Treue und Wachsamkeit ihres Personals halten? ...
«Nein,» sagte Lungdse, «wir können uns nicht mehr sehen lassen! Solch eine Schande! – – Die Tiere sind gestohlen worden, sie müssen wieder her! Koste es, was es wolle!»
Es fand ein langer Kriegsrat statt, manches Pfeifchen wurde dabei geraucht.
Wer war der Dieb? – –
Der Sung? der Töng? der Papin? – Am nächsten Morgen wurde ausgekundschaftet ...
Der Verdacht fiel auf einen gewissen Nié, der als Langfinger berüchtigt war. Durch fleißiges Umfragen, Spionieren und – etwas Schmieren erlangten sie Gewißheit: der Nié ist der Dieb!
Aber wie die Gefangenen herausbekommen? –
Wieder eine Ratsversammlung in der Küche des alten Lungdse ... die bis Mitternacht dauerte.
Die Lösung ist gefunden. Jetzt heißt es handeln, handeln nach echt chinesischer Art.
Die ganze Bande, mit Knütteln versehen, geht zum Pfarrhaus, um Mitternacht! ...
«Was ist denn los?» fragt P. Leo verwundert. –
«Schenfu, die Enten der Schwestern wollen wir holen, sie sind beim Nié. Bitte, kommen sie mit uns!» –
«Warum denn nicht warten bis morgen? Es ist ja jetzt Nacht!»
«Gerade jetzt ist die richtige Zeit; bei Tage geht's nicht; bitte entschuldigen Sie, Schenfu!» ...
Der arme P. Leo war buchstäblich aus dem Bett getrommelt worden. Aber er kennt seine Leutchen, die Interessen der Schwestern standen auf dem Spiel ...
Er geht mit.
An der Tür des Nié wird unbarmherzig angeklopft und mit wenig schmeichlerischen Worten Einlaß begehrt.
– «Was wollt ihr hier in der Nacht?» brummte es trotzig von innen.
– «Die Enten der Schwestern wollen wir holen, denn du hast sie gestohlen. Der Dung und der Zo haben dich gesehen.»
Ein furchtbares Leugnen und Fluchen: «Ich, ein Ehrenmann? Ich kann ja selber Enten genug kaufen; ich brauch die der Mission nicht zu stehlen!» –
«Mach nur auf, der Pater ist mit uns!» – –
Drinnen Geflüster, Geräusch, Geschimpfe, eine Viertelstunde lang ... Endlich geht die Tür auf. –
– «So, kommt nur herein und sucht selber eure Enten!»
«Nein, du mußt sie herausgeben!»
– «Sie sind nicht hier, ich hab sie nie gesehen! Kommt nur und durchsucht mein Haus!» –
Die Entenbefreier waren aber selber Chinesen und kannten die Kniffe. In der Zwischenzeit waren die Tierchen durch eine Hintertüre in Sicherheit gebracht worden. Eine Haussuchung hätte mit einem schimpflichen Mißerfolg für die Mission, mit einem höhnenden Triumph für den Dieb geendet ...
Der Missionär zog also mit den Seinen «unverrichteter» Sache nach Hause.
Aber, o Wunder; am nächsten Abend waren die zwei Vermißten wieder auf dem Höfchen mit ihren Schwestern, wie wenn nichts geschehen wäre. – –
Schade, daß sie ihr Abenteuer nicht erzählen konnten!
Der Ausgang des Streites war typisch: der Dieb hatte seine Ehre gewahrt, der Bestohlene sein Gut wiedererlangt, beide Parteien hatten ihr Gesicht gerettet. Das ist stets das Ziel chinesischer Diplomatie. Dadurch allein gilt ein Fall als erledigt. -
Was wir hier erfahren, was wir bezüglich der Hebung des chinesischen Arbeiterstandes, bezüglich der Behandlung der armen Volksklassen, bezüglich eines wahren christlichen Brudertums angedeutet, ist freilich nicht ein spezielles Weihnachtserlebnis. Es ist aber eine auf unserer Reise gemachte Beobachtung, eine uns von bewährten Missionären, die im Dienste des Evangeliums und des ihnen lieben Chinesenvolkes ergraut sind, mitgeteilte Erfahrung, die wir einfach wiedergeben, hoffend, daß sie das segenvolle Wirken der katholischen Mission auch auf sozialem Gebiete, einigermaßen beleuchte.
Diese kurze Erörterung bildet übrigens einen passenden Abschluß gerade für einen Weihnachtsbericht. Ist nicht der menschgewordene Gottessohn der Erlöser aller Menschen, der einzige Löser aller sozialen Probleme?
Er, der reich war, ist freiwillig arm geworden. Er, der Herr, hat Knechtsgestalt angenommen ... Er hat die schlichten Schäfer und die königlichen Weisen gleicherweise an seine Krippe berufen – die Armen zuerst! Er hat allen Menschen, die guten Willens sind, das höchste Gut verheißen, droben und hienieden: den Frieden! – –
Wir ziehen uns zurück; denn arbeitsreich waren die letzten Tage, und nicht zuletzt das Fest selber gewesen. Aber alle sind wir froh, besonders wir Neulinge, in dem Gefühle, noch nie im Leben ein so gnadenreiches, seliges, erhebendes Weihnachtsfest gefeiert zu haben, wie das von anno 1929, an den Gestaden des Yangtzekiang.