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5. In Hunans Hauptstadt.

Chinesisches Straßenleben. – Langensand. – Die chinesische Hansastadt. – Nur sachte! – Bei den weißen Franziskanerinnen. – Wenn die Pläne ins Wasser fallen.


Mit genau dreistündiger Verspätung erreichte unser Eilzug um 9 Uhr vormittags Changsha. Nach stundenlangem Warten hatten die guten Schwestern, bei denen wir uns angemeldet, sich durch zwei chinesische Jungfrauen ablösen lassen, die uns freundlich entgegenkamen und ihre Führerdienste anboten.

Chinesisches Straßenleben.

Wir bestiegen zum Teil wieder die einsitzigen Fahrstühle oder wurden in Tragkörben von je zwei Mann vorwärts befördert, ordentlich langsam, denn es ging durch ein großes Geschäftsviertel, dazu noch in den betriebsreichsten Stunden des Tages, in denen Fußgänger, Karrenschieber, Lastträger, Wanderköche, Soldaten, Bauern, in lärmenden Durcheinander die engen Straßen belebten.

Vor uns marschierte ein wohl 60 Mann starker Zug von Wasserträgern im Gänsemarsch. An einer Bambusstange, die sie wie einen Wagebalken auf der Schulter tragen und mit großem Geschick von rechts nach links wechseln, hängen vorn und hinten je ein Kübel mit Wasser, auf dem ein Bambusreifen oder -brettchen schwimmt, um das Wellen und Spritzen zu verhüten.

So trabten sie dahin, einige rhythmische Laute summend, sowohl um Schritt zu halten, als wohl auch um sich über die Müdigkeit hinwegzutäuschen.

Auf gleiche Weise werden auch Körbe und andere Packungen getragen. Größere Sachen hängen an einem etwa zwei Meter langen Bambusrohr, das zwei oder mehr Männer auf der Schulter tragen. Bei Stückgütern von bedeutendem Gewicht kann man 4, 8, 16 bis 64 und mehr Kulis sehen, die durch sinnvolle Verwendung von Stangen und Seilen die Last gleichmäßig auf alle Schultern verteilen und im Takte voranmarschieren. So werden z. B. Steinblöcke, Baumaterialien, Maschinen u. dgl. befördert. Die Bauern bringen nicht selten auch Schweine und Geflügel so auf den Markt, indem sie ihnen die Füße an die Tragstange zusammenbinden und sie übrigens, trotz des Schreiens des armen Borstenviehes, wie eine leblose Ware behandeln. Da könnten die Tierschutzvereine auch noch Lorbeeren ernten!

Seltener sieht man Karren, mit nur einem hohen Rad in der Mitte, auf dem der ganze Schwerpunkt der ringsumgepackten Güter ruht. Vorn und hinten halten ein paar kräftige Männer an Hebeln das Gefährte im Gleichgewicht, während ein Zugtier an langem Strick für die Fortbewegung sorgt.

Langensand! – Die chinesische Hansastadt.

Changsha, d. h. «Langensand», das wir auf unserer langsamen Fahrt mit Muße betrachten konnten, macht den andern Städten gegenüber einen behäbigen, bürgerlichen, fast möchte man sagen hanseatischen Eindruck, natürlich im Rahmen des Chinesentums.

Die Straßen sind von hohen, zwei- und dreistöckigen Steinhäusern flankiert, mit schmaler Front, aber weiten Hintergebäuden, die meist ein viereckiges Höfchen umschließen. Dort wohnen die Familien und lagern die Waren, während vornhinaus mit großen, unverhüllten Schaufenstern, die einladenden Verkaufs- und Geschäftslokale liegen. Die weit vorspringenden Dächer sind aus Ziegeln mit bunten Verzierungen und Schnörkeln. Die Firmen- und Reklameschilder sind meist senkrechthängend, mitunter aus reichem Schnitzwerk, gewöhnlich in großen schwarzlackierten Lettern auf goldenem Grunde, oder roter Schrift auf schwarzem Grunde, oder auch in andern Zusammenstellungen dieser Hauptfarben.

Am meisten Zierat und Goldschmuck weisen gewöhnlich die Apotheken auf, die offenbar gute Geschäfte machen. Natürlich handelt es sich meist nur um einheimische Medikamente, die neben nützlichen Heilpflanzen, mit denen China bekanntlich wie kein anderes Land gesegnet ist, auch viele teure tierische «Arzneien» enthalten, vor denen der westländische Doktor, und noch mehr sein Patient, unverständlich den Kopf schüttelt. Da gibt es, wie wir hörten: Schlangenhäute, Skorpionpulver, Zikadenhüllen, Krötenlaich, gedörrte Eidechsen usw., um nur die harmlosesten zu nennen, – wohlgemerkt für den «inneren» Gebrauch! – –

Ueber den schmalen Straßen und in den Innenhöfen hängen hier und da an Bambusruten von Haus zu Haus allerlei Wäschestücke, sodaß das chinesische Gepräge dieser reichen Großstadt auch da zur Geltung kommt.

Die Stadt liegt, wie der Name andeutet, langgestreckt am linken Ufer des Siangkiang, der von Dampfern befahren wird, die eine regelmäßige Verbindung mit dem Yangtzekiang und seinen Häfen herstellen und bei günstigem Wasserstande noch weiter flußaufwärts gelangen.

siehe Bildunterschrifr

Die Luxemburger Franziskanerinnen
Wuchang-Gruppe 1929

siehe Bildunterschrifr

Die Luxemburger Franziskanerinnen
Hunan-Gruppe 1929

Dazu kommt der große nordsüdliche Schienenstrang, der die alte Hauptstadt Peking im Norden mit Canton im Süden verbinden soll und die Tripolis am Yangtze berührt. Die Wirren der letzten Jahrzehnte hinderten die Fertigstellung dieser wichtigen Linie, die einstweilen hier in Changsha ihren südlichen Terminus hat.

Die Provinz Hunan, eine der waldreichsten Chinas, erzeugt in den fruchtbaren Niederungen und an den Hügelhängen viel Getreide, Mais und Reis; Kampfer, Firnis, Apfelsinen und Tee sind hier heimisch. Der Markt von Hankow wird großenteils von Hunan beliefert. Dazu kommt der Metall- und Kohlenreichtum seiner Berge, Schätze, die noch zu heben sind.

Fast der ganze Handel der Provinz geht über Changsha, daher sein Reichtum und seine Anziehungskraft auf fremde Händler und beutesuchende Banden. Die reichlichen Rohstoffe und die billigen Betriebs- und Verkehrsmittel begünstigen auch die Entwickelung der Industrie, die sich, allerdings meist nur in Kleinbetrieben, hauptsächlich auf Holz- und Metall- (Kupfer-)waren erstreckt.

Die Stadt mag rund eine halbe Million Einwohner zählen. Die vormals ziemlich starke Ausländer-Kolonie, in der Mehrzahl Japaner und Briten, die ein eigenes reiches Geschäftsviertel bewohnten und auf einer Flußinsel behagliche Sommersitze besaßen, ist sehr zusammengeschrumpft. Die Kriegswirren und der Abzug der meisten europäischen Kaufleute legten natürlich den Handel brach, und die fortwährenden kommunistischen Treibereien haben auch die einheimische Bevölkerung und ihren Wohlstand sehr geschädigt.

Nur sachte!

Nach einer Stunde stiegen wir ab im Kloster der weißen Franziskanerinnen, wo uns Pater Basil die hl. Messe las.

Als wir unter dem Frühstück erklärten, wir gedächten morgen früh mit dem Autobus weiterzufahren, lächelte die gute Mutter Oberin und sagte nur das berühmte Worte: «Maen maendi! ...» Der Bischof sei gestern per Barke herabgekommen und habe schon einen Reiseplan für uns bereit.

Am Nachmittag erklärte uns der Hochwürdigste Herr ohne Umschweife, er könne nicht zulassen, daß wir in dieser Zeit über Land reisten. Der Flußweg sei noch der einzige, wo man vor den allerorts lungernden Banditen einigermaßen sicher sei. So fielen also unsere Pläne ins Wasser.

Es blieb uns nichts übrig, als uns ins Unvermeidliche zu fügen; denn Msgr. Palazzi ist ein gründlicher Kenner von Land und Leuten. Schon als jugendlicher Franziskaner von 19 Jahren war er nach China gekommen, hatte hier seine Studien vollendet und sich mit ganzer apostolischer Hingabe in die Sitten und Anschauungen seiner lieben Chinesen eingelebt.

Vor drei Jahren hatte er unsere ersten Schwestern von Shanghai heraufbegleitet – damals noch als einfacher Pater Raphael – und blieb uns seither gewogen. Er bot uns seine eigene Dschunke an, um in 3-4 Tagen weiterzureisen, wenn bis dahin nichts in die Quere käme.

Die Schwestern überwiesen uns einen Saal, wo wir uns inzwischen häuslich einrichten und wohnen und sogar an einem Kohlenbecken erwärmen konnten.

Die unerwünschte Wartezeit wollten wir gründlich ausnützen, um neue Erfahrungen für unser künftiges Wirken zu sammeln, und die Mutter Oberin, die schon 28 Jahre in China arbeitet, erwies uns hierin jedes nur erdenkliche Entgegenkommen.


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