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Im Weltknotenpunkt. – Biblische Erinnerungen. – Wehe dir, Korozain! ... – Die Wüstenstadt vor Abessiniens Toren. – Weit hinter dem Zehngebote-Berg.
Im Weltknotenpunkt. Am Morgen des 25. September warf der «Porthos» Anker vor Port-Said, ziemlich weit von der Flachküste entfernt. Im Nu war er umschwärmt von einer Unzahl kleiner Barken mit orientalischen, meist arabischen Taschenkünstlern und Kleinhändlern, die das Schiff förmlich bestürmten, überall emporkletterten und in allen Sprachen durcheinander schrieen, um etwas zu verdienen.
Langsam legten sich unterdessen schwerbeladene Frachtkähne ans Schiff, und es bildete sich treppauf, treppab eine Kette von schwarzen Männlein, welche in Körben Kohlen in die Bunker schleppten, stundenlang.
Manche Passagiere gingen an Land, darunter auch die beiden Franziskanerpatres, die ihre Mitbrüder aufsuchten.
Port-Said, eine ganz kosmopolitische Stadt, wie auch der riesige Durchgangsverkehr beweist, der hier vier Weltteile miteinander verbindet. Die Stadt ist erst mit dem Kanal aus der Wüste gewachsen (1869) und lebt ausschließlich von ihm. Neuerdings wurde sie durch eine Bahn mit Aegypten und Palästina verbunden. Eine kleine Bahn nach Suez ist schon älteren Datums.
Unter den 100 000 Einwohnern sind etwa 10 000 Katholiken, die, wie das ganze Kanalgebiet, von Franziskanern pastoriert werden. In der dortigen Pfarrkirche wird in sechs verschiedenen Sprachen gepredigt.
Seit einigen Jahren bildet die Kanalzone ein eigenes Apostol. Vikariat, dessen Oberhirte in Port-Said residiert und gewöhnlich ein französischer Franziskaner ist. Politisch und strategisch ist der Kanal unter britischem Einfluß.
Biblische Erinnerungen. Die Einfahrt in den Kanal, vorbei am Denkmal des genialen Erbauers Lesseps, ist etwas Erhebendes. Die Breite beträgt durchschnittlich nur etwa 80 Meter. Abgesehen von einigen künstlichen Oasen mit Palmenbüschen, aus denen die schmucken Villen der Kanalbeamten sich abheben, sieht man beiderseitig nichts als Wüste, steinig, kahl, verbrannt, hie und da von niederem Dorngestrüpp durchbrochen.
Der wandernde Dünensand macht ein beständiges Ausbaggern des wertvollen Wasserweges notwendig, was ein zahlreiches Personal erfordert.
Die Verkehrsordnung gleicht der einer eingleisigen Bahn, mit zahlreichen Wärterhäuschen, Farben- und Lichtsignalen, Telegraphenleitungen usw. Da außerhalb der Seen, durch die der Kanal führt, dessen Sohle zu schmal ist, um zwei Schiffen zugleich Raum zu gewähren, so sind hie und da größere Ausbuchtungen vorgesehen, wo die gehenden und kommenden Schiffe einander ausweichen können.
Etwa in der Mitte liegt das orientalisch bunte Ismaïlia, in einer größeren Oase. Hier grüßen wir im Vorbeifahren das Kreuz des dicht am Kanal liegenden Hospizes der Vinzentinerinnen. –
Trotz der modernen Verkehrsmittel durchkreuzen doch noch immer Karawanenzüge mit schwerbeladenen Kamelen diese Gegenden. Ihr Anblick versetzt uns zurück in die graue Vorzeit der Bibel. Auf diesen Karawanenwegen wanderten vor etwa vier Jahrtausenden die Patriarchen, Abraham und seine Nachkommen. Hier schleppten die ägyptischen Händler den jugendlichen Joseph vorbei in die Sklaverei. Auf diesen Wegen zogen nachher schwerbüßend seine Brüder mit ihren Getreidesäcken und führte später Moses das auserwählte Volk nach Kanaan zurück.
Durch diesen sengenden Sand, über dieses glühende Steingeröll führte vor 1930 Jahren der treue hl. Joseph sein Eselein, das Jesus und Maria in die Verbannung trug ... Was müssen diese drei heiligsten Personen während dieser langen Wüstenwanderung gelitten und geschmachtet haben – für uns! – – – Und wir, die wir hinausziehen, den armen Heiden diese unendliche Liebe zu verkünden, wie behaglich sitzen wir hier, wie mühelos gleiten wir durch die sternenhelle, erfrischende Nacht. «Er hat unsere Mühsal auf sich genommen und unsere Leiden getragen ...» (Is. 53, 4).
Da wir uns allein auf Deck befanden, sandten wir dankbaren Herzens dem flüchtenden Gotteskinde unsere schönsten Lieder nach. Es war wohl zum erstenmale, daß der Wüstenwind traute Luxemburger Heimatklänge durch diese heilige Einöde trug. – – –
Wehe, dir Korozain! ... Am nächsten Morgen ging's nach kurzem Halt im Hafen von Suez ins tiefblaue Rote Meer hinein. So schmal dieser westliche Meeresarm auf der Karte auch scheinen mag, er ist immerhin so breit, daß man das jenseitige Ufer nicht sehen kann. Wenn daher viele Reisende den Berg Sinai oder Horeb oder sogar die Quellen Moses' gesehen und beschrieben haben, so geschah es wohl bei Nacht im Traume. –
Von nun an erschien alles an Bord in heller, leichter Tropentracht. Leider bot die Damenwelt mit ihrer modernen Mode vielfach einen skandalösen Anblick, eine Schande für ihr Geschlecht, obwohl sie vorgaben «auch» katholisch und sogar in katholischen (?) Pensionaten erzogen worden zu sein. Welch furchtbare Verantwortung für diese Verhöhnung der Frauenwürde, trotz der strengen Warnung der hl. Kirche.
Ich dachte unwillkürlich an das bittere Urteil eines greisen Bischofs: «Sobald die Europäer den Berg Sinai passiert haben, so hören für sie die zehn Gebote Gottes auf. Sie werden sogar den Heiden zum Aergernis, den Missionen zum Hemmnis, der Religion zur Schande!» ...
Tatsächlich herrscht unter der Frauenwelt Indiens, und besonders Chinas, die größte Zurückhaltung im Benehmen, die tadelloseste Züchtigkeit in der Bekleidung: eine herrliche Lichtseite des dortigen Heidentums, eine vernichtende Anklage gegen manche «auchchristliche» Europäerinnen.
Ein Missionär aus China erzählt hierüber folgendes Erlebnis: «Ich redete eines Tages vor Katechumenen und Heiden über den veredelnden und sittigenden Einfluß des Christentums ... Da erhob sich ein angesehener Heide, der während des Krieges in Frankreich Dienste getan, und sagte hohnlachend zu den Umstehenden: ‹Jawohl, ich hab's mit eigenen Augen gesehen. Wenn bei uns die Weiber in solch frecher Weise, mit solch verstümmelter Kleidung sich zeigen würden, wir würden sie steinigen!› – Ich wurde rot vor Scham und – Zorn,» fuhr der Missionär fort; «es war mir eher zum Weinen als zum Predigen!» ...
So stiftet die zur Mode gewordene Frivolität Verderben bis in die fernsten Heidenländer.
Wer denkt da nicht an die furchtbare Drohung mit dem Mühlstein, an die abschreckende Salzwüste am Toten Meere, an den Weheruf des Weltheilandes und Weltenrichters (bei Luk. 10, 12-15 und Matth. 11, 21-24): «Wehe dir, Korozain! Wehe dir, Bethsaida! ... Tyrus und Sidon wird es im Gerichte erträglicher ergehen als euch! Und du, Kapharnaum, wurdest du nicht bis zum Himmel erhoben? Bis in die Hölle sollst du hinabgestoßen werden! ... denn wären in Sodoma die Wunder geschehen, die in dir geschehen, es stände noch heute! ...»
Wie hier die reich begnadigten Städte Israels den heidnischen Städten gegenüber gestellt und ob ihrer undankbaren Verstockung verworfen werden, so wird einst derselbe gerechte Richter den furchtbaren Gnadenmißbrauch so mancher Christen vor ihren weniger begünstigten heidnischen Mitmenschen brandmarken und züchtigen. –
Die mehrtätige Fahrt durchs Rote Meer ist wohl der beschwerlichste Abschnitt der Reise; denn einen schrecklicheren Schwitzkasten kann man sich kaum denken. Selbst der Wind bringt keine Kühlung, streicht er doch hüben und drüben über ungeheure Wüstenflächen und wird «kochend wie aus Ofens Rachen». Da heißt es, sich geduldig den Schweiß abwischen, Betrachtungen über den Nordpol anstellen und die gute Meinung nicht vergessen, um wenigstens einen Teil seines Fegfeuers zu verbüßen und sich einige Verdienste zu sammeln.
Die ungewohnte Hitze macht viele krank. Ein junger Passagier holte sich sogar einen Sonnenstich, dem er bald darauf erlag. Auch ein Pater erkrankte ernst und fieberte tagelang, konnte sich aber glücklicherweise wieder erholen. So war es uns vergönnt, unsere Tätigkeit als Krankenpflegerinnen schon während der Reise zu beginnen.
Die Wüstenstadt vor Abessiniens Toren. Als wir durch die Straße von Bab-el-Mandeb (Jammerpforte), welche durch die den Engländern gehörige Inselgruppe von Perim beherrscht wird, aus dem eigentlichen Roten Meere hinausgefahren waren, hielten wir uns an die afrikanische Küste und warfen am Vormittag des 30. September Anker auf der Reede von Djibouti, dem französischen Aden.
Auch hier zwingt die geringe Meerestiefe die größern Schiffe, ziemlich weit draußen liegen zu bleiben. Auf und um das Schiff dasselbe Leben und Treiben wie vor Port-Said, nur kommen diesmal Neger heran. Sie sind kräftig gebaut, kaffeebraun bis kohlenschwarz, mit wulstigen Lippen, krausen Köpfen, weißen Fußsohlen und weißen Nägeln an Hand und Fuß.
Köstlich ist's zu sehen, wie die strengen schwarzen Polizisten unten auf der Schiffstreppe mit ernster Kennermiene die Pässe prüfen, vor und nachher militärisch grüßend, wenn's ein Weißer ist, dazwischen durch Schreien Ordnung schaffen und mit langer Peitsche ihre mutwilligen schwarzen Landsleute in Schach halten.
Viel Sorgen verursachen ihnen ihre bloßen Füße. Wie geben sie acht, daß ihnen kein Beschuhter auf die Zehen tritt! Hie und da machen sie vor einem «gewichtigen Herrn» oder einer «feinern Dame» solche Reverenz, daß sie gewöhnliche Sterbliche beinahe um und ins Meer stoßen.
Auf Deck bieten die schwarzen Händler Straußenfedern, Korallen, Datteln und dgl. feil. Manche Passagiere fahren auf Motorbooten ans Land.
Djibouti ist eine Wüstenstadt neueren Datums, zunächst angelegt als strategisches Gegengewicht gegen das britische Aden (auf der Südwestecke Arabiens), dann als Kohlenstation für die Dampferlinien nach Ostasien, Ostafrika und besonders Madagaskar.
Ringsum eine kahle, tote Wildnis, in der kein Strauch, kein grüner Halm gedeiht. Es soll nur ein bis zwei Regentage im Jahr geben, kaum genug, um die Zisternen zu füllen. Zum Glück ist es vor noch nicht allzu langer Zeit gelungen, artesische Brunnen zu bohren, die ein gutes Trinkwasser liefern und so ergiebig sind, daß sie nicht nur die Stadt versorgen, sondern auch den durchfahrenden Schiffen von ihrem kostbaren Ueberfluß mitgeben können. Früher mußte das Trinkwasser durch Destillation aus dem Meere gewonnen werden.
Trotz dieser Lage in unfruchtbarer Wüste unter einem bleiernen, afrikanischen Gluthimmel ist Djibouti ein reger Handelsplatz geworden mit etwa 800 weißen Kolonisten, Beamten und Kaufleuten und einer stets wachsenden einheimischen, meist mohammedanischen Bevölkerung, Somali- und Gallasnegern.
Der Grund seiner Bedeutung liegt darin, daß es der bequemste Ausfuhrhafen des Wunderlandes Abessinien ist, mit dessen fruchtbaren Oasen es durch eine Eisenbahn in Verbindung steht. Diese ist sein Lebensnerv und bringt ihm Nahrung, Verdienst und Reichtum. In zehnstündiger Fahrt durchbraust der Zug die Wüste bis zur ersten abessinischen Oasenstadt Harar, eine Strecke, für die ehedem Kamelkarawanen mehrere Tage mühsamer, gefährlicher Wanderung beanspruchten.
Die Seelsorge und Missionsarbeit – letztere sehr schwer wegen der Vorherrschaft des Islam – ist in den Händen französischer Kapuziner, die vor der Stadt eine Station mit Kirche besitzen. Hier ist auch die Prokuratur für deren abessinische Mission.
Kaum 10 Prozent der europäischen Kolonisten erfüllen ihre religiösen Pflichten, obwohl die meisten «auch» katholisch und den Missionären im ganzen nicht direkt feindlich sind.
Aber – der Zehngeboteberg Sinai liegt schon zu weit hinter ihnen! – –