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3. Ein Blick aus der Vogelschau!

Chinesische Guckkastenbilder. – Die nationalistische Drachensaat und der moskowitische Wechselbalg. – Eine Krähe hackt. – Die menschliche Heuschreckenplage. – Christus oder Belial? – Die gute alte Sitte in Ehren.


Bevor wir die Erlebnisse unserer Chinafahrt weiter erzählen, ist es nötig, einen flüchtigen Blick auf die derzeitigen Zustände des fernen Riesenreiches zu werfen. Denn nur, wenn man seine verworrene Politik, sein Militär- und Räuberwesen in Betracht zieht, kann man einigermaßen die Lage der Missionen würdigen, die Abenteuer unserer Reise begreifen und wird vielleicht sogar die bisher zwar häufigen, aber doch meist sehr dunkeln Zeitungsberichte über China etwas besser verstehen. Eigentlich müßte man Bände füllen, um die dortigen Vorgänge richtig aufzuhellen, aber das ginge über das uns gesteckte Ziel hinaus, weshalb wir uns auf das Allernotwendigste beschränken.

Unsere Ausführungen stützen sich selbstverständlich auf die Mitteilungen alteingesessener Missionäre, die besser als sonst jemand befähigt sind, ein richtiges Urteil zu fällen über ein Volk, mit dem sie lebenslang verwachsen sind.

Chinesische Guckkastenbilder.

1. Das politische Problem. Daß in einem so gewaltigen Reiche, wo über ein Viertel der gesamten Menschheit – nach der neuesten Schätzung 450 Millionen – zusammenwohnen, es immer Revolten, Raufereien und Räubereien gab, wie auch anderwärts, ist nicht zu verwundern. Doch waren sie unter dem Kaisertum meist nur lokaler Natur und wurden von den Behörden schnell unterdrückt.

Seit der Errichtung der Republik (1912), namentlich nach dem mysteriösen Tode des ersten Präsidenten Yüanschikai, der mit eiserner Faust die durch die Revolution entfesselten Elemente des Umsturzes und der Unordnung ausrottete und niederhielt, aber wegen seiner diktatorischen Macht und imperatorischen Gelüste im In- und Auslande unbequem geworden war, scheint China keine Ruhe zu finden. Es leidet fast ununterbrochen an inneren Fehden, Revolutionen und Bürgerkriegen mit all ihren Folgeerscheinungen, als da sind Anarchie, Räuberwesen, Hungersnot, Seuchen und tausend andere Plagen.

Herzzerreißend sind die Hilferufe, die hie und da aus entlegenen Binnenprovinzen in die Weltpresse gelangen zugunsten hungernder Völkermassen, die unrettbar dem Untergang geweiht sind. Denn das Kriegsgetöse übertönt das Todesröcheln dieser armen schuldlosen Opfer. Keine Verwaltung ist da, den Weg freizumachen, wenigstens für eine Hilfsaktion von auswärts. Es sind leider gar zu viele, die wähnen, die rechtmäßige Gewalt zu sein, und noch weit mehr, die um deren Besitz kämpfen.

Zwar bestand unter der Republik schon immer eine Kluft zwischen dem konservativen Norden, der sich nach einem friedlichen stabilen Zustande sehnte, und dem radikalen Süden, der die Revolution bis zum Ende durchführen wollte. Die anfänglich theoretisch-parlamentarischen Kämpfe arteten schließlich in blutige Zwiste aus, in denen der Norden im ganzen die Oberhand behielt und daher größere Störungen unterblieben.

Die nationalistische Drachensaat und der moskowitische Wechselbalg.

Nach dem Weltkrieg, in dem China als «gleichwertiger Verfechter des Rechts» auf Seiten der Alliierten teilnehmen durfte, und im Gefolge der russischen Revolution und bolschewistischen Wühlerei tauchten zwei neue Faktoren in der chinesischen Politik auf: der Nationalismus und der Kommunismus.

Als logische Folgerung ihrer Kriegsteilnahme forderten die chinesischen Patrioten von ihren Alliierten vollständige Unabhängigkeit und Aufhebung der «einseitigen ungerechten» Verträge, die China zur Zeit seiner Schwäche und Verdemütigung auf sich hatte nehmen müssen.

Andererseits warb unter der leicht erregbaren Bevölkerung des Südens der von den «Erfolgen» des russischen Bolschewismus geblendete Revolutionär Sun Wen, – in der ausländischen Presse Sunyatsen genannt, – mit Feuereifer für seine radikal-kommunistischen Ideen, deren Verwirklichung, wie gesagt, ihm bei der ersten Revolution (1912) nicht gelungen war.

Sun Wen selbst war trotz der moralischen Makel seines Privatlebens und seiner prinzipiellen Irrtümer ein Idealist, der es wenigstens nicht auf Selbstbereicherung abgesehen hatte, weshalb sein Name populär geworden ist.

Sein Anhang rekrutierte sich meist aus unreifen Studenten, welche die Umsturzideen ins Volk trugen, besonders in die ungebildeten Massen der Arbeiter und Kulis.

Gewiß, der letzteren Los ist traurig und schreit dringend nach Abhülfe, aber der radikale Bolschewismus ist nicht der Weg dazu; noch sind die jugendlichen unerzogenen Heißsporne befähigte Führer für soziale Reformen. Sie können nur zerstören, nicht aufbauen.

Im Norden war der Bolschewismus, trotz anfänglicher Teilerfolge unter der Studentenwelt, vom ruhig denkenden Volke bald abgeschüttelt und geächtet worden, und ist es großenteils heute noch.

In den letzten Jahren nun, besonders nach 1925, wuchs die nationalistische kommunistische Verhetzung derart an, daß sich im Süden eine große Befreiungsarmee bildete, die allmählich das reiche Yangtzebecken im Zentrum und schließlich den ganzen Norden in ihre Gewalt brachte. Wenn der Norden auch kommunistenfeindlich war, teilte er doch die nationalistischen Bestrebungen, wodurch eine vorläufige Einheitsfront gegen die Ausländer entstand, die sich zunächst mehr diplomatisch geltend machte, nicht mehr wie früher in sinnlosem Abschlachten der Fremden.

Andererseits hatten in den Reihen der Südisten die extremen Kommunisten solche Ausschreitungen begangen, daß nicht nur Konflikte mit dem Ausland entstanden, sondern daß das Bauern- und Bürgertum sich energisch gegen das Gesindel zur Wehr setzte, und daß die verantwortlichen Führer sich schroff von diesen gefährlichen Freunden lossagen mußten. Dieser Reinigungsprozeß vollzog sich nicht ohne schwere Kämpfe und ist noch nicht abgeschlossen. Denn es gibt in China doch zuviel darbende und hungernde Massen, und der Krieg vermehrt täglich die Zahl derer, die nichts mehr zu verlieren haben und daher den Predigern des kommunistischen Paradieses ein williges Ohr leihen.

So kommt es, daß neuerdings die sog. nationale Zentralregierung, die von der neuen Hauptstadt Nanking aus das ganze Reich zu beherrschen trachtete, zwischen zwei Feuer geraten ist: einerseits wird sie bedrängt von den roten Schwärmen im Süden, die sich immer wieder zusammenrotten, andererseits ist der konservative Norden bestrebt, den früheren Zustand wieder herzustellen und das Reich unter der alten Hauptstadt Peking wieder zu einen.

Welche Partei wird siegen?

Einstweilen wogt das Kriegsglück oder besser -unglück, alles vernichtend, hin und her. Es dürfte wohl noch geraume Zeit dauern, bis eine starke Regierung sich überall durchsetzen und die widerstrebenden Elemente in Friede und Ordnung in einem einigen, großen Vaterlande zusammenhalten wird.

2. Die Hauptplage des Landes und die Quelle aller Uebel in Politik und Wirtschaft ist der Militarismus, der, so paradox es für uns Europäer auch klingen mag, die direkte Ursache der Anarchie und Unordnung ist.

In China ist der Militärberuf nichts weniger als ein Ehrenstand. Es besteht keine Dienstpflicht, sondern die Soldaten werden um Geld angeworben und rekrutieren sich durchweg aus den verdächtigsten Elementen der niedern Volksklassen, aus ungebildeten, arbeitsscheuen Burschen, die sich vom Kriegerleben reiche Beute und gute Tage versprechen. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wie man aus gutem Eisen keine Nägel schmiedet, ebensowenig wird ein ehrlicher Mensch Soldat.

Die Führer dieser Truppen, die in unsern Zeitungen mit den vornehmen Titeln «General» und «Marschall» geehrt werden, sind mit geringen Ausnahmen von demselben Kaliber: Emporkömmlinge, verbummelte Studenten, kühne Abenteurer, selten nur in militärischem Drill gut erzogene Leute.

So war z. B. der seinerzeit vielgenannte Marschall Tschangtsolin, der «ungekrönte König der Mandschurei», der jahrelang der mächtigste Mann Chinas gewesen, nacheinander Bauernknecht, Wegelagerer, Zuchthäusler, Soldat, Räuberhauptmann, Offizier, General, Provinzgouverneur, Marschall, Vizekönig, Diktator und beinahe Kaiser des größten Volkes – hätten ihn seine Gegner nicht meuchlings aus der Welt geschafft.

Obwohl Analphabet, besaß er doch ausgezeichnete Führereigenschaften und sogar ausnahmsweise eine gewisse Ritterlichkeit, die ihn antrieb, die katholischen Missionen zu schätzen und zu schützen. Diese guten Eigenschaften sind sonst eine Seltenheit.

Es ist deshalb nicht zu verwundern, daß Treubruch, Verrat, Bestechung, Mißtrauen, Meuchelmorde, unter einem Offizierkorps von solcher Herkunft fast alltägliche Vorkommnisse sind. Daher das beständige Hin und Her, die ewig wechselnde Bündnis- und Abfallspolitik der Generäle und Gouverneure, welche die ohnedies schon verworrene Lage für den Fernstehenden direkt undurchdringlich und undurchsichtig machen.

Die Zahl, Treue und Tapferkeit der Söldner, die sich gewöhnlich nach ihren Führern benennen, hängt vom Lohn ab, den diese ihnen zahlen. Natürlich pressen sie ihn aus dem armen Volke heraus durch die Steuerschraube, Kriegsabgaben und Plünderungen, weshalb der friedliche Bürger sie fürchtet und haßt wie Vampire.

Eine Krähe hackt ...

Nur in einem Punkte sind diese Krieger menschlich mild: wenn's nämlich zum Schlachtenschlagen kommt, so suchen sie sich und den Gegner, der ja für dasselbe Ideal (!) kämpft, möglichst zu schonen. Ja, nicht selten wird eine feindliche Armee unblutig besiegt, gefangen und in die eigenen brüderlichen Reihen gestellt dadurch, daß ihr vom Gegner ein höherer Sold angeboten wird. Deswegen sind die Kämpfe in China längst nicht so blutig, als man es anderswo gewohnt ist.

3. Das Räuber- und Banditenwesen ist eine direkte Folge des vorgenannten Aushebungssystems; ja, die militärische Abrüstung ist vielfach noch gefährlicher als der Krieg selbst.

Durch ihre Entlassung aus dem Militärdienst stehen die armen Kerle, oft weit entfernt von ihrer Heimat, plötzlich vor einer gähnenden Leere. Der Sold ist meist rückständig oder verjubelt, Arbeit und Verdienst in dem ausgesogenen Lande ausgeschlossen, daher ein ehrbares Fortkommen unmöglich. Nicht selten verfolgt sie noch die Rache des gepeinigten Volkes.

So wehren sich die in ihrer Existenz bedrohten Söldner gegen die Entlassung. Es bedürfte schon einer starken Macht und reichlicher Mittel, sie reibungslos ins Privatleben zurückzusenden. Aber beides fehlt in dem erschöpften Lande.

Menschliche Heuschreckenplage!

So kommt es, daß die armen Schelme aus Selbsterhaltungstrieb sich der Auflösung widersetzen, ihre Eingliederung in die schon überzählige Regierungsarmee erzwingen, oder sich unter einem eigenen Führer als ein irregulärer Truppenteil oder eine großzügige Räuberbande zusammentun und durch Erpressungen und Plünderungen von Dörfern und Städten sich ihren Unterhalt verschaffen.

Aus praktischen Gründen behalten sie gewöhnlich stramme militärische Disziplin bei.

Unter den Führern gibt es sogar Intellektuelle, die im Ausland gewesen und sich für die Verwirklichung des kommunistischen Programms als etwas Idealem einsetzen. Man nennt sie die « großen» Roten.

Sie bekämpfen angeblich nur den Kapitalismus, dem sie alle Reichen und auch die Regierung beizählen, und den Imperialismus, als dessen Vertreter alle Ausländer gelten, die in China noch Rechte beanspruchen.

Hingegen spielen sie sich als Befreier und Beschützer des «armen Volkes» auf, das daher leicht mit ihnen sympathisiert.

Vielfach machen sie einen löblichen Unterschied zwischen den fremden Handelsleuten und den Missionären, deren uneigennütziges Wirken sie anerkennen und deren Wohlfahrtseinrichtungen sie zu schonen suchen.

Aber sie werden oft nicht Herr über ihre eigenen Leute und die vielen Mitläufer, deren ganzes Ideal Raub und Beute ist.

Letztere, die « kleinen» Roten, sind allgemein gefürchtet, da sie sich aus gewöhnlichem Gesindel zusammensetzen und sich den «großen Brüdern» nur anschließen, um unter deren Flagge ungefährdeter Ausschreitungen zu begehen.

Viele derselben bilden auch unabhängige, gemeine Räuberbanden für sich. Andere sind sogar sittlich und religiös radikale Bolschewisten, auf deren Konto die meisten Greueltaten gegen die Missionäre und das eigene Volk zu buchen sind. –

Natürlich machen sich auch gemeine Verbrecher und Bösewichte die verworrene Lage zunutze und folgen diesen Banden wie schmarotzende Schakale. Sie sind im Grunde gefährlicher, weil sie direkt auf Raub und Mord und nicht selten persönliche Rache sinnen und mit den örtlichen Verhältnissen vertrauter sind.

Außer diesen regulären und irregulären Truppen mit ihrem roten Anhange gibt es noch Ortsmilizen, eine Art Bürgerwehr, aufgestellt und unterhalten von den Lokalbehörden und den Notabeln, zur Verstärkung der oft unzureichenden Regierungstruppen und Polizei, für die Bekämpfung des Banditenwesens.

Sie haben einen schweren Stand, da sie nur mangelhaft bewaffnet sind, von den Regulären mit Mißtrauen behandelt, von den Roten gehaßt oder bekehrt werden.

Daß unter diesen Umständen im Augenblick der Gefahr sie lieber den Vortrab als die Nachhut der Flüchtlingsscharen bilden, ist nicht verwunderlich.

Da also Soldaten und Banditen vom selben Holze sind, so begreift man auch, daß die sog. reguläre Miliz und Polizei beim besten Willen der hohen Regierungsstellen dem Räuberunwesen nicht leicht steuern kann. Denn wer heute Bandit ist, kann morgen Regierungssoldat sein, und umgekehrt; und bekanntlich beißen die Wölfe einander nicht.

Zum Beleg nur ein kleines Beispiel:

Ein Pater war Ende 1923 von Banditen verschleppt worden. Als Bedingung seiner Freilassung wurde gefordert, die Mission solle ihren Einfluß dahin geltend machen, daß die ganze 1500 Köpfe zählende Räuberschar mit allen militärischen Ehren in die reguläre Armee eingereiht würde.

Allein, unter dem Drucke der europäischen Schutzmacht setzte die damals noch ziemlich starke Zentralregierung ein größeres Truppenaufgebot ein, den Missionär zu befreien. Indes die Räuber, stets nur von drei Seiten eingeschlossen, entwischten immer wieder, und es gab trotz der gewaltigen Schießerei merkwürdigerweise keinerseits Gefallene. Endlich konnte der Gefangene entfliehen und wurde von den «Befreiern» triumphierend heimgeleitet. Um die Räuber kümmerte man sich nicht weiter.

Wegen der unruhigen Zeiten wurden alle größeren Orte der Gegend behelfsmäßig befestigt und erhielten oder bildeten verstärkte Polizeigarnisonen, um vor Ueberfällen und Plünderungen gesichert zu sein.

Eines Nachts hörte der Wachtmeister eines Marktfleckens in einiger Entfernung vom Tore das Geräusch eines marschierenden Trupps. Auf seinen Anruf «Wer da?» fiel ein Schuß, den er aufs Geratewohl erwiderte. Das Geräusch entfernte sich im Dunkel der Nacht. Am Morgen fand man auf dem nahen Acker die Leiche des Räuberhauptmannes, dem der nächtliche Schuß das Herz durchbohrt hatte. Aber welch ein Schrecken für den Herrn Wachtmeister: der erschossene Räuber war sein – Bruder! –

4. Ein wichtiges Kapitel für sich, das wir aber hier nur kurz streifen können, wäre auch die Frage, wie sich die drei vorgenannten Gewalten zur Religion, speziell zur katholischen Mission, stellen.

a) Die Politiker suchen den neuen Staat nach dem Muster anderer Laienstaaten, besonders Amerikas, zu modernisieren. Obwohl sie im Prinzip religiös «neutral» sein wollen, so sind sie doch, nach dem Geiste der Loge, laizistisch, atheistisch und antichristlich. Allerdings ist die Stellung der katholischen Kirche vor den neuen nationalistischen Machthabern günstiger, als die des von nationalen Missionsgesellschaften getragenen Protestantismus.

Denn durch die Errichtung eines einheimischen Episkopates und durch die Fernhaltung der katholischen Glaubensboten von jeglicher Politik erscheint die Kirche allmählich auch in den Augen der ihr fernstehenden Regierungskreise als eine übernationale, unpolitische und moralische, einflußreiche Weltmacht, die für Ordnung und Friede eintritt und die Rechte einer jeden Nation achtet und verteidigt.

Aus dieser Erkenntnis heraus riefen die chinesischen Nationalisten schon mehr als einmal die moralische Unterstützung des hl. Stuhles an und ernannten sogar einen Vertreter beim Vatikan.

Wenn auch die Gesetzgebung laikal bleibt, so sind infolge dieser Beziehungen doch manche Härten daraus verschwunden, namentlich in Schulfragen, und es wird sich hoffentlich doch die Erkenntnis durchringen, daß es im eigenen Staatsinteresse liegt, mit Rom zu einem friedlichen Einverständnis zu gelangen.

Die internationale Freimaurerei, besonders die geldmächtige Loge der Neuen Welt, treibt auch hier ihr diabolisches Dunkelwerk und sucht die Jugend in ihrem Sinn erzieherisch zu beeinflussen. In nicht geringem Maße ist es ihr gelungen, die Bürgerjugend und Studentenwelt zu gängeln durch die von Rom geächtete sog. Young Men's Christian Association (Y. M. C. A.), d. h. Christlicher Jungmännerbund, der vom Christentum nichts als den Namen hat, lediglich als Köder, sonst aber glaubenslos und in der Moral freimaurerisch-ungebunden ist. Sie sind zur Zeit eine ernste Gefahr für die Christianisierung Chinas.

b) Die Militaristen sind der katholischen Mission im ganzen ebenfalls nicht besonders feind, sondern behandeln sie wie das übrige Volk, meistenteils sogar mit mehr Achtung und Schonung; denn sie schätzen und benützen ihre karitativen Anstalten. Als beispielshalber Kiukiang, eine große Handelsstadt am Yangtze, von den mit vielen Kommunisten durchsetzten Nationaltruppen geplündert wurde, stellten sie ganz aus sich selbst vor das Tor der Vinzentinerschwestern eine Schutzwache mit aufgepflanztem Gewehr, die jedermann den Eintritt wehrte, und das so lange, als die Gefahr dauerte. Der Befehlshaber hatte überdies ein Plakat anbringen lassen mit der Inschrift: «Das Betreten dieser Stätten ist strengstens verboten, denn hier wohnt die Liebe.» –

c) Die Räuber endlich sind je nach ihrem Ursprung entweder neutral wie die Militaristen, oder rücksichtsvoll, sofern sie die karitative Tätigkeit der Mission in Anspruch nehmen. So pflegten unsere Schwestern in Hwangshihkang längere Zeit ein Mütterchen, das ihnen eines Tages auf einer Bahre hergetragen wurde von ihren beiden braven Söhnen, die von Beruf Bandenführer waren! –

Das erste Kind unserer Krippenanstalt, Fanzika, hat gleichfalls einen Räuberhäuptling zum Vater! – –

Doch gibt es unter ihnen auch gemeine Verbrecher und andere, die vom Bolschewismus mit Haß gegen jede Religion erfüllt sind und es besonders auf die Vernichtung der katholischen Kirche abgesehen haben. Solche Banden hausen besonders im Süden. Sie sind es auch, die im westlichen Hupeh, im nordwestlichen Hunan und in Kiangsi Missionen zerstörten, Kirchen schändeten und Missionäre und Christen ermordeten, während es andern Räubern mehr um die Erpressung von Lösegeld zu tun ist.

Die gute alte Sitte in Ehren!

5. Um das Bild zu vervollständigen, müssen wir noch ein kurzes Wort über die soziale Struktur des chinesischen Volkes beifügen. Man sollte meinen, daß durch die jahrelangen Bürgerkriege und das Fehlen einer festen Staatsgewalt das Land sich in einem wilden Chaos und in voller Auflösung befinden müsse. Doch dem ist nicht so. In seiner stark verankerten patriarchalischen Familie, die dem Altvater alle Autorität über seine Nachkommenschaft, oft vier Generationen, zuerkennt, besitzt China einen mächtigen Schutz gegen die Elemente der Zersetzung und Unordnung. Derselbe wird noch verstärkt durch den Zusammenschluß verwandter Familien zu einem Clan oder einer Sippe.

Desgleichen vereinigen sich die Handwerker zu Gilden oder Zünften, die Geschäftsleute zu vorzüglich organisierten Handelskammern, die in großen Orten eine gewaltige Macht bilden.

Wenn nun die «ordentliche» Zentralgewalt irgendwie versagt, so übernehmen die Aeltesten der Gemeinde und die Häupter der Bürger-Organisationen deren Stelle und setzen gemeinsam eine Lokalregierung ein, die von allen anerkannt und materiell und moralisch unterstützt wird. Sie ist für Ordnung und Sicherheit in ihrem Bereich verantwortlich, auch bei der später wieder einsetzenden Zentralregierung.

Dank also der patriarchalischen Familie, dank dem ins soziale Leben übergreifenden Familiengeist und dem tief eingewurzelten Autoritätsprinzip, sehen wir das größte und älteste Kulturvolk der Erde faktisch ohne Haupt in kleineren und größeren friedlich nebeneinander lebenden Gemeinwesen sich selbst regieren und national zusammenhalten. Sicherlich wird China, dessen gediegene, patriarchalische Volkssitten eine vorzügliche Grundlage für das Christentum bilden, und dank welchen es den Stürmen von Jahrtausenden getrotzt, auch aus der gegenwärtigen Heimsuchung siegreich hervorgehen, obschon es sich der Neuzeit anzupassen haben wird. –

Nachdem wir so gleichsam aus der Vogelschau einen Blick über Land und Leute und Leben Gesamtchinas geworfen, nehmen wir den Faden unserer Erzählung, die hoffentlich dadurch verständlicher wird, wieder auf.


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