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Moskowitische Affenszenen in chinesischem Milieu. – Traurige Tage. – Gebrochene Herzen. – Grenzenlose Not und einengende Grenzpfähle. – Ein Tropfen auf einen heißen Stein. – Stummer Schmerz. – Verborgenes Heldentum. – In «Kaltenwasser». – Dolenti Matri. – Consolatrix Afflictorum.
Nur am Bauen fehlt's!
Mit wachsender Aufmerksamkeit hatten wir den obigen Ausführungen zugehört und im Geiste schon die schönen Missionswerke erstehen und emporblühen sehen. Aber unser Führer fügte bei: «Das alles sind leider nur Pläne, Zukunftsträume. Wie lange noch? – All meine Bitten an die Heimat um mehr Mitarbeiter und Mittel haben wenig Erfolg, verhallen fast wie die Stimme des Rufenden in der Wüste. Tirol ist arm, das ärmste Land im armen Oesterreich ...»
Wir meinten, die Lage sei doch günstig, die Saaten reif zur Ernte, sofern nur hier die Scheuer aufgetan würde, die Garben Gottes einzubringen. Es fehlte nur am Bauen.
«Freilich nur am Bauen!» erwiderte lebhaft der Pater, «aber Sie müssen auch die Ruinen kennen, die seit Jahren überall sich angehäuft.»
Und dann erzählte er uns die jüngste Geschichte der neuen Mission, eine erschütternde Passion, eine lange Reihe schwerer Schicksalsschläge.
Kaum war die neue Präfektur entstanden, so verdüsterte sich der Himmel über ihr. Weil sie vom Hauptweg abgelegen, so glitt der erste nationalistische Ansturm verhältnismäßig harmlos daran vorbei.
Schlimmer wurde es am Jahresende 1926
Moskowitische Affenszenen in chinesischem Milieu.
Das Moskowitertum sah seine Zeit gekommen, das kriegszerrüttete Land vollends aus den Angeln zu heben und in das Chaos und den Sumpf zu werfen.
Die schon längst gesäte Drachensaat schien ihnen reif zur Ernte.
Vom Norden kommend ließ sich im Yangtzetale ein Höllenvogel nieder; ein Flugzeug war's, das eine symbolische Dreizahl trug, ausgedacht von finstern Mächten: ein Russe, ein Chinese, ein Affe ...
Der letztere, als Ahnherr der vertierten zweie, war sicherlich der unschuldigste der ganzen Gruppe.
Das rote Verbrechertum feierte tagelang Triumphe in Hankow, Wuchang und am Yangzestrome, bis endlich die entsetzten Menschen aller Rassen sich ermannten, und dutzendweise die Bolschewistenköpfe in den Sand rollen ließen.
Die Gerechtigkeit verlangte, daß man den armen Schimpansen schonte!
Die Feuerschlünde der Kriegsschiffe reichten indes nicht hinein ins wirre Berg- und Buschgebiet von Hupeh und von Hunan. Dorthin zog sich die blutigrote Revolution und wogte lange hin und her, im Kreisel fort und fort gepeitscht, gleich einer schwarzen Wetterwolke, die immer neue Schrecken braut und nimmer sich erschöpfen will.
Die abgelegene Stadt Paoking war monatelang das Hauptquartier der roten Höllenmächte. Sie zeigten dort dem Volke Affen, zum Beweise ihrer Herkunft, ihrer Freiheit, ihrer Tierheit.
Die viehischen Instinkte «zerrissen alle Bande frommer Scheu. Nichts Heiliges war mehr auf Erden, alle Laster waren frei ... Da wurden Weiber zu – Dämonen»: Unzucht, Raub und Höllensitten! ...
Die armen Affen selbst mußten sich ihrer verwilderten Enkelkinder schämen!
Durch jahrelanges Betteln und Entbehren, Tag und Nacht sich selber opfernd, hatte P. Jesacher in jener Stadt eine erstklassige Missionszentrale aufgebaut, mit allem Zubehör. Erst der Jüngste Tag wird offenbaren, wieviel Schweiß und wieviel Mühe jeder Stein gekostet hat. Es war sein Lebenswerk.
Da brach der Sturm herein, die Herde ward verscheucht, der Hirte mußte weichen. Alles fiel den Wüstlingen zur Beute, die mit Vandalenwut zerstörten, was sie nicht stehlen konnten.
Ausgesprochen am 1. Mai 1927 ward die der Himmelskönigin geweihte Kirche beschlagnahmt, geschändet, zum Lenintempel umgewandelt, worin die Sendlinge der Hölle ihre Orgien feierten.
Jede Spur der Religion sollte ausgerottet werden. Die Glaubensboten, deren Wirken unmöglich geworden, zogen sich aus der Provinz zurück, um in sichern Hafenplätzen das Ende des Sturmes abzuwarten.
Die Tiroler Patres blieben bis zuletzt, und nur die jüngsten wurden weggesandt.
Die Mehrzahl der Stationen wurde ausgeplündert und verwüstet. Die meisten Missionäre verloren Hab und Gut und retteten nur das, was sie am Leibe trugen.
Fürchterlicher aber waren die Seelenqualen, die stete Spannung, die bange Ungewißheit, die Trennung von der Außenwelt, inmitten der unheimlichsten Gerüchte.
Endlich gelang es der Regierung doch, im Bunde mit dem bessern Teil des Volkes, die Bolschewisten und ihren Anhang zu zersprengen.
Die Missionäre kamen aus ihren Verstecken hervor, doch fanden sie vielfach nur Greuel der Verwüstung, wo einst Leben blühte; traurige Ruinen auch in den Seelen! ...
Daß bei diesem Anblick der erste Präfekt, kaum 39jährig, vor Seelenschmerz zusammenbrach, ist kein Wunder. Genau drei Monate später sank auch sein Nachfolger ins Grab.
Jetzt steht als dritter P. Jesacher auf dem Plan, allein mit nur vier Missionären, inmitten eines Trümmerfeldes.
Doch er ist unverzagt.
Zwar sind in der letzten Zeit neue Missionäre aus Amerika und Ungarn eingerückt, welche später eigene Sprengel zu übernehmen gedenken. Aber sie müssen erst ihre Lehrzeit durchmachen, sodaß einstweilen die ganze Last noch auf den «Alten» ruht.
P. Jesacher hat in selbstloser Weise die ihm so teure Mission von Paoking mit dem umliegenden Distrikt den amerikanischen Mitbrüdern angeboten, einzig auf die Ehre Gottes und das Heil der Seelen bedacht.
Das der Tiroler Provinz verbleibende Gebiet zählt immerhin noch über 2 Millionen Seelen und benötigte das Hundertfache der vorhandenen Missionäre.
Wenn ich in der Heimat von «Priestermangel» reden höre und dann an die hiesigen Verhältnisse zurückdenke, so kann ich mich eines mitleidigen Lächelns nicht erwehren. Fünf Priester für rund 8 000 weithin zerstreute Katholiken und 4 ½ Millionen Heiden, die noch zu bekehren und zu belehren sind.
Wo herrscht wirklich Priestermangel? Wo ist die Ernte ohne Schnitter? – Millionen Seelen schreien dort nach Brot, und niemand ist, der's ihnen bräche (Vgl. Klag. 4, 4).
Es schneidet mir immer tief in die Seele wenn ich den Vorwand hören muß, bei uns gäbe es übergenug zu tun, um Seelen zu bekehren, die ebenso kostbar seien und uns näher lägen als die fremden Heiden. Sind diese Behauptungen auch in sich wahr, so werden doch leider gar zu oft oberflächliche, falsche Trugschlüsse zu Ungunsten des Missionswerkes daraus gefolgert. Man übersieht und verschweigt nämlich den ungeheueren Unterschied zwischen hier und dort.
Bei uns sitzen nämlich die «Neuheiden» und Sünder an der Quelle der Gnaden, können allerorts und jederzeit priesterliche Hilfe haben und sich retten, wenn sie nur wollen ....
Nicht so bei den Heiden. In ihrer Unwissenheit können sie nicht einmal wollen! Und wenn sie auch irgendwie etwas von der katholischen Religion gehört und gerettet werden wollten, so fehlen ihnen doch die Glaubensverkünder und Gnadenvermittler – die Missionäre.
Eine solche himmelschreiende Verlassenheit und Hilflosigkeit gibt's in christlichen Landen nirgendwo!
Ebenso ist hier die bisweilen auftretende materielle Not nie so allgemein, wird durch eine christliche Umgebung und unzählige, überall erreichbare Karitaswerke gemildert. Sie läßt sich nicht vergleichen mit dem entsetzlichen Elend, dem man im Heidenland auf Schritt und Tritt begegnet, und das sich selbst überlassen bleibt. Vgl. oben Changsha, Karitas und Philanthropie, Seite 191.
Darum die heimische Seelsorge und Karitas in allen Ehren!
Aber wäre es katholisch, christlich, gerecht, wenn man darob unsere heidnischen Brüder übersehen, vergessen, hintansetzen wollte? –
Wie engen oft die Farbenstriche einer Länderkarte das Urteil selbst der Bestgesinnten kleinlich ein, daß sie die mindeste Beschränkung im eigenen Bereich schon gleich als unbequem und ernst empfinden, und für das abgrundtiefe Elend, die grenzenlose Not jenseits der Landespfähle, Meeresweiten, kaum ein Verständnis haben!
Wie versteht man da den schmerzerfüllten Warnungsruf des gottbestellten Weltenwächters, der von Romas hoher Warte aus der Menschheit Nöte überblickend, mit heiligem Ernst die Ordensobern und die Bischöfe ermahnt, der fernen Heiden zu gedenken und mit allem Nachdruck Missionärsberufe zu begünstigen und zu fördern, uneingedenk der eigenen kleinen Nöten (Enzyklika Rerum Ecclesiae, Pius XI.).
Des Papstes Wille ist Gottes Wille! –:
Der heutige Tag und die Unterhaltung mit einem so erfahrenen Heidenapostel war für uns höchst lehrreich gewesen und hat uns ganz neue Horizonte eröffnet. – –
Dank der seit gestern aufgespeicherten Müdigkeit verbrachten wir eine bessere Nacht, weil auch unsere Nachbarn, die Bonzen, das Musizieren durch Schnarchen ersetzten, was uns wenig störte.
Am nächsten Morgen war Sonntag, und wir gingen schon früh zur Kirche. Es kamen nur wenig Leute von auswärts. Etwas zahlreicher waren sie bei der zweiten Messe um 9 Uhr, auf die ein Segen folgte.
Der Pater selbst mußte am Altar die üblichen Lieder singen, die ein zufällig anwesender Franziskanerbruder aus Ungarn auf dem Harmonium begleitete, was schon etwas mehr Feierstimmung brachte.
Wie wir von verschiedener Seite schon gehört, ist es für den in Neugebieten wirkenden Missionar ein nicht geringes Opfer, jahraus, jahrein die altgewohnten Schönheiten des Kultus zu entbehren. Denn es dauert naturgemäß lange Zeit, bis die Neophyten, die keine Ahnung von der Pracht des liturgischen Gottesdienstes haben, den sie nie gesehen, in den Geist der Kirche eingeführt und entsprechend geschult sind.
Zum Glück gibt es jetzt ziemlich überall Altgemeinden, wo das Pfarrleben blüht, und wo die Neulinge lernen können. Auch wird in den Waisenhäusern und Seminarien großes Gewicht auf die Pflege der Liturgie gelegt.
Als wir nach der Messe unserer Wehmut Ausdruck gaben, sagte der Apostolische Administrator: «Die Hebung des kirchlichen Lebens und die Verschönerung des Gottesdienstes, der schon allein eine eindringliche Predigt für Christen und sogar Heiden ist, sind nicht die letzten Gründe, weshalb wir Schwestern kommen ließen. Dadurch, und durch euer stilles Beten, Lieben, Leiden sollt ihr Gottes befruchtenden Gnadentau auf dieses Missionsfeld herabziehen. Ohne diese Gnade mühen wir uns vergebens ab. Ihr werdet sehen, welche Wandlung das gute Beispiel und die treue Mitarbeit der Schwestern in diese ganze Gegend bringen wird.
Aber dazu müßt ihr Opfer bringen, große Opfer, ja das schwerste, das eigene Ich täglich auf den Altar legen: Mißerfolge, Rückschläge hinnehmen, äußere und innere Kreuze tragen, und hoffen, immer hoffen, und in beständigem liebenden Gebetsleben mit Gott vereinigt sein; dann seid ihr allgewaltig, wie Moses auf dem Berge Nabor. Der Erfolg wird nicht ausbleiben, kann doch Gottes Gnade selbst aus den Steinen dem Abraham Kinder erwecken .... (Matth. 3,9)».
Es war eine hohe, heilige Aufgabe, die er uns vorzeichnete, und wir bitten alle Missionsfreunde inständig um ihr Gebet, daß wir mit Gottes Hilfe unserer Berufung würdig werden.
Stummer Schmerz!
Für heute hatten wir eine besonders wichtige Besprechung vereinbart über einen Gegenstand, den wir bereits brieflich behandelt. Es handelte sich darum, nach Vorschrift des Kirchenrechts die materiellen Grundlagen unserer künftigen Zusammenarbeit klarzustellen. Das war eine Hauptursache unserer Reise und unserer vielen Studien gewesen.
Nun erschienen wir vor dem Apostolischen Administrator.
Ich darf es offen sagen, er kam mir ernst, gedrückt, ja wortkarg vor.
Noch verstand ich nicht die Ursache.
Als ich ihn bat, er möge für den Fall, daß wir unsere Schwestern von daheim aus nicht hinreichend unterstützen könnten, ihnen aus Mitteln der Präfektur den etwa notwendigen Unterhalt zusichern, da war er anfangs wie versteinert und sagte lang kein Wort.
Ich fuhr fort, meinen Standpunkt zu begründen mit dem Hinweis auf andere Missionen, wo ähnliche Abmachungen bestehen.
Die Antwort war ein langes, trauriges Schweigen, ungemein peinlich ....
Endlich, nach etwa zehn Minuten, sagte er mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer: «Ja, das will ich tun!» ...
Sonst nichts. –
Als ich dann beifügte, wir hätten von einer edlen Luxemburger Wohltäterin ein schönes Almosen erhalten, das wir zum Teil für die Instandsetzung des Waisenhauses zu verwenden gedächten, da schien neues Leben in ihn zu kommen. Es blitzte auf in seinen Augen, und als ob ein schwerer Stein von seinem Herzen gewälzt worden wäre, atmete er erleichtert auf, und seine Zunge löste sich.
Und nun gestand er allmählich ein, daß er nichts, gar nichts mehr in der Kasse habe!
«Sie haben ja selbst gesehen,» fuhr er fort, «wie jämmerlich es in Fukiatsung aussieht. Zwar bekommen wir vom Kindheit-Jesu-Verein jährlich eine gewisse Summe. Aber was ist das für so viele? – Ein Tropfen auf einen heißen Stein. Letztes Jahr mußten wir nicht weniger als 1800 Dollars zusetzen, um das Werk notdürftig über Wasser zu halten. Was soll ich heuer tun?
«Als Apostolischer Administrator soll ich Christi Reich ausbreiten, als Oberer für das geistliche Wohl meiner Mitarbeiter sorgen, als Prokurator ihnen die notwendigen materiellen Mittel zur Verfügung stellen ... ...
«In den letzten Jahren bekam ich fast kein Almosen mehr. Weil man draußen immer nur von Kriegsgreueln und Zerstörungen hört, so gibt man uns und unser Wirken für verloren.
Wir sind daher von aller Welt abgeschnitten, verlassen, vergessen. Und ich stehe da, einsam, mit gebundenen Händen und blutendem Herzen! ....»
Er konnte nicht mehr weiter sprechen.
Könnte er wenigstens sich ausweinen! – –
Aber nein! er ist ein Mann, sturmerprobt und wetterfest wie die Dolomiten seiner Heimat!
Seine Wimpern blieben trocken.
Und doch fühlte man, wie es im tiefsten Innern seiner Apostelseele wühlte und wogte, ein weiter, wilder See voll Bitterkeit und Weh ....
Nun verstand ich auch, warum er förmlich zusammengezuckt, so oft wir von einer notwendigen Verbesserung oder sonst einer Auslage sprachen.
Die Rollen waren jetzt vertauscht!
Lange fand ich kein Wort, so sehr war ich erschüttert.
Hatte ich nicht, ohne es zu wissen und zu wollen, ein wundes Herz noch mehr verwundet? – – –
Schweigend kehrte ich mit meinen Begleiterinnen in unsere Wohnung zurück. Wir weinten alle drei. – – –
Wir haben nacheinander alle Tiroler Patres kennen gelernt. Es sind ernste Männer, die arbeiten wie Hünen ohne Rast und Ruh bis zum Zusammenbrechen. Kein Wort der Klage kommt über ihre Lippen. Liebe und Geduld, Demut und Ergebung sind ihren Worten und Handlungen aufgeprägt.
Sie sind ärmlich, aber sauber gekleidet. Von ihrer Not reden sie nie. Jede Unterhaltung endigt mit: «Froh leiden, gerne alles opfern!»
Wenn man sie jedoch näher beobachtet, wie sie trotz aller Anstrengung oft nur einen magern Erfolg erzielen, und mancherorts noch rauchende Ruinen ihre liebsten Hoffnungen begruben, so versteht man, wie heldenhaft ihr stilles Wirken und stummes Leiden ist.
Sie sind wie Säulen; aber auch granitene Pfeiler müssen bersten unter Bergeslast.
Und so sind diese Männer zertreten bis in den Grund hinein – und schweigen! ...
Rührend und erbaulich ist's zu sehen, wie das gemeinsame Leid und die täglichen Drangsale sie zusammengeschweißt und fest um ihren Obern geschart. Ein solches Band wird nicht leicht zerrissen (Eccl. 4, 12).
Das ist inmitten der Prüfung ihr bester Trost, der sie mit Makkabäermut beseelt und stets zu neuem Ringen stählt – für Gott und die Seelen! –
So waren also unsere Verhandlungen mit dem Missionsobern bald abgeschlossen, ich hatte viel, sehr viel gelernt, von dem ich vorher kaum eine Ahnung hatte, was man in der Heimat nicht versteht und was in keiner Missionszeitschrift zu lesen ist.
Nimmer werde ich Yungchow und seine Lehren vergessen.
Nach einem solchen Erlebnis verschwindet jede Schüchternheit, man fühlt in sich den Mannesmut einer mitleidigen Veronika, man möchte Bettlerin werden, die weite Welt durchwandern und laut hineinrufen in alle Häuser und Hütten und Herzen: Erbarmet euch der armen Missionen, gedenket dieser weltverlorenen Apostel, dieser verborgenen Helden! – –
Am Abend war unser Gastgeber wieder guten Mutes und zeigte uns in heitrer Laune, wie die Chinesen mit der sog. Wasserpfeife umgehen und Gram und Müdigkeit mit ein paar tüchtigen Zügen gefilterten Nikotinrauches zu verscheuchen wissen.
China ist zum großen Glück ein erstklassiges Tabaksland, wo jedermann sich frei und billig sein Lieblingskraut anbauen kann. –
Am nächsten Morgen nach der Messe geleitete uns R. P. Jesacher hinab an den Fluß, wo bereits der wackere Wang mit unsern Siebensachen uns auf einem Nachen erwartete.
Wir stiegen rasch ein und steuerten in die Mitte des Flusses, auf eine größere Dschunke zu, die sich bald in Bewegung setzte.
Es ging stromabwärts, aber wir hatten Gegenwind, und die Schiffer mußten fleißig rudern.
In einer kleinen Mattenkajüte lasen, schrieben und beteten wir, denn das Steilufer hinderte jede Fernsicht.
Am Nachmittag erreichten wir den uns bereits bekannten Flecken Lengshuitan, d. h. «Kaltenwasser» und bezogen das leere Missionsgebäude.
Vergebens suchte unser Führer nach Trägern für die Weiterreise, noch etwa drei Stunden weit. Es drohte ein Gewitter, und niemand mochte in den Busch sich wagen mit der Aussicht, von der Nacht überholt zu werden.
Wir blieben also hier. Da alle Zimmer abgeschlossen waren, so sorgte Küchenmeister Wang für ein Abendessen, und wir schliefen in geliehenen Decken im Erdgeschoß eine ruhige Nacht.
Unser Aufenthalt in «Kaltenwasser» blieb natürlich nicht unbemerkt.
Unter andern kamen auch ein paar Katechumenen herbei, die berühmten Größen, von denen auf allen Märkten der Umgebung die Rede war, aus der Nähe zu sehen.
Ihre Religionskenntnisse waren noch sehr gering; sie mochten ein oder das andere Mal einem Gottesdienst beigewohnt haben.
Heute erwarteten sie gewiß eine besondere Feierlichkeit, die «Siudau» (Schwestern) waren ja zu dreien, da mußte es sicher ein Levitenamt, wenn nicht gar ein Pontifikalamt geben! ...
Sie erkundigten sich bei unserm Reiseführer Wang sien-scheng – verdeutscht «Herr» König – wann wir zelebrieren würden ...
«Herr» König fürchtete, uns bloßzustellen, wenn er eingestand, die Nonnen seien Laien wie die gewöhnlichen Sterblichen und keine Priester. Seine eigene Würde stand und fiel, sank und stieg übrigens mit der unsrigen, das fühlte er.
Er mochte auch wohl lieber als so eine Art «Geistlicher Rat» oder «Generalvikar» gelten, denn als simpler Klosterknecht.
Und da Herr König ein pfiffiger Kopf war, antwortete er den Fragestellern: «Die Siudau werden heut kein Amt halten, denn sie haben weder Meßgewänder noch Kelch bei sich.» ...
Das war ein einleuchtender Grund, der die guten Leutchen befriedigte und unser und des Herrn König «Gesicht» (Ansehen) rettete! ...
Ich glaube kaum, daß in der Heimat irgendein Diener sich und seine Herrschaft so fein herauszureden wüßte, – ohne die Wahrheit zu verletzen. Da muß man schon Chinese sein!
Wir erfuhren erst später von dem Heldenstreich des schlauen Wang – will sagen des «Herrn König»! ...
Mittlerweile werden auch die Neuchristen gelernt haben, daß es zum Messelesen doch noch mehr bedarf als Kelch und Kasula, und daß kein Engel, nicht einmal die Himmelskönigin, die göttliche Weihegewalt und Sendung des katholischen Priestertums besitze.
Da wir also weder eine Messe lesen noch anhören konnten, machten wir uns mit unsern Tragstühlen früh auf den Weg nach Glücksheim, wo wir um 10 Uhr ankamen und wenigstens noch kommunizieren konnten.
Unser Geist war noch ganz unter den wehleidigen Eindrücken von Yungchow.
Ueber dem Kirchenportal las ich die in großen Lettern eingemeißelte Inschrift:
Dolenti Matri
der Schmerzensmutter geweiht.
War es nicht eine Prophezeiung? – Ströme von Bitterkeit und Schmerzen haben tatsächlich in den letzten Jahren sich über dieses Missionsgebiet ergossen.
Aber plötzlich flogen meine Gedanken hinüber, weit, weit zurück in die Luxemburger Heimat, wo dieselbe Gottesmutter als Landespatronin hoch verehrt wird, als Consolatrix afflictorum, Trösterin der Betrübten.
Und es war mir, als schaute ich im Geiste, wie der Einzug der kleinen Luxemburger Franziskanerinnen ein Symbol sei, daß in Bälde die schwergeprüfte Missionskirche von Süd-Hunan über ihrem Tore dankbar die Worte schreiben könne:
Consolatrici afflictorum
der Trösterin der Betrübten!
Fiat! Fiat!