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6. In der Chinesischen Südsee.

Im Taifungebiet. – Ein ostasiatisches Gibraltar. – «Schwarze Wettermacher». – Flußaufwärts dem Ziele entgegen. – Im chinesischen Marseille. – Vor Chinas Toren.


Im Taifun-Gebiet. Bisher war uns das Meer, trotz mancher mehr der Hitze zuzuschreibenden Unannehmlichkeiten im ganzen hold gewesen. Wir hatten es oft betrachtet in seiner wechselnden Schönheit, im Glanze der Morgen- und Abendsonne, im unheimlichen Grau der Gewitterschauer, am liebsten aber abends vom Achterdeck, wenn wir stundenlang hinabschauten in die schäumenden Wirbel der Schraube und die hellglänzende Furche, die unser Dampfer wie einen endlosen Silberschweif nach sich zog. Dieses wunderbare nächtliche Phosphorleuchten des Meeres ist besonders stark in den Tropen.

Im Südchinesischen Meere sollten wir auch seine Macht kennen lernen. Wir kamen in die Region der gefürchteten und berüchtigten Taifune, Stürme von ungeheurer Gewalt und launenhaftem Kurs. Sie sind am häufigsten und gefährlichsten zur Zeit des Monsunwechsels im Spätherbst und Frühling. Zum Teil werden sie verursacht, jedenfalls aber in ihren Folgen verstärkt durch den um jene Zeit stattfindenden Wechsel der Meeresströmungen. Während nämlich im Sommer eine warme Strömung von Süden nach Norden fließt, kommt im Winter eine kalte von Norden nach Süden. Daher die beiden Extreme im Klima, sibirische Winter und tropische Sommer. Dazwischen liegen meistenteils die gefürchteten Taifunperioden.

Durch die über ganz Ostasien zerstreuten meteorologischen Stationen, deren Berichte im Observatorium der Jesuiten bei Shanghai zusammenlaufen und verarbeitet werden, haben sie viel von ihren Schrecken verloren. Denn die wetterkundigen Jesuiten melden sämtlichen Häfen und Schiffen die Entstehung, Stärke, Richtung und mutmaßliche Dauer dieser Zyklone mit solch moralischer Gewißheit, daß alle Seefahrer, wenn sie sonst auch für die Kirche und ihre Orden nichts übrig haben, sich gerne der Diktatur der «Taifunmacher» unterwerfen.

Wir hatten das Glück, nur mit den Nachwehen eines solchen Orkans bekannt zu werden, was uns jedoch in etwa seine furchtbare Gewalt ahnen ließ. Wir stießen auf Grundwellen, die wie gewaltige Wasserberge heranrollten. Das waren nicht mehr die zahmen Wellenschäfchen der Oberfläche, durch die unser Dampfer mit stolzer Würde sich seinen Weg gebahnt. Vor diesen Ungeheuern der Tiefe bäumte und neigte, rollte und wand er sich ächzend und stöhnend wie vor einer höheren Gewalt. Die Wogen spritzten empor am Bug, spieen ihren Gischt über Deck und krochen manchmal hinauf bis zum zweiten Stock, sodaß es Duschen durch die Luken gab. Daß da der Schiffskoch, trotz des Klirrens des Geschirres, wieder gute Ersparnisse machte, versteht sich von selbst.

 

Ein ostasiatisches Gibraltar. So erreichten wir am 22. Oktober den ersten chinesischen Hafen Hongkong, wo uns der Lotse schon gleich einen Willkommgruß unserer ersten chinesischen Kommunität brachte.

Hongkong war vor 100 Jahren nichts als eine kahle Felseninsel mit einigen Fischersiedlungen, Seeräuberhöhlen und Schmugglernestern. Infolge des sog. Opiumkrieges kam es unter die Herrschaft der Engländer, die hier einen vorzüglichen befestigten Hafen und ein Handelsemporium einrichteten, welches in kurzer Zeit den Verkehr von dem naheliegenden Makao der Portugiesen und dem süd-chinesischen Eingangstor Canton ablenkte.

Die Stadt hat auf dem verhältnismäßig kleinen Strandplateau ein hochmodernes Geschäftsviertel, während die Wohnhäuser, lauter schmucke Villen und Paläste, an den immergrünen, schattigen Abhängen terrassenförmig aufsteigen bis auf den 1100 m hohen Bergeskamm. Der Anblick vom Hafen aus ist entzückend, bei Nacht aber, wenn der mit unzähligen Lichtern erleuchtete Berg sich im Meere widerspiegelt, geradezu feenhaft.

Auf dieser Höhe mit ihrem milden ewigen Sommer, besitzen die Auswärtigen Missionen von Paris ein Sanatorium für erholungsbedürftige Missionäre; ferner die größte polyglotte Druckerei von Ostasien, welche nicht nur der Glaubensverbreitung, sondern auch der Wissenschaft unschätzbare Dienste leistet.

Noch 2-3 Tage fahren wir durch das unruhige Meer, vorbei an zahllosen Inselchen, zwischen denen ganze Flotillen mit weißen Segeln wie liebliche Schwäne sich tummeln. Es sind chinesische Fischer.

Am 25. Oktober endlich wurde gemeldet, in drei Stunden würden wir landen, also 8 Stunden früher als man berechnet hatte.

 

Flußaufwärts dem Ziele entgegen. Wir sind bereits im ruhigen, schmutzig-gelben Brackwasser der hier 40 km breiten Mündung des Blauen Flusses.

Links und auch bald rechts zeigt sich ein niederer Küstenstreifen, dann graue Rauchwolken, unter denen wir allmählich Schornsteine, Fabriken, Masten von ankernden und fahrenden Schiffen aller Nationen, große und kleine, schmutzige Frachtdampfer, schmucke Jachten, hochragende Passagierschiffe und stahlgraue Eisenkolosse mit weithin glänzenden Kanonenrohren unter einem farbenbunten Gewirr von wehenden Wimpeln und Flaggen wahrnahmen: ein malerisches Durcheinander. Wir waren in Woosung, dem Vorhafen der größten Handelsstadt Asiens.

Ehedem mußten die Ozeandampfer hier liegen bleiben, können aber jetzt in dem regulierten Strombett des Wampu bis mitten in das 70 km flußaufwärts gelegene Shanghai hinauffahren. –

Ist das ein Durcheinander! Wie werden da Kisten und Koffer auf Deck aufgespeichert: es ist großer Umzug oder Auszug, denn bald wird die ganze schwimmende Gesellschaft, die seit über 5 Wochen ein kleines Gemeinwesen eigener Art gebildet, auseinanderstieben, jeder seinem eigenen neuen Ziele zu, und nie mehr werden sie in dieser Zusammensetzung sich wieder treffen, nie mehr: ein Bild des hastenden, wechselnden Lebens, das uns ständig mahnt, daß wir hienieden Waller, Fremdlinge sind und keine bleibende Stätte haben ...

Lange, lange fahren wir an Schiffen vorbei, hinter denen riesige Lagerschuppen sich ausdehnen, wo sie Waren löschen oder laden. Dazwischen hin und wieder ein Blick in eine auf den Kai mündende Straßenzeile. Endlich winkt von einer langgestreckten Halle die französische Fahne, und es bezeichnen auf Dach und Wand die Riesenlettern M. M. den Landungsplatz der Messageries-Maritimes.

Drunten eine ungeheure Menschenmenge. Wir suchen und entdecken endlich die weiße Haube einer Vinzentinerin, und daneben – zwei braune Luxemburger Franziskanerinnen!

Einstweilen konnten wir uns nur zuwinken. Es dauerte fast eine Stunde – und was für eine lange Stunde! – bis die Verbindungsbrücke mit dem Ufer hergestellt war.

Aber dann, welch ein Wiedersehen! Wir brachten die Grüße der alten Heimat, hier erwartete uns ein Stück der neuen Heimat.

Die Heimatliebe, wie ist sie so treu und stark und ewig jung, wenn die Bande klösterlicher Gemeinschaft sie heiligen und veredeln. Wie fühlt man das auf fremdem Boden! .... Man kann's nur fühlen, nicht beschreiben. –

 

Ein asiatisches New-York. Als wir endlich aus den Zollschranken hinauskamen, begann es schon zu dunkeln. Per Auto fuhren wir in unser Absteigequartier zu den guten Vinzentinerinnen, welche im Jahre 1927 unserer ersten Gruppe wochenlange Gastfreundschaft geboten hatten. –

Daß Shanghai mit seinen 3 Millionen Einwohnern eine Weltstadt ist, weiß jedermann. Es hat großzügig angelegte moderne Stadtviertel, die zum Teil einzelnen Nationen unterstehen, sogenannte Konzessionen, dann eine ganz englisch-amerikanische, internationale Niederlassung mit dem sinnenbetäubenden Hasten, Handel und Reklamelärm der Neuen Welt; endlich eine weitausgedehnte Chinesenstadt mit modernem Leben und Treiben. Wir konnten hineinsehen in die offenen hellerleuchteten Magazine, Läden, Buden, wo das chinesische Leben sich abspielt, inmitten eines kosmopolitischen Allerlei.

Aber wenn Reisende meinen, sie hätten durch mehrtägigen oder sogar mehrjährigen Aufenthalt in Shanghai China gesehen und könnten ein Urteil über das chinesische Volk abgeben – und es gibt deren nicht wenige – so ist dies gerade so naiv, wie wenn ein Forscher, der Luxemburgs Volk und Sitten studieren will, nach Paris oder Berlin ginge, wo er aufmerksam das Leben der Tausende Luxemburger Landeskinder beobachtet und dann wähnt, er kenne Land und Leute unserer kleinen Heimat.

Besagte Gefahr liegt allerdings nahe, wenn man nicht darauf aufmerksam gemacht wird. Doch wir hatten das Glück, «Alte» anzutreffen, die, seitdem sie unter «echten» Chinesen waren, über ihre anfängliche Begeisterung für Shanghai überlegen lächeln. Wir sollten überdies Gelegenheit bekommen, noch weiter ins Herz von China vorzudringen zu dem von fremden Einflüssen noch unberührten Landvolk.


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