Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zwei Stunden später saßen der Staatsanwalt, Inspektor Scofield, Dan und Mr. Lawrence mit ernsten Gesichtern im Privatbüro des Millionärs.
»Das Geld wurde also auf Beddingtons Anweisung ausgezahlt«, sagte Lawrence. »Ich wußte es!«
»Und es war ein gewisser Leavitt, einer der Sekretäre Beddingtons, der die Entführung bekanntmachte«, erklärte Dan. »Ich veranlaßte den Lokalredakteur des ›World Telegram‹, unter einem Vorwand Beddingtons Büro zu besuchen, und er identifizierte dort Leavitt.«
»Was halten Sie davon?« wandte der Millionär sich an den Staatsanwalt.
»Ein so ernster Fall ist mir selten vorgekommen.«
»Gewiß. Aber können Sie den Mann überführen? Das ist die Frage.«
»Nein«, erwiderte der Staatsanwalt düster. »Auf die Zeugenaussage eines Mannes wie Whitey kann ich keine Beweisführung aufbauen. Stellen Sie sich bitte selbst vor, wie ein gerissener Anwalt Whitey im Zeugenstand bloßstellen könnte. Und wir haben von keiner Seite eine Bestätigung für Whiteys Geschichte.«
»Dann rate ich Ihnen dringend, von einem Prozeß abzusehen«, sagte Lawrence. »Ein Skandal von solchem Ausmaß wirkt demoralisierend auf die ganze Öffentlichkeit. Wenn Beddington unter dieser Anklage verhaftet und später wieder freigelassen werden sollte, käme das Gesetz in Verruf, denn jeder würde fühlen, daß der Mann schuldig ist.«
»Das denke ich auch.«
»Ich überlasse Hugh Brady, Owney Randall und seine Revolverschützen Ihnen«, fuhr der Millionär fort. »Wenn Sie die Leute sorgfältig beobachten, bekommen Sie sie am Ende doch noch. Aber Beddington werde ich mir selbst vornehmen. Und ich verspreche Ihnen, daß ich ihn wirksamer strafen werde, als das Gesetz es vermöchte … Guten Morgen, meine Herren, und vielen Dank für Ihre Bemühungen.«
Als die anderen gegangen waren, rief Lawrence Beddington an und bat ihn, zu ihm zu kommen. Beddington erwiderte, daß es ihm ein Vergnügen sein würde. Während sie auf ihn warteten, stenographierte Dan, was ihm Lawrence diktierte.
»Ich muß der Wahrheit zwar etwas Gewalt antun«, meinte der Millionär, »aber es geschieht für einen guten Zweck.«
Kurz darauf erschien Beddington mit blitzenden Brillengläsern. Wenn er den eisigen Gesichtsausdruck der beiden bemerkte, verriet er doch nichts davon.
»Guten Morgen, meine Herren! Schon wieder bei der Arbeit, wie ich sehe, ohne eine Stunde zu verlieren. J. M., Sie sind wirklich ein Wunder! Ich habe mich gefreut, von Ihnen zu hören. Ich hoffe, ich komme jetzt zu einer Verständigung mit Ihnen wegen der O.- und M.-Linie. Ich stellte zwar neulich eine Art Ultimatum, aber ich bin immer vernünftig.«
Lawrence machte diesem Gerede mit einer energischen Handbewegung ein Ende.
»Setzen Sie sich! Und hören Sie zu!«
Er las vor, was Dan eben aus dem Stenogramm übertragen hatte. In knappen Sätzen waren darin die bekannten Tatsachen der Verschwörung Beddingtons wiedergegeben.
Als der Mann den Sinn dieser Zusammenkunft erfaßte, war er wie gelähmt und schien in seinem Stuhl zusammenzuschrumpfen. Nachdem Lawrence geendet hatte, trat ein Schweigen ein. Ohne zu wissen, was er tat, nahm Beddington die Brille ab und putzte sie mit zitternden Fingern. Die blaßblauen Augen, die er sonst so sorgfältig verbarg, enthüllten seine Schuld und seine Furcht.
Schließlich versuchte er, zu lachen, aber es kamen nur gurgelnde Laute aus seiner Kehle. »Ab... abgeschmackt!« stammelte er. »Ist das ein Scherz von Ihnen?«
»Vergeuden Sie meine Zeit nicht!« fuhr ihn Lawrence an. »Sie verstehen doch Englisch. Sie wissen, daß Sie entlarvt sind!«
»Sie haben keine Beweise!« schrie Beddington mit schriller Stimme.
»Wir haben den unumstößlichen Beweis in Ihrem eigenen Bankkonto!«
»Das ist falsch! Das ist falsch!«
»Seien Sie ruhig. Ich habe eben mit dem Staatsanwalt und mit Inspektor Scofield gesprochen, und es ist mir schließlich gelungen, sie dazu zu bringen, daß sie unter gewissen Bedingungen von einer Verhaftung absehen wollen –«
»Verhaftung!« flüsterte Beddington entsetzt.
»Meiner Meinung nach würde es nämlich gegen das Allgemeininteresse verstoßen, einen derartigen Skandal in die Zeitungen zu bringen. Man betrachtet Sie als eine unserer Finanzgrößen, Beddington, und Sie sind auch im Ausland bekannt. Wenn Sie verhaftet würden, käme das ganze Land in Mißkredit!«
»Wasser – Wasser –« murmelte Beddington.
Dan brachte eilig ein Glas herbei.
Beddington verschüttete einen großen Teil Wasser, als er das Glas an die Lippen setzte.
»Aus diesem Grund«, fuhr Lawrence rücksichtslos fort, »habe ich hier einen Vertrag aufgesetzt. Wenn Sie den unterzeichnen, kann ich Ihnen versichern, daß man von einer weiteren Verfolgung Ihrer Person absieht.«
»Was für ein Vertrag ist das?« knurrte Beddington mißtrauisch.
Der Millionär schob ihm ein Blatt zu.
»Sie verpflichten sich, von sämtlichen Direktorenposten Ihrer Gesellschaft zurückzutreten. Und Sie willigen ein, mir und meinen Teilhabern zum heutigen Marktpreis alle Aktienpakete Ihrer Eisenbahngesellschaften zu überlassen.«
»Das ist eine Verschwörung …, eine Verschwörung!« schrie Beddington. »Sie wollen die Herrschaft über die Industrie des ganzen Landes an sich reißen!«
»Wer ist der Verschwörer?« fragte Lawrence scharf. »Wenn Ihr böser Plan sich als ein Bumerang erweist, haben Sie sich das nur selbst zu danken!«
»Ich unterzeichne das nicht! Eher will ich sterben!«
»Gut«, erwiderte der Millionär kühl, »dann mag sich die Polizei mit Ihnen abgeben.«
Beddington wurde schwach.
»Sie nehmen mir damit doch alles«, stöhnte er. »Dann bin ich ja nur noch ein lebender Leichnam. Was soll ich denn tun?«
»Ins Ausland gehen und Ihren Verstand anwenden«, entgegnete Lawrence verächtlich.
»Haben Sie doch Erbarmen mit mir, J. M.!«
Der Millionär sprang zornig auf.
»Erbarmen!« rief er. »Sie wagen es, mich um Erbarmen anzuflehen, Sie Halunke! Nachdem Sie in der ganzen Stadt Leute gedungen haben, um mich zu ermorden! Sie unterzeichnen!«
»Lassen Sie mir wenigstens eine Linie, J. M.! Die Nebraska-Pacific!«
»Nicht eine Meile. Sie unterzeichnen.«
Beddington unterschrieb. Dann stand er auf und sah starr um sich. Seine Brille hatte er auf dem Tisch liegen lassen. Dan faltete sie zusammen und steckte sie ihm in die Tasche, dann gab er ihm den Hut in die Hand. Beddington taumelte zur Tür wie ein alter Mann, und Lawrence und Dan wandten sich von dem abstoßenden Anblick ab.