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Um zwei Uhr kam Silver Buckley in Joes Wohnung. Seine Hände zitterten, und sein Gesicht zuckte nervös. Er sank in einen Stuhl und versuchte vergeblich, sich zusammenzunehmen.
»Joe, um Himmels willen!« sagte er bittend.
Joe grinste verächtlich, zog ein zusammengefaltetes Papier aus der Westentasche und reichte es dem anderen.
Silver seufzte erleichtert auf, darin wandte er ihm den Rücken zu und schnupfte das Pulver. Wenige Sekunden später hatte er wieder Haltung, setzte sich und grinste verlegen, weil er sich schämte.
»Nun, was haben Sie zu berichten?« fragte Joe.
»Der Kerl, dem ich vom Union Square aus gefolgt bin, hat eine Mordsangst gehabt«, begann Silver. »Als er ein Taxi nahm, sank er in die Polster zurück und faßte nach dem Herzen, als ob sein letzter Augenblick gekommen wäre.«
»Solche Einzelheiten brauchen Sie nicht zu erzählen. Wohin ist er gefahren?«
»Zuerst zu einem Hotel am Broadway, aber das war nur zum Schein. Dort nahm er ein anderes Taxi und fuhr zu einem Rechtsanwaltsbüro in der Centre Street. Brady & Co. stand an den Fenstern. Ich ließ meinen Wagen ein wenig auf der Straße warten und beobachtete das Haus. Nebenan war ein Fruchtladen, dort kaufte ich mir etwas Obst und sprach mit dem Händler. Der erzählte mir, daß der Mann Hugh Brady heißt.«
»Was, Hugh Brady?« rief Joe.
»Kennen Sie ihn?«
»Selbstverständlich! Das ist der gerissenste Halunke von ganz New York!«
»Ich saß also wieder in meinem Wagen und beobachtete das Haus. Ich nahm an, daß Brady seinem Auftrageber telephonisch Bescheid gab, aber darüber habe ich natürlich nichts Genaues erfahren. Kurz darauf kam ein Bote, und gleich danach erschien Brady wieder, nahm ein Taxi und fuhr zur Park Bank. Es war ziemlich viel Verkehr, so daß ich ihm ins Innere folgen konnte, ohne viel Aufsehen zu erregen. Er gab einem Beamten einen Scheck und erhielt dafür einen ganzen Stoß Banknoten. Die steckte er in einen Briefumschlag, den er dann versiegelte und in der Tasche verwahrte.«
»Weiteres Geld von dem Kerl, der uns den Auftrag gegeben hat«, meinte Joe.
»Als Brady wieder auf die Straße kam, rief er ein anderes Taxi an und fuhr zu einem Haus in der Division Street. Das war ein ganz altmodisches Gebäude mit einem steilen Dach und ein paar Schornsteinen. Ich dachte mir gleich, daß es eine Kneipe ist. An der Straßenecke sah ich einen gutgekleideten jungen Mann, bat ihn um Feuer für meine Zigarette und fragte ihn, wo man in der Nähe einen hinter die Binde kippen könnte, ich hätte verdammten Durst. Er zeigte mit dem Daumen auf das Haus mit dem steilen Dach. Ich frage: ›Sind Sie dort bekannt?‹ ›Das kann ich wohl behaupten‹, meint er. ›Ich spendiere Ihnen auch ein Glas, wenn Sie mich dort einführen‹, sage ich.
Also gingen wir beide hinein. Im Innern ist der Laden gut eingerichtet, von draußen ahnt man das überhaupt nicht. Als ich ihm meine Meinung darüber sage, meint Jake – so heißt nämlich dieser Kerl –, ich will Ihnen im Vertrauen etwas erzählen. Der wirkliche Eigentümer des Hauses ist Owney Randall –, der erledigt hier seine Geschäfte!‹«
Die drei richteten sich auf und spitzten die Ohren, als Silver diesen Namen nannte.
»Ja, es ist Owney Randall, der größte Pistolenschütze südlich von der Grand Street. Alle Leute, die in der Richtung zu tun haben, wenden sich an Owney. Die Leute kommen und gehen. In der Kneipe empfängt er seine Kunden.
Der Schankraum liegt im ersten Stockwerk, weiter nach hinten. Ein paar von Jakes Freunden saßen an einem Tisch zusammen und tranken. Sie hatten schon eine ziemliche Ladung, ließen Jake leben und riefen Hurra. Dann mußte ich mit ihm am selben Tisch Platz nehmen. Das war das beste, was mir passieren konnte, denn dadurch hatte ich eine Einführung, und ich habe auch eine Lage spendiert. Hugh Brady saß an einem Tisch für sich und wartete darauf, daß er Owney Randall sprechen konnte.
Vom Schankraum aus führt eine Tür an der hinteren Seite zu Owneys Privatbüro. Ich kenne ihn nicht, aber der hat sich Respekt verschafft bei seinen Leuten. Die schauten alle nach der Tür, als ob der Papst in Rom dahintersäße. Es waren auch noch andere da, die ihn sprechen wollten; eine arme Frau, ein jüdischer Geschäftsmann und ein junger Kerl mit einem zerschlagenen Ohr. Der Reihe nach kamen sie daran und durften Owney sprechen, bevor Hugh hineinging.
An der anderen Seite, im Gastzimmer, saßen zwei feingekleidete junge Leute von dunkler Gesichtsfarbe und tranken Wein. Es waren verwegene Kerle, aber äußerlich benahmen sie sich ruhig. Einer hatte eine Narbe direkt vor dem Ohr, und man sah ihm gleich an, daß er etwas los hatte.
Ich frage also Jake: ›Wer ist denn der Junge da drüben?‹ ›Smoke Atchey‹, sagt er. Nun habe ich schon von Smoke gehört. Man sagt, daß er der beste Mann von Owney Randall ist. Siebzehn Leute soll er erschossen haben, aber er ist nie verhaftet worden.
Ich frage also Jake wieder, ob er ihn kennt. Selbstverständlich kennt er ihn. ›Zum Donnerwetter, mit dem möchte ich einmal reden‹, sage ich. ›Kommen Sie mit, ich will Sie bekanntmachen‹, schlägt Jake vor.
Er hat mich dann tatsächlich mit den beiden zusammengebracht. Zuerst waren sie nicht gerade freundlich, aber ich ließ ein paar gute Zigarren kommen, und allmählich gewann ich sie für mich. Ich habe ihnen viele angenehme Dinge gesagt und sie gelobt. Smoke hatte auch schon etwas von mir gehört; wir sprachen über allerlei Bekannte und freundeten uns ganz gut an.
Während ich mit Smoke sprach, wurde Hugh Brady in Owney Randalls Arbeitszimmer gerufen. Ungefähr eine halbe Stunde später kam er wieder heraus. Die Tür zu dem Raum war geschlossen, deshalb konnte ich nichts entdecken. Aber ich gehe die höchste Wette ein, daß der Briefumschlag mit den Banknoten Owney Randall übergeben wurde. Ich ließ Hugh Brady ruhig gehen, denn ich hielt es für wichtiger, herauszubringen, was er hier gemacht hatte, als ihm zu folgen.«
»Richtig«, erwiderte Joe.
»Ich sage also zu Smoke Atchey: ›Mit Ihnen möchte ich gern mal ein Ding drehen! Sie sind ein Mann, der in die Höhe kommt, und ich wünschte, ich könnte bei Ihnen mitmachen.‹
›Wenn mir nur jemand etwas zu tun gäbe‹, meinte er. ›Es ist jetzt alles so ruhig und still, wie an einem Sonntagnachmittag auf dem Lande!‹ Ich habe ihm dann erzählt, mit wem ich früher zusammengearbeitet habe und was meine Spezialitäten sind, vor allem, daß ich Autos beschaffen kann, selbst wenn die Türen durch Patentschlösser gesichert sind.
Dann wurde Smoke zu dem Boß gerufen und ging ins hintere Zimmer. Ich blieb inzwischen bei dem anderen Kerl am Tisch sitzen, der hieß Fingie Rubin. Als Smoke zurückkam, gab er Fingie ein paar Aufträge, die ich nicht hören konnte, und Fingie ging fort. Daraus schloß ich natürlich sofort, daß etwas im Gange ist. Smoke setzte sich wieder zu mir, und wir sprachen noch ein wenig. Dabei betrachtete er mich von Kopf bis zu Fuß. Er hatte nicht den mindesten Verdacht, weil ich ihn doch gebeten hatte, ihm helfen zu dürfen, bevor er selbst eine Ahnung hatte, daß er etwas zu tun bekommen würde.«
»Ich verstehe«, entgegnete Joe.
»Plötzlich sagt er, ich sollte ihm für heute abend ein Auto besorgen und es zu Lipskys Garage in der Forsyth Street bringen.
Ich nahm an, daß er sofort Verdacht schöpfen würde, wenn ich nicht darauf einginge, und erklärte mich damit einverstanden, ihm einen schnellen, neuen Wagen zu beschaffen. Dafür versprach er mir fünfundzwanzig Dollar. Ich ging also zum nächsten großen Parkplatz und trieb mich solange herum, bis ich einen Kerl sah, der seinen Wagen zuschloß und wegging. Ich habe schnell die Drähte zum Hauptschalter durchschnitten und zusammengekuppelt. Das übrige war dann leicht, und so bin ich fortgefahren.
Nun hatte ich das Vertrauen von Smoke und seiner Bande. Das konnte ich gleich sehen, als er mich in den Raum mitnahm, der hinter der Garage liegt. Fingie war dort, ebenso zwei andere Leute, die sich Spike und Raymo nannten, alles scharfe Jungens, die schon manchen mit dem Revolver umgelegt haben mögen. Donnerwetter, haben die dort ein Waffenlager! Ich habe allein vier Maschinengewehre mit unglaublich viel Munition gesehen, außerdem haben sie Gewehre mit abgesägtem Lauf, Brownings und alle möglichen Schießeisen. Man könnte einen ganzen Waffenladen damit aufmachen.
Smoke und ich redeten noch miteinander, und ich merkte, daß er nach einem Mann suchte, der das Auto steuern konnte. Ich bot mich dann dafür an. Er fragte, ob ich die Straße nach Sands Point auf Long Island kenne. ›Selbstverständlich‹, sage ich. ›Meine Schwester wohnt in der Nähe von Port Washington.‹ Dann wollte er wissen, ob ich das Haus von J. M. Lawrence kenne. Ich sagte, daß ich schon oft am Gartentor gestanden hätte, aber nicht wüßte, wie es innen aussieht.
Dann haben sie eine Karte von der Gegend aufgeschlagen, und er zeigte mir einen Weg, wie man zum Wasser fahren kann, ohne in der Nähe von Häusern vorbeizukommen. Und schließlich gab er mir den Auftrag, ihn und seine Leute heute abend zu fahren.«
»Was haben die denn vor?« fragte Joe kühl.
Bull und Whitey neigten sich gespannt vor, um die Antwort zu hören.
»Lawrence wird heute abend auf seiner Jacht erwartet, gegen elf oder später. Er fährt in einem kleinen Boot zu seinem eigenen Anlegeplatz. Dort wartet ein Auto auf ihn und bringt ihn zu seinem Haus. Smokes Wagen wird dann in der Nähe der Straße, in einem Gebüsch versteckt, parken, und wenn Lawrence die Straße entlangkommt, wollen Smoke und seine Leute ihn erledigen. Smoke wußte auch, daß fünf Leute im Auto sitzen würden; der Chauffeur, J. M. Lawrence selbst, der Mann, der immer seine Rolle spielt, und die beiden jungen Beamten von der Polizei. Und sie wollen nicht auf Lawrence besonders schießen, sondern alle fünf zu gleicher Zeit erledigen!«
»Donnerwetter!« rief Whitey erstaunt.
»Heute abend soll also das Feuerwerk losgehen?« fragte Bull eifrig.
Nur auf Joe schien die Mitteilung wenig Eindruck zu machen.
»Na, Sie haben gut gearbeitet, Silver. Das werde ich Ihnen nicht vergessen.«
Der kleine Mann verzog das Gesicht. »Ja, das ist ja alles gut und schön. Aber was soll ich denn jetzt tun?« fragte er ängstlich. »Wohin könnte ich fliehen, damit mich Owney Randall und Smoke Atchey nicht finden? Wenn die erst herausbringen, daß ich sie betrogen habe, ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert.«
»Aber Sie brauchen sie doch nicht zu betrügen«, erwiderte Joe. »Warum gehen Sie denn nicht hin? Sie können ruhig das Auto steuern.«
Silver ließ den Kopf hängen. »Nein, das könnte ich nicht«, sagte er leise.
Joe faßte in seine Westentasche und zog drei kleine zusammengefaltete Papiere heraus. »So, nehmen Sie alle drei Stunden ein Pulver, dann haben Sie den nötigen Mut«, entgegnete er halb verächtlich, halb belustigt.
»Danke, Boß«, sagte Silver erfreut.
»Nehmen Sie sich aber in acht, daß Sie gut steuern. Wenn ein Unfall passiert, jagen die Ihnen sofort eine Kugel durch den Rücken!«
»Ich sehe mich schon vor.« Er erhob sich und verließ das Zimmer.
»Ausgerechnet heute abend!« stöhnte Bull. »Zum Donnerwetter, unser Plan geht in die Binsen!«
»Wieso?« fragte Joe kühl und sah auf die Uhr. »Wir haben noch mehr als drei Stunden Zeit, und wir haben nur noch die Schlußzahlung für das Boot zu leisten. Die Tanks sind gefüllt, die Mannschaft ist an Bord – wir können sofort abfahren.«
»Wie ist es denn mit dem kleinen Boot, das J. M. Lawrence zu seiner Jacht hinausbringt?«
»Das ist meine Sache«, erwiderte Joe. »Vielleicht kann ich dabei Christie gebrauchen«, fügte er mit einem hämischen Grinsen hinzu.