Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Nachdem Dan seinen Chef nach Hause begleitet hatte, brachte er das Glas mit dem vergifteten Whisky zu Dr. Pulford, dem Polizeiarzt, der in der Nähe wohnte. Dieser versprach, die chemische Untersuchung sofort vorzunehmen und am nächsten Morgen das Resultat einzusenden.

Als Mr. Lawrence am nächsten Tag ins Büro fuhr, war der Bericht des Arztes noch nicht eingetroffen. Dan brachte also den Chef in die Stadt und kehrte sofort zurück.

Als er das Privatbüro zum zweitenmal betrat, hatte J. M. Lawrence inzwischen Zeit gehabt, seine Post durchzusehen. Er reichte Dan einen Brief, ohne eine Bemerkung dazu zu machen. Dan vermutete sofort, von wem das Schreiben kam, als er das feine Büttenpapier sah, das mit großen, eckigen Zeilen beschrieben war. Das charakteristische Parfüm konnte er schon auf einen Meter wahrnehmen.

 

»Mein lieber, lieber Vormund, als mein kleiner Schoßhund gestern abend so krank wurde, hatte ich im Augenblick für nichts anderes Sinn. Der Unglücksfall nahm mir die klare Besinnung, ich war ganz außer mir. Erst als Stella besser wurde, kam mir zum Bewußtsein, daß Du, ohne ein Wort zu sagen, meine Wohnung verlassen hattest. Du nimmst doch hoffentlich nicht an, daß ich etwas Schädliches in den Whisky gemischt habe? Es muß Maud gewesen sein. Sie verließ die Wohnung und nahm nichts von ihren Sachen mit. Seitdem habe ich sie nicht mehr zu sehen bekommen. Ach, mein Lieber, warum hätte ich auch so etwas tun sollen? Ich halte Dich für den besten Freund, den ich auf der Welt habe, ja, für mehr als einen Freund. Bitte, bitte, komme zu mir, sobald Du diese Zeilen erhältst, und sage mir, daß alles wieder zwischen uns beiden ist wie früher.

Deine getreue
Christie.«

 

»Nun, was denken Sie davon?« fragte Lawrence düster.

»Das halte ich für vollkommen wahr.«

»Dann haben Sie also Ihre Meinung geändert?«

»Ihr Verhalten gestern abend zeigte, daß sie nichts von der Vergiftung des Getränks wußte.«

»Ganz gleich, die Worte sind nicht ehrlich gemeint«, erklärte Lawrence und trommelte mit der Hand auf den Brief.

Dan wollte etwas sagen, hielt aber klugerweise den Mund.

»Nun, was haben Sie eben gedacht?« fragte der Millionär.

»Ich weiß, warum das, was sie geschrieben hat, nicht echt klingt«, entgegnete Dan langsam. »Sie fühlt nicht so für Sie, wie sie vorgibt.«

Dan erwartete, daß diese Worte eine neue Explosion hervorrufen würden, aber Lawrence schluckte die bittere Pille. »Warum sind Sie so sicher, daß der Whisky nicht von ihr vergiftet war?«

»Sie hätte ihn dann nicht dem Schoßhund gegeben!«

»Ach, was kümmert sie sich viel um einen Hund! Das Getue und das Gehabe mit dem kleinen Kerl mag ebenso unwahr sein, wie all ihre anderen Äußerungen.«

»Das bestreite ich nicht, aber sie hätte sich doch nicht selbst verraten, wenn sie das gewußt hätte – es wäre doch das Schlimmste für sie gewesen, was passieren konnte, daß der Hund plötzlich an Vergiftungserscheinungen erkrankte.«

»Sie haben recht, aber wie erklären Sie sich dann die Sache?«

»Whitey Morgan mag tatsächlich ihr Bruder sein. Vielleicht ist er auch einer ihrer Jugendfreunde. Auf jeden Fall kann er frei in der Wohnung verkehren. Ich glaube, daß er ohne Christies Wissen mit dieser Maud unter einer Decke steckt.«

Lawrence sah düster auf den Brief. »Sie mag ja von der Vergiftung nichts wissen«, sagte er halb zu sich selbst, »aber sie meint es doch nicht ehrlich.« Er nahm den duftigen Briefbogen, zerriß ihn in kleine Stücke und warf sie in den Papierkorb. »Ich bin mit ihr fertig.«

Er steckte sich eine Zigarre an und ging auf dem Teppich auf und ab.

»Haben Sie die Analyse des Arztes bekommen?«

»Jawohl!«

»Was für ein Gift war es?«

»Arsen!«

»Eine solche Gemeinheit!« fuhr Lawrence auf. »Jemand wollte mich auf diese entsetzliche Weise töten – ich sollte mich in schmerzhaften Krämpfen winden!«

»Das Merkwürdige an der Sache ist, daß das Quantum Gift nicht genügt hätte, Sie umzubringen. Dr. Pulford hat das ausdrücklich erwähnt.«

»Was sagen Sie da? Dann haben die Kerle auch noch einen Fehler gemacht?«

»Das kann ich nicht glauben«, erklärte Dan. »Als ich das hörte, nahm ich mit einem Zollstock an der Tür vor Ihrem Haus, wo der Überfall stattfand, Messungen vor. Sie können sich sicher darauf besinnen, daß Whitey Morgan sagte, er hätte absichtlich vorbeigeschossen. Zuerst habe ich der Bemerkung keine Bedeutung beigelegt. Aber es stimmt. Selbst wenn sich Henry Waters nicht sofort auf den Boden geworfen hätte, wäre die Kugel nicht durch seinen Kopf gegangen.«

»Das verstehe ich nicht. Warum sollten sie denn zwei Anschläge auf mein Leben machen, wenn sie mich nicht richtig umbringen wollen?«

»Das weiß ich noch nicht. Das muß ich erst noch herausbringen.«

Das Privattelephon klingelte, und Lawrence nahm den Hörer ab. Aber als er die Stimme hörte, die sich meldete, wurden seine Züge hart, und er reichte Dan den Hörer. »Ich will nicht mit ihr sprechen.«

Dan holte tief Atem, um sich zu sammeln.

»Hallo!« sagte er.

»Ach, Sie sind es«, entgegnete Christie kühl. »Ich wollte mit J. M. Lawrence sprechen.«

»Dann müssen Sie mir sagen, um was es sich handelt.«

»Was, ich muß es Ihnen sagen?!« erwiderte sie ärgerlich. »Ich muß? Das wird ja immer besser. Sagen Sie Mr. Lawrence sofort, daß ich ihn persönlich zu sprechen wünsche!«

»Er hörte Ihre Stimme und reichte mir das Mundstück.«

»Hat er meinen Brief gelesen?«

»Ja«

»Glaubt er tatsäch –?«

»Er glaubt nicht, daß Sie etwas damit zu tun haben.«

»Ja, was will er denn nur?«

»Er ist fertig mit Ihnen«, erklärte Dan kurz.

»Warum? Ich möchte den Grund wissen!«

»Fragen Sie sich selbst.«

Christie schrie jetzt ins Telephon. »Er ist fertig mit mir? … Und das läßt er mir durch einen seiner Angestellten sagen!« Sie lachte häßlich auf. »Nun gut, ich bin auch mit ihm fertig! Sagen Sie ihm das! Fragen Sie doch einmal, ob er glaubt, daß ich ihn um seinetwillen geliebt habe! Dieser häßliche, fette Kerl. Er ist so alt, daß er mein Großvater sein könnte! Sagen Sie ihm, er soll einmal in den Spiegel schauen, damit er sieht, was für eine häßliche Kröte er ist!«

Dan legte den Hörer auf.

»Nun, was hat sie gesagt?«

»Sie weiß nicht, was sie in ihrer Wut sagt«, erklärte Dan ruhig. »Bitte, erlassen Sie es mir, die Worte zu wiederholen.«

»Geben Sie der Telephongesellschaft den Auftrag, mir sofort eine neue Geheimnummer für meinen Privatapparat zuzuweisen.«


 << zurück weiter >>