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XII.

In dem großen Verhandlungssaal des Polizeipräsidiums saß Dan auf der einen Seite und sah die große Menge von Klägern, Zeugen und Beamten. Bei einer Anklage, die so schwer war wie die, die man gegen ihn vorbrachte, war er berechtigt, sich einen Verteidiger zu nehmen. Aber er hatte darauf verzichtet, und so saß er allein.

Die Leute, die sich kleinere Vergehen hatten zuschulden kommen lassen, wurden nacheinander aufgerufen. Sie hatten auf Posten geschlafen, waren fortgegangen oder hatten während der Dienststunden getrunken. Je nach der Schwere des Vergehens fielen die Strafen aus.

Dan kümmerte sich nicht darum. Er saß auf der Bank, hielt den Kopf gesenkt und bereitete sich auf seine eigene Vernehmung vor. Er wollte sich schon verteidigen, wenn er aufgerufen wurde!

Die Leute in dem Saal betrachteten ihn mit mitleidigen oder verächtlichen Blicken. Er war heute die Hauptnummer im Programm. Nur Reed Garvan ahnte, was in Dan vorging, dessen Gesicht bleich und hart war.

Julia Dirmer saß in einer der hinteren Reihen. Auch sie hatte gelernt, ihre Gedanken und Gefühle zu verbergen. Man hatte sich schon erzählt, daß ihr Name bei der Verhandlung erwähnt werden sollte, und die Leute sahen neugierig von ihr zu Dan hinüber. Aber sie verriet sich nicht, und Dan hatte ihr nur einen kurzen Blick zugeworfen, als sie eintrat. Nachher hatte er es vermieden, sie anzusehen.

Einer der Abteilungschefs führte an diesem Morgen die Verhandlungen persönlich. Inspektor Scofield saß neben ihm, denn man brauchte ihn bei der Vernehmung. Die Untersuchung des Falles Woburn war zurückgestellt worden, weil der Kläger nicht erschienen war. Als die anderen Fälle jedoch erledigt waren, leerte sich der Saal nicht, denn alle wollten hören, was Dan zu seiner Verteidigung vorzubringen hatte.

»Wo ist denn Ihr Zeuge, Inspektor?« fragte der Abteilungschef.

Scofield wurde unruhig. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er und sah nach der Uhr. »Vor vierzig Minuten ist er unter Aufsicht des Kriminalbeamten Rafferty von der Station fortgefahren.«

»Dann müßte er doch schon zweimal hier sein«, brummte der Abteilungschef ärgerlich.

Gleich darauf erschien Detektiv Rafferty vor dem Polizeigericht. Es ging ein Flüstern durch den Saal, als die Leute sahen, daß er allein kam. Rafferty war groß und stark, aber sein Gesicht war bleich.

»Wo haben Sie den – Ihren Mann gelassen?« – fragte Scofield scharf.

»Es tut mir leid, Inspektor – er ist entkommen.«

Die Worte riefen eine Sensation hervor.

Der Abteilungschef schlug mit dem Hammer auf das Pult und rief zur Ordnung. Scofield fluchte leise, aber Dans Züge hellten sich auf. Er sah zu Julia hinüber und lächelte, als sich ihre Blicke begegneten.

Der Abteilungschef war mehr als ärgerlich. »Der Verhandlungssaal soll geräumt werden«, ordnete er an.

Die Anwesenden waren unwillig, weil sie gerade in diesem interessanten Augenblick den Schauplatz räumen mußten.

Rafferty war auf einen Stuhl gesunken.

»Ich will Ihren Bericht hören«, sagte Scofield kurz.

»Der Mann erklärte, daß er Ralph Danvers hieße, aber wir wissen genau, daß es Whitey Morgan ist. Er hat bereits mehrere Vorstrafen. Die Anklage lautete auf unerlaubtes Tragen von Waffen. Von anderer Seite aus wurde eine Kaution hinterlegt. Er war also eigentlich auf freiem Fuß, aber ich erhielt den Befehl, ihn zum Polizeipräsidium zu bringen. Er hatte auch nichts dagegen und kam zunächst ruhig mit. Wir verließen den Sitzungssaal und warten auf ein Taxi, als mich plötzlich jemand von hinten niederschlug. Ich konnte nichts sehen und sank in die Knie. Es waren viele Leute in der Nähe, aber niemand wollte mir helfen. Als ich schließlich wieder zu mir kam, sah ich, daß Whitey gerade auf das Trittbrett eines fahrenden Autos sprang. Die Tür wurde geöffnet, und er stieg ein. Ich schoß nach den Gummireifen, aber infolge des Schlages konnte ich nicht gut zielen. Dann sprang ich in den nächsten Wagen, der des Weges kam, und raste hinter dem Taxi her, aber die anderen entkamen. Die Nummer des Wagens habe ich angegeben; alle Polizeistationen sind alarmiert und suchen nach dem betreffenden Auto. Meiner Meinung nach haben die Leute den Wagen aber längst im Stich gelassen.«

»Das hilft uns auch nicht weiter«, entgegnete der Abteilungschef. »Gehen Sie zum Arzt und melden Sie sich später in meinem Büro.«

»Jawohl«, sagte Rafferty verzweifelt und verließ den Sitzungssaal.

»Woburn!« rief der Abteilungschef.

Dan trat vor und sah ihn ruhig an.

»Ohne einen Belastungszeugen kann natürlich keine Verhandlung stattfinden. Wenn Sie ein Verbrecher sind, ist es ein Glück für Sie. Sind Sie aber ein ehrlicher Beamter, dann haben Sie Pech gehabt.«

Dan war erstaunt über diese Worte.

»Aber der Mann fürchtete sich doch, hierherzukommen«, protestierte er. »Er konnte mir nicht ins Gesicht sehen; seine Aussagen hätten auch einem Verhör nicht standgehalten. Beweist das nicht meine Unschuld?«

»Nein«, entgegnete der Vorgesetzte kühl. »Ich kann doch nicht wissen, ob nicht Sie oder einer Ihrer Freunde den Mann seit gestern abend bearbeitet haben. Und woher soll ich wissen, ob nicht Ihre Freunde Whitey entführt haben?«

»Um Himmels willen, wie kann ich denn meine Unschuld beweisen?«

»Das können Sie nur tun, wenn es uns gelingt, diesen Mann wieder zu verhaften.«

»Aber was denken Sie denn selbst? Halten Sie mich für schuldig?«

»Offen gesagt – nein.«

»Das ist furchtbar!« – sagte Dan leise.

»Es ist nichts bewiesen, und ich muß also zu Ihren Gunsten entscheiden. Sie werden wieder in Ihren alten Bezirk Nr. 31 versetzt, und wenn es uns gelingt, den Mann wieder zu verhaften, wird die Sache aufs neue verhandelt.«

Dan stand wie vom Blitz gerührt; vergeblich suchte er nach einem Ausweg. Schließlich raffte er sich auf. »Dürfte ich Sie um eine Gunst bitten?«

»Was wünschen Sie?«

»Würden Sie mir einen kurzen Urlaub geben – eine Woche oder einen Monat – ohne Bezahlung?«

»Wozu?«

»Ich kann doch nicht unter einem derartigen Verdacht weiterhin meinen Dienst versehen. Ich muß erst diesen Mann finden.«

»Die ganze Polizei der Hauptstadt wird in Bewegung gesetzt, um ihn wieder zu verhaften, was könnten Sie noch tun? Wissen Sie noch etwas, was Sie Inspektor Scofield nicht mitgeteilt haben? Was könnten Sie denn allein unternehmen?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich muß etwas tun. Unmöglich kann ich die Straßen abpatrouillieren und immer daran denken. Ich würde verrückt werden.«

»Also gut, Sie haben einen Monat Urlaub ohne Bezahlung.«


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