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VI.

Es war bereits fünf Uhr nachmittags, als Dan zurückkehrte und einen großen, etwas niedergeschlagenen Mann in einem abgetragenen braunen Anzug mitbrachte. Das blonde Haar des Fremden war mit grauen Fäden vermischt, und in seinen Gesichtszügen hatten sich Spuren schwerer Enttäuschungen eingegraben.

Dan hörte Stimmen im Privatbüro und klopfte. Gleich darauf wurde »Herein!« gerufen. Der Millionär studierte an seinem Schreibtisch das Schreiben eines Rechtsanwalts, während Reed in der Ecke an einer Schreibmaschine saß, als ob er seit Jahren dort gearbeitet hätte.

»Ich habe einen Mann gefunden«, sagte Dan und wies mit der Hand zur Tür.

»Soll ich ihn hereinbringen?«

Lawrence brummte eine Zustimmung.

»Mr. Henry Waters«, stellte Dan vor.

Als Lawrence den Mann sah, war er entsetzt und enttäuscht.

»Verdammt noch einmal!« rief er. »Sie haben aber Mut, wenn Sie behaupten, daß der Mann ebenso aussieht wie ich!«

»Im Augenblick noch nicht«, gab Dan zu. »Aber wenn er sie genau studiert hat und richtig angezogen ist, wird er Ihnen sehr ähnlich sehen. Seine Gestalt ist ungefähr dieselbe –«

»Um Himmels willen, ich bin doch nicht so dick!«

Dan sagte nichts dazu. Der Schauspieler stand vor dem Schreibtisch und drehte den Hut in den Fingern, während Dan ihn vorführte. »Sein Haar muß schwarz gefärbt und ein wenig gelockt werden, dann müssen wir ihm noch einen Cut anziehen und einen Zylinder aufsetzen –«

»Wo haben Sie den Mann aufgetrieben?«

»In einer Theateragentur.«

»Aber der sieht ja aus wie ein Schaf!«

»Er spielt ja jetzt auch nicht seine Rolle. Wenn er Gelegenheit hatte, Sie zu beobachten, wird er Sie so überzeugend darstellen, daß Sie glauben, sich selbst zu sehen. Er ist ein guter Schauspieler, aber seit ein paar Jahren hat er Pech gehabt und ist inzwischen so dick geworden, daß es nur wenig Rollen für ihn gibt …«

»Wieviel verlangt er?«

»Hundert Dollar die Woche.«

»Haben Sie ihm auch erklärt, was er zu tun hat?«

»Jawohl.«

»Und meinen Sie tatsächlich, daß der Mann um lumpige hundert Dollar meine Rolle spielt und dabei riskiert, über den Haufen geschossen zu werden?«

»Mr. Water ist verheiratet«, erklärte Dan, »und er ist natürlich darauf bedacht, daß seine Frau versorgt wird, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Ich habe den Vorschlag gemacht, daß Sie ihm fünfzigtausend Dollar Schadenersatz zahlen, wenn er zum Krüppel geschossen oder getötet wird, während er für Sie arbeitet.«

»Donnerwetter!« sagte der Millionär und starrte den anderen an.

»Ist das zuviel?«

»Nein, durchaus nicht. Aber Sie hätten doch erst meine Einwilligung einholen sollen.«

Während der ganzen Zeit hatte der Schauspieler ruhig vor dem Schreibtisch gestanden und kein Wort gesagt.

»Was ist denn mit ihm?« fragte Lawrence. »Ist er taub oder stumm?«

»Mr. Water ist ziemlich schweigsam«, entgegnete Dan. »Das hielt ich für einen besonderen Vorzug. Solange er den Mund hält, kann er sich nicht verraten.«

»Gut, gut«, sagte Mr. Lawrence und hob die Hand. »Nehmen Sie ihn mit und vereinbaren Sie alles mit ihm.«

»Ich dachte, es wäre am besten, wenn er in Ihrem Hause wohnte.«

»Einverstanden.«

»Sind Sie heute abend zu Hause?«

»Ja, ich speise dort. Warum fragen Sie?«

»Nun, er muß doch Gelegenheit haben, Sie zu studieren, damit er Sie genau kopieren kann. Er muß auch einen Ihrer Anzüge probieren.«

Mr. Lawrence machte die Sache allmählich Spaß. »Er kann heute zum Abendessen kommen. Sie auch. Und bringen Sie auch den Mann da hinten mit, den Burschen mit den langen Beinen. Dann sind wir ja unter uns.«


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