Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine wehmütige Betrachtung.

Da haben mir nun drei Zigeunerinnen prophezeit: »ich sei ein Glückskind«, und meine guten Freunde und getreuen Nachbarn versichern es mir jedesmal von neuem, wenn ich irgendwo eine ganz schauderhafte Kritik bekommen habe und meine Bücher infolge dessen doppelt stark gekauft werden! Und die Lorbeerkränze an der Wand, die vielen Briefe von fern und nah, die teils Autographen verlangen, teils ihre Polypenarme nach meiner Monatsgage strecken, alle freundlich grüßenden Gesichter und applaudierenden Hände wiederholen mir: »Du bist ein Glückskind!« Und dennoch habe ich ein haarsträubendes Pech, namentlich an dem heutigen Tag, wo ich voll tiefer, sittlicher Entrüstung hinter die Worte »Freundschaft und Kollegialität« ein gigantisches Fragezeichen setzen möchte!

Es ist ein schöner Moment im Leben eines Tinte verschreibenden Menschen, wenn man im Publikum verlangt, ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen, wenn sein Porträt ihm aus den Spalten der Journale so recht herzgewinnend und berühmt entgegenlächelt! Und das Allerschönste dabei ist die Thatsache, daß zu solch einem Bild eine Biographie gehört, und daß solche Biographie meistenteils eitel Lob und Anerkennung und endlich einmal die wahre Würdigung des betreffenden Genies enthält.

Ich hatte mich nun so sehr darauf gefreut, alle meine Verdienste und rühmlichen Eigenschaften fett gedruckt in Schorers Familienblatt In diesem (Bd. 10, 1889, S. 333 f.) ist dieser Text zuerst erschienen. – D.Hg. zu lesen, und was geschieht? Mit dem höflichsten und allerscharmantesten Gesicht der Welt sagt der Herr Redakteur: »Nicht wahr, mein gnädigstes Fräulein, die nötigen Notizen zu Ihrem Bild liefern Sie uns selbst?« Und der Herr Verleger fügt galant hinzu: »In Ihren Humoresken haben Sie begonnen, eine so allerliebste Generalbeichte über sich abzulegen, daß Sie nun notwendigerweise fortfahren müssen!«

Ein Guß kalten Wassers wirkt wohlthuend gegen solche Eröffnung. Ich kann mir doch unmöglich selber Elogen sagen, und wenn ich auch, gleich dem Kater Hidigeigei Der Kater Hiddigeigei stellt in dem Versepos »Der Trompeter von Säckingen« (1854) von Joseph Victor von Scheffel das Sprachrohr des Dichters dar und übermittelt seine Zeitanschauung und Skepsis. – D.Hg., manchmal »im Bewußtsein meines Wertes« auf dem – Balkon (nicht Dach) sitze, so sieht es doch mindestens komisch aus, wenn ich allen wildfremden Menschen aus den Spalten des Familienblatts heraus einen Knix mache: »Ich kann stricken – ich kann flicken« u. s. w.! – Da ist Holland in Not! Ich appelliere an alle gute Freunde: »Thun Sie mir den einzigen Gefallen, begeistern Sie sich und schreiben Sie meine Biographie!« Vergebens! Hinter schönen Redensarten von »bedeutend wertvoller« u. s w., versteckten sich die schwärzesten Verräterseelen! Was thun? Mich selber hinsetzen und seufzend bekennen, wie uralt ich am 17. Mai werde? Fällt mir ja gar nicht im Traume ein! Steht leider Gottes so wie so schon in Kürschners Schriftstellerlexikon! Oder schüchtern eingestehen, welchen von all meinen Romanhelden ich mit »Herzklopfen« beschrieben habe? Ich werde mich schön hüten! Gibt's denn gar keine Hilfe in dieser Not? Ist kein Lohengrin mehr da, welcher seinem Schwan eine Feder ausreißt, mir damit eine Biographie zu schreiben? – Ein Gedanke!

In meinem Schreibtisch, im »Allerheiligsten«, da, wo ein fremder Blick höchstens einmal am Sonntagnachmittag hineinschauen darf, liegt ein Stoß Briefe. Sie sind von der Hand meines teuren, unvergeßlichen Freundes Joseph Viktor von Scheffel geschrieben, ein stolzes, segensreiches Denkmal dafür, daß es meiner jungen Muse gelungen, sich im Herzen dieses trefflichsten Mannes einen großen und sicheren Platz der Freundschaft und des wärmsten Interesses zu gewinnen. – Als ich den Meister zum erstenmal schaute – in der Seehalde am Bodensee war's – da legte er die Hand auf meinen Kopf und sprach: »Wie thut es meinem alten Herzen doch so wohl, Ihr lustig Lachen zu hören! Das ist Sonnenschein, das bringt mir den Frühling ins Haus.«

Mein Lachen und meine Lieder waren ihm lieb, sie haben ihn angesteckt, er mußte mitlachen und mitsingen, mit der Feder wenigstens in lustigen Reimen – und dies Lachen und Singen klingt noch durch die Briefe, ein ewiger Frühling. So schreibt er mir einmal: »Da liege ich zur Zeit in der Hütte unter den alten Weidenbäumen am See, und danke Gott schon am frühen Morgen, daß er mich mit Baden und Luftschnappen erhält, bis der Abend kommt! Briefe schreiben kann ich bei fünfundzwanzig Grad Réaumur Entspricht 31,25° Celsius. – D.Hg. kaum, und soll gar an neue Bücher denken?! Das hoffe ich von Ihnen, denn Sie haben ein heiteres, tapferes Herz, das der Welt noch manches erzählen soll – aus alter Zeit, vom Irregang. – Ich denke an mein Testament mehr, denn an großherzogliche Prologe, nur für Sie will ich noch einen schreiben, wenn jener ›Rechte‹ gekommen! Denn Sie verdienen es, liebe kleine Freundin, Sie sind eine der guten und von Gott bevorzugten Seelen, denen ich zutraue, daß sie dem alten Meister, wann er einmal abberufen wird von seiner teuern und so viel durchwanderten Erde, ein treues Andenken bewahren. – Da sehe ich in Gedanken Ihr schalkhaftes Lächeln, mit dem Sie den Finger heben: ›Keine schwarzen Gedanken, Meisterchen!‹«

Ja, lieber, teurer Meister! Als ich diese Zeilen lese, schleicht sich durch all meine Erinnerungen doch ein schalkhaft Lächeln, denn obwohl Ihre liebe Hand keinen Prolog mehr für mich schreiben kann, so soll sie dennoch in diesem Augenblick mein Anwalt sein, mich mit der schönsten und heitersten Kritik vor meine Leser zu führen! – Wie könnte ich mir selber eine bessere Biographie schreiben, als durch Ihre Feder? Als durch ein fröhlich Plaudern von jener Zeit, da Sie noch mit mir gelacht und gesungen haben?

In der Seehalde war's. Mein Vater und ich waren auf der Durchreise nach Sigmaringen bei dem teuern Meister Josephus eingekehrt, und wir haben unter dem gastlichen Dach seines Hauses so köstliche Stunden verlebt, daß auch Scheffel ihrer noch nach Jahresfrist in einem Briefe gedenkt: »Da ein Gruß von der fernen Seehalde an dem 11. November, aus demselben Saal, wo Sie vor einem Jahre saßen, lasen und sangen, Sie erfreuen wird, so sei er herzlich gesendet! Der Sturm braust und tobt wieder wie damals, und der einsame Uferbewohner rüstet zum Abzug. Auf Wiedersehen in Karlsruhe! Ich freue mich so sehr all ihrer schönen Erfolge und des Versprechens, davon zu erzählen. –«

Ja, der Sturm jagte die Schneewolken gegen die Fenster, und der Meister hörte mit behaglichem Kopfnicken zu, wie ich ihm von der »Wolfsburg« Historischer Roman, 1885 erschienen. vorlas und ihm den Entwurf zu einem zweiten Roman aus alter Zeit, »Irregang«, erzählte, welcher ihn auf das Lebhafteste interessierte, und dessen Inhalt er mir als ganz vorzüglich lobte. Darauf bat er mich, zu singen, da er bereits von meiner »Musikpassion« gehört, und ich machte ihn während des Schneesturmes mit manchem Frühlingsliedlein und eignen Kompositionen bekannt. Dieselben erstaunten ihn gewaltig, und lachend schüttelte er den Kopf und sprach in seiner lieben, badenser Sprache: »Es ist geradezu fabelhaft, was Sie alles können! Da malen, schreiben, singen, komponieren Sie … aber, Fräulein Nataly« – und Meister Josephus machte ein ganz feierliches Schelmgesicht – »können Sie auch kochen?«

O, Freund Scheffel! Damals kanntest du mein Herz noch lange, lange nicht, und darum verzieh ich diese ketzerische Frage! Hielt mich auch gar nicht lange bei vorwurfsvollen Versicherungen auf, sondern wollte dieser Kriegserklärung eine geharnischte »That« als Antwort schicken!

Wieder daheim angekommen, wurden etliche gewichtige Zeugen erlesen, vor deren Augen ich eigenhändig eine Gänseleberpastete bereitete, und da etliche Tage zuvor eine Aufführung meines Schauspiels »Die Sturmnixe« 1883 in erster Auflage erschienen. neue Lorbeerblätter in die Speisekammer geliefert hatte, so konnte ich die Pastete mit veritablem Applaus und Lampenlicht würzen. Des Meisters Antwort darauf aber ist so schmeichelhaft, daß es unmenschlich wäre, wollte ich nicht ein wenig damit renommieren! – Sie lautete folgendermaßen:

»Elias, der Seher und Gottesmann.
Bedroht von der Baalspropheten Bann,
Verzog als vernünft'ger Politiker sich
Zur Wüste, die gen den Jordan strich!

Um Speise und Trank war keine Not,
Die Raben brachten ihm Fleisch und Brot,
Und solang der Bach Krith nicht vertrocknet stand,
Trank er des Bachs mit der hohlen Hand!

Wie komfortabel wird's heutzutag
Dem frommen Sänger in Drangsal und Plag,
Er haust – ruht auch der Arm in der Schlinge,
Im Büchersaal fröhlich und guter Dinge!

Und es fliegen zum heimischen Seehaldewein
Gansleberterrinen zum Fenster hinein,
Gewürzt mit des Kranzes Lorbeerblatt,
Den jüngst eine Sturmnix erbeutet hat!

Die schönste Weihnachtspoesie –!
Kann dir genug nicht danken,
Wer hat wie du, o, Nataly,
So schmackhaft eßbare Gedanken? –
Gott lohn dir die köstliche Gabe,
Nataly – weißer Rabe!! –«

Und ein andermal, als der Meister mir einen Korb Quitten aus der Seehalde schickte und dazu schrieb: »Ich möcht' wohl gern einmal den Gelee kosten, den Sie, liebes Räblein, daraus meistern!« sandte ich ihm die gewünschte Probe zu, und seine Antwort darauf lautet diesmal noch poesievoller:

»Schwer atmet der Meister Josephus auf,
Schier ist seine Lunge zerrüttet,
Sie haben ihn wieder mit einem Hauf'
Von Briefen zugeschüttet! –

Doch gräbt er sich mühsam zum Licht empor,
Und vor allen will er dir danken,
So vielmals als Blumen in blühendem Flor
Dein lichtes Bild mir umranken!«

Ja, mein teurer Meister hat auch heut mein Bild umwunden mit den Immortellen seiner lieben Worte, und darum nehmen es meine bekannten und unbekannten Freunde hoffentlich freundlich auf – um dieses Kränzleins willen! Gern möchte ich dasselbe noch um etliche Blüten der Poesie bereichern, aber mit Scheffelschen Dichtungen muß man sparsam sein, und darum will ich sie aufbewahren, bis ich einst meine vollzähligen Erinnerungen an den Dichter des Ekkehard Historischer Roman (1855). – D.Hg. niederschreibe! Bei meinem Schaffen aber klingt mir ermutigend die hehre Mahnung durch die Seele, welche Meister Josephus einst an mich richtete in den edlen Worten:

Mög' ich kräftig, frisch und rein
Deine Kunst entfalten!
Laß dich nicht in Mystik ein
Und Erdgeist-Traumgestalten:
In des Taglichts goldnem Schein
Muß Nebelduft sich spalten,
Heller als hellster Sonnenschein
Flammt Gottes Weltenwalten.

Signatur


 << zurück