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»Nur nicht heiraten!«

(Silvesterhumoreske.)

Er stand vor dem Spiegel und machte Toilette; das blonde Haar war geglättet, etwas kurz und ungnädig mit der Bürste behandelt, so daß es wirklich nur ureigene Liebenswürdigkeit war, wenn es trotzdem in so hübschen, lockigen Wellen in die Stirne fiel.

Das blonde Bärtchen strebte mit keck gekräuselten Spitzen zu den Blauaugen empor, welche sonst so heiter und seelenvergnügt in die Welt schauten und nur heute, just am Silvesterabend, so grimmig das eigene Spiegelbild anblitzten, als habe das alte Jahr noch zum Schluß eine rechte Nichtswürdigkeit an dem Herrn Doktor begangen, welchen es doch 364 Tage lang recht zur Zufriedenheit bedient hatte.

»Ver……traxte Krawatte! Ein Unsinn mit solcher Modetyrannei, daß selbstgebundene Schlipse die elegantesten seien!« grollte der junge Herr und trat so energisch mit dem eleganten Lackschuh auf, daß das Waschservice neben ihm erklirrte. »Da muß man sich abrackern, um das bißchen notwendige Äußerliche herzustellen, muß noch eine Mark fünfzig für die Droschke berappen, hungert sich bis Mitternacht bei Tee und süßen Stückchen … o nein – heute wohl bei Punsch und Pfannkuchen! … durch, steht in der Ecke und schluckt den Staub ein, welchen andere, in Raserei verfallene Sterbliche im Walzertakt aus allen Winkeln aufwirbeln; die Mütter sagen alle das nämliche: ›Warum tanzen Sie nicht, Herr Doktor?‹ – Die Väter schmunzeln in derselben Tonart: ›Ein so junger, flotter Tänzer beim Skat? I wo, Doktorchen – machen Sie hübsch die Cour und amüsieren Sie sich!‹ – – Na – und die Töchter? Sie sind das Echo der väterlichen Meinung! Sie sagen es zwar nicht mit Worten, aber desto deutlicher mit Blicken: ›Ach – machen Sie doch ein bißchen die Cour!‹

Und ich? – ich stehe mir höflich lächelnd die Beine in den Leib und gähne hinter dem spiegelblanken Klapphut!

Warum laden mich die Menschen noch zum Ball ein? – Weil ich eine gute Partie, ein Mann mit gesichertem Einkommen bin? – Narrheit; sie sollten wissen, daß ich doch nicht heirate, absolut nicht heirate! Ich habe mir den Geschmack an den Weibern verdorben! O dieses ewige Lächeln, holde Erhörung verheißend! Jede, jede sagt Ja und Amen, gleichviel, ob ich den Antrag mache oder einer der anderen – wenn's halt nur ein Mann ist, der heiraten kann! Heutzutage holt sich kein Sterblicher einen Korb mehr, und wenn er aussähe wie ein Pavian und so viel Geist besäße wie ein Brunnenesel! Er ist ja nur das Mittel zum Zweck. Ich gehöre nicht zu diesen Narren – ich heirate nicht! – Und nun trotzdem zum Silvesterball gehen! Wie kommt mein vernünftiger, lieber Professor, der sonst so sehr die Schädlichkeit des Tanzens predigt, auf diese ketzerische Idee, einen Ball zu geben? Nun ja – er hat zwei Nichten zu Besuch. Da sieht man wieder den verderblichen, unwürdigen Einfluß der Weiber! Sie bringen es sogar zuwege, daß der eifrigste Pionier auf dem Felde der Hygiene seine eigenen Grundsätze wie Kartenhäuser über den Haufen bläst und selber einen gesundheitsmordenden Ball gibt! – O hätte ich absagen – mit guten Freunden gemütlich beim Glühwein sitzen können! Unmöglich, in diesem Falle ganz unmöglich! Also gehen wir – aber Freude wird matt nicht erleben – ich heirate weder in einem alten, noch in einem neuen Jahr!« – Und Doktor Franz Fernberg raffte ingrimmig die weißen Glacéhandschuhe vom Tisch und griff nach dem Pelzmantel. –

 

Um dieselbe Zeit stand in dem Fremdenzimmer des Professors Axthausen eine junge Dame in rosigem Florkleid und blickte mit bitterbösem Gesichtchen in den Spiegel. Beinahe feindselig traf ihr Blick den Rosenkranz im dunkellockigen Haar.

»Er steht dir entzückend, Gabriele! Tante hatte ganz recht, daß sie auf dieser Toilette für dich bestand!« sagte die Schwester, noch in den weißen Frisiermantel gehüllt, die Atlasschühchen an die Füße streifend. »Namentlich heute, wo so viele nette, interessante Menschen kommen!«

Gabriele rümpfte ironisch das Näschen. »Sie wird mit all ihrem guten Geschmack doch kein Glück haben! Ich werde unausstehlich sein – ich mag und will nicht heiraten, damit basta!«

»Aber Gabriele – wer spricht denn von Heiraten? Kein Mensch denkt daran –«

»So? – Wirklich nicht? Warum sind wir denn in die Stadt geschickt? Lediglich, um unter die Haube gebracht zu werden, weil wir auf dem Lande daheim keine Gelegenheit haben, mit Heiratskandidaten zusammenzutreffen! A, Lori – ich kann dir gar nicht sagen, wie dieses Bewußtsein mich beschämt, meinen Stolz empört! Ich weiß ja genau, daß die Residenzler über uns Landkinder spotten: ›Sie werden zu Markt geschickt!‹ Ich will aber keinen Mann erhandeln! Ich habe mir fest vorgenommen, ledig zu bleiben!«

Lori lächelte und streckte das Füßchen prüfend vor.

»Gut, so gieße dir heute abend einen Mops und eine Kaffeetasse, du sprödes Jüngferlein! Wie ich gehört habe, läßt Onkel in zwei Zimmern Becken zum Bleigießen aufstellen. Befrage also das Schicksal in der Silvesternacht, ob es deine ehefeindlichen Ansichten begünstigt! Ich freue mich vorläufig rasend auf das Fest, und wenn das neue Jahr mir ein myrtengrünes Kränzlein mitbringt – so will ich es freudiger begrüßen wie du!«

»Gewiß … wenn man schon ganz genau weiß, wer es einem in die Locken drücken wird … O, Lori, welch ein schönes Gefühl, daß dein Erwählter dir nachgereist ist – daß nicht du dich für ihn auf die Lauer stellst! – Ja, dein flotter Manöverleutnant wußte dich zu finden – er kommt als getreuer Schatten, er läßt nicht ab mit seinem Werben! Das ist das Wahre – das ehrt ein Mädchen ebenso, wie es mich demütigt, den fremden Herren heute abend auf dem Präsentierteller angeboten zu werden!«

An der Türe klopfte es.

Die Frau Professor nickte hastig und fröhlich herein. »Schnell, schnell herzu, meine Pflegetöchterchen! Die Lampen sind schon angesteckt!« –

Welch ein Trubel!

Das hastet, drängt und schiebt sich mit den höflichsten Worten durcheinander; eine bunte, strahlende Menge erfüllt die gastlichen Räume, so eifrig und zahlreich, daß Doktor Fernberg sich resigniert neben einen Kollegen in den entferntesten Salon flüchtet und mit wetterschwüler Stirne grollt: »Das reine Völkerfest! Es ist ja lebensgefährlich, sich jetzt durchzuwinden! Warten wir den Beginn des Tanzes ab, und begrüßen wir die verehrten Gastgeber später, wenn der erste Ansturm sich gelegt hat!«

Er nimmt eine Tasse Tee und ein Pumpernickelbrötchen, setzt sich mit tiefem Seufzer in einen Sessel und blättert in dem Prachtband, welcher vor ihm auf dem Marmortischchen liegt.

Wie das Gesumm und Gesurr eines Bienenschwarms klingt es aus den ferneren Salons und dem Tanzsaal zu ihm herüber. Dann setzt die Musik mit schmetternder Fanfare ein und ein paar alte Herren treten über die Schwelle.

«Ah – Fernberg – brillant! Der dritte Mann!! Weiß es ja – daß er den Skat mehr liebt als den Tanz!«

»Vortrefflich, Herr Geheimrat!« – Die nächsten Stunden sind leidlich untergebracht.

Welch ein Pech er heute im Spiel hat! Es ist ihm beinahe angenehm, als einer der Vortänzer glühend und feuchtglänzend in das Rauchzimmer stürmt: »Meine Herren – bitte inständigst um Aushilfe für eine Quadrille! Ein Herr fehlt – Bester Herr Doktor – Sie würden mich sehr verpflichten!!« –

»Bitte, verfügen Sie über mich!« Fernberg erhebt sich und folgt. »Zu welchem Opfer schleppen Sie mich?« lächelt er.

Der junge Offizier wird ein wenig verlegen. »Würden Sie die große Liebenswürdigkeit haben, mit der Baronin Selchow zu tanzen? – Eine ganz charmante Frau – fabelhaft amüsant – sie ist auch so freundlich, einzuspringen – –«

»Aber selbstredend – um so besser! Ich verkehre lieber mit verheirateten Damen als mit Knöspchen!«

»Sie sind ein Original, Doktorchen – Gott erhalte Sie so!«

Fernberg tanzt – plaudert – windet sich mühsam auf dem engen Plätzchen durch – und atmet auf, als er seiner Partnerin ein tiefes Schlußkompliment machen kann.

Er führt sie zu ihrem Platz zurück und sieht in der Nähe die korpulente Gestalt der Gastgeberin auftauchen. »Nun wird es wohl Zeit, ›guten Abend‹ zu sagen! Es schlägt bald elf Uhr!« philosophiert er. Und er thut's. Man plaudert höfliche, unendlich nichtssagende Worte. – Dann erscheint auch der Professor auf der Bildfläche.

Fernberg neigt auch vor ihm das Kinn tief auf die weiße Krawatte.

»Haben Sie schon meine Nichten kennen gelernt? Die Fräulein von Kärneck – Ganz famose Mädels! Allerliebst!«

»Ich bedaure lebhaft, Herr Professor – aber bis jetzt – bei der großen Menschenmenge – –«

»Ah – noch gar nicht gesehen? Ist ja toll! Na, dann kommen Sie mal – wollen sehen, wo sie stecken!« – Und der Professor nimmt den Arm des jungen Freundes und laviert sich kreuz und quer durch die Plaudernden.

»Ja, heute abend suche mal einer!!«

»Ah, da sind Sie, Professorchen, – Pardon – auf einen Augenblick – oder störe ich?« –

»I wo … Fernberg muß allein weiter suchen – ich stehe zu Diensten, Exzellenz! –« Nun noch ein paar scherzende Wechselreden mit dem jungen Doktor, und Franz atmet erlöst auf.

Gehorsam tritt er auf die Schwelle des Tanzsaals, um einen Blick hinein zu thun.

Himmel, welch ein Wirrwarr! Welch ein Drehen und Schwenken – Tosen und Klingen! – Ihm wird ganz schwindelig. Wie in allen Regenbogenfarben wogt es an ihm vorüber – Tarlatan und Spitzen, Seide und Flor – Rosen und Vergißmeinnicht – und zwischendurch die grellen Blitze von Gold und Silber – Gott steh ihm bei! Nein, um sich in diese Scylla Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie mit dem Oberkörper einer jungen Frau und einem Unterleib, der aus sechs Hunden besteht. Gemeint ist wohl mehr der Meeresschlund, in dem sich das Ungeheuer aufhält. – D.Hg. zu stürzen, ist er mit seinen vierunddreißig Jahren zu alt! Was soll er aus dem Wirbel heben? – Ein goldenes Ringelein? – Alle guten Geister! – Nein, er heiratet doch nicht. Also fort von hier! –

Es schlägt elf Uhr.

Ein jubelndes Treiben ringsum; der Spiritus ist entzündet, das Bleigießen beginnt, und der starke Duft des Glühweins und der Bowle weht zaubermächtig durch die Festräume!

Das alte Jahr liegt in den letzten Zügen. Sein »Vale!« schwebt aus dampfenden Gläsern empor.

»Ach, bester Doktor Fernberg – bitte, führen Sie mich einmal zu den Bleibecken!« bittet eine Stimme neben ihm, und Baronin Selchow nimmt ungeniert seinen Arm. »Dort neben dem Tanzsaal ist gar nicht anzukommen, die Jugend belagert die Löffel! Aber hier im Rauchzimmer wird eben noch ein drittes Orakel postiert!«

Er führt sie zu demselben, und sie finden die Bahn noch frei. Die Baronin gießt – ein ganz seltsames Gebilde – wie ein Vogel sieht es aus, mit langen Beinen und langem Schnabel …

»Sollte es ein Kranich sein?« fragt Fernberg harmlos wie ein Engel und wundert sich, daß die junge Frau so echauffiert aussieht.

»Meinetwegen eine Bachstelze!« ruft sie ärgerlich und wirft den armen Vogel mit dem langen Schnabel recht unfreundlich in den Löffel zurück. »Nun gießen Sie, Doktor!«

«Ich?!«

»Gewiß! – Warum lachen Sie? Moos bedeutet Geld – also lassen Sie bleiernes Moos wachsen!«

»Geld? – Das kann ich brauchen! Habe eine kleine Sammlung von altmodischen Hundertmarkscheinen!« – Und er hält den Löffel über die Flamme. – Es brodelt – wallt – und zischt in das Wasser.

»Nanu? Was ist denn das! Ein Spickaal?« Die Baronin neigt sich neugierig näher.

»Ein Haken! Ein wirklicher echter Haken! Sind Sie Wassermann oder Zahnarzt, Herr Doktor, um solch ein Instrument zu deuten?!«

»Vielleicht sattle ich in diesem Jahr noch um!« lacht Fernberg.

Frau von Selchow nimmt mit spitzen Fingerchen das Rätselhafte aus dem Wasser. Ein rundes halbkreisförmiges Stück, an dem einen Ende scharf umgebogen, wie ein Hirtenstab.

»Wir wollen es einmal im Schatten sehen!« Der junge Arzt folgt der Sprecherin nach dem Ofen, an dessen weißen Kacheln sich jedoch auch nur ein Halbkreis mit einem Haken abzeichnet.

»Das deute ein anderer!« lacht die Baronin, und verschiedene Ballgäste treten herzu und drehen das seltsame Blei nach allen Seiten.

Man kehrt in den angrenzenden Salon zurück, die Hausfrau tritt ihnen entgegen und muß ebenfalls Doktor Fernbergs höchst mysteriöse Silvesterprophezeiung bewundern.

Man steht in größerem Kreise darum her. Da schwirrt eine Schar junger Damen und Herren herzu. »Tante! – Tante, sieh doch, was für ein wunderliches Ding Gabriele gegossen hat!« Und Fräulein Lori hält ein ganz eigenartig geformtes Stück Blei empor – ein Halbkreis, dessen Ende eine runde, geschlossene Öse bildet.

»Mein Gott, wie komisch! Fast dasselbe wie Doktor Fernberg!« ruft Frau von Selchow.

Alles sieht und staunt.

Und während die Blicke auf die beiden wunderlichen Bleistücke gerichtet sind, fügt sie die junge Frau, einer plötzlichen Eingebung folgend, zusammen, hakt den Haken in die Öse – und …

»Ein Ring! – Ein großer, runder Ring!!« jauchzt es aus aller Munde.

Aufs höchste betroffen schaut Gabriele auf, direkt in die Augen Doktor Fernbergs, welche mit ganz eigenartigem Ausdruck – groß, fragend – auf sie gerichtet sind.

»Darf ich bitten, gnädigste Frau, mich Ihrer Fräulein Nichte bekannt zu machen?« wendet er sich mit höflicher Verbeugung an die Hausfrau.

»Sie kennen sich noch nicht?! Ist ja unglaublich!«

Und während die Frau Professor die beiden Namen nennt, kichert ein naseweises Backfischchen sehr vernehmlich einem Leutnant zu: »So etwas!! Kennen sich noch gar nicht und gießen sich schon ihren Ring zusammen!«

Ein Zornesblitz flammt aus Gabrieles Augen. Das Gesichtchen, welches sie Fernberg zuwendet, ist nichts weniger als liebenswürdig, und auch der junge Arzt sieht merkwürdig kühl und reserviert aus.

»Wo haben Sie Ihr Blei gegossen, gnädiges Fräulein?« fragt er, um doch etwas zu sagen.

»Drüben im Tanzsaal!« antwortet sie kurz.

Die Musik ertönt.

»Bitte, den Bleiwalzer, meine Herrschaften!« ruft der Vortänzer lachend durch die Tür.

Alles flattert davon.

Gabriele hat keinen Herrn.

»Darf ich bitten?« fragt Doktor Fernberg höflich.

Die junge Dame wirft sich auf einen Divan und schleudert ihr Stück Blei recht ostensibel auf den nahestehenden Blumentisch zwischen die Blattpflanzen.

»Danke; ich tanze sehr ungern.«

»Sie auch? – Dann sind wir Leidensgenossen; mir ist jeder Ball ein Greuel!« versichert er hastig und nicht sonderlich galant.

Ihr Blick zuckt etwas ironisch auf. »Und doch sind Sie hier?«

»Ein junger Arzt schuldet seinem Lehrer an der Universität Rücksichten. – Und Sie, Fräulein von Kärneck?«

Gabriele versteht die Ironie, ihr Köpfchen schnellt zurück. »Ich schulde meinem Onkel Gehorsam!«

»Also abermals Leidensgenossen.«

Kurze Pause.

»Warum gibt man eigentlich Bälle auf der Welt?« philosophiert Fernberg mit einem Seufzer.

»Nun – damit sich die, welche anders denken als wir, amüsieren können!«

»Amüsieren und – verloben!«

»Verloben? Lächerlich!« Sie zuckt die schönen Schultern sehr verächtlich.

Er tritt interessiert einen Schritt näher.

»Sie als junge Dame finden das Verloben lächerlich?«

»Mehr als das, ich finde es gräßlich!«

Wie reizend sieht ihr Gesichtchen in diesem herben Trotze aus!

Er sitzt an ihrer Seite. »Gott sei Dank, doch einmal eine vernünftige Ansicht!« nickt er lebhaft. »Sehen Sie, mein gnädiges Fräulein, ich bin eigentlich kein Weiberfeind, aber ich hasse die Geselligkeit, weil sie heutzutage wirklich einem jungen Mann den Geschmack an den Damen verderben kann. Der Tanzsaal wird zum Heiratsbureau!«

»Alle Harmlosigkeit wird durch die ewige Ehestifterei gemordet!« stimmt sie lebhaft zu.

»Wenn man sich ohne Nebengedanken mit einem jungen Mädchen unterhält – – –«

»So heißt es, er macht ihr die Cour!«

»Und wenn eine junge Dame lustig und heiter ist –«

»Und vom Lande in die Stadt kommt, um ein paar Feste zu besuchen –«

»Gleich heißt es, sie kokettiert –«

»Sie angelt nach einem Mann!«

»Das soll einem nun nicht die Freude an den Bällen verleiden!«

»O – ich heirate darum nie – nie!« –

»Ich auch nicht, mein gnädiges Fräulein, nie!«

»Welch eine Freude ist es doch, einmal solch eine gleichgestimmte Seele zu finden!«

Er sieht sie ganz entzückt an, und sie lächelt ihm, völlig verändert, mit strahlenden Augen zu.

»Wirklich eine Freude! Wenn man solch vernünftige Ansichten hört, kann man doch noch harmlos plaudern!«

Und sie plauderten, immer eifriger, immer lebhafter. –

 

»Prosit Neujahr!! Prosit Neujahr!!!«

Da reichten sie sich lachend die Hände. »All' Glück und Heil! Prosit Neujahr!« –

»Fernberg! Fräulein von Kärneck! In das neue Jahr hineintanzen, dann bringt's Glück!« ruft Frau von Selchow ihnen im Vorbeigehen zu.

»Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein?«

»Gewiß, tanzen wir!« – Und wie tanzen sie! Ohne Aufhören, strahlend – glückselig, als sei's im Leben zum ersten Male.

Und dann führte er sie zum Plaudereckchen zurück, aber nicht für allzulange Zeit. – Zwischendurch umfaßt sie sein Arm – immer fester – immer kühner – O dieser Silvesterpunsch! – Sie wirbeln dahin im Tanz.

Wozu nur? – Sie heiraten ja beide nicht!

Endlich schlägt die Scheidestunde. »Wie schade!« sagen beide. »Die letzte Hälfte des Balles war so nett!« –

»Auf Wiedersehen!« – Er schreitet mit glühendem Antlitz die Treppe hinab – der halbe Ring steckt in seiner Brusttasche; er brennt wie Feuer.

Spät in der Nacht huscht etwas auf leisen Sohlen an den Blumentisch. Gabriele holt ihren halben Ring und verschließt ihn mit einem kleinen Kotillonstrauß in ihrem Schmuckkasten. –

Sie sahen sich wieder – noch verschiedentlich; dann reisten die Schwestern auf das Land zurück. Acht Tage darauf führte den Doktor Fernberg zufällig der Weg auf das Kärnecksche Gut und – – jetzt? – Jetzt sind die beiden Teile des Silvesterringes längst zusammengeschmolzen. Und die beiden Ehehasser? – Sie heiraten doch! –



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