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Vorwort.

Schwerin, 26. Juli 1896.

Meine liebe, verehrte Frau Anny! Ein Brief an die Schriftstellerin Frau Anny Wothe, der in der Zeitschrift »Von Haus zu Haus« unter »Selbsterlebtes berühmter Männer und Frauen« abgedruckt ward.

Etwas Selbsterlebtes wollen Sie? – Das ist ein überweiter Begriff für Eine, die so viel des Schönen und Interessanten erlebte wie ich, und eine recht harte Pille für abermals Eine, welche – fern von aller Tinte eine energische und recht angreifende Kur gebrauchen soll. Da lassen Sie mich, bitte, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und durch die gütige Vermittelung von »Von Haus zu Haus« auf eine Frage Antwort geben, welche neuerdings von meinen Lesern so unendlich oft an mich gerichtet wird, daß es mir nicht mehr möglich ist, jeden Brief persönlich zu beantworten. Angeregt werden die Zuschriften jedesmal durch die Lektüre der »Spukgeschichten mit Aufklärung«, welche den Novellenband »Sternschnuppen« eröffnen. Die Frage: »Sein oder nicht sein?« – »Spuk oder Nichtspuk« scheint die Gemüter mehr zu erregen, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. »Glauben Sie an Spuk, oder nicht?« »Halten Sie es für möglich, daß sich Übernatürliches ereignen kann oder nicht!« – »Hörten Sie von Gespenstergeschichten, welche keine natürliche Lösung erfuhren, und doch von Persönlichkeiten erlebt wurden, auf deren Worte man Gewicht legen kann?« – So und ähnlich klingen schon seit längerer Zeit die Fragen aus dem Publikum und haben mich mehr wie einmal zum Nachdenken angeregt, ja, sie haben mich schließlich veranlaßt, auch der entgegengesetzten Geschmacksrichtung Rechnung zu tragen und eine Reihe von Spukgeschichten zu sammeln, welche bis jetzt noch keine natürliche Aufklärung fanden und doch von Menschen erlebt wurden, deren Charakter und Gesinnung für die Wahrheit ihrer Worte bürgt. Ob ich aber persönlich an Spuk glaube oder nicht, das ist eine Gewissensfrage, auf welche ich durch nachfolgende kleine Aufzeichnung Antwort geben möchte. Ich stehe – wenn ich Geschichten schreibe, und namentlich wenn ich die Erlebnisse anderer nacherzähle, auf einem absolut objektiven Standpunkt, sowohl was das »Sein« – wie das »Nichtsein« anbelangt; es gibt Menschen, denen es ein Bedürfnis ist, an Übernatürliches zu glauben, und es gibt wiederum andere, welche jede Gespenstergeschichte als »Humbug« in die Rumpelkammer des überwundenen Standpunktes werfen, – und ich? – und meine eigene Überzeugung? …

Als ich noch ein ganz kleines Backfischchen war und höchst selten von einer Menschenseele der Ehre gewürdigt ward, um meine Ansicht befragt zu werden, war ich erschreckend splendid damit und äußerte sie sonder Furcht und Tadel überall, wo ich berechtigt – oder auch nicht – war, eine Meinung zu haben. Da sahen wir uns einst auf einer Reise nach Süddeutschland eine alte Burg an, und in der Begleitung der Wißbegierigen, welche sich der Führung anschlossen, betraten wir auch mehrere Zimmer, in welchen es »ganz gewiß und wahrhaftig« furchtbar spuken sollte. Hatte ich den braven Schloßvogt schon während der Wanderung durch den Rittersaal durch harmlosen Zweifel an der Echtheit diverser Raritäten geärgert, ihn in der Folterkammer durch meine Ungläubigkeit geradezu entrüstet, so erreichte sein Zorn hier droben in den Spukstuben den Siedepunkt. Die Zuhörer, welche sich schon mit schlotternden Knien und kaltem Angstschweiß durch die entsetzlichen Greuel all der Marterinstrumente – deren Qualen der Vogt um so ausführlicher schilderte, je schreckensbleicher die Gesichter ringsum wurden – hindurchgearbeitet hatten, konnten dem unheimlichen Grausen dieser Spukstuben kaum noch die nötigen Nerven entgegenbringen. Ein trübes, unwirtliches Regenwetter machte die düstern Räume noch gruseliger, und als der Vogt sprach: »Da schaue Se, mei Herrschafte – hier an selbem Kamin hockt jeden Abend a schwarze Katz mit feurige Auge … un drobe auf'm Sims paradiere lauter Toteköpfe nebe einanner – un dann springt die Thür dort mit eime Krach auf, un die junge Markgräfin tritt ein, – die blutet aus sechs Dolchstiche … un tritt zum Kamin, un tätschelt die Katz – wasch ihr ehemaliger Galan gewesche – un dann spiele se mit den Toteköpf – wasch ihre Opfer im Lebe gewesche – Kegel …« Da schüttelte ich energisch den Kopf, blickte auf meine Nachbarin, eine junge Frau, welche schon mit der Ohnmacht kämpfte, und auf ihre Schwester, welcher es vor Unbehagen ganz übel ward, und sagte ruhig: »Schwätze Se doch net so'n Unsinn, dös glaub' i doch net!« Der Kastellan funkelte mich empört an, überhörte meinen Einwurf und trat gravitätisch in ein wurmstichiges Nebenstübchen. »Hier isch gar Fürchterliches geschehe –« fuhr er fort: »Da hat ein alter Hexemeister von Doktor die Schönheitssalbe für die alte Markgräfin gebraut – un' dazu hat er an die hundert klei Kinderche hier nach einand' abgeschlacht.« – Schreie des Entsetzens ertönten aus aller Munde, und ich rief wütend: »So ein nichtswürdiger Unfug! So ein greuliches Gespuke hier! Hören Sie nur auf – 's glaubt's ja doch kein Mensch!« Da sah mich der Biedere voll grollenden Vorwurfs an und sprach: »Sie Mamschell Naseweis – wann Sie's a net glaubt, so schtöre Sie wenigschtens den annere Herrschafte 's Vergniegen net!« – Es war namenlos komisch, wie dieses Wort »Vergnügen« zu den angstverzerrten Gesichtern der Umstehenden paßte, und doch machte es mir einen unauslöschlich ernsten Eindruck – und später, wenn ich einmal in Versuchung kam, meine Ansicht in absprechender Weise zu äußern, fiel mir oft der alte Schloßvogt ein, und ich dachte: »Nein, du willst den andern Herrschaften lieber nicht das Vergnügen stören.« Wer weiß, jene bleichen Schreckensmienen waren damals doch vielleicht nur die Physiognomie eines äußerst interessierten Gruselns, wie es manche Menschen als kleinen Nervenreiz lieben. – und ein gleiches denke ich auch oft, wenn ich jetzt um meine Ansicht gefragt werde: »Glauben Sie an Spuk oder nicht?« – Ich glaube, daß es viele, viele Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, welche unser armer kleiner Verstand wohl ahnt, aber nicht deuten kann, daß manche geheime Kraft in der Natur schlummert, welche ihres Entdeckers harrt, daß Ahnungen und unerklärliche Ankündigungen von Kommendem nicht abzuleugnen sind, – ja, daß besonders beanlagte Naturen wohl auch im stande sind, dieses oder jenes »Überirdische« zu sehen und zu hören, – und zum Beweis dieser letzten Annahme will ich die nachstehenden Spukgeschichten veröffentlichen. Es sind Erlebnisse nur solcher Persönlichkeiten, welche Bürge für ihr Wort sind, und ich gebe dieselben wieder, wie ich sie gehört habe. Möchten sie diejenigen der verehrten Leser, welche sich für Unerklärliches interessieren, anregen, auf diesem eigenartigen Gebiet weiter zu forschen, und diejenigen, welche der vierten Dimension die Existenz absprechen, aneifern, geängstigte Gemüter zu beruhigen, und ihre Ansicht zu begründen, indem sie auch die unbegreiflichste Spukgeschichte des zuverlässigsten Gewährsmannes auf natürliche Weise erklären! Ich werde mich aufrichtig über jedwede diesbezügliche Mitteilung von seiten meiner liebenswürdigen Leser freuen, – ohne mir dadurch »das Vergniege schtöre z' lasse!!« –

Nataly von Knobelsdorff-Brenkenhoff,
geb. von Eschstruth.


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