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Der verkannte Puttfarken.

(Humoreske.)

Der Sonnabend war ein ereignisreicher, viel besprochener Tag. Die verwitwete Gräfin P. ließ nämlich an diesem Tage Theater spielen, wie Alt und Jung, Hoch und Niedrig der kleinen Residenzstadt in Erfahrung gebracht hatte, und die Thatsache, daß Komtesse Lilly, ihre Tochter, am Sonnabend das zwanzigste Lebensjahr vollendete, entlockte den Mißgünstigen scharfe Kritik, den Wohlwollenden ein duldsames Lächeln und ein Achselzucken, welches deutlich aussprach: »Warum soll sie nicht? Der Zweck heiligt die Mittel.«

»Hm – und wer ist Komtesse Lillys Partner?« klang es immer wieder an das Ohr der Gräfin. Diese entfaltete unendlich gleichgültig den Fächer. »Unser kleiner Fähnrich! Der jüngste Sohn unserer verehrten Exzellenz Trossen. Lilly geniert sich so sehr, mit avancierteren Herren zu spielen. Herr von Rupert wird den Etienne, die Hofdame der Herzogin die Gabriele, meine Lilly das Dörtfieken und der Fähnrich den Pot au feu in den ›Brandenburgischen Eroberungen‹ »Brandenburgische Eroberungen« (1869), Lustspiel in einem Akt, von Gustav Gans zu Putlitz (1821-90). – D.Hg. spielen.«

Darob klärten sich dann regelmäßig die Mienen der fragenden Damen auf.

Und nun war der ersehnte Sonnabend gekommen! In der eleganten Villa der Gräfin entwickelte sich ein reges Hasten und Treiben, um alle Vorbereitungen für die ereignisreichen Abendstunden zu treffen.

Währenddessen saß die Gräfin in eleganter Morgentoilette in ihrem Boudoir und ordnete mit Lilly die Blumen.

Die kleine Mama ließ einen Moment die brillantblitzenden Händchen sinken.

»Bis jetzt ist mir alles nach Wunsch gegangen, Lilly!« seufzte sie leicht auf. »Mein Schlachtplan hat sich glänzend bewährt! Daß du mit Rupert und dem Fähnrich spielst, hat verschiedentlich gute Folgen gehabt. Erstlich hat es die neidischen und mißgünstigen Augen getäuscht und sie auf ihrem Beobachtungsposten während der Proben eingeschläfert, und zweitens hat es Graf Kurt ganz außerordentlich gereizt. Der Vielbegehrte sah sich zu seiner Überraschung nicht begehrt, und das hat seine Wirkung nicht verfehlt.« –

Lilly neigte das blonde Köpfchen noch tiefer auf die Blumen nieder.

»Glaubst du? Ich habe wirklich nichts bemerkt!«

»Aber, Kind! dann mußt du blind geworden sein! Er hat noch nie einer jungen Dame so auffallend viel Aufmerksamkeit erwiesen wie dir, und du hast dich auch vortrefflich dabei benommen, ganz so, wie ich es von dir verlangte, manchmal sogar etwas zu kühl. Das war während der Proben durchaus am Platze; heute aber, wo der Würfel fallen soll, muß die Taktik vollständig geändert werden. Du hast Zeit, während der Pausen ein wenig mit ihm zu kokettieren – und gelegentlich des Soupers, wo er an deiner anderen Seite sitzt, mußt du mit allen erlaubten Mitteln auf ihn wirken. Wie ich den Grafen bisher beobachtete, wird er sich heute abend sicher erklären, wenn du meinen Winken folgst.

Lilly preßte die feinen Lippen herbe zusammen.

»Er ist mir so unsympathisch! Ich werde ihn niemals lieben können,« klang es bebend über ihre Lippen, und die großen, blauen Augen füllten sich mit Tränen. »Ach, Mama – liebe, beste Mama –« Sie verstummte ängstlich unter dem kalten, strengen Blick, welcher sie traf.

»Namen, Vermögen und Stellung des Grafen entsprechen den Anforderungen, welche ich an deinen zukünftigen Gatten stelle!« schnitt die Mutter sehr energisch jeden weiteren Einwand ab. »Bilde dir nicht ein, daß ich jemals einem unbemittelten Freier das Jawort geben werde – nie – selbst dann nicht, wenn er so verliebte Augen und so schöne Verse machen könnte wie Herr von Rupert!« Ein ironisches Lächeln spielte um die Lippen der Sprecherin, dann erhob sie sich.

Mit leisem Frou-Frou rauschte die Schleppe über den dicken Teppich, und die Portieren fielen hinter ihr zusammen.

Einen Augenblick noch verharrte Lilly regungslos, wie unter dem Bann der kalten Grauaugen, welche so berechnend und lieblos nicht nur in die Welt, sondern auch auf das einzige Kind blickten. Dann schlug das junge Mädchen die Hände vor das Antlitz und weinte bitterlich.

Keine Hoffnung! – Trostlos schwarz liegt die Zukunft vor ihr, und der heutige Abend, auf welchen sich alle so sehr freuen, macht ihr das Herzchen zum Sterben schwer.

 

Währenddessen flogen die Stunden dahin und die ersten Schleier der Dämmerung breiteten sich über die kleine Residenz aus.

Leutnant von Rupert stand in seiner einfachen, aber sehr behaglichen Junggesellenstube. Ein Zug ernster Schwermut lag auf dem hübschen Gesicht, ein leiser Seufzer stahl sich über seine Lippen. Nun war die selige, goldene Zeit der Proben, des täglichen Sehens mit der Geliebten vorüber, und wer weiß, wann er jemals Gelegenheit findet, Lilly zu sagen, wie unaussprechlich, wie über alles er sie liebt! Es ist eine hoffnungslose, trostlose Liebe, das weiß er, denn das Geld macht harte Herzen, und die Gräfin trennt sich nicht von ihrem Reichtum. Sie sucht einen reichen Mann für ihre Lilly – und sie wird ihn finden, denn wer bliebe den süßen Kinderaugen der Geliebten, dem rosigen Gesichtchen, dem engelhaft milden und fügsamen Lächeln gegenüber kalt? – Niemand! Graf Kurt auf die Dauer am wenigsten, das hat er mit dem scharfen Blick der Eifersucht längst beobachtet.

Ein klirrendes Geräusch läßt den Denker aufschrecken.

Neben ihm auf der Erde kniet sein Bursche und füllt im Schweiße seines Angesichts einen kleinen Koffer mit so wunderlichem Zeug, daß dem biederen Puttfarken vor Staunen Mund und Nase offen stehen: Eine ganz »verdeiwelte« Perücke von weißen, gelockten Haaren, einen Federhut, wie ihn kaum die Lakaien im Schloß bei festlichen Gelegenheiten tragen, und Rock und Hosen – ei du mein leiver God! – so 'was muß wohl noch von dem ältesten Altervater des Herrn Leutnants herstammen! Na, Krischan Puttfarken wird sich hüten und ein Wort darüber verlauten lassen. Es ist ja dem Herrn Leutnant seine Sache, ob er sich vorschriftsmäßig anzieht oder nicht – aber der Säbel, dieses heillose Ding, wie er in der ganzen deutschen Armee nicht mehr vorkommt – wenn den der Herr Oberst sehen sollte – und sogar nicht 'mal ordentlich geputzt – Grundgütiger – das kostet ja beiden den Kragen, dem Herrn Leutnant sowohl wie dem Krischan Puttfarken. – Und dieser Gedanke erschreckte den wackeren Grenadier dermaßen, daß er den Säbelkorb nach unten hielt und die rostige alte Klinge klirrend aus der Scheide schießen ließ.

Schon springt Herr von Rupert auf und steht neben ihm. »Puttfarken – Schafsdämel – was hast du denn nun schon wieder gemacht?« stöhnte er auf, wie ein Mensch, der auf das Schlimmste gefaßt ist.

Das rotlackierte Gesicht mit den hellen, wasserblauen Augen wendet sich ohne sonderlich geistigen Ausdruck dem Frager entgegen. »Dat wier man blus dei olle Düvelspicke!« sagt er in mild beruhigendem Ton und fährt mutig fort: »Soll di ok mit? Dorub is doch gor keen Verlat nich, dei splittert, wenn man blos mit in 'n Kaffeepott rührt; draufslahn könn's mit dem Ding nirgend nich, Herr Lütnant!«

»Narrheit! Pack den Degen ein – es ist die höchste Zeit! Hast du alle anderen Sachen genau so in den Koffer gepackt, wie ich sie dir hingelegt hatte?«

»Is allen's propper in'.«

Herr von Rupert sieht mit mißtrauischen Blicken umher. »Auf den Degen ist kein Verlaß, aber auf dich auch nicht!« grollt er. »Wenn ich nicht alles selber bedenke und besorge, bin ich blamiert. Du denkst eben nie für deinen Herrn. – Wenn ich nicht an Brot und Wurst dächte, könnte ich manchen Abend verhungern!«

Puttfarken neigt seufzend und schuldbewußt das strohgelbe Haupt: »Dat süll allens schun waren,« nickt er phlegmatisch; »der Herr Lütnant sin jo alle Abend utladen –«

»Kerl – zum Schockmillionen – widersprich nicht immer! – Ich habe lange genug Geduld gehabt; bei der nächsten Gelegenheit fliegst du in die Kompagnie zurück!«

Das »Befehl, Herr Lütnant!« blieb aus. Die treuherzigen Augen starrten den Sprecher so wehmütig an, daß dieser sich jählings abwendete.

»Pack weiter! Wir müssen gehen.«

Und Puttfarken packte, und vor seinen Ohren schwirrten die Worte: »Aber auf dich ist auch kein Verlaß!« Ach, es war ja leider eine traurige Wahrheit, daß sein Herr schon unendlich viel Arger mit ihm gehabt hatte! Jeder andere Offizier hätte ihn längst in die Kompagnie zurückgesteckt, aber der stets so freundliche, gute Rupert wetterte höchstens 'mal mit einigen Kraftworten los und hatte doch immer wieder Geduld und Nachsicht mit ihm.

Krischan Puttfarken seufzte tief auf und drückte noch einmal mit dem Knie recht nachdrücklich auf die eingepackten Sachen, damit sie hübsch glatt im Koffer liegen sollten.

»Kerl – bist du rein des Teufels? Das ganze Spitzenkoller verknüllt ja und wird platt wie ein Pfannkuchen! – Und der Federhut! – Hast du den rein vergessen, daß du wie unsinnig darauf 'rumstampfst?«

Und aufs höchste erregt schob Rupert den verdutzten Grenadier beiseite und schloß den Koffer. – Da hatte er's 'mal wieder! So gut gemeint von ihm und doch war's dem Herrn Leutnant wieder nicht recht!

»Wo sind die Schminkdosen eigentlich? Hast du den Zettel bei dem Friseur abgeliefert, und hat er dir die Sachen mitgegeben?«

Krischan versicherte eifrig, daß alles besorgt sei; der Herr »Frinzeur« wollte die Sachen gleich direkt ins Theater schicken.

»Ins Theater?!« –

»Jo – ik hevv ihm seggt, dat de gnä' Herr hüt in der Komödie spölen duht. – He wullt's ersten gor nicht gloven un' meent, dat wier nich in Deather in', – awerst ik bedüt' em –

»Und er hat ins Theater geschickt?« .

»Up min Veran'wortung, seggt he!« – triumphiert Krischan und wirft sich in die Brust.

Rupert schlägt nur die Hand gegen die Stirn. »Sehr erfreulich! Können wir den Umweg machen und die Sachen erst wieder abholen! Marsch – nimm den Handkoffer! – Nun heißt's Schritte machen.«

»Nee, Herr Lütnant, hüt hevv ik de Droske nich wedder vergeten!« strahlte Puttfarken siegesbewußt.

»Eine Droschke – heute, bei dem köstlichen Wetter?« – schreit Rupert entsetzt auf. »Heute – wo ich schon so viele Ausgaben diesen Monat hatte –? Bei dem tollen Hundewetter neulich zu Fuße laufen – und heute bei Sonnenschein fahren? – Na man tau – Wie Krischan will – ich halte still!« – philosophiert er halblaut, und da gerade die fatale Droschke vor das Haus rollt, schreitet er dem bestürzten Burschen voran, die Treppe hinab.

Puttfarken stehen die Tränen in den Augen. Nein, er kann es nicht recht machen, beim besten Willen nicht!

Zuerst geht's nach dem Theater, um wieder gut zu machen, was Krischan falsch gemacht. – Wie ein Stich geht es dem zerknirschten Grenadier durch das Herz, daß der Kutscher für diese Extrastation fünfzig Pfennig mehr berechnet, als sie fünf Minuten später vor der eleganten Villa der Gräfin hielten.

Trübselig klettert er von dem Bock herunter und ergreift den Handkoffer, um hinter seinem Herrn die teppichbelegten Stufen emporzusteigen.

»'Abend, Friedrich! – Herrengarderobe oben?«

»Befehl, Herr Leutnant, eine Treppe höher! Die Frau Gräfin lassen bitten, daß der Herr Leutnant zuvor einen Augenblick in den Salon treten und den Burschen so lange warten lassen möchte.«

»Schön – soll sofort besorgt werden. Krischan, lass' dich zur Herrengarderobe weisen und warte dort!«

Herr von Rupert schwenkt seitwärts durch die Portiere ab und tritt, während Puttfarken schwerfällig eine Treppe höher stampft, in den ihm so wohlbekannten großen Salon, an welchen sich manch' liebe, traute Erinnerung der Probezeit knüpft.

Lilly ist noch nicht anwesend, nur die üppige, kleine Gestalt der Gastgeberin rauscht ihm in jugendlicher Toilette und in sichtbar großer Erregung entgegen.

»Mein bester Herr von Rupert – ist Ihr Bursche mit hier?«

Der junge Offizier sieht die Fragerin ein wenig überrascht an.

»Allerdings, gnädigste Gräfin. – Sind vielleicht noch Befehle für ihn, so bitte ich vollständig über Krischan zu verfügen – ihm aber, wenn möglich, etwaige Bestellungen schriftlich zu geben!«

»Wir sind in größter Verlegenheit, lieber Herr von Rupert! Denken Sie doch, Dreischke, der Kulissenschieber, läßt eben melden, daß seine Kinder am Scharlachfieber erkrankt sind. – Selbstverständlich darf er mir nicht das Haus betreten! Was sollen wir nun anfangen? Meine Dienerschaft ist ausgeschlossen – die Lohndiener sind bei dem Fest des Kriegervereins beschäftigt. – Es bleibt nur noch eine Hilfe – Ihr Bursche!«

Rupert hob in entsetzter Abwehr die Hände. »Fordern Sie Ihr Schicksal nicht derart leichtsinnig in die Schranken, gnädigste Gräfin! Sie kennen Krischan Puttfarken nicht! Sie ahnen nicht, welch' einen Geist Sie mit ihm rufen!«

»Ist er so ungeschickt?«

»Mehr noch als das – Sie riskieren alles bei ihm!«

Die Gräfin lacht. »Je nun – eine große Dressur ist ja durchaus nicht für seine Leistungen nötig! Er steht lediglich in der Ecke der ersten Kulisse und läßt den Vorhang sich heben und senken.«

»Selbst die kleinsten Ursachen genügen für einen Krischan, um die ungeheuerlichsten Wirkungen dadurch zu erzielen!«

»Sie übertreiben, Rupert! Ich übernehme alle Verantwortung!«

»Wenn Frau Gräfin mir das versprechen wollen, gut! – Ich wasche meine Hände in Unschuld.« –

»Waschen Sie, cher ami – und senden Sie Krischan, den so schwer verleumdeten, sogleich zu mir, ich will ihn schnell mit Hilfe des Souffleurs in seinen Dienst einweihen. – Es wird vortrefflich gehen!« –

Lachend winkte sie ihm zu, und Rupert kreuzte die Arme resigniert über der Brust: Tu l'as voulu, George Dandin! Stehende Redewendung aus George Dandin ou le Mari confondu (George Dandin oder der betrogene Ehemann, 1668), einer Ballettkomödie des von Molière. – D.Hg. Nun müssen Sie auch die Konsequenzen tragen!« – Und er stürmte die Treppe empor, um seinen so unzuverlässigen »Knappen« in aller Eile mit den eindringlichsten Ermahnungen zu versehen und auf seinen Posten hinabzuschicken.

Krischan Puttfarken strahlte. Zwar stand er ein paar Minuten wie geblendet von all dem Ungewohnten vor der Frau Gräfin und dem Souffleur, aber er verstand über Erwarten schnell, was man von ihm wollte, und ließ den Vorhang mit aller Verve sich heben und senken, je nachdem der Souffleur ihm einen Wink gab.

Nun stand er mit glühendem Kopf in sein schmales Eckchen zur Seite der Bühne gedrückt und hatte das Gefühl, als ob das gesamte Weltall feurige Kreise um ihn zöge. Es war das erste Mal im Leben, daß Krischan Puttfarken einer Theatervorstellung beiwohnte.

Mit starren Augen blickte er hin auf die Bühne, auf welcher sich ganz wunderlich kostümierte Leute versammelten. – Beim Himmel, da war auch sein Leutnant! – Aber wie sah er aus! Beinah' hätte er ihn in der großen Lockenperücke und in dem seltsamen Rock gar nicht wiedererkannt.

Und nun nochmals die Klingel. – »Aufziehen!« ruft der Regisseur. Krischan schrickt nervös zusammen und legt sich in die Riemen – »Rutsch« geht der Vorhang in die Höhe – tadellos!

Puttfarken atmet hoch auf und trocknet sich den Schweiß von der Stirn. Er ist noch so völlig benommen, daß er nur wie geistesabwesend auf die Bühne starrt und die wunderlich angezogenen Menschen auf derselben sprechen hört, ohne den Sinn ihrer Worte zu verstehen. Puttfarken bekommt endlich ein bißchen Klarheit, was das alles bedeuten soll, aber diese Klarheit erfüllt ihn mit lähmendem, überraschendem Schreck. Es ist Krieg! Ganz plötzlich spricht sein Herr Leutnant von Einquartierung – Franzosen, – Überfall! Ei, du mein Himmel, das ist aber 'mal plötzlich gekommen! Das eine schöne Fräulein, welches seinen Herrn Leutnant ganz ersichtlich zu lieben scheint, muß sich auch furchtbar aufregen, denn sie stellt sich ganz lamentabel an und meint, der Leutnant, welchen sie komischerweise immer Etienne nennt, solle sich lieber nicht mit den Feinden einlassen. Aber da kommt sie an den Rechten! Der wettert nicht schlecht darauf los, denn so ein Überfall hat 'was auf sich! Richtig, jetzt stürmt er auch davon – gewiß um Alarm blasen zu lassen, denn wenn die Franzosen schon so dicht hier bei der Villa sind, heißt es wie der Teufel drauf und dran gehen!

Krischan Puttfarken bebt vor Aufregung an allen Gliedern.

Und die Dame, welche nun allein in der Stube zurückgeblieben (Puttfarken sieht nur sie, das Publikum bleibt ihm durch die Kulisse verborgen), scheint reine umzukommen vor Angst – sie eilt an das Fenster und ringt die Hände.

Komisch! Sie muß hinausblicken können, obwohl Krischan deutlich sieht, daß das Fenster eigentlich eine Tür und nur so angemalt und mit einer Gardine verhängt ist wie ein Fenster. Aber sicher hat sie ein Guckloch, denn sie beschreibt ja alles so deutlich, was sie sieht, daß dem braven Burschen sich die Haare sträuben vor Entsetzen. »Da stürmt er hin durch den Lindengang – ganz allein! – Wie ein Rasender kämpft er gegen den Feind – umzingelt – hilflos der Übermacht preisgegeben – und niemand eilt ihm zu Hilfe!« – schreit die Dame gellend auf; gleichzeitig knattern draußen Schüsse. –

Krischan überkommt es wie wilde, sinnlose Verzweiflung. Keiner kommt seinem lieben Herrn zu Hilfe?! Oho! Auf den Krischan Puttfarken ist denn doch noch Verlaß! – Der läßt seinen Leutnant nicht im Stich, und wenn's das Leben kostet!

Und mit den Worten: »Töven's 'mal – Frölen! Ik kümm'! Hei hat ja nur dei verdraxte Plembe, wo nix uthalen kann!« – stürzt der biedere Grenadier über die Bühne, schiebt mit kraftvollen Armen die entsetzte Gabriele beiseite und schreit ununterbrochen: »Ik kümm! Ik kümm to Hülp!« – Ein kraftvolles, leidenschaftliches Rütteln an der Tür – krachend fliegt dieselbe auf – die Dekoration bricht hernieder, und Krischan steht wie gelähmt und starrt – ebenso wie das gesamte Publikum des Saales – auf ein Bild, welches er nicht erwartet hatte.

Die Tür gewährt den Blick auf einen kleinen Flur, welcher durch eine Portiere geteilt ist und von einer Gasflamme hell beleuchtet wird. Rechts vom Vorhänge steht ein alter Major und dreht eifrig eine Maschine, welche die furchtbaren Schüsse so täuschend ähnlich hervorbringt, und ihm verborgen, links davon, steht Herr von Rupert und hält Dörtfieken – Lilly im Arm, just in dem Augenblick ihr einen Kuß gebend, als Puttfarken schnell wie der Blitz die Tür aufreißt. – –

Tableau! –

Ein ungeheurer Tumult erhob sich; Jubel, Rufen, Bravo klatschen. – Nur die Gräfin lag halb ohnmächtig in ihrem Sessel. Krischan Puttfarken zog den Kopf in die Schultern und gewann mit zwei Sätzen die rettende Treppe. –

Ob die »Brandenburgischen Eroberungen« noch an diesem Abend zu Ende gespielt wurden? – Ja; vorher aber stürmte die Gräfin hinter die Kulissen, und man will nur aus dem Munde des Herrn von Rupert ein dumpf-stöhnendes: » Tu l'as voulu, George Dandin –!« Sie wollten alle Konsequenzen tragen, Gräfin!« gehört haben.

Thatsache ist, daß nach zehn Minuten die Gräfin mit charmantem Lächeln dem jubelnden Publikum das neueste Brautpaar vorstellte: Herrn von Rupert und ihre Tochter Lilly. –

 

– – Puttfarken war schnurstracks nach Hause gelaufen und hatte nach einer geladenen Pistole gesucht. Da er keine fand, beschloß er am Leben zu bleiben und packte seine sieben Sachen, denn daß er morgen in die Kompagnie zurückfliegen würde, schien ihm bombensicher. – Spät, sehr spät kam sein Herr heim, und Krischan stand mit schlotternden Knien vor ihm.

Da geschah etwas Unerhörtes: Herr von Rupert öffnete die Arme und zog den Getreuen sekundenlang an seine Brust! »Krischan, treue, ehrliche Seele! Du Goldmensch! – Ja, auf dich ist doch Verlaß, Puttfarken; mein ganzes Lebensglück verdanke ich einzig dir!« –

Puttfarken begriff anfangs nicht und weinte vor Angst, denn er dachte, das alles sei Ironie. Dann aber – nach und nach – begriff er, was für einen Liebesdienst er seinem guten Herrn geleistet, und er weinte abermals, diesmal vor Freude und Glück. In die Kaserne ist er selbstredend nicht zurückgewandert, sondern hat kapituliert und dient jetzt schon im siebenten Jahr bei seiner Herrschaft. Er ist bei Leutnants Faktotum geworden, und Herr von Rupert versichert: »Es gibt keine zuverlässigere Seele als Krischan, man kann Häuser auf ihn bauen!« –



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