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Vor langen Jahren wohnte einmal ein König auf stolzer Burg am Rhein, der war bös und gottlos, kriegerisch und gewaltthätig, so daß sein Volk ihn nicht liebte, sondern nur fürchtete. Seine Gemahlin, die schöne, liebliche Königin, gewann desto mehr die Herzen aller Armen und Unterdrückten, denn sie war fromm und gut wie ein Engel und suchte nach Kräften all die Wunden zu heilen, welche der hartherzige König schlug.
Da ward sie sehr krank und kam zum Sterben, und sie legte die Hände auf das Köpfchen ihres einzigen Töchterchens, welches in allen Dingen ihr Ebenbild war, und sprach: »Meine süße, kleine Lelja, ich muß dich nun allein auf der Welt zurücklassen und thue es in der freudigen Zuversicht, daß meine Armen und Kranken doch nicht durch meinen Tod verwaist werden, denn du sollst künftig hier an meiner Statt ihr Trost und ihre Hilfe sein! Schon jetzt hast du mir brav geholfen, die Tränen zu trocknen und die verzweifelten Herzen zu trösten, du sollst es auch fernerhin thun, meinem Angedenken zu Heil und Segen!«
Die kleine Lelja weinte heiße Tränen und versprach, treulich der lieben Mutter Worte zu befolgen.
Als man die Königin begraben hatte, blieb das holde Prinzeßchen allein und verlassen in der Königsburg zurück, denn ihr Vater befand sich wieder auf einem Kriegszug, von welchem er mit reicher Beute heimzukehren hoffte.
Das war gute Zeit für sein blondlockiges Töchterchen, welches nun unbehindert alle Armen und Kranken besuchen und ihnen Speise und süße Worte des Trostes bringen konnte.
Als der König heimkehrte, fand er seine Tore von Bettlern belagert und zwischen ihnen, barmherzig und holdselig wie ein Engel, sein Töchterlein Lelja, das seine Gaben austeilte.
Der König ergrimmte, jagte zornig die Armen davon und schalt und bedrohte die kleine Prinzessin, er werde sie in den tiefsten Kerker einsperren, wenn sie noch einmal zur Diebin an seinem Eigentum werde!
Da weinte Lelja bitterlich und fürchtete sich sehr, die Werke ihrer Nächstenliebe noch sehen zu lassen, aber ihrer Mutter Worte lebten in ihrem Herzen, darum konnte sie es nicht über sich gewinnen, das Elend ohne Hilfe und Rettung zu lassen.
Heimlich schlich sie sich nachts aus der Burg und beschenkte ihre Schützlinge.
Der Mond beschien ihren Weg, daß sie sich nicht verirrte, und die Prinzessin blickte dankbar zu ihm auf und lächelte ihm zu.
So kam es, daß Lelja den stillen, friedlichen Mond sehr lieb gewann, viel lieber noch als die Sonne, welche stets drohte, ihrer Barmherzigkeit zur Verräterin zu werden, – und auch der Mond schien ein ganz besonderes Wohlgefallen an dem Prinzeßchen zu finden, denn er schob jedesmal die Wolken beiseite, wenn das geheime Pförtlein in der Burgmauer knarrte, und begleitete sie als treuer Wächter auf ihrem nächtlichen Gang.
Eines Tages erscholl Kriegsgeschrei durch das Land.
Der König des Nachbarlandes, welchen Leljas Vater überfallen und beraubt hatte, kam mit großer Streitmacht gezogen, um sich zu rächen.
Und so sehr man sich auch zur Wehr setzte, die Burg ward gestürmt und Feuer in ihr Dach geworfen.
Da gellte das Kampfgeschrei schauerlich durch die stille Nacht, und die Flammen schlugen empor und verschlangen die stolzen Zinnen und Säle. In ihrer Todesangst hatte die kleine Lelja sich auf die Plattform des höchsten Turmes geflüchtet, und der Kriegslärm schallte wüst zu ihr empor; die Feinde stürmten bereits die Treppe hinauf, und die Flammen leckten schon gierig über die Mauerbrüstung.
Da sank die Prinzessin voll Verzweiflung auf die Knie nieder und flehte den lieben Gott und alle Heiligen um Hilfe an.
Kaum aber, daß sich ihre Lippen zum Gebet öffneten, teilten sich die schwarzen Wolken, der Mond trat silbern hervor und seine Strahlen spannen sich wie eine feste, breite Brücke zu dem Turm herab.
»Komm empor zu mir, du liebes, frommes Mägdlein!« nickte der Mond freundlich lächelnd, «betritt getrost die Brücke, welche ich dir gebaut habe, und komm zu mir herauf! Ich habe jede Nacht gesehen, wie gut und barmherzig du warst, darum darf ich dir jetzt in der höchsten Not helfen, denn die Engel im Himmel beschützen die fromme Unschuld!«
Voll inniger Dankbarkeit schritt Lelja auf der silbernen Brücke dahin, und zwei lichte Engel schwebten rechts und links neben ihr auf rosigen Wolken, die stützten und hielten sie, wenn sie schwindelig werden wollte und zu fallen drohte.
«So hast auch du die Armen und Schwachen gehalten und gestützt!« sprachen sie lächelnd, und ihre Stimmen tönten lieblich wie Harfenklang. Kaum aber, daß die Prinzessin auf der wundersamen Brücke dahineilte, tönte das Geschrei ihrer Verfolger schon auf dem Turm, und nach wenigen Minuten stürzte der stolze Bau krachend zusammen und begrub alle unter seinen Trümmern, welche noch in der Burg weilten. Lelja aber schwebte hoch empor durch die ziehenden Wolken, immer tiefer lag die Erde unter ihr, die brennende Burg erschien ihr schließlich nur noch wie ein winzig kleines Fünkchen, und die höchsten Berge sahen aus wie unscheinbare Sandkörnchen. Der Mond aber kam näher und näher, und wie erstaunte Lelja, als sie nun ganz deutlich erkennen konnte, wie es auf ihm aussah!
Das, was sie drunten von der Erde aus stets für eine runde, silberne Kugel gehalten hatte, das war das große, leuchtend helle Kuppeldach eines wundervollen, zauberhaft schönen Palastes. Weiße Marmorsäulen stützten es, und luftige Hallen wölbten sich darunter.
Alles funkelte und glänzte und tat dem Auge doch nicht weh, denn ein mildes, bläuliches Licht flutete darüber hin, und die Sterne standen ganz nah und brannten so bunt glitzernd wie das schönste Feuerwerk.
Lelja war ganz sprachlos vor Entzücken und wagte kaum ihre Brücke zu verlassen und den Mond zu betreten.
Aber die Engel redeten ihr liebevoll zu, und zu gleicher Zeit ertönte eine himmlische Musik und viele kleine Elfchen eilten ihr voll Jubel mit ausgebreiteten Ärmchen entgegen.
»Wir sind die Mondscheinelfen!« riefen sie, »und wir kennen dich schon lange, liebe Lelja, haben dich nachts gar oft geleitet, wenn du die Hütten der Armut besuchtest, du sahst uns damals nur nicht! – O wie froh sind wir, daß du gutes, frommes Kind nun bei uns bist! Glückselig sollst du fortan sein und hier den Lohn für all deine Barmherzigkeit und deinen Gehorsam finden.«
Sie nahmen die Hände des Prinzeßchens und geleiteten es auf den Mond.
Ja, war dies denn wirklich der Mond?
So etwas wunderbar Schönes hatte Lelja noch nie gesehen, selbst ihre Bilderbücher hatten keine so schönen Dinge gezeigt.
Ein zauberhaft schöner Garten umgab sie. Schlanke Palmen flüsterten über ihr, wundervolle Blumen blühten allerwegen, und Schmetterlinge, so groß und so bunt, wie leuchtende Edelsteine, schaukelten sich an den demantblitzenden Kelchen.
In den Zweigen der Bäume lockten köstliche Früchte aller Arten, so niedrig hängend, daß das kleine Mädchen nur die Händchen auszustrecken brauchte, um die schönsten Aprikosen, Pfirsiche und Äpfel zu greifen.
»Du darfst pflücken und essen, was dir gefällt und was du magst!« lächelten die Elfchen.
Vögel mit schillerndem Gefieder flogen zutraulich umher und ließen sich auf die Hände der Elfchen nieder und sangen gar süße Lieder, und auf den sammetweichen Waldwiesen schritten weiße Rehe und niedliche Lämmchen, die kamen furchtlos herangesprungen und ließen sich streicheln.
Ach wie schön, wie herrlich schön war das!
Der Sand auf den Wegen flimmerte wie Silber, die Quellen murmelten und dufteten wie das beste Kölnische Wasser (Un)verblümter konnte die Autorin die gesamte Parfümiertheit ihrer Märchenvorstellungen wohl kaum bloßstellen. – D. Hg., und wenn ein zarter Windhauch durch die Blumen und Zweige streifte, so erklangen sie melodisch wie silberne Glöckchen.
»Sieh hier!« lachten die Elfchen, »hier blühen noch ganz absonderliche Blumen, Lelja, wenn man ein wenig schüttelt, fällt aus jeder ein Bonbon!«
Das Prinzeßchen konnte solch ein Wunder gar nicht begreifen, schon aber hafteten ihre Blicke an den hohen Marmorhallen des Palastes, vor welchem sie angelangt waren.
Wie in einem Zauberland gleißte und strahlte der Märchenpalast, und doch sah er so traulich aus, daß sie sich gar nicht fürchtete, hineinzugehen. Welch eine Pracht! Kein Kaiserschloß kann schöner sein! Unter der silbernen Mondkuppel dehnte sich ein Saal – ach so weit und hell und warm – darin standen die herrlichsten Spielsachen, mit welchen sich die Elfchen tagsüber vergnügten, denn am Tage, wenn die Sonne am Himmel stand, hatten sie freie Zeit, nur des Nachts flogen sie auf den Mondstrahlen hernieder zur Welt und stellten sich an die Bettchen der braven, frommen Kinder, welche vor dem Einschlafen ihr Gebetchen gesagt haben; – diese Kinder beschützen sie dann in der dunklen Nacht und bringen ihnen schöne Träume.
Immer weiter führten die Mondelfchen ihre neue kleine Gespielin. In dem großen Eßsaale sah es gar lecker aus! Da standen lange Tafeln, besetzt mit silbernen Schüsseln und Tellern, ach und welch köstliche Speisen in Hülle und Fülle!! Kuchen und Schokolade, Marzipan und Torten, süße Puddings und Schlagsahne – und jedes Elfchen durfte davon essen so viel es mochte, – aber wohlverstanden nur dann, wenn es Suppe und Braten zuvor gegessen hatte, wie sich das bei jedem guten und vernünftigen Kind von selbst versteht.
»Nun sollst du auch noch ein paar schöne silberne Flügelchen bekommen, so wie wir sie auch haben, damit du frei umherfliegen und uns auch einmal zu den silbernen Sternchen am Himmel begleiten kannst, denn diese müssen wir schön blank putzen, und wenn ein besonderer Festtag im Himmel oder auf Erden ist, dann nageln wir noch ein paar mehr an, damit recht festlich illuminiert ist!«
Wie sie das noch so sagten, hefteten sie Lelja ein paar reizende kleine Flügelchen an die Schultern, und sie wuchsen auch gleich fest und Prinzeßchen hätte auch sofort fliegen können, aber sie wagte es noch nicht. Auch stand sie plötzlich ganz traurig, hatte die schönen blauen Augen voll Tränen und faltete inbrünstig die kleinen Hände.
»Ei Lelja! Du weinst?« fragten erstaunt die Elfchen, »gefällt es dir denn nicht bei uns?«
Die Kleine nickte und lächelte unter Tränen.
»O ja, es ist wunderbar schön hier, und ihr seid so lieb und freundlich zu mir, – aber ich bin in all dieser Pracht und Schönheit doch so allein, niemand von meinen Lieben ist bei mir, ach, und meine Sehnsucht nach lieb Mütterlein wird immer größer!«
Die Elfchen blickten einander bedeutsam an und lächelten.
»Hast du denn schon zu dem lieben Gott gebetet, daß er dir dein Mütterchen wiedergeben möchte?« – fragten sie.
»Ach ja!« seufzte Lelja, »so recht von Herzensgrund! Als ich hierher, über die silberne Brücke zu dem Mond schritt, da betete ich immer, die lieben Engel möchten mich doch zu Mütterlein geleiten!«
»Nun so komm, – dort in dem Palmenhain steht eine Kapelle, da sollst du noch einmal niederknien und bitten!«
Leljas Augen leuchteten in Freude und süßem Glauben, sie eilte voll Sehnsucht nach dem flüsternden Hain, aus welchem das goldene Kreuz der Kapelle ihr entgegenleuchtete.
Die großen, goldenen Türflügel taten sich auf, und als Lelja demütig auf die Knie sank und die Hände faltete, da schwebte eine blaue Wolke hernieder und auf den Marmorstufen stand eine lichte Engelsgestalt, die breitete die Arme voll inniger Liebe aus.
»Mutter!« schluchzte Lelja voll seliger Wonne und flog an die Brust der Wiedergefundenen.
Nun erst war ihre Seligkeit vollkommen, und sie wohnte nun für immer mit ihrer Mutter in dem silbernen Mondpalast bei den kleinen Strahlenelfen.
Welch eine Wonne!
Nun spielt sie mit den Rehen, Lämmchen, Vögeln und Schmetterlingen, nun pflückt sie die herrlichen Früchte und regt ihre Flügelchen zu seligem Fluge. Und die Elfchen nehmen sie mit, wenn sie die Sternchen blank putzen und wenn der dunkle Nachthimmel so recht festlich erhellt sein soll. Dann füllen sie Lelja das Kleidchen voll kleiner Sterne, geben ihr silberne Nägel und ein Hämmerchen und sagen: »Nun hilf uns!« – Prinzeßchen ist aber noch ein wenig ungeübt bei der Arbeit, und so passiert es denn manchmal, daß ihr das Kleidchen niederfällt und alle Sternchen herausfallen, in hellem Streif an dem Himmel herunter!
Die Menschen, welche ja nichts von dem kleinen Mondprinzeßchen wissen, sagen dann: »Eben fiel eine Sternschnuppe!« – aber es war keine, es waren nur die blanken Sternchen, welche Lelja aus dem Kleidchen verlor!
Die Elfchen lachen sie dann weidlich aus, fliegen schnell nach und fangen die Fünkchen wieder ein.
Noch eins hat die Kleine tief bekümmert.
»Ach, was soll nun aus all den armen, kranken, traurigen Menschen auf der Welt werden, wenn wir sie nicht mehr trösten können, lieb Mütterlein?« seufzte sie gar oft, und sie tat wieder, was sie stets im Leben getan hatte, wenn ihr das Herzchen traurig war, – sie betete. Und weil das Gebet der Frommen und Braven erhört wird, so erlaubte der liebe Gott dem guten kleinen Mädchen, daß es die armen, betrübten Menschen auch fernerhin trösten dürfe.
Abends, wenn der Mond am dunklen Himmel steht, fliegen Lelja und ihr Mütterlein, der schöne, friedliche Engel der Nacht, auf den glitzernden Mondstrahlen zur Erde hernieder.
Und wo sie tränennasse Augen sehen und bange Seufzer zum Himmel schallen hören, da streichen sie sanft tröstend über die gramgefurchte Stirn und küssen die müden Augen zu erquickendem Schlummer zu.
Darum lieben alle traurigen und unglücklichen Menschen das sanfte Mondlicht so ganz besonders, und manch heißerregtes Herz findet unter seinem heiligen Glanz den verlorenen Frieden wieder!