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Eine Christnacht am Strande.

Sie hieß nicht nur »Schön-Ebba«, sondern war es auch.

Auf der ganzen Insel gab es keine zweite Dirn, so schmuck, so gut, so fromm, wie Ebba Sturen. Friesenblut leuchtete durch die zarte Haut ihrer Wangen, flachsgelb schlangen sich die dicken Zöpfe um den Kopf, und die Augen lachten so blau in die Welt wie das Meer draußen im Sonnenschein.

Wo Schön-Ebba sich zeigte, flogen ihr die Herzen zu, und manch ein Seefahrer, welchen das Schicksal und der Sturm an die kleine Nordseeinsel verschlagen, fuhr als kranker Mann wieder davon, Sehnsucht und Weh im Herzen, begleitet von dem Bilde des holden Friesenkindes, welches doch nimmermehr hatte ein Bild der Gnade für ihn werden wollen. Ebba schaute nicht nach den Männern aus, denn sie wußte, daß der eine und einzige, welcher des Anschauens wert war, gar sicher zu ihr kam, nicht um ihr bunten Tand und schöne Worte, sondern sein junges, heißes, goldgetreues Herz zu bringen, welches voll Liebe und Zärtlichkeit für den blonden Schatz schlug, so lang, wie sie zurückdenken konnte in eine frühe, glückselige Kindheit hinein.

Sören hatte Klein-Ebba schon auf dem Arm getragen, als er sich selber kaum auf den Füßen behaupten konnte, hatte ihr die bunten Muscheln und Steinchen gutwillig in die drallen Händchen gelegt, als er selber noch keine größeren Schätze auf der Welt kannte denn diese Muscheln und Steine des Strandes.

Dann hatten sie in der Schule nebeneinander gesessen, hatten zur Sommerzeit selbander manch lustige Stunde am Strand getollt, gewatet, Schifflein schwimmen lassen und Seesterne getrocknet – am schönsten aber deuchte ihnen dennoch die Winterzeit, jene geheimnisvolle, glückselige Christzeit, in welcher sie – eng aneinander geschmiegt, auf der Ofenbank saßen, sich herrliche Geschichten vom goldenen Weihnachtsengel und der »Fru Hollen mit dem Sankt Niklasen« erzählten, wenn der Schneesturm sein wildes Lied um die Fischerhütte pfiff und die See ihre donnernden Wogen gegen den Strand warf.

Dann lauschten sie hinaus auf Sirene und Nebelhorn, falteten die kleinen Hände und beteten für die, so in Not und Klippen waren – wie es die Mutter sie gelehrt. Zur Weihnachtszeit aber hockten sie mit glückstrahlenden Gesichtern unter dem kleinen Tannenbaum, von welchem sie nicht begriffen, wo er gewachsen sein mochte, und wie die lieben Englein ihn mit all den brennenden Lichtlein hatten vom Himmel herabbringen mögen, denn die See ging hoch und das Wetter war bös.

O wie liebte Sören den Christbaum! Der war ihm die beste und herrlichste von allen Gaben, lieber noch als Honigbrot, Apfel und Nüsse, als die neue Hose und das große Schiff, welches der Pate ihm selber geschnitzt.

Ebba freute sich wohl auch an dem grünen Gezweig, an dem Goldflitter und dem großen Stern, an den Perlschnüren und den Silbernetzen, aber ihr rotwangiges Püppchen war ihr doch noch lieber, denn es hatte echtes Flachshaar, so weißblond wie ihr eigenes, und ein rotes Kleid mit weißem Schürzlein, wie sie es sich als höchsten – höchsten Hochzeitsstaat für dereinst ersehnte!

Ware es nur erst so weit, daß Sören und sie Hochzeit machen! Daß sie es thun werden, wenn sie groß sind, ist sicher. Spielen sie nicht jetzt schon Mann und Frau? Von den Küchenschemeln und der buntbemalten Truhe bauen sie sich ein Haus, und sechs Kinder haben sie auch schon, das Püpplein, den Stiefelknecht, ein paar getrocknete Fische vom Seil, die wickeln sie in ihre Halstücher, als die Jüngsten.

Und wie lieb haben sie sich dabei! Die Alten lachen und sagen: »Solch eine glückliche Ehe!«

Und um Weihnachten muß die Hochzeit sein, denn diese Zeit ist ihnen die liebste von allen.

Die Jahre flogen dahin und aus den Kindern wurden Leute.

Schön-Ebba, weiß wie ein Mövchen und rot wie eines Apfels Wange, wuchs heran, daß aller Augen voll Wohlgefallen auf ihr ruhten, und Sören ward ein Mann, grobknochig und stark, gewachsen wie ein Schiffsmast und frisch, lustig und kreuzbrav wie ein echtes Seemannsblut.

Die Badegäste, welche im Sommer kamen, fuhren mit niemand lieber in See als mit dem jungen Sören, denn er war der sicherste Steuermann auf weit und breit, und in seine glückseligen blauen Augen zu sehen, deuchte den Stadtmenschen, welche keine Zufriedenheit und kein Gottvertrauen mehr kennen, wie ein Märchen, an welches man vor langen, langen Jahren einmal geglaubt!

Kam Sören am Abend von der Arbeit heim, so galt sein erster Weg dem Fensterlein Ebbas, und wer die beiden dort plaudern sah, so ganz weltfern und versunken in ihr junges Glück, der lächelte und nickte: »Wie sollte es auch anders sein! – Sie gehören seit je zusammen.«

Da kam ein schwerer Tag, an welchem Ebbas blaue Augen – Vater Sturen sagte es – »so viel Wasser überholten wie eine lecke Kuff, wenn grobe See von achtern kommt!«

Sören mußte zur Marine nach Wilhelmshaven, es hieß scheiden für lange Zeit – scheiden für gut und bös, für Leben und Tod!

Weiß keiner, ob er von solch schwerem Dienste heimkommt.

Und Sören fuhr davon, – hinab nach Westindien, und sein blonder Schatz betete für ihn und verzagte nicht.

Wohl aber waren es traurige Jahre, bis der Freiersmann wiederkam – traurig zumal in der letzten Zeit, wo ein anderer Jugendgespiele heimkehrte und Schön-Ebba mit begehrlich heißem Blick gemahnte, daß sie auf der Schulbank ehemals auch gut Freund gewesen!

Sollte ihm Ebba ins Gesicht sagen, daß sie den rohen, unbändigen Tunichtgut stets gefürchtet und gemieden hatte?

Sie blickte an ihm vorüber und schwieg.

Jehann Freeten war ein unstet Blut. Als halbwüchsiger Knabe schon war er der strengen Zucht des Vaters entsprungen, war heimlich davongegangen und hatte sein abenteuerliches Leben als Schiffsjunge bei der Kauffahrtei begonnen, bald hier, bald dort zu Schiff – war zwei Jahre ganz verschollen, wie man sagte, sei er Goldgräber gewesen, – dann kehrte er heim, stellte sich bei der Marine, und als er nunmehr freigekommen, ein halb Jahr früher als Sören, – zog er als einziger Erbe in die Fischerhütte der verstorbenen Eltern ein.

Er wolle es einmal mit dem geregelten Leben versuchen! hatte er gesagt.

Fürerst war dies Leben aber ein gar wildes und gotteslästerliches, welches ihm keine ehrlichen Freunde in der Heimat warb.

Er spielte und trank die Nächte hindurch in der Schenke, er suchte Handel und Streit, er brachte all die bösen, übeln Gewohnheiten des zügellosen Freibeuters mit, welcher auf den Goldfeldern die Seele dem Teufel verschworen!

Sein Gesicht war wetterhart und finster im Ausdruck, sein Blick unstet und flackernd im Brand wilder Leidenschaftlichkeit, – sein schwarzes Haar paßte nicht zu Friesenart.

Wohlmeinende Männer hatten ihm anfangs wohl Vorstellungen über sein unordentliches Leben gemacht, aber nur Grobheit und keinen Dank geerntet; so zogen sich die Leute mehr und mehr von ihm zurück. – Da kam es, daß Jehann Freeten zum ersten Male die Wege Ebbas kreuzte, welche wochenlang die kranke Pate im Fischerdorf jenseits am Watt gepflegt hatte.

Wie ein Rausch wilder Leidenschaftlichkeit überkam es den verwilderten Mann.

Wie ein Schatten folgte er dem schönen Mädchen, kühn, dringlich, unermüdlich in seinem glühenden Liebeswerben.

Ebba wies ihn freundlich, aber sehr entschieden ab, und Vater Sturen furchte die Stirn und sagte zornig: »Glaubst du, Jehann, ich gebe mein einzig Kind einem Säufer, Spieler und Schenkenhocker? Wäre ein übler Freiersmann für Schön-Ebba, der nichts einbrächte an Heiratsgut denn liederlichen Sinn und Verderbtheit!«

Ein wilder, drohender Blick blitzte unter den schwarzbuschigen Brauen hervor, aber Jehann drehte demütig den Südwester zwischen den Händen und sprach bittend: »Habt Geduld, Sturen, das soll anders werden. Wahre Liebe treibt die Teufel aus! und wahrlich, tief haben sie mir nicht im Herzen gesessen! Ich war vereinsamt, ein Hausstand und Weib und Kind thun mir not zum Gutsein!«

Und wahrlich, es schien sich ein großer Wandel seit diesem Tage mit dem wüsten Gesell zu begeben.

Man sah ihn nicht mehr in der Schenke, dafür aber stand er, welcher zuvor nur ein spöttisches Gelächter gehabt für alles, was Religion und Glauben hieß, mit gesenkten Augen an der Kirchentür und wartete auf Schön-Ebba. Sie mußte ihn sehen, so breitschultrig stand er ihr im Wege, so auffällig setzte er sich ihr gegenüber auf die Seitenbank, den Blick auf sie gebannt, das Gesangbuch in den Händen. Er arbeitete plötzlich von früh bis spät.

Fuhr er nicht hinaus auf die See, so schaffte er emsig an seinem Häuschen, putzte es sauber heraus, flickte die schadhaften Stellen und richtete es so schmuck und freundlich her, daß seine Nachbarn neben ihm still standen und anerkennend sprachen: »So bist du auf dem rechten Wege, Jehann. Nächstes Jahr kannst du auch Sommergäste nehmen und ein schön Stück Geld mit dem Haus verdienen!« – Jehann zuckte die breiten Schultern. »Dadrum thu ich's nun grad nicht. Ich hab's nicht nötig, auf den Verdienst zu gehen, denn da draußen verdiente ich ein schön Stück Geld, – wollt' es hier in Ruhe und Behagen verzehren. Aber wer die Arbeit gewohnt ist, der muß halt schaffen, ob's not thut oder nicht. Auch kommt wohl die Zeit, daß eine Frau hier einzieht, – die soll drinn sitzen wie in Abrahams Schoß, – und will sie dann ein Stüblein abvermieten, so ist es ihre Sache, plagt sie sich damit, soll sie auch die Taler in die eigene Tasche stecken!«

Solche Worte machten bald die Runde in dem Fischerdorf, und gar manch blauäugiges Friesenkind, welches zuvor den Kopf geringschätzig zur Seite gewandt, wenn der Jehann Freeten an ihr vorüberging, sittsam und stattlich Ruder und Netze über der Schulter, lächelte ihm jetzt gar bedeutsam zu.

Auch zu Schön-Ebba drang die Kunde von dem »so gar wie ausgewechselten Jehann«, von seinem vielen Geld und dem schmucken Anwesen, aber Ebba sagte kein Wort dazu, zog die feinen Brauen zusammen und blickte wie in sehnsuchtsvoll ungeduldigem Harren auf die rollende See hinaus.

Und der, auf den sie hoffte in banger Angst und Sorge, kam.

Frisch und blühend, ein Bild strotzender Jugendkraft und Schönheit, eilte Sören der Geliebten entgegen, und Ebba lachte und weinte vor Wonne und Vater Sturen schob die kurze Tonpfeife von einer Ecke des Mundes in die andere und nickte wohlgefällig: »Kommst zur rechten Zeit!« Warum es aber die rechte Zeit sei, sagte weder er noch das blonde Mädchen.

Sören faßte die Hand des alten Mannes. »Vater,« sagte er, »nun ist's so weit. Ich bleibe jetzt daheim und habe mein Brot. Das Feuer auf dem Herd soll bald lustig brennen, – laßt es meinen Schatz Ebba sein, welche den Topf darüber hängt!«

Sturen nickte, wie man etwas längst Bekanntem zustimmt: »Bist eine ehrliche, brave Haut, Sören, schaffst das Deine und hast seit Kindesbeinen an um Lütt Ebba gefreit, – nun sollst du sie haben, denn sie hat dich lieb. – Morgen ist Verspruch – und in acht Wochen, zur Weihnachtszeit, da mögt ihr Hochzeit halten!«

Welch ein Jubel! welch ein Glück!

Von Mund zu Mund lief die Nachricht durch das Dorf und kam auch zu Jehann Freeten.

Der hörte schweigend zu, pfiff ein schrilles Lied durch die Zähne und sprang in sein Boot.

Spät abends kehrte er heim, und die Leute, welche ihn sahen, fragten ihn: »Weißt du's schon?«

Gelassen zuckte er die Achseln. »Je nun, – wer das Glück hat, führt die Braut heim! Der Sören war früher zur Stelle denn ich!«

Man wunderte sich der Gleichgültigkeit und sagte: »'s ist ihm doch nicht ernst um die Ebba gewesen! Ob er nun wieder wüst wird? Oder ob er sein Haus doch für eine andere putzte?«

Jehann Freeten ward aber nicht wüst, sondern verblieb in seiner guten Wandlung.

Ja, er ging sogar zu den Brautleuten hin, reichte ihnen die Hand und sprach einen guten Wunsch.

Als er gegangen, faßte Ebba angstvoll die Hände des Geliebten: »Hut' dich vor ihm! er ist falsch!«

»Der Jehann?« – Sören lachte gutmütig auf: »Weil er auch ein Auge auf dich geworfen? Unbesorgt, mein Mövchen, er hat sich drein ergeben, er ist mein Freund und Spielkamerad von Jugend auf!«

»Seine Augen gefallen mir nicht, – es lauert etwas darin … Sören, bei unserm lieben Heiland – halt dich fern von ihm!«

Er gelobte es ihr und that's.

 

Die Novemberstürme brausten über die Dünen, und das Meer ging hoch.

Frühe Nacht warf ihren schwarzen, sternlosen Mantel über die Insel, und Ebba stand voll niegekannter Angst und Unruhe an dem niederen Fensterchen und harrte auf die Heimkehr des Geliebten. Sie wußte, daß Sören heute nicht auf See gehen wollte, er war hinüber zum Leuchtturm gewandert, auf welchem sein alter Vater hauste, dem wollte er von all seinem jungen Glück, von seiner baldigen Hochzeit erzählen.

Ebba wartet – ihre Wangen glühen, ein Frösteln schleicht sich durch ihre Glieder.

Wo bleibt er?

Sein Weg durch die Dünen ist einsam – die dunkle Nacht ist keines Menschen Freund – und in Jehann Freetens Augen lauert etwas – – –

Stunde um Stunde verrinnt – er kommt nicht. Da greift Ebba mit zitternden Händen nach ihrem Tuch und stürmt hinaus in die unheimliche Nacht, an das Fenster des Liebsten zu pochen.

Still – totenstill – das Haus liegt wie in schwerem Schlaf.

Da gellt ihr Schrei durch das Brausen des Meeres, da bricht sie auf die Knie und ringt die Hände. Und die Leute, welche herzueilen, hören nur das furchtbare Wort von ihren Lippen: »Tot!«

Auch Jehann Freeten steht neben ihr – sein Gesicht leuchtet grellweiß aus dem Dunkel hervor

»Hab' dich nich so, lüttj Ebba! Was soll dem Sören angekommen sein! Er hat zuwidern Wind und kommt später heim!«

Sie richtet sich auf, tritt nah – ganz nah zu ihm heran und starrt ihn an, »Zuwidern Wind? – Der Sören ist an Land!«

»Gefahren ist er! – Vor meinen Augen ist er ins Boot – das Segel bracht' ihn schneller zum Alten als das Marschieren im Sand!«

Man fragt und forscht – niemand, außer Jehann, hat ihn gesehen – und Jehann spricht Wahrheit, Sörens Schiff fehlt am Strande.

Tot! – Tot!!

Der nächste Morgen bringt furchtbare Gewißheit, das gekenterte Boot wird halbwegs des Leuchtturms an das Land gespült. Kein Wunder! Dort ist's ein böses Fahren – Riff und Klippen drohen – und der Sturm kam auf.

Tot! – Tot!!

Ebba weint nicht, sie klagt auch nicht. Sie steht wie ein schneeweißes Steinbild und starrt nach dem Meer hinaus.

Ihre Augen sinken tiefer und tiefer, dunkle Schatten graben sich in ihr Antlitz.

»Ebba – min Mövken – du schläfst nicht mehr! Keine Nacht nicht!« – stöhnt Vater Sturen.

Sie schüttelt wie geistesabwesend den Kopf. »Wie soll ich schlafen, ehe sein Mörder gerichtet ist? Solang Jehann Freeten seine Augen noch offen hat, kann ich die meinen nicht zuthun.«

»Sie redet irre!« schluchzt der alte Mann und streichelt zärtlich ihre Hände. »Min Mövken! Min lüttje Ebba! Da is keiner, der ihm ein Leids getan hat – die See nahm ihn – die schlang ihn ein! Kannst ruhig schlafen, min Ebba! Ganz ruhig!«

Ein Blick trifft ihn aus ihren geröteten Augen, stumm und doch so furchtbar beredt.

»Nee, Vater – ich weiß es. – Und wirst es auch noch wissen. Wenn ich wieder schlafen kann, dann kommt's an den Tag.«


Jehann Freeten sitzt wieder in der Schenke, er trinkt – toller als je zuvor.

Er ist an Ebbas Haus vorübergegangen, er hat sie stehen sehen und sie angesprochen.

Sie antwortet nicht – sie blickt ihm nur in die Augen – tief – wunderlich – bis auf den Grund der Seele.

Und Jehann zuckt die Achseln, beißt die Zähne zusammen und geht weiter – geradenwegs in die Schenke. Er trinkt – trinkt und flucht.

Kein Mensch, außer ihm, sitzt in der verräucherten Stube – es ist ja Christtag.

»Heut sollt' der Ebba Hochzeit sein!« seufzt die Wirtin und räumt das Zimmer aus.

Jehann stürzt sein Glas hinab; – wie Feuer brennt der Schnaps in seinen Adern.

Christtag! – Sein Blick schweift scheu umher. Die Wirtin tritt ein und stellt einen kleinen Tannenbaum auf den Tisch, um ihn anzuputzen.

Ein wilder Fluch klingt von des Fischers Lippen.

»Ist man denn nirgends sicher vor solchen Narrenspossen?« schreit er auf, schmettert das Glas auf die Fliesen und schlägt die Tür hinter sich zu.

Es dunkelt bereits. Hinter den meisten Fenstern wird es schon hell – Christbäume für die Kleinen. Die Augen des einsam Schreitenden rollen unstet im Kopf, glühheiß steigt es in seinem Halse auf und würgt ihn.

Kinderstimmen. »O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!«

Mit wildem Gelächter hält sich Jehann die Ohren zu und stürmt seitwärts, den sturmverwehten Pfad nach den Dünen hinab. Es wird bitter kalt, der Schnee knirscht unter seinen Füßen.

Er tritt an sein Boot und setzt sich auf den Rand desselben nieder. Seine Augen stieren in die Dunkelheit – wie blutige Schatten jagt es vor seinem Blick.

Kirchglocken! – Man läutet das Fest ein.

Jehann hebt die geballten Fäuste und tobt in gotteslästerlichen Flüchen.

»Ich will keine Weihnacht! Ich pfeif was drauf – ich glaub die Narrheit nicht! Wo ist man sicher davor? Wo?!«

Ob er auch die Ohren zuhält, er hört die Glocken dennoch – ob er auch die Augen schließt, die Lichter des Christbaums blenden ihn trotzdem.

Wie ein Rasender, gepeinigt, verfolgt, vertrieben von den heiligen Klängen, packt er sein Boot – stößt es in die See und schwingt sich hinein. Der Schweiß perlt ihm über das glühende Gesicht, aber ein Hohngelächter bricht über seine Lippen – hinaus in die See! »Hahaha – laßt sehen – ob auch die Fische Weihnacht feiern!«

Der Wind pfeift eisig daher – stößt in das Segel, welches Jehann trunken und halb von Sinnen vor bebender Erregung setzt – und treibt das Boot hinaus in schwarze – wogende Unendlichkeit.


Ebba hat ihren Baum geschmückt, sie faßt ihn und schreitet hinaus zum Strand. – Sören liebte den Christbaum – er soll ihm den Gruß der treuesten Liebe bringen. Vor den Klippen, wo sein gestrandetes Boot noch liegt, setzt Ebba den Baum nieder. Die Düne schützt gegen den Wind – sie steckt die Lichte an und kauert neben dem Bäumchen nieder. Nun leuchtet es über sein Grab. Mit müden, starren Augen, welche den Schlaf nicht mehr kennen, starrt sie auf die rollende See. Es braust und donnert, und der Wind saust stärker daher. Einsam – totenstill.

Auf hoher Flut treibt Jehann. Die Kälte, die Anstrengung haben ihn nüchtern gemacht; er erkennt die Gefahr, in welche er sich sinnlos begeben. Zurück! – Nach Hause! Der Tod hockt ihm im Nacken!

Wo ist er? – Er findet sich nicht aus – er kann nicht denken, die Dunkelheit ist so groß – die Lichter täuschen.

Wo ist er? – Dort – dort vor ihm brennt ein helles, großes Licht – das war sonst nicht da – – Johe! Jojohe! Ist's der Christbaum aus der Schenke? – Dann drauf gehalten – dort landet sich's gut!

Wie ein Pfeil schießt das Boot durch die brausende Flut – geschleudert – geworfen horch – es knirscht – ein Krach und Stoß – –

Jehann reißt die verglasten Augen auf – in den Klippen! – Und vor ihm – einsam am Strand ein Christbaum …

Ein wilder Schrei – ein gellender Hilferuf.

Ebba richtet sich langsam auf. »Wer da?!«

»Jehann Freeten! – Zu Hilf!«

Sie kreuzt die Arme über der Brust, sie starrt geradeaus – sie lächelt.

Noch ein Schrei – ein furchtbarer Schrei der Todesnot … und die schwarzen Seen rollen heran – unaufhörlich – schäumend – unwandelbar wie die Gerechtigkeit.

Ebba sinkt wieder neben ihrem Christbaum zusammen.

Sie murmelt leise Worte – sie atmet tief auf – wie ein Kind, welches endlich Ruhe findet. – Und weiße Flocken fallen … es ist kalt … sehr kalt … Aber Ebba lehnt das Köpfchen zurück – an Sörens Schulter – er sitzt neben ihr – er halt sie im Arm … und die schlummerlosen Augen schließen sich – – Ebba schläft ein …


Jehanns Leiche ward – bis zur Unkenntlichkeit entstellt – zum Strande gespült, just da, wo man Schön-Ebba neben einem ausgebrannten Christbaum erfroren aufgefunden.

An dem Tage, an dem man sie in ihr letztes, stilles Kämmerlein betten wollte – tat einer der Strandwächter einen grausigen Fund. – Im Sande vergraben fand man Sören – Messerstiche hatten seinen Rock zerrissen, und in der Brust stak noch eine abgebrochene Messerklinge – man kannte sie – sie stammte aus Amerika von den Goldfeldern – –

Jehann Freeten schnitt sich alltäglich sein Brot damit …



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