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Ihr erster Ball.

(Humoreske.)

Ich kannte sie schon seit Jahren, – und wie ich jetzt auf das blonde Titusköpfchen blickte, welches sich respektvoll küssend über meine Hand neigte – (vor nicht allzulanger Zeit hatten wir uns noch auf dem Rasen ihres elterlichen Gartens herumgebalgt!), da mußte ich lächeln.

Rose war erwachsen, – sie wurde heute zum ersten Male auf einem wirklichen, wahrhaftigen Ball existenzberechtigter Menschen »losgelassen«!! –

»Kinder werden Leute, und Leute werden Bräute!« mußte ich unwillkürlich denken, als ich den »Saisonfrischling« des näheren betrachtete. Man hatte ehemals gestritten, ob die wilde, bubenhafte kleine Hummel wohl ein hübsches oder häßliches Mädchen, ein holdselig zartes Jungfräulein oder ein ausgelassener Unband mit Reitpeitsche und Sporen werden würde, … es schien, als solle keins von beiden zutreffen.

Rose war ein frisches, lebhaftes Mädchen, nicht hübsch und nicht häßlich, aber appetitlich wie ein rotwangiger Apfel, mit schalkhaft keckem, jedoch nicht burschikosem Wesen.

Die goldblonden Haare, welche ihr ehedem, kurz geschoren, ein jungenhaftes Aussehen gaben, ringelten sich jetzt sehr schick in kurzen Löschen über der Stirn, ihre ungestümen Bewegungen hatten sich in ungenierte Lebhaftigkeit verwandelt, welche eine gute Dressur in Formen gezwängt, deren Tadellosigkeit anerkannt werden mußte. Auf jeden Fall mußte man erst ein kleines Weilchen nachdenken, ehe man die wilde Rose von früher in diesem zierlichen Balldämchen im Tüllkleid und Vergißmeinnichtkranz wiedererkannte.

Ich dachte nach – und die kleine Remonte, welche vor meinen Augen so flott eingetanzt wurde, interessierte mich mehr wie alles andere im Saal.

»Noch sehe ich dich vor mir stehen, in dem Kinderkleidchen!« Ja, ich sah Rose im Geist wieder vor mir, als sie ihren ersten, allerersten Ball besuchte! Ein Kinderball. – Wir Backfischchen fanden es damals eigentlich empörend, daß »die Kleine« auch mit eingeladen war, denn Rose zählte erst acht Jahre und gehörte mithin noch auf kein Fest, welches sogar Primaner und zwei Fähnriche mit ihrer hohen Anwesenheit beehrten.

Aber Rose war die schon oftmals angetraute, viel geliebte, viel gehauene, viel zerkratzte, viel zu Pflaumen-, Stachelbeer- und Kirschraubzügen verleitete Braut des neunjährigen Sohnes des Hauses, und dieser Thatsache gegenüber verstummte jede Opposition.

Als ich an jenem Abend den Salon vor dem Tanzzimmer betrat, stand just das kleine Pärchen im Türrahmen vor mir.

Hermännchen, der bildhübsche, dunkeläugige Prachtjunge, im weißen Matrosenanzug, und an seiner Seite das kräftig gedrungene Figürchen seiner Erwählten mit den geschorenen Haaren, der frechen kleinen Stupsnase und dem weißen Röckchen, welches schon bei Beginn des Festes mit seiner Hinterpartie auf dem Bäuchelchen saß.

Zum Schluß des Abends hatte es wohl seine Rutschpartie vollendet und saß wieder am richtigen Fleck, wie bei andern Mägdleins auch.

Ich kam just zu einer bräutlichen Szene recht. Hermännchen puffte seine Teure ohne jedwede Prüderie vor den Magen und sagte: »Wenn du dich unterstehst, Kröte, und mit einem andern tanzest, schlag' ich dir das Kreuz ab!!« –

Rose fletschte lachend ihr prachtvolles Gebiß, ihre kleine Faust zitterte ihm unter der Nase – und dann verabschiedete sie sich mit einer süperben Grimasse und jagte durch den Salon, daß ein Tee servierender Diener mit Schreckensschrei und Tassenklirren zur Seite taumelte. –

Aber die rauhe Schale barg doch einen goldgetreuen Kern, – ich habe Rose den ganzen Abend nur in Hermännchens Armen gesehen.

Anfänglich tanzten sie manierlich, das heißt, sie hielten sich gegenseitig mit den Händen um die Taillen und sprangen wie junge Böcke in ausgelassener Freude zwischen den Großen durch. –

Von Zeit zu Zeit verschwanden sie, – dann entdeckte mein spähender Blick das glückliche Paar, wie sie mit gekreuzten Beinen auf der Gastgeberin kostbarstem Seidendamastsofa – fern von Madrid in kleinem Boudoir – saßen, zwischen sich eine Glasschale voll Creme oder Eis, voll behaglich grunzender Gier den süßen Inhalt schlingend und mit den Äuglein sich gegenseitig fixierend wie der Spitz die Fliege.

»Freßsack – du sollst nicht so schnell futtern!« schimpfte er, der Herrlichste von allen, »während ich kaum einen Löffel hinterschütte – hast du schon zwei!« – Sie funkelt ihn schweigend an. Patsch – ein Löffel voll Schlagsahne klatscht ihm vor den Mund – – Hermann haut mit dem seinen eine Antwort auf ihren Schädel, daß der Schaum über die blonden Haare und das Sofa spritzt, und dann nicken sie sich verständnisinnig und befriedigt zu und schmatzen weiter.

Bei den süßen Speisen aber bleibt es nicht. Gleich dem Raben Hans Huckebein wird auch ihnen der Likör bezw. die Bowle verhängnisvoll. Erst nippen sie, – dann kippen sie.

Und die Wirkung ist unverkennbar. – Die anfänglich doch noch etwas gemäßigten Bocksprünge ihres Tanzes werden furchtbar grotesk, sie arten schließlich in ein wüstes Jagen, Stürmen, Wirbeln, Zerren und Purzeln aus.

Zum Entsetzen der Großen ist das ganze Tanzzimmer unsicher geworden, man kann kaum wagen, eine stolze Fregatte auf wogenden Walzerfluten hinaus zu steuern, – unversehens kommen die heillosen kleinen Torpedos dahergezischt und richten Verwüstung und Unheil an.

Man war überzeugt, daß das hochlöbliche Brautpaar einen regelrechten Schwips habe, – ich aber wußte es besser.

Ich sah sie, wie die ärgsten Verschwörer, mit solch unheimlichen Gaunergesichtern an der Türe stehen, daß ich nicht umhin konnte, sie zu belauschen.

»Du, Rose, – jetzt paß mal auf – jetzt arbeiten wir wieder dem langen Sägebock da drüben in die Beine! – Wenn er lostanzt, fahren wir dazwischen! Die Dicke da … in dem rosa Kleid … die muß auch erst mal liegen … je döller der Knäuel auf der Erde wird, desto besser!«

»Daß du mich aber nicht wieder so feste gegen Maxen anrennst, der hat Knochen wie die Heugabeln –«

»Olle Zimperliese du!«

»Oller Rüpel du!«

«Und nun los!«

»Feste druff!!«

»Die Dicke rennen wir von hinten gegen den Ofen –«

So ungefähr lautete das saubere Komplott.

Was hat denn ein Ball sonst für Wert, wenn nicht bei jedem Tanz ein Dutzend Spießer und Überläufer zur Strecke gebracht werden?

Glücklicherweise lauerte die Nemesis.

Beim nächsten Galopp hatte Fräulein Rose selber in der Grube gelegen, welche sie für andere gegraben.

Mit blutender Nase zog sie sich von dem Schlachtfeld zurück und war, für kurze Zeit wenigstens, kampfunfähig gemacht.

Sie war marode – aber noch lange nicht matt. Dieweil die besorgte Dame des Hauses und das gesamte weibliche Dienstpersonal mit kaltem Wasser, Essigschwamm und einem »kalten Hausschlüssel« (welcher als gutes Sympathiemittel in den Nacken gelegt ward) um sie thätig war, raisonnierte sie wie ein kleiner Rohrspatz und behauptete: »Das infame dicke Frauenzimmer hatte sicherlich so viele Kartoffeln im Magen, daß ich so hart gefallen bin!« Hermännchen stand, die Hände nonchalant in die Hosentaschen versenkt, neben der Dame seines Herzens und beobachtete voll kaltblütiger Spannung, wie lange sich dies unterbrochene Opferfest noch hinziehen werde.

Die einzige Bemerkung, welche ich ihn, mehr anerkennend wie tadelnd, machen hörte, war der galante Vergleich: »Bluten thut sie wie ein Schwein!« was Fräulein Braut nicht übelnahm, sondern nur prompt und stolz beantwortete: »Na ja, du dämlicher Bengel, glaubst du, ich wäre solch ein Krepierling, daß ich nicht einen Tropfen Blut in der Nase hätte?«

Man schien an solch zarte kleine Wortwechsel gewöhnt, denn außer einem etwas kräftiger gefüllten Essigschwamm, mit welchem ihr die künftige Schwiegermama das Schnäbelchen schloß, ereignete sich kein besonderer Zwischenfall.

Fräulein Rose erholte sich, schüttelte sich wie ein Pudel und strebte tatendurstig in den Tanzsaal zurück.

Es waren nicht lauter Blicke voll eitel Liebe und Freude, welche das der Welt und der Gesellschaft glücklich erhaltene Pärlein daselbst begrüßten.

Vielleicht war es ein rettender Einfall der »rosa Dicken« oder ein dunkler Selbsterhaltungstrieb der langen Dünnen, welcher plötzlich die Frage veranlaßte: »Wo ist Roses goldenes Herzchen? Sie trug es vorhin noch um den Hals!«

Das goldene Herz! – Für gewöhnlich war die junge Braut ziemlich gleichgültig gegen ihren äußeren Menschen, aber das goldene Herz war ihr doch eine Art von Heiligtum, weil dasselbe etliche Kuchenkrümel von Sophies letzter Geburtstagsbrezel enthielt. Sophie war die Köchin des Hauses und erfreute sich Roses ungeteilter Sympathie, weil sie die einzige war, welche nie eine Schandtat des Brautpaars zur Anzeige gebracht hatte. Dafür kaufte ihr Rose zum Geburtstag eine Brezel, welche sie vor Sophies Augen in Gemeinschaft mit Hermann dem Raben recht gerührt und herzlich selber aufaß.

Woher sie die zwanzig Pfennig für dieses »rückbezügliche« Geschenk genommen, blieb ewig ein Rätsel. Viele behaupteten, sie habe Sophie dieselben abgeborgt, andere wollten gehört haben, wie zwei seltsam ausstaffierte Kinder in der Dämmerung an der Ecke des gräflichen Hauses sehr dringend »Kienspäne« zum Verkauf angeboten hatten, und schworen darauf, das Mädchen sei Komtesse Rose gewesen.

Der wahre Sachverhalt ist nie erforscht worden. Entweder sind die Kienspäne von generösen Passanten gekauft und fürstlich bezahlt worden, oder Sophie hat voll beachtenswerten Edelmuts die Geburtstagsbrezel bezahlt, welche die Gratulanten höchstselber auf ihr Wohl verspeisten.

Genug, – die letzten Krümel des außerordentlichen Geschenks barg – zum ewigen Andenken – das goldene Herzchen, und nun hing die feine Kette zerrissen am Hals, und Rose starrte perplex erst an sich herab, dann um sich herum, als müßte das verlorene Herz, nach Auffassung großer Dichter, geradewegs in den offenen Himmel der heutigen Glückseligkeit hineinfliegen.

Aber es flog nicht. Es lag auch nirgends. Eine eifrige Jagd, ein Forschen und Suchen hob an. Das Brautpaar verschmähte es sogar nicht, platt auf dem Bauche liegend unter die Ecksofas und jedweden Stuhl zu sehen, – ein zeitweises Aufschreien und Flüchten der Größeren belehrte mich, daß die kleinen Unholde selbst in diesem tragischen Moment noch Zeit fanden, allzu diensteifrig näher Drängende recht gefühlvoll in die Beine zu kneifen.

Glücklicherweise leistete eine Tanzpause und Baisertorte dem Suchen Vorschub, als aber die Unbeteiligten energisch auf ihrem Recht bestanden und der Klavierspieler mit tönender Fanfare eine Quadrille anzeigte, da stand Fräulein Rose doch recht kleinlaut inmitten des Saales und schob bedenklich die Unterlippe vor.

Noch einmal drängten sich Teilnahmsvolle um sie her, durch stummes Anstarren der zerrissenen Kette ihr Beileid auszudrücken.

Da ereignete sich etwas Außerordentliches. Hermännchen trat, wie von großer Idee erleuchtet, jählings auf die Erkorene zu, tauchte sonder Prüderie und sonder Erlaubnis seine kalte Rechte in Roses Kleiderausschnitt und wühlte und kratzte mit behendem Eifer bis auf ihren Magen hinunter.

Rose war derart verblüfft, daß sie Mund und Nase aufriß, sich bei dem plötzlichen »Frosch« auf dem Magen vor Schauder krümmte wie ein Wurm und entschieden im ersten Moment gar nicht den hohen Zweck der Sache ahnte.

Dann zuckte es blitzschnell über ihr Gesichtchen wie funkelnder Kampfesmut, und im nächsten Moment krallten sich ihre wetterfarbenen Fäustchen wie zwei Fledermäuse in die Haare des vermeintlichen Angreifers.

Gleichzeitig aber schrie Hermännchen triumphierend: »Läßt du mich los, du Giftpilz?! Hier ist es ja!« – und wahrlich! Ich kann nicht behaupten, daß sich seine Hand sehr schwanenweiß hob, – aber sie hob sich und hielt etwas Glänzendes empor – das Herzlein, welches seiner Tänzerin zwar nicht in die Schuhe, wohl aber in den Kleiderausschnitt gerutscht war. –

Große, unbändige Heiterkeit!

Rose warf beschämt einen Flausch Haare aus den Händchen und umarmte den verkannten Retter in der Not voll leidenschaftlichen Entzückens.

Das war ein seltener lyrischer Moment, darum ward er auch thunlichst abgekürzt.

»Keine Quadrille! Wir wollen was Rundes!!« befahl der Bräutigam als Held des Augenblicks, aber der Klavierspieler tat ihm nicht den Willen, denn er mußte sich nach seiner Tanzkarte richten. – Diese Pflichttreue kam ihm teuer zu stehen.

Die ungeheure Freude des Brautpaares wurde während des langen »viereckigen« Tanzes in unnatürlicher Weise eingedämmt, und wenn ich auch sah, wie das wiedergefundene Herz mit viel Bowle und Torte im Nebenzimmer gefeiert wurde, so sah ich doch auch, daß »man« sehr eifrig tuschelnd immer näher zusammenrückte, und solch ein Einvernehmen pflegte meist von Übel zu sein.

Der nächste Galopp bewies es.

Ahnungslos saß der Klavierspieler auf seinem Dreibeinchen, den langen, gebogenen Rücken dem Saal zugekehrt, die Frackschöße lang und wehmütig bis zur Erde niederhängen lassend, lang wie die hageren Arme und Finger, welche in schönen Trillern über die Tasten sausten, den »Storchschnabelgalopp« »Storchschnäbel«, Galopp, op. 149, von Philipp Fahrbach dem Jüngeren (1843-1894). in aller Munterkeit zu exekutieren.

Hinter ihm wirbelte, sauste, schlurfte es; – wie eine Meeresbrandung wogte und jagte es entfesselt an ihm vorüber, und er spitzte voll liebenswürdigen Lächelns die Lippen, als wolle er Flöte blasen, und dachte daran, – daß die nächste Pause das Souper bedeute …

Da – ein schrilles, alle Töne umfassendes Accelerando. die langen Arme fuchtelten durch die Luft, ein Schrei gleich einem Trompetenstoß, und dann tanzten die Paare ohne Musik, dieweil Jünger der Terpsichore In der Antike Muse der Chorlyrik und des Tanzes. wie ein wilder Knäuel von Armen, Menschen- und Stuhlbeinen, Frackschlippen und Schlangenlocken mitsamt seinem Sesselchen durch den Saal rollten.

Eine Panik des Schreckens, des Auseinanderstiebens und Flüchtens, und dann dichtgezogene Kreise um den Unglücksfall.

Herr Leo Fahnenschmidt befand sich eine Sekunde lang auf allen Vieren, ehe er seine schlanke Gestalt wieder auf der gewöhnlichen Existenzbasis aufzubauen vermochte.

Er starrte blöde um sich her, zuckte mit den Händen rückwärts, um ein paar besonders hart bedrängte Stellen zu reiben, und unterließ es errötend, als ihm die Situation dämmerte.

Die Mähne zurückschüttelnd, flüsterte er nur leise: »O! o … ich begreife gar nicht …« und dann griff er höflich nach den Weingläsern, welche ihm zur Stärkung und Erholung von allen Seiten entgegengereicht wurden, und trank sie gehorsamst allesamt nacheinander leer.

Hermännchen und Rose standen innig umschlungen vor ihm und funkelten ihn mit den frechen Spatzenäuglein triumphierend an.

»Warum sin' Se denn so riesig vergnügt, Herr Fahnenschmidt?« grunzte der Bräutigam, »daß Se sich gleich durchs ganze Etablissement rollen?« – O schnöder Verrat! Niemand ahnte wohl die Wahrheit, nur ich hatte es beobachtet, welch ein eleganter Fußtritt das zierliche Stühlchen des schwer Geprüften zu Fall gebracht.

Gottlob, das Souper senkte seine Friedenspalmen über dieses Schlachtfeld und brachte mir das pechrabenschwarze Sünderpaar für etliche Zeit aus den Augen. Ich hörte nur später, daß sich die Diener voll berechtigten Mißtrauens geweigert hätten, die Passage hinter den kleinen Herrschaften zu benutzen.

Nach Tisch sah Fräulein Rose ebenso wie ihr Verlobter seltsam »üppig« aus, ein Rätsel, dessen Lösung ich schließlich darin fand, daß man den Kleiderausschnitt nach den »Herzenserfahrungen« jetzt regelrecht als Tasche benutzte. Kein Wunder, wenn bei dem nachfolgenden Tischwalzer Schalmandeln, Traubenrosinen und Bonbons auf ganz unerklärliche Weise durch die Luft schwirrten.

Man hatte gehofft, das kleine Paar werde den strengen Gesetzen des Gottes Morpheus unterliegen und vor dem Kotillon verschwinden.

Man täuschte sich.

Die Stimmung erreichte auch bei ihnen erst nach den Tafelfreuden den Siedepunkt.

Als eine Tour getanzt wurde, in welcher Knallbonbons die Kopfbedeckung lieferten, tobte auch das Brautpaar voll wilden Entzückens an mir vorüber. Er mit einer roten, sie mit einer spitzen blauen Harlekinmütze auf dem Kopf. Da geschah's, daß der Luftzug die blaue von Roses Köpfchen entführte.

Der Moment war kritisch. Hermännchen hielt die Hände seiner Tänzerin umklammert, als wären sie angepecht, sie frei zu bekommen war Unmöglichkeit, und die leichte Papiermütze flog im Winde.

Da schnappte und biß Fräulein Rose, im Tanze weiterjagend, durch die Luft, wie ein Spitz die Mücken fängt, oder wie ein Fliegenschnäpper, welcher eine Beute verfolgt.

Das schneeweiße kleine Gebiß leuchtete, – die Äuglein über der frechen Stupsnase glimmerten – und richtig, noch ein paar hitzige Bisse in die Luft – und die blaue Papiermütze war gefangen!

Rechts und links starrte sie vom Munde ab, wie zwei Schwimmblasen, – das minnigliche Bräutchen aber jagte mit der Beute weiter, atemlos, glühend, auf dem Gipfel des Glückes, welchen ein erster Ball, selbst für die Knöpfstiefel einer Achtjährigen, emportürmt.

Auf die Sträußchen schien man weniger Wert zu legen, aber Hermanns Schwester, der reizendste kleine Backfisch, welchem zu Ehren das Tanzfest stattfand, blickte einen Augenblick sprachlos auf das Kissen mit den Orden.

»Was ist denn das? Da fehlt ja ein Drittel der Dekorationen?« stieß sie entsetzt hervor, und die Mama nickte nur ein wenig ärgerlich: »Gewiß haben Männe und Rose bereits geplündert!«

Backfischchen hatte nicht übel Lust, die Räuber zur Hergabe der entwendeten Herrlichkeiten zu zwingen, aber seltsamerweise war das teure Paar nirgends zu entdecken.

Es entwickelte eine fieberhafte Eile Trepp auf, Trepp ab. Da sie dabei keinen genierten und alle Augen dem Kotillon folgten, bemerkte niemand, wie »ausgestopft« die Herrschaften jedesmal aussahen, wenn's Trepp ab ging. Später hörte ich die Dame des Hauses ganz entrüstet den Diener fragen: »Aber um Gottes Willen, Heinrich, die sämtlichen Kuchenschüsseln sind ja leer! Und die halbe Torte …!« Einem on dit zufolge entdeckte man das Verschwundene anderentags in einer wohlverwahrten Kiste im Karnickelstall – –

Daß man zum Schluß des Festes auf dem Grunde einer Schüssel voll Schlagsahne den von blauen Glasperlen geschnürten Verlobungsring des Fräulein Rose fand, war allen unerklärlich, und ich war verschwiegen genug, es nicht auszuplaudern, daß junge Menschenkinder manchmal in Ermanglung eines Löffels mit einer fünfzinkigen Gabel aus Fleisch und Blut in die Tiefen der Sahnenschüssel fahren!

Alles in allem konnte die Hausfrau immer noch von Glück sagen, daß es bei solch kleinen Intermezzos blieb, ein bedenkliches Klirren und Rasseln habe ich nicht vernommen, und wie leicht hätte man doch mit diesem ersten Ball zugleich ein wenig Polterabend feiern können!

Der erste Ball – – Long ago!

Ich bin seit der Zeit eine würdige Hausfrau, Fräulein Rose ist eine erwachsene Dame geworden.

Wirklich schon so ganz und gar erwachsen? Mit den Erinnerungen an jenen »Knospenball« erwachte die unwiderstehliche Lust in mir, die »große Rose« heute ebenso zu beobachten wie ehemals die wilde kleine Hummel im Flügelkleide. Ich vergaß über all dem Schauen, mich selber zu amüsieren, und doch sah ich so gar nichts Absonderliches, so gar nichts, was an die Rose von ehedem erinnerte!

Waren all die vielen, großen und kleinen Stacheln wirklich schon so ganz abgeschliffen? Verlor sie heute kein Herzchen? – Ein sichtbares nicht, aber … jener kleine Leutnant da, der jüngste, allerjüngste des Regiments – (man erzählt sich, er habe erst im vergangenen Jahre den letzten Milchzahn gewechselt, – abscheulich!), der fing mir mit der Länge des Abends an, doch ein wenig bedenklich zu werden.

Anfangs hielt ich ihn für total ungefährlich. Ich hatte seine erste Unterhaltung mit Rose gehört.

»Finden gnädiges Fräulein nicht, daß es heute abend riesig hell hier im Saale ist?«

»Riesig! – kommt von den vielen Lichtern.« –

Kurze Pause… »Hm … Lichte … Beziehen gnädiges Fräulein … oder Frau Mama … die Lichte vielleicht aus dem Drogengeschäft von Bermer?«

»Nein, die drippen!«

»Sehr richtig, das habe ich auch schon entdeckt.«

Abermals eine Pause. Das Regimentsbaby streicht die Stelle unter der Nase, wo fraglos noch ein Schnurrbart wachsen wird, und blickt sich hilfesuchend um. Er sieht den Diener mit dem Teegebäck. – Rettender Gedanke!

»Gnädiges Fräulein essen gewiß auch gern Süßigkeiten?«

»Und ob, für mein Leben gern!«

Da neigt er sich tiefer … seine Augen blitzen auf, die Lippen zittern wie in verhaltener Leidenschaft – mein Himmel, er wird doch nicht an diese Süßigkeiten anknüpfend ihr sagen, daß sie selber süß sei?

Ich lauschte atemlos. Er wird etwas Außerordentliches sagen! Und er sagt: »Mögen Sie die Berliner Pfannkuchen lieber gefüllt – oder ungefüllt? Ich sage Ihnen, Komtesse – so ein gefüllter … gut, mit Marmelade gefüllter Pfannkuchen – –«

Ich atmete beruhigt auf und ging weiter.

Aber jetzt? – Er hat oft, sehr oft mit ihr getanzt, und … seltsam, ich finde, er gleicht Hermännchen, dem geliebten, sicher noch nicht ganz vergessenen Ex-Bräutigam. Auch den Kotillon tanzen sie zusammen. Ich bitte meinen Herrn, hinter den Stühlen dieser beiden Jüngsten mit mir Platz zu nehmen. Nichts, gar nichts Bemerkenswertes.

Man kann schlecht beobachten, es wird zu flott getanzt. –

Jetzt! Blumen und Orden kommen!

Was tuscheln die beiden plötzlich, tuscheln und lachen? In diesem Augenblick sieht Rose wieder ganz wie damals aus. –

Sie greift nach dem Kissen mit Schleifen – ein genialer Ramsch – er stürmt nach einem Strauß fort.

Am Schluß des Balles ist man männiglich erstaunt, daß der jüngste Leutnant die meisten Schleifen erhalten, seine Brust ist wahrhaft gepanzert – und Rose? Himmel, wieviel Blumen hat denn das Kind eigentlich??

Ich wußte es.

Alle Sträuße, die er – ehrlich oder kühn – erwischen konnte, legte er in ihre Hand, – und alle Schleifen, welche sie »raufte«, heftete sie ihm auf die Brust! –

O Rose, Rose! Auch dieses war – ein erster Ball!



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