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Unerklärliches.

Auf der Rhede von Zoppot lagen die Kriegsschiffe. Gute Freunde, mit welchen wir kurz zuvor im Kurhause ein freudig überraschtes Wiedersehen gefeiert, hatten uns die Gig des Kommodore gesandt, welche uns zu einem fröhlichen Abend an Bord S. M. S. schaukeln sollte.

Wohlbehalten langten wir an.

Die Stimmung war eine unvergleichlich lustige und angeregte.

Das Diner in der Schiffsmesse machte dem Ruf, welcher ihm leuchtend vorangegangen, alle Ehre, dennoch verbot die Gewitterschwüle, welche in der Luft lag, es länger, wie notwendig, auszudehnen.

Voll Entzücken setzten wir uns auf Deck nieder, die Seeluft um unsere erhitzten Stirnen wehen zu lassen. Es war am Spätnachmittag, die ersten Schleier der Dämmerung wehten wie duftiger Nebel über die leise wogende See, welche sich nach Hela zu tiefer und tiefer färbte, bis sie mit beinahe blauschwarzen Tinten den Horizont umzog.

Plötzlich ein Schrei! – »Mann über Bord!« – gellte es. Und dann ein jähes, aufgeregtes Durcheinander. Über Bord gelehnt, die Arme wie in jähem Entsetzen erhoben, stand Leutnant L. – »Hier! … Hier unten! Ich sah eine weiße Gestalt sich aus dem Wasser heben, welche mir mit leisem Klagelaut die Arme entgegen breitete – dann versank sie!« –

Eine Viertelstunde der Angst und Aufregung. Dann zeigte es sich, daß niemand an Bord fehle.

Jüngere Kameraden steckten die Köpfe zusammen und flüstern. »Damals … wißt ihr noch?« klingt es leise.

Alle Seeleute sind mehr oder weniger abergläubisch, und so wegwerfend die jungen Herren auch lachen, und so sehr auch ein heiterer Kapitän seine Glossen darüber machen will – etliche Gesichter bleiben dennoch ernst, und am allerernstesten dasjenige des ehedem so übermütigen Leutnants L.

»Wie können Sie sich auf das Leugnen legen, mein bester K.!« – sagt er beinahe ärgerlich. »Als ob Sie jene Dinge auf der ›Naxos‹ nicht selber miterlebt hätten!«

»Dinge auf der ›Naxos?‹ – Welche Dinge?« klingt es hastig von den Lippen der Damen.

»Sehr unerklärliche Dinge, meine Herrschaften!«

»Ein wirklicher Seespuk?«

»In seiner grausigsten und vollsten Bedeutung!«

»Erzählen Sie! – Bester, verehrtester Leutnant L., erzählen Sie es!«

Dieser zaudert. »Heute ist wohl nicht recht der Tag dazu!« sagt er und senkt den blonden, rotwangigen Kopf sehr tief zur Brust.

Die jungen Damen schmollten mit ihm. »Wenn Sie uns nicht den Gefallen thun wollen, Sie böser Mensch – Leutnant B. thut es sofort!« flüsterte eine bezaubernde, kleine Blondine.

B. verneigte sich hastig: »Ich bin Wachs in Ihren Händchen, meine Gnädigste!« stammelte er.

»Wenn er aufschneidet, bin ich ja noch zur Stelle, um ihm energisch die Locken zu raufen!« lachte der Kapitänleutnant, abermals mit einem Versuch, die Sache humoristisch zu färben, aber es lachte niemand mit. Alle rückten näher zusammen.

Der Wind strich wie ein schwerer Atemzug über Deck.

 

»Es war im Januar 188*.« begann der junge Offizier mit gedämpfter Stimme. »Wir befanden uns an Bord S. M. S. ›Naxos‹ im Hafen von St. Thomas, einer Insel des westindischen Archipels.

Es ist zwölf Uhr nachts. – Der Läufer hat soeben 8 Glas W (es sind dies Glockenschläge, meine Damen, welche an Bord den Ablauf einer Wache anzeigen) geschlagen. Der Posten auf der Back hat sein monotones: ›Auf der Back ist alles wohl, Laterne brennt!‹ gesungen. Die Ablösung der Abendwache durch die ›Hundewache‹ findet statt. Diese rechnet von zwölf bis vier Uhr nachts.

Auch dies ist bald beendet.

Das Wasser liegt still, wie in tiefstem Schlaf. Kein Windhauch regt sich, wie geschmolzenes Silber flimmert der breite Streif des Mondlichts über der See, und zu Häupten wölbt sich der klare, wolkenlose Tropenhimmel mit seinen märchenhaft strahlenden Gestirnen. –

Da plötzlich wird die Stille durch ein Geräusch unterbrochen. Ein Gegenstand, und anscheinend ein recht schwerer, stürzt unter lautem Gekrach und Gepolter aus der Vorbramsaling hernieder.

›Posten auf der Back – was ist da vorne los?!‹

›Bootsmann der Wache! Sehen Sie nach, was da vorn von oben gekommen ist!‹

›Läufer! – Laterne!!‹

So schallt es in rascher Reihenfolge im Kommandoton von der Brücke.

Das ganze Vorderdeck wird gründlich abgesucht.

Vergeblich! Keine Spur ist zu entdecken.

Der Posten auf der Back, derjenige, welcher dem rätselhaften Vorgang zunächst stand, kann nur aussagen, es wäre ihm so vorgekommen, als ob ein schwerer, großer Gegenstand pfeilschnell aus der Saling, an der Marsraa, dem Mars und der Fockraa vorbeigestürzt sei, dann das Oberdeck scheinbar durchschlagen hätte und in der Batterie geblieben sei. – Auch hätte es ihm so geschienen, als ob ein schwacher Schrei dabei laut geworden wäre, – aber der könne wohl von einem herrühren, der sich auch erschrocken habe!

Niemand aber hatte, laut Versicherung, aufgeschrien.

Kaum sind zehn Minuten vergangen, als die tiefe Ruhe abermals durch ein Geräusch unterbrochen wird – ein Geräusch, wie es ein über Bord fallender, schwerer Gegenstand verursacht.

Diesmal kommt der Schall direkt von dem Hinterteil des Schiffes, und zwar scheint der Körper über das Heck hinweg gefallen zu sein.

Ohne erst den Befehl dazu abzuwarten, stürzen sofort Bootsmannsmaat und Läufer nach hinten; ihnen voran hat jedoch schon Leutnant M. die Heckgräting, von welcher das Geräusch gekommen ist, erreicht.

Man leuchtet die ganze Raaling und das Achterdeck ab, das Tauwerk wird revidiert, der Bootsmannsmaat geht in die am Heck hängende Gig des ersten Offiziers, um nachzusehen, ob aus derselben vielleicht irgend etwas herausgefallen ist, ja, man hängt sogar die Laterne über Bord und läßt sie bis auf das Wasser hinab. Aber vergebens! Nicht das geringste fehlt, und das Wasser liegt so glatt wie ein Spiegel im Mondenschein. Einen Augenblick starren sich die Suchenden sprachlos an.

Der erste Offizier zieht die Uhr und blickt darauf nieder, es ist gerade zwölf Uhr fünfundvierzig Minuten. Also noch immer Geisterstunde!

Er will sich erheben, um auf die Brücke zu gehen, und da er just die Uhr wieder in die Tasche gleiten läßt, schnellt er jählings empor und eilt nach vorn. Vor ihm her stürmt bereits die Wache.

›Bootsmann der Wache! Wäscht man da vorn etwa Zeug?!‹ ruft er schon auf halbem Wege.

›Nein, Herr Kapitänleutnant, es ist niemand hier!‹ lautet die Antwort.

›Na, zum Kuckuck noch eins – was war denn das! Es ist doch eben hier Wasser ausgegossen worden?‹

›Und wie viel Wasser! Es schien, als ob eine See das ganze Deck überholte!‹ bestätigt Leutnant M., atemlos herzutretend.

›Gehört haben wir es auch – es klang schlimm; aber das ganze Deck ist trocken!‹

Es wird nach außen alles abgesucht und abgeleuchtet, ob vielleicht dort etwas wahrzunehmen sei; doch auch diesmal ist jedes Forschen vergeblich.

Nachdenklich und schweigsam schreiten die Offiziere wieder nach achtern, und dort angekommen, streicht sich der Kapitänleutnant langsam über die Stirn. ›M.,‹ sagt er ernst, ›sollte dies eine Ankündigung für den Krieg sein?‹

Daran anknüpfend, erörterten die Herren noch die gegenwärtige politische Lage in Europa, welche gerade damals einen sehr ernsten Charakter angenommen hatte. Das Gespräch drehte sich um die für die Marine vorhandenen Aussichten in einem etwaigen Kriege.

Unter diesen Gesprächen war es zwei Uhr geworden, und da sich nichts Außergewöhnliches und Auffälliges mehr gezeigt hatte, ging der erste Offizier unter Deck.

Am folgenden Tage bildeten die rätselhaften Vorgänge der letzten Nacht das Gespräch der ganzen Schiffsbesatzung.

Da der Dienst eine Langeweile nicht aufkommen und ebensowenig Zeit zu Grübeleien übrig ließ, so geriet bald die ganze Sache in Vergessenheit. –

Etwa acht Tage später fand das gewöhnliche Segelexerzieren mit ›Alle Mann‹ statt, von dem ersten Offizier persönlich geleitet.

›Kai die Raaen!‹ erschallte das Kommando.

Die Ragen fliegen gleichmäßig in die Höhe und in ihre wagerechte Lage.

Da – ein Poltern, ein Sausen … ein furchtbarer Krach und gellender Schmerzensschrei! –

Die Vorbraamraa ist von ihrer Höhe herabgestürzt, an der Marsraa, dem Mars und der Unterraa vorbei, herniedergesaust, hat einem gerade darunter hindurchlaufenden Schiffsjungen das linke Bein aufgerissen und den Knöchel zerschmettert, hat hierauf das Oberdeck glatt durchgeschlagen und ist endlich in der Batterie stecken geblieben.

Die ganze Mannschaft steht einen Augenblick wie gelähmt vor Schrecken und Entsetzen.

Der erste Offizier stürmt von der Kommandobrücke herab und läßt den Schwerverwundeten in das Lazarett bringen.

Da die Raa durch den Sturz nicht gelitten hat, wird sie wieder aufgebracht, das übrige Exercitium aber beendet.

Wie eine dumpfe, unheimliche Schwüle liegt es über dem Schiff. – ›Der Spuk hat es angezeigt! Was er wohl noch weiter bringen wird?‹ –

Im Laufe des Nachmittags trat dann ein Ereignis ein, welches alles übrige jählings in den Hintergrund drängte.

Der telegraphische Befehl traf ein, so schnell wie möglich nach den Bermuda-Inseln zu gehen, dort den Kohlenvorrat schleunigst zu ergänzen und weitere Befehle zu erwarten.

Das längst Gefürchtete war eingetroffen!

Jetzt war es ja so gut wie sicher, daß der Krieg in nächster Zeit seine blutige Fackel entzünden werde.

An demselben Nachmittag noch wurden Kohlen und Proviant bestellt und am nächsten Tag an Bord genommen. Am darauf folgenden Tag – einem Donnerstag, vormittags neun Uhr, verließen wir St. Thomas und erreichten nach neun Tagen wohlbehalten die Bermuda-Inseln.

Am Nachmittag ankerten wir, nahmen während der Nacht Kohlen ein, und da schon bei der Ankunft der Befehl an Bord gekommen war, so schnell wie möglich wieder in See zu gehen und dort einen mitgekommenen Befehl zu erbrechen, so verließen wir schon am nächsten Morgen wieder den Hafen, der Ungewißheit entgegen zu dampfen.

Um zwölf Uhr machte der Kommandant bekannt, daß wir Befehl erhalten hätten, so schnell wie irgend möglich einen deutschen Hafen aufzusuchen, da voraussichtlich ein Krieg nicht mehr zu vermeiden sei.

Auch sollten wir uns klar halten, schon unterwegs von französischen Schiffen angegriffen zu werden.

Diese Arbeit nahm die nächsten beiden Tage vollauf in Anspruch, – dann konnten wir das Schiff als kriegsbereit betrachten.

So war der zwölfte Februar herangekommen, der achte Tag nach dem Unglücksfall im Hafen von St. Thomas.

Am Vormittag hatte die Instruktion stattgefunden, und jetzt, nach Beendigung derselben, war die Wache zum Segelkanten befohlen.

Als auch diese Arbeit gethan ist, wird noch das Deck gefegt, und sehnsüchtig erwarten die Schiffsjungen den Befehl zum Wegtreten, denn schon seit zehn Minuten ist ›Backen und Banken‹ gepfiffen, der schöne Befehl, das Essen in der Küche zu empfangen. Gleich muß es: ›Alle Mann – Mittag!‹ sein.

Um diesen Zeitpunkt – zwölf Uhr mittags – festzusetzen, sind schon der Navigationsoffizier, der Kapitänleutnant, Leutnant und Steuermann auf dem Heckgräting versammelt.

Der Steuermann hat sich zum Zwecke der Beobachtung rittlings auf die Raaling gesetzt und beobachtet so, das Instrument vor Augen, aufmerksam das langsame Steigen der Sonne.

›Achtung!‹ rufen beide Beobachter zum Zeichen und gleich darauf: ›Null!‹

In demselben Moment aber auch ein Schrei und dann der vielstimmige Schreckensruf: ›Mann über Bord!‹

Der Steuermann ist rücklings abgestürzt!

Leutnant R. ergreift – schnell wie der Gedanke – die neben ihm hängende Rettungsboje und wirft sie dem Sinkenden in das Wasser nach. Sie ist direkt auf die Stelle gefallen, wo soeben der Steuermann verschwunden ist, so daß er sie beim Hochkommen sofort ergreifen kann.

›Mann über Bord! Ruder hart Steuerbord! Ersten Kutter klar!‹ schallt das Kommando des wachthabenden Offiziers.

Voll fiebrischer Thätigkeit regen sich alle Hände. Wie elektrisiert stürzen gleich darauf Kommandant, Offiziere und Mannschaften an Deck. Schon in verhältnismäßig kurzer Zeit ist das Schiff durch ›Backbrassen‹ der hinteren Raaen zum Stillstand gebracht. Der Kutter gleitet in das Wasser hinab.

›Leutnant R., bringen Sie mir meinen braven Steuermann wieder!‹ ruft der Kommandant mit halberstickter Stimme dem Fahrzeug nach.

Dieses setzt vom Schiffe ab und nähert sich pfeilgeschwind der Stelle, an welcher die Boje schwimmt. So haben sich die Bootsleute noch nie – selbst beim Wettrudern nicht – in die Riemen gelegt!

Es gilt ein Menschenleben!

Bald hat das Boot die Boje erreicht, und jeder an Bord glaubt nun den Steuermann gerettet.

Doch was ist das?

Die ganze Besatzung beobachtet von Bord aus, wie die Boje – und noch ein anderer kleiner Gegenstand, welcher auf die Entfernung noch nicht zu erkennen ist, in den Kutter aufgenommen wird.

Der Steuermann ist es nicht!

Langsam fährt das Boot an der Unglücksstelle hin und her und scheint zu suchen.

Vergeblich!

Es muß zurückgerufen werden, die See fängt an unruhig zu werden.

Der Steuermann ist ertrunken!

Starr, wie gelähmt in Grausen und Schmerz, steht die Besatzung an Bord. –

›Am vierzehnten Tag – um die zwölfte Stunde!‹ murmelt es. – ›Der Seespuk! – Der Spuk hat's angezeigt!‹

Es ist etwas Furchtbares um solch einen Unglücksfall an Bord. – Wird dadurch doch ein jeder nur zu sehr daran erinnert, wie nahe allen der Tod jederzeit ist. Und nun gar unter den so unheimlichen, schwer lastenden eines durch unerklärlichen Spuk vorausgesagten Unheils! Der Kutter will kaum hochkommen, trotzdem – die ganze Mannschaft ihn hochzieht.

Die Mütze des allgemein beliebten und verehrten Kameraden ist alles, was er heimbringt. – Ernst und feierlich, wie nie zuvor, so will es jedem scheinen, tönt bald darauf das Läuten der Schiffsglocke zur Kirche.

Langsam senkt sich die Flagge auf Halbstock. Eine kurze, ergreifende Ansprache des Pfarrers und ein darauf folgendes Gebet für die Seele des Ertrunkenen, dessen Mutter vielleicht zur selben Stunde daheim den letzten Brief ihres Sohnes voll Stolz und Glück an die Lippen drückt. Und droben pfeift der Wind durch die Takelage, und ein geheimnisvolles Rollen und Rauschen geht durch die See. – –

Gar mancher Blick schweift wie in heimlicher Scheu zu den Masten und Raaen empor, als müsse dort ein bleicher Spukgeist sitzen, mit unheimlich triumphierendem Grinsen das Stundenglas in knöcherner Hand empor haltend.

Doch jetzt ist nicht Zeit, düsteren Ahnungen und Gedanken nachzuhängen.

Der See fängt schon an hohl zu gehen, und dort, die dunkle Wolkenbank, welche sich langsam, aber stetig über den ganzen Himmel ausbreitet, deutet an, daß bös Wetter im Anzug ist.

Es rollt und donnert in der Tiefe – just, als trüge ein weltfernes Echo den Kanonendonner herzu, welcher vielleicht schon daheim die Erde erzittern macht.

Sturm! – Sturm sowohl dort wie hier!

Da heißt es, Maßregeln treffen.

Um vier Uhr nachmittags ist alles so weit fertig, u es ist nicht zu früh gewesen.

Der Wind saust stärker daher – er beginnt die Wellenköpfe wie spritzenden Schaum vor sich herzufegen, und in der Takelage pfeift, heult und schrillt es bereits, wie wenn die Instrumente eines Orchesters gestimmt werden, ehe sie in voller Wucht ihre Melodien erbrausen lassen.

Sturm! – Dort fliegt er heran mit blauschwarzen Fittichen! Sein zerfetzter Mantel flattert über den Himmel und hüllt ihn in Nacht.

Mit kochendem Atem fegt er die Luft, und die wilden Geister, welche ihn in entfesselten Horden begleiten, peitschen das Meer, daß es wild aufbäumt wie in Schmerz und Wut!

Nach kaum einer Stunde umtobt uns ein regelrechter, und nicht umsonst so sehr gefürchteter Februarsturm.

Der Nordatlantic scheint uns zeigen zu wollen, wie überwältigend groß die Mächte der Natur, wie jammervoll klein und hilflos der Mensch, die Krone der Schöpfung, gegen ihn, den Riesen, ist!

Da es nach Sonnenuntergang nicht schlechter geworden war, so erhielt um acht Uhr die Freiwache Hängematten und ging schlafen, während die Wache an Deck blieb, um jederzeit zur Verfügung zu sein.

Um zehn Minuten vor zwölf Uhr auf und ablösen.

Wie das heult und tobt! Wie die ›Naxos‹ in allen Fugen stöhnt und ächzt, wie die See brüllt und mit betäubendem Getöse daher donnert!

Da wachen selbst die Verschlafensten auf – ist doch ein Liegen in den Hängematten kaum noch möglich.

Da – es muß kurz vor Mitternacht sein –

›Alle Mann auf! Klar zum Manöver!‹

Es braucht nicht erst gepfiffen zu werden.

In wilder Hast stürzt die Freiwache, nur mit dem Unterzeug bekleidet, an Deck.

Was nicht aus den Hängematten gesprungen, ist wüst herausgeschleudert worden.

Eine ganz plötzlich und unerwartet einsetzende Bö hat das Schiff soweit zurückgelegt, daß es vorne bis an die Raaling im Wasser liegt, und nun stürzen die Seen wildbrausend, schäumend und donnernd über Deck.

Das ist ein Augenblick, in welchem selbst dem Unerschrockensten der Herzschlag stockt.

Wenn nicht gelingt, die Fock, welche das Schiff vorne immer mehr herunterdrückt, so schnell wie möglich zu bergen, dann ist das Schiff verloren.

Ein kurzer – harter – verzweifelter Kampf um Tod und Leben – ein wildes Ringen mit Sturm und See, welche sich ihr Opfer nicht so leicht entreißen lassen wollen, ein Stoßgebet aus jedem angstgefolterten Menschenherzen – und es gelingt, das Segel zu gaien!

Das Schiff ist von seiner größten Last befreit; langsam, stöhnend und in jeder Holzfaser erzitternd, richtet es sich wieder auf.

Die Gefahr ist für den Augenblick überwunden. Zwar arbeitet die ›Naxos‹ noch heftig und nimmt, wenn sie vorn in See einsetzt, große Mengen Wasser über, aber die eigentliche, verderbendrohende Lage ist überstanden, die ›Naxos‹ und ihre Besatzung ist für den Augenblick gerettet!

Was weiter kommen wird, weiß Gott der Herr allein!

Welch eine Mitternachtsstunde auf hoher See!

Das Gewölk jagt am Himmel wie dräuende Riesenleiber, welche zermalmend auf das Gebild von Menschenhand niederzubrechen drohen, das gleich einer Nußschale von schäumenden Wogenbergen umhergeschleudert wird.

Schwarze Massen türmen sich vor- und seitwärts von uns auf, um unter donnerähnlichem Rollen, den Gischt hoch über die Maste sprühend, vorüberzubrausen.

Wie in gähnende Tiefen hinab schießt die ›Naxos‹, um sich im nächsten Augenblick schon senkrecht auf neuen Wogen zu heben.

Und dazu eine Musik, als ob alle bösen Geister eine wilde Orgie feierten, als ob die Hölle ihre gellendsten Töne und Klänge entfesselt hätte, um den rasenden Wirbeltanz ihrer Dämone zu begleiten!

Welch eine Mitternachtsstunde!

Zähneklappernd geht es wieder nach unten. Ein Schluck ›Kräftiger‹ muß vorerst die Magen wärmen, bis es dem Koch nach vieler Mühe gelingt, ein warmes Getränk zu stande zu bringen, welches er unter dem stolzen Namen ›Kaffee‹ verabreicht. – Seltsamer Mokka! Er schmeckt so bitter salzig, als habe der Kessel alle Seen, welche über Deck gekommen sind, in sich aufgefangen. – Aber was thut's! – Das Getränk ist warm, und das ist eine Tugend, welche in dieser Sturmnacht gar nicht hoch genug angerechnet werden kann!

Man trinkt damit voll jubelnden Herzens der aufsteigenden Sonne zu!

Gegen Mittag hat sich der Sturm so weit gelegt, daß kein Wasser mehr an Deck kommt, und gegen Abend können sogar mehr Segel gesetzt werden, um den Wind‚ welcher etwas mehr herumgegangen ist, besser zum Vorwärtskommen auszunutzen.

Pfeilschnell fliegt die schwergeprüfte ›Naxos‹ der Heimat zu.

Erst hier im Hafen, wo die Mannschaft endlich wieder zur Ruhe kam, wurden die Vorgänge der letzten drei Wochen eingehender besprochen. Die drei unerklärlichen, gespenstischen Vorgänge in der Nacht von St. Thomas bildeten das Hauptinteresse.

Fraglos standen dieselben in prophetischem Zusammenhang mit den nachfolgenden Ereignissen.

Das zuerst vernommene Geräusch bedeutete wohl das Herabstürzen der Bramraa mit dem dadurch entstandenen Unglück; der über Bord fallende, schwere Gegenstand kündete den Tod des Steuermanns an, und das letzte Geräusch, das scheinbar über Deck strömende Wasser, sagte die für das ganze Schiff so verhängnisvolle Sturmnacht voraus!

War diese Annahme richtig oder nicht?

Tiefer und tiefer dringt der Menschengeist in die Geheimnisse und Wunder der Natur ein. Ob es ihm je möglich sein wird, das irdische Auge derart zu schärfen, daß es die Zwischenwelt zu schauen vermag, welche uns rätselhaft und ahnungsvoll umgibt?

Auch die Stunde wird vielleicht noch schlagen, welche jene geheime Kraft enthüllt, die den Schlüssel zur Thür einer Geisterwelt öffnet.« – –

 

Es war still, sehr still an Bord. – Die Dämmerung hauchte graue Schleier über die leise wogende See, und die schwarze Wolkenwand stieg höher und höher am Himmel empor: wie verlöschende Feuersglut sanken die purpurnen Sonnenlichter am Horizont in Nacht.

Drüben von Zoppot strahlten die Lichter auf, die Menschenmenge wogte bereits auf dem Seesteg, das bald beginnende Abendkonzert zu erwarten.

Wir saßen einen Augenblick nachdenklich, in tiefem Sinnen.

Die Gemahlin eines höheren Offiziers hob das Haupt und reichte Leutnant B. die Hand.

»Ich danke Ihnen in aller Namen für Ihre so außergewöhnliche und interessante Erzählung! Ich bin aber trotz meiner grauen Haare noch wie ehemals als Baby, wo ich bei jeder Geschichte auf Ehre und Gewissen fragte: Ist sie auch wirklich wahr

Leutnant B. küßte respektvoll die schmale Rechte.

»Sie ist ganz gewißlich wahr, Excellenz!« sagte er ernst. »Ich habe die Vorgänge ohne jede Ausschmückung genau so erzählt, wie ich sie erlebt habe. Ihnen eine spukhafte Deutung zu geben, überlasse ich dem Ermessen und Gutdünken jedes Einzelnen, welcher sie hört!«

»Gewiß ist es ein Spuk gewesen, Tante!« rief die reizende, kleine Blondine mit glühenden Wangen! »Warum soll man Dinge ableugnen, welche durch Gegenbeweise nicht entkräftet werden können! – Hat nicht Leutnant L. soeben vor unser aller Augen einen Spuk erlebt?«

»Eine Spiegelung! Irgend ein Lichtreflex, welcher die Täuschung hervorrief!«

»Erkannten Sie denn das Gesicht, Leutnant L.?« forschten die jungen Damen ernsthaft.

Der Gefragte zuckte die Achseln. Er saß noch immer schweigsam über sein Glas geneigt, und sein so lebensprühend heiteres Gesicht blickte seltsam verändert drein.

Dann hob er jäh das Haupt: »Es kam alles so plötzlich, ich war so überrascht, meine Damen – wohl möglich, daß alles nur eine Hallucination war! – Wie schön der Abend heute! Über uns strahlen noch Sterne. Freuen wir uns ihrer, ehe die Wetterwolken sie verschlingen! Ah – und Musik! Drüben von dem Badesteg! – ›O du Jugendzeit, o du goldene Zeit – o Jugend, wie bist du so schön!!‹« –

Er sang die Worte laut mit, reichte sein Glas zum Füllen und war plötzlich wie ausgewechselt, vergnügt und übermütig heiter wie zuvor: »Wie freue ich mich darauf, heute abend noch zu tanzen!« lachte er.

Die älteren Damen erhoben sich. »Sie mahnen an die Reunion, Leutnant L., und erinnern uns, daß es höchste Zeit ist, an die Rückfahrt zu denken! Die Herren schließen sich uns sogleich an?«

»Was dienstfrei ist, gibt sich die Ehre, Excellenz, die Herrschaften an Land zu bringen!«

»Vortrefflich!«

»Kantine! – Aufpassen!«

»Wasserdroschke vor!«

Ein fröhliches, heiteres Durcheinander.

Frischer Wind blies um unsere Stirnen, von dem Badesteg herüber jubelte ein Walzer – – die Gespenstergeschichten von St. Thomas und der Seespuk des Leutnants L. waren vergessen. Wir besuchten die Réunion und amüsierten uns herrlich.

Die Jugend tanzte so flott wie nie, und am unersättlichsten dabei war Leutnant L. Alles war Leben, Heiterkeit, Frische und Freude an ihm.

Sein Gesicht glühte, er stürzte lachend den perlenden Sekt hinab und stürmte weiter im Tanz.

»Ich habe ja nur bis zwölf Uhr Zeit, meine Damen!« sagte er, »der Kapitänleutnant hat mich ja heute perfiderweise mit der Hundewache beehrt!«

Und um zwölf Uhr verabschiedet er sich.

Er geht so ungern – es wird ihm so schwer, sich loszureißen. E

Namentlich ein kleines Händchen küßt er wieder und immer wieder.

»Wenn Sie wirklich eifersüchtig auf die schöne Seejungfrau wären, Fräulein Lilly, würde ich ja toll vor Glück!«

Sie errötet und wendet Gesichtchen ab: »Ich hasse die abscheuliche Nixe, welche Ihnen erschienen ist!« – sagte sie leise, halb schmollend, halb neckisch.

Er neigt sich tiefer, er flüstert ihr noch etwas – seine Augen leuchten wie berauscht.

Dann muß er scheiden, – er muß es! –

Flott und siegesfroh wie ein junger Kriegsgott schreitet er durch den Saal, wendet sich noch einmal zurück und umfaßt mit langem Blick die schlanke Gestalt in dem duftigen, weißen Spitzenkleid.

Ein letzter Gruß. – Er geht.

Man tanzt und lacht und amüsiert sich weiter. Eine halbe Stunde vergeht. Da entsteht eine jähe, ungewohnte Bewegung unter den Seekadetten und Offizieren, welche der Thür am nächsten stehen.

Eine tiefe Bestürzung, ein Ausdruck des Entsetzens ist in allen Gesichtern.

Man ruft nach den Offizieren von Seiner Majestät Schiff B.

»Um des Himmels Willen, was ist passiert?« –

Ohne rechts und links zu blicken, stürmen sie davon.

Ein angstvolles Fragen und Forschen.

Lilly steht totenbleich und preßt die zitternde Hand gegen das Herz.

»Ein Offizier ist verunglückt! – ertrunken!!«

Allmächtiger Gott – wer?!« –

»Leutnant L., welcher eben noch hier tanzte!«

»Wie ist das möglich? Wie ist das gekommen?«

»Er hat sich wohl etwas verspätet – hat in der Eile, beim Aussteigen aus dem Boot, die Schiffstreppe verfehlt und ist in die See gestürzt?«

»Und keine Hilfe zur Stelle?«

»Gewiß – genug! Die Bemannung des Kutters ist ihm unverzüglich zu Hilfe gekommen, aber der Unglückliche ist anscheinend gar nicht mehr hochgekommen. Er war so erhitzt vom Tanzen und vom Wein – ein Herzschlag muß ihn sofort getötet haben.«

Und wieder eine jähe Bewegung unter den Gästen.

Im Nebenzimmer ist eine junge Dame ohnmächtig geworden.

Sie hat wohl zuviel getanzt; armes Fräulein Lilly! Der Arzt hatte es ihr streng verboten, sie soll sehr herzleidend sein! – Ein so bildhübsches, allerliebstes Mädchen!

Ein Wagen wird geholt. Ich sitze auf dem Sofa und halte die Bewußtlose, deren Köpfchen wie eine bleiche, welkende Rose an meiner Brust ruht.

Da schlägt sie die Augen auf. – Ein herzzerreißender Blick trifft mich. »Ich habe es geahnt … die andere im Wasser drunten … die hat ihn geholt … die hält ihn nun im Arm … der Seespuk … o ich glaube an ihn … er bedeutete seinen Tod ……«

»Sie fiebert! – Sie phantasiert!« flüstert ihr Vater mir entsetzt zu.

Ich kann nicht sprechen, ich schüttle nur den Kopf, und meine Thränen fallen auf die Blüten, welche geknickt und entblättert an ihrer Brust welken – seine letzte Liebesgabe! –

Erst nach zwei Tagen konnte man die Leiche des unglücklichen jungen Offiziers bergen.

Selten ist größere Teilnahme bewiesen worden, als bei seinem Begräbnis. –

Die Blumen verdeckten sein Grab. –

Von dem Seespuk sprach niemand, nur die Mutter des Toten erfuhr davon.

Wir anderen aber, die wir das Seltsame miterlebten, haben oft mit sinnend ernsten Augen hinaus auf die blauwogende Unendlichkeit des Meeres geblickt, in stummer Frage, auf welche niemals eine Antwort werden wird.



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