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Ein altes, schauerlich unheimliches Haus war es, man sah es ihm schon von außen an, daß es darin auf keinen Fall geheuer sein konnte!
Und dennoch hatte der junge Hauptmann Neubert die erste Etage gemietet, um nach vierwöchentlicher Hochzeitsreise mit seiner angebeteten Valeska schnurstracks hinein zu ziehen!
War so etwas zu glauben?
Man schüttelte in dem kleinen Städtchen genugsam die Köpfe darüber und prophezeite dem leichtsinnigen Pärchen die ungeheuerlichsten Unglücksfalle, und es gab für Wochen kein anziehenderes Gesprächsthema in Schiefwinkel, als das Spukhaus und seine künftigen Bewohner.
»Ja, wohin sollten Neuberts aber ziehen?« fragte wohl hie und da eine phlegmatisch beanlagte Natur, »es war doch in der ganzen Stadt zurzeit keine andere Wohnung zu haben, außer in der neuen Villa, welche so horrend teuer ist!«
»Ja, gewiß, der Herr Bauunternehmer rechnete mit den Verhältnissen! Außer dem Spukhaus keine Konkurrenz, – nun, da fordert er eben Berliner Preise!«
«Um so schneidiger von Neubert und seiner jungen Frau, sich von dem Halsabschneider nicht gegen die Wand drücken zu lassen, sondern kühn und eigenwillig in der Roßstraße zu mieten! Haha! die Überraschung mag für den Herrn Spekulanten keine allzu angenehme gewesen sein!«
Während dessen war das Spukhaus für seine neuen Mieter hergerichtet.
Es war ein langgestrecktes, altmodisches Gebäude von Fachwerk, mit großer, rundgewölbter Torfahrt, mächtigen, saalartigen Korridoren und großen, aber sehr niedrigen Zimmern.
Frisch tapeziert machten dieselben aber doch einen ganz freundlichen Eindruck, und auch die uraltmodischen Öfen, welche bedenklich an hohe Grabmäler mit Aschurnen erinnerten – Neubert hatte scherzweise die Ofenreihe in der Flucht der Vorderzimmer die » via Appia« genannt –, hatten mit dem gemütlich prasselnden Feuer in ihren weitbauchigen Höhlen gar nichts so Unheimliches mehr!
Die Dienstboten waren von vornherein mit Rücksicht auf das Spukhaus gemietet. Eine robuste Köchin hatte hohnlächelnd die blauroten Fäuste in die Seite gestemmt und den Kopf geschüttelt.
»Nee, Herr Hauptmann, – förchten thu' ich mir nich. Lassen Se man den Deiwel kommen – ich werd' ihm schon 'rausbekomplementieren!«
Davon schien der junge Ehegatte überzeugt, ja es beschlich ihn ein unheimliches Gefühl bei dem Gedanken, daß der Teufel – oder ein anderer, mal mit dieser Schönen Händel bekommen könnte, – – aber vorläufig mußte er froh sein, die Geisterverächterin ihren Einzug in die alte Kurie halten zu sehen.
Das Stubenmädchen beteuerte ebenfalls seine vollständige Furchtlosigkeit. Man hatte allerdings lange suchen müssen, bis man diese Perle gefunden, denn die meisten Bewerberinnen waren sehr nervös und bei dem Gedanken an das Spukhaus derart alteriert gewesen, daß Valeska sowohl wie Neubert von vornherein von einem bindenden Wort und gütlichem Zureden absahen.
Der Bursche war wohl zu indifferent, um sich zu fürchten. Er glich mehr dem Hans im Märchenbuch, welcher gern das Gruseln lernen wollte und für sein Leben gern der interessanten Thatsache nachgeforscht hätte, ob der Teufel wirklich mit Schwanz und Pferdefuß die Herzen der Frommen schrecke!
Auch war ihm der Gedanke nicht gleichgültig, daß in dem Spukhaus fraglos ein großer Schatz verborgen liege, denn wie er aus glaubhaften Überlieferungen wußte, behüteten die Poltergeister zumeist vergrabene Goldtöpfe, und daß die alten Domherren, welche ehemals, als die jetzige Kaserne noch Kloster gewesen, – hier im Hause gewohnt hatten, einen ansehnlichen Batzen in den Strumpf gespart haben mußten, davon war er überzeugt.
Jochen Kasbohm ersehnte demzufolge aus recht egoistischen Gründen den Einzug in das Spukhaus und verließ sich fröhlich grinsend auf seine beiden gewaltigen Fäuste, welche mit dem Gelichter ohne Fleisch und Blut schon »kurze fünfzehn« machen sollten!
Und der denkwürdige Tag kam, wo die Möbelwagen vor dem Spukhaus standen und Jochen Kasbohm mit martialischem Gesicht über die Schwelle schritt, nunmehr offiziell von der neuen »Hüsung« Besitz zu ergreifen.
Die junge Schwiegermama des Herrn Hauptmann richtete das Nestchen für die Kinder ein, und als sie und die heldenhaften Küchengrazien so mutig treppauf, treppab liefen, Tapezierer und Tischler emsig hantierten und auch Männe, der sonst so »merk'sche« Teckel, ohne gesträubte Haare sogar in der Dämmerung das Haus durchwanderte, deuchte es jedermann recht wohnlich und gemütlich und so gar nicht das, was man für gewöhnlich unter einem Spukhaus versteht.
Jochen Kasbohm erfreute sich für gewöhnlich eines Schlafes, für welchen hundert Kanonenschläge nur ein zartes Wiegenliedlein bedeutet hätten, – in der ersten Nacht jedoch, welche er unter dem Dach der alten Kurie verbrachte, schlief er entschieden unruhig. Unbekannte Ursachen ließen ihn zeitweise nervös zusammenschrecken, er glaubte schlaftrunken einen feinen stechenden Schmerz an etlichen Gliedmaßen zu empfinden.
Waren es die Höllengeister, welche ihn zwickten? Um so besser, so lag der Schatz hier oben verborgen. Voll freudiger Genugtuung schnarchte er weiter.
Am nächsten Morgen erlebte er aber die Enttäuschung, daß er nur fünf Mäuseleben ein gewaltsames Ende bereitet hatte.
Platt gewalzt lagen sie unter ihm, und Jochen entnahm dem Anblick ihrer Leichen die Lehre, daß es nicht ratsam sei, den Bettstrohsack auf dem Heuboden eines Spukhauses zu füllen.
Das junge Paar machte eine mehrwöchentliche Hochzeitsreise, und während dieser Zeit hatten die dienstbaren Geister den jungen Hausstand zu hüten.
In tiefem, ungestörtem Frieden lebten sie dahin, und so sehr es der ungeduldige Jochen auch durch allerhand kühne Herausforderungen darauf ablegte, die Spukgeister zu reizen und ihr Erscheinen zu erzwingen, es ereignete sich doch nichts Außergewöhnliches, nicht einmal nachts um zwölf Uhr fielen Totengebeine im Kamin herab, keine Katze mit feurigen Augen schlich umher, kein alter Domherr schritt mit rasselndem Schlüsselbund zum Weinkeller nieder, – nichts, – gar nichts, was Jochen auch nur im mindesten imponiert hätte.
»Ein ganz gemeines, gewöhnliches Haus, wie alle anderen Häuser auch!« – zuckte er verächtlich die Achseln und fing schon allmählich an, seinen schönen Traum von gefüllten Goldtöpfen zu Grabe zu legen.
Eines Abends hatten sie noch spät in der Küche gesessen und die Empfangsfeierlichkeiten für die junge Herrschaft besprochen.
Die »Damen« strickten und tranken Kaffee, – Herr Jochen führte seinen Seidel »Hiesiges« zu Munde und rauchte dicke Wolken »Hamburger Reiterlein«.
Es war so recht gemütlich, »und niemand dachte Böses nicht« – am wenigsten an die bleichen Geister, welche in diesem Hause umgehen sollten.
Da – ein Schlag, ein dumpfes Poltern – fernher und gedämpft, als käme es aus dem Keller.
Jochen saß sofort kerzengerade und legte tief aufatmend die Pfeife auf den Tisch. »Endlich – hei kümmt!«
»Ick will 'em wat!« – sagte Miene, kniff resolut die Lippen zusammen und schob die Kaffeetasse weit von sich, als wolle sie in diesem Augenblick alles verächtlich ablehnen, was auf menschliche Schwäche hätte gedeutet werden können. – Und das Stubenmädchen faßte stumm, aber energisch die Lampe.
Noch einmal poltert's – und dann ein seltsames Getön, wie ein Klageschrei.
»Nun man los! – merkt euch genau die Stelle, wo ihr das Spukeviech seht!« flüsterte Jochen mit funkelnden, goldlüsternen Äuglein, griff nach dem Seitengewehr, welches an der Wand hing, und die drei mutigen Hüter des Hauses schritten die Treppe hinab.
Ja, der Spektakel war im Keller.
Klirren, Poltern – Rascheln – und dann, als sich die dröhnenden Schritte des Kleeblatts näherten, alles still. – Kreischend sprang der Schlüssel herum.
»Huhuhu –« fuhr ein Windstoß durch das offene Kellerfenster, so daß Anna mit der Lampe hinter die Tür flüchtete, um sie vor dem Verlöschen zu bewahren – und dann schien es allen dreien, als huschten ein paar dunkle Schatten und ein helles Etwas eilends durch die zerbrochene Scheibe zurück.
»Katzen!« ballte Miene ingrimmig die Faust, »Katzen!« schrie Jochen wütend und nannte mit unheimlicher Geschwindigkeit alle Kosenamen, welche er auf dem Kasernenhof erlauscht.
»Katzen!« lachte auch Anna mit dumpfer Stimme, und dann besichtigte man die zerschlagene Scheibe und begab sich sehr enttäuscht auf den Rückmarsch.
Die Mädchen tranken, in grüblerisches Sinnen verloren, ihren Kaffee, – Jochen, schweigsam und bitter enttäuscht, sein Bier aus.
Seit jenem Abend spukte gar nichts mehr, nicht einmal die Katzen, denn die Scheibe war erneuert.
Das junge Ehepaar traf ein, – ein munteres und vergnügliches Leben entwickelte sich in dem ehedem so stillen Spukhaus, und die Leute, welche darin zu verkehren hatten, und die Herrschaften, welche Gegenvisiten machten, begriffen gar nicht, wie man diese wunderschöne Wohnung lange Jahre hindurch unbenutzt hatte leer stehen lassen, – sie sah so gemütlich und harmlos aus, daß keinem Menschen in den Sinn gekommen wäre, auf diesen hell erleuchteten Korridoren, in diesen elegant eingerichteten Räumen den bleichen Geistern längst verstorbener Domherren zu begegnen. Der Besitzer der neuerbauten Villa, welcher so sehr hohe Miete für dieselbe forderte, ging mit langem Gesicht und unheimlich grollender Miene umher.
Tag und Nacht ließ es ihm keine Ruhe, daß ihm nun in dem infamen Spukhaus eine geradezu mordende Konkurrenz erwachsen sei, welche unberechenbare Folgen für ihn haben konnte.
Was sollte er beginnen, wenn seine Villa nicht vermietet ward, wenn seine Spekulation fehlgeschlagen war?
Wer sollte in diesem kleinen Landstädtchen, in welchem alle Honorationen die eigenen Häuser bewohnten, eine solch elegante Wohnung mieten? Nur die Herren Offiziere kamen da in Betracht, und wenn diese nun für wenig Geld in dem Spukhaus mieten konnten, ja wenn Zeiten kamen, wo Major und Hauptleute unverheiratet waren – – o – dieser Gedanke war ja zum Haare ausraufen!
Der Herr Maurermeister Plussow verzehrte sich in Sorgen, und wenn er sich nachts auf dem Lager herumwarf oder tagsüber mit blassem, verstörtem Gesicht stundenlang entlegene Pfade wandelte – dann zerbrach er sich den Kopf, wie er wohl den Ruin von seinem Hause abwenden könne.
Die alte Kurie begann er zu hassen, – glühend, rachsüchtig, – unversöhnlich.
Warum spukt es plötzlich nicht mehr in dem alten Rumpelkasten?
Solange er zurückdenken kann, erzählt man sich die gruseligsten Geschichten von den ruhelosen Domherren, von dem Poltern, Stöhnen, Seufzen, Ächzen, Klopfen, Pochen in dem Spukhaus, – kein Mensch hielt es aus, darin zu wohnen, – und nun mit einmal ist alles still und ruhig, und Hauptmanns können die reizende Wohnung nicht genug loben und versichern, daß aller Spuk nur dumme Klatschgeschichten seien!
Man hat wirklich in der ganzen Stadt den Glauben daran verloren, – ja, in der vergangenen Nacht sind die Jungens über den Gartenzaun geklettert und haben Äpfel gestohlen! – Im Garten des Spukhauses! um welches groß und klein sonst bei hellstem Sonnenschein einen großen Umweg machte.
Wie soll das enden! – Was für eine Existenzberechtigung hat ein Spukhaus, in welchem es nicht spukt?
Herr Plussow wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Er war ein Spieler geworden und sagte: va banque!
Mit sinnender, unheimlich grübelnder Miene schritt er nun etliche Tage lang umher, und als er sich nach der dritten durchwachten Nacht von dem zerwühlten Federbett erhob, sah er verändert aus! Er lächelte, – ein teuflisches, schadenfrohes Lächeln, und auf seinen bartlosen Zügen lag ein fremder Ausdruck, – kühne Entschlossenheit, eiserner Trotz, derselbe Zug von Unerbittlichkeit, welcher sich auf des großen Cäsar Antlitz spiegelte, ehe er den Rubicon überschritt und dachte: » il faut corriger la fortune!« Das französische » corriger la fortune« bedeutet zwar wörtlich »das Glück korrigieren«, ist jedoch eine euphemistische Umschreibung für »Falschspielen«. – D.Hg. natürlich in lateinischer Übersetzung!!
Während dessen lebte das junge Ehepaar Neubert in ahnungsloser Glückseligkeit in dem spuklosen Spukhaus dahin.
Sie hatten sich so recht aus übergroßer Liebe geheiratet, hatten vier Jahre lang sehnsüchtig auf den »Hauptmann« gewartet und kamen sich nun, nach endlicher Erfüllung all ihrer Wünsche und Hoffnungen, wie im siebenten Himmel vor.
Das Glück macht jung und übermütig, und Frau Valeska, welche stets den Schelm im Nacken gehabt und nichts lieber tat, wie ihren verliebten Gatten ein wenig zu necken, neigte das Köpfchen selig lächelnd auf die Stickerei nieder und schaute verstohlen die Straße hinab, den Herrlichsten von allen rechtzeitig zu erblicken.
Heute wollte sie ihm einen ganz besonderen Streich spielen, auf welchen sie sich schon seit langem freute.
Es gehörte nämlich zu den Gewohnheiten des zärtlichen Gatten, bei jedesmaliger Heimkehr eine außerordentlich besorgte Sehnsucht an den Tag zu legen.
»Wo ist meine Frau?« war die erste Frage, wenn sich die Haustür vor ihm knapp in den Angeln drehte.
»Oben, Herr Hauptmann!«
Er stürmt die Treppe empor.
»Wo ist meine Frau?« klingt es jedem entgegen, der ihm unterwegs auf dieser Treppe oder dem Flur begegnet, und wenn er in das Vorzimmer tritt, erschallt sein kräftiges Organ: »Vally! – Schatz! Liebchen – wo bist du?«
»Aber Männchen, es sieht wirklich aus, als ob du mir die leichtsinnigsten Fluchtgedanken zutraust!« – lachte Frau Valeska neckisch; »ich glaube wirklich, du hast Angst, ich reiße dir aus!«
»Na wer weiß!« scherzte er; »ach wie so trügerisch sind doch die Weiberherzen!« »O wie so trügerisch sind Weiberherzen« lautete die deutsche Übersetzung der Kanzone » La donna è mobile« des Herzogs von Mantua aus dem dritten Akt von Giuseppe Verdis Oper »Rigoletto« (1851). Die deutsche Übersetzung des Librettos stammt von Johann Christoph Grünbaum (1853). - Bevor man in unserer Zeit hierzulande begann, fremdsprachige Opern stets in der Originalsprache aufzuführen, waren den Opernliebhabern die berühmten Arien nur in der deutschen Übersetzung bekannt. – D.Hg.
Und am nächsten Mittag hallte es abermals durch das Haus –: »Wo ist meine Frau?!!«
»Guckguck! hier! …« antwortete es fernher – und der Herr Hauptmann stürmte durch das ganze Haus, immer dem neckenden Silberstimmchen nach, bis er seine atemlose kleine Gattin hoch oben auf dem Boden endlich einholte und ihr den losen Schelmenmund mit Küssen verschloß. Aber gebessert hatte er sich trotzdem nicht, und als Frau Vally andern Morgens in der Küche stand und das Rätsel eines Leberpuddings eigenhändig zu lösen versuchte, da hörte sie die klirrenden Schritte ihres Haustyrannen, welcher vom Exerzieren heimkehrte, und seine erste Frage schallte durch den gewölbten Korridor: »Wo ist meine Frau?«
Da beschloß die Vielgesuchte ihren Hans einmal so grausam zappeln zu lassen wie einen Maikäfer am Zwirnsfaden!
Und jetzt saß sie am Eckfenster und forschte emsig, ob sich die hohe Gestalt noch immer nicht erblicken ließe!
Es war Herbst, – die Tage kurz und das Wetter besonders unfreundlich.
Der Wind pfiff durch die beinah kahlen Baumwipfel, fing sich an Giebel und Ecken des Hauses und heulte wie ein ungezogenes Kind, welches im tollen Spiel die Nase an die Tischkante stößt.
Regentropfen klatschten schwer gegen die Scheiben und überzogen die großen Pflastersteine mit feuchtglänzender Politur, – graue Schatten senkten sich tiefer und finsterer herab, als habe der Himmel seine düstern Wolken auf die Welt herabgeworfen.
Frau Vally fürchtete sich nicht, im Gegenteil. sie fand ihr Wohnzimmerchen mit dem rotleuchtenden neuen Amerikaner Ein damals moderner Ofen-Typ, der ganz aus Gusseisen bestand und verhältnismäßig wenig Raum einnahm., dessen heißer Rachen heute zum ersten Male gefüttert wurde, – und mit dem schmucken Kaffeetisch, auf welchem der Kessel über der Spiritusflamme sang und auf dessen Mitte der letzte Asternstrauß prangte, ungeheuer behaglich!
Und da – ganz fern an der Straßenecke – da taucht seine vom Mantel umflatterte Gestalt aus den Dämmerschleiern auf, neben ihm einer der nahewohnenden Kameraden – und vergnüglich kichernd springt die junge Frau auf und stürmt auf leisen Sohlen zur Tür.
Heute soll er sich anstrengen und seine Frau suchen!! – Heute soll er einmal in dem Gedanken zittern, seine Gattin habe sich von dem schönsten aller Türken, einem Großvezir mit sieben Roßschweifen entführen lassen!
Auf dem Flur hat Frau Vally einen entzückenden Wandschrank entdeckt, von dessen Existenz man im Hause keine Ahnung zu haben scheint, denn noch machte sie niemand auf dieses praktische Ding aufmerksam. Es ist genau mit der Tapete der Wand bekleidet, und nur das kleine Schlüsselloch verriet durch einen Zufall die Tür.
Ja, solch alte Häuser! sie sind praktischer oft als die neuen!
Frau Vally huscht mit freudeheißen Wangen zu dem Schrank, welcher sich nahe der Korridortür auf dem sehr großen, gewölbten Vorflur befindet, schließt auf, huscht hinein und zieht die Tür zu. – Es riecht recht moderig und fatal in dem seit langen Jahren nicht gelüfteten Kasten, aber gleichviel, – es handelt sich ja nur um ein kurzes Versteckspielen!
Kaum, daß die junge Frau sich verborgen, tönt auch schon die Korridorklingel. Ei, ei! der Herr Hauptmann muß Sturm gelaufen sein, – ach, die böse Eifersucht!!
Jochen naht und öffnet. Eine fremde Stimme fragt nach dem gnädigen Herrn.
»Ist noch im Dienst.«
»Kann ich auf ihn warten?«
»Wenn Sie Zeit haben, gewiß, Herr Plussow!«
Schritte treten näher Jochen weist auf einen Stuhl und entfernt sich.
Wie fatal! Frau Vally steht regungslos. Hoffentlich erlöst sie Hans recht bald aus dieser Situation.
Währenddessen tritt Herr Plussow mit schnellen, leisen Schritten in die Mitte des Flurs.
Er sieht sehr bleich, aber furchtbar entschlossen aus.
Es muß geschehen! Es muß in dem Spukhaus wieder spuken, soll er nicht bankerott machen, und darum hat der Maurermeister einen kühnen, frivolen, sündhaften Plan gefaßt. Er selber will einen Spuk in Szene setzen, aber dazu muß er genaue Ortskenntnis besitzen, er muß sich im ganzen Haus orientieren und alle Fenster und Türen mit voller Sicherheit kennen. Heute kam er zum ersten Male, um den Korridor »auszubaldowern«! Er wird öfters zum Herrn Hauptmann kommen, in Angelegenheit eines Neffen, welcher gern hier freiwillig dienen möchte.
Mit scharfem Blick überfliegt Herr Plussow den unheimlichen, altertümlichen Flur. Der Wind schrillt und heult im Rauchfang – es ist dunkel. Ein paar schlaflose Nächte machen nervös, Herr Plussow findet es recht unbehaglich hier, aber die Aufregung reißt ihn fort. Dort eine Tür … hier die Treppe … da …
Ein seltsames, zischendes, schnaufendes Geräusch hinter ihm.
Der Maurermeister zuckt zusammen und fährt herum. Nichts zu sehen, nur die leere Wand. Aber es klang, als ob jemand sich das Niesen verkneifen will und doch heimlich losplatzt.
Herr Plussow tritt näher an die Wand.
Also hier die Treppe und jene Tür dort …
Er denkt nicht weiter, ein eisiges Grausen fliegt ihm durch die Glieder. Er hört ganz in seiner Nähe tiefe, schwere Atemzüge – –
Und doch ist er allein!
Sein verstörter Blick fliegt hin und her, es wird ihm so schwach auf den Füßen … er lehnt sich mit angstvoll großen Augen gegen die Wand zurück, – gerade gegen das Schlüsselloch, ahnungslos, daß er die Schranktür durch sein Körpergewicht zudrückt, daß Frau Vally atemlos, dem Ersticken nahe, hinter ihm mit Nieskrämpfen kämpft! Und Herr Plussow fühlt, wie sich seine Haare einzeln auf dem Kopfe sträuben, denn ganz dicht neben ihm, greifbar nahe, und doch absolut unsichtbar, muß ein Wesen stehen, welches qualvoll schwer atmet, – stöhnt … allmächtiger Gott – ein tiefer Seufzer – ein gedämpfter leiser Gurgelton, wie ein Schrei, welcher sich aus durchschnittener Kehle ringen will – –
Der spuken wollende Maurermeister fühlt seine Kniee wanken, die Arme hängen ihm am Leib herab wie Bleiklumpen, kalter Schweiß tritt auf seine Stirn und perlt auf das käseweiße Gesicht herab.
Und nun ein wirklicher – leiser – furchtbarer Schrei – und ehe Plussow nur den Mut findet, der Korridortür entgegenzutaumeln, dröhnt ein furchtbarer Schlag hinter ihm gegen die Wand, und dann hat er das Gefühl, als dränge die ganze Mauer nach außen, als schiebe und stoße ihn unsichtbare Gewalt so mächtig fort, daß er kraftlos vorn überfliegt und mit gellendem Hilfeschrei wie ein Wahnsinniger die Korridortür aufreißt und die Treppe hinabrast.
»Der Spuk! – Der Spuk!!«
Zwei kräftige Arme fassen ihn – ein Säbel klirrt. – »Sind Sie des Teufels, Herr?!« donnert ihm eine Stimme entgegen.
Mit verglasten Augen, wie ein Sterbender, stiert Plussow in das Gesicht, welches sich über ihn neigt.
»Ach, Sie … Sie sind es, Herr Hauptmann –!« und dann klammert er sich an den Arm seines Retters und stöhnt abermals mit klappernden Zähnen: »Ach, der Spuk, – der Spuk!« –
Jochen, Miene und Anna stürmen herbei. – »Und sie kamen mit Licht« Zitat aus der Oper »Der Freischütz« (1821) von Carl Maria von Weber (Ännchen: »Einst träumte meiner sel'gen Base«); Libretto von Friedrich Kind. – D.Hg. und schleiften den schwergeprüften Gespensterseher in die Küche, fiebernd vor Neugierde, welch ein Ungeheuerliches er wohl erlebt haben möchte.
»Wenn he man jo nich eher draufschnappt, eh er mir seggt hat, wo de Pötte stehn!« ängstigt sich der menschenfreundliche Jochen in seinem Gemisch von Hoch- und Plattdeutsch und fährt dem Halbohnmächtigen mit einem doppelten Kümmel unter die Nase.
» Wo ist meine Frau?« dröhnt die Stimme des geängstigten Hauptmanns durch den Flur, er wähnt nicht anders, als daß sich ein furchtbares Unglück ereignet hat.
Frau Vally erscheint etwas wankend und unsicher an der Tür.
Sie sieht auch recht blaß aus – – hat sich gewiß so sehr über den Spektakel erschrocken – und sie hält das Taschentuch in der Hand und schnaubt sich alle zwei Minuten die Nase, wie Eine, die übermäßig viel Staub schlucken mußte.
Herr Plussow hat neue Kräfte gesammelt und mit stockender Stimme das Schauerliche berichtet; staunende Überraschung, Kopfschütteln und Achselzucken sind die einzige Antwort darauf, nur die gnädige Frau nickt und sagt – von öfterem Husten unterbrochen –: »Man soll ja früher die Menschen lebendig eingemauert haben! – Ach, es muß über die Maßen gräßlich sein, zu ersticken!«
»Ja, ja, ein eingemauerter Mönch … oder Nonne!« stöhnt der Maurermeister mit scheuem Blick, trinkt schnell den Schnaps aus und strebt voll nervöser Hast in das Freie.
Jochen gibt ihm das Geleit, und er benutzt diesen Augenblick noch einmal, um sich ganz genau die Stelle beschreiben zu lassen, wo sich der Spuk vernehmen ließ. –
Ratlos kraut er sich hinter den Ohren. Verdeiwelte Sache das! wie soll er auf einem gedielten Korridor nachgraben? wie soll er das Innere der Mauer untersuchen? Er kann doch unmöglich das ganze Haus zusammenreißen, um zu den Goldtöpfen zu gelangen, wenn dies ja seiner Ansicht nach auch nur das einzig Richtige gewesen wäre!
In der Küche aber stand man noch eifrig beratend zusammen, bis der Hauptmann mit ironischem Lächeln die Achseln zuckte und sagte: »Seltsam, daß niemand von uns einen Spuk erlebt, der Herr Villenvermieter Plussow aber am hellen lichten Tag die unglaublichsten Abenteuer hier besteht! – Da könnte man ja auf ganz sonderbare Gedanken kommen! Na, ich hoffe, ihr seid diesem Herrn – gerade diesem!! gegenüber etwas mißtrauisch gegenüber und denkt an das alte Wort: ›Bange machen gilt nicht!‹«
»Nee – bange machen gilt nicht, und der wackere Schwabe forcht sich nit!« lachte Miene mit drohender Stimme, und sie drehte die Kaffeetrommel über dem Feuer, als gälte es, alle fünfmalhunderttausend Teufel ohne Gnade und Barmherzigkeit zu Pulver zu rösten!
Nein, es fürchtete sich niemand im Hause, die Herrschaft am allerwenigsten, denn so laut wie heute hatte man sie kaum je zuvor lachen hören, und als Jochen den Kaffeetisch abräumte, berichtete er in der Küche: »Wenn Einer heute den Herrn Hauptmann um Urlaub bitten thäte, dann kriegte er ihn – und gleich auf sechs Wochen! – So'n ›Ponschuhr‹ hat er lange nich gehabt! Da sitzen se beide auf dem Sofa – und die Gnädige schluchzt vor Vergniegen, und er thut sich reine vom Leben vor Lachhaftigkeet!«
Der Herr Maurermeister aber saß zu Hause im Lehnstuhl, trank einen Bittern nach dem andern und fühlte sich sterbenselend.
Noch nie hatte ihn des Daseins Jammer so angefaßt wie heute.
Da klingelte es. Der Herr Landrat kam und teilte mit, daß seine Schwiegereltern hierherziehen und eventuell die neue Villa mieten wollten, wie hoch sich der Mietspreis pro anno belaufe?
Herr Plussow lebte neu auf. Er forderte einen zivilen Preis und vermietete sein Haus, und als er abends im Bett lag, hob er reuigen, zerknirschten Herzens die Hand zum Schwur und gelobte, nie wieder frevle Spukgedanken zu hegen, denn daß es wahrlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als die frivolen Spötter zugeben wollen, davon hatte er sich heute überzeugt.
Jochen entwickelte währenddessen heimlicherweise ein reges, seltsames Treiben, – er untersuchte den Korridor bis in jedes Holzfaserchen hinein, und als er auch die Wände behorchte und beklopfte – da – ja, da kam er mit kirschrotem Kopf und meldete in höchster Aufregung die Existenz des Wandschranks. Eine kleine Kiste voll rostiger Nägel, Riegel und Schrauben ward in demselben aufgefunden. Flehentlich erbat sie sich Jochen zum Geschenk, und nun wartet er auf den nächsten Vollmond, welcher im ungeraden Monat auf einen Freitag fällt, – in solcher Nacht, Schlag zwölf Uhr, will er den Kasten auf einen Kreuzweg stellen, wenn just eine Eule schreit, – dann muß sich das verzauberte Eisen in Gold verwandeln.
Ob es ihm den Gefallen getan hat, weiß man nicht, aber das weiß man sicher, daß es in dem Spukhaus nie wieder gespukt hat, so heilig und teuer es Herr Plussow auch beschworen. Aber das ist auch eine Thatsache, daß Frau Vally sich nie wieder vor ihrem Gatten versteckt hat!