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»Mädel ruck, ruck, ruck –!«

Alle Welt war entzückt von ihr, und mit Recht.

Man konnte keine graziösere, anmutigere Erscheinung auf der Bühne sehen als sie, keine eleganteren Toiletten bewundern als die ihren, keinen pikanteren Wohllaut hören als den ihrer Stimme, mit dem scharfen »r« und dem sehr merklich gebrochenen Deutsch. Sie war Französin.

Schon dieser Umstand machte sie in dem kleinen Residenzstädtchen interessant. Denn der Deutsche hat nun einmal eine Schwäche für alles Ausländische und ganz besonders, wenn dasselbe mit solch einem Paar sprühender, glühender Schwarzaugen ins Publikum blickt, wie es hier der Fall war.

Sie hieß Mademoiselle Garceau, machte eine Tournee durch Deutschland und hatte bisher ungeheure Triumphe in Bordeaux, Paris und Lille gefeiert – so sagten wenigstens die überschwänglichen Berichte in den beiden kleinen Tageblättern des Städtchens, welche einander feindlich gegenüber standen und darum stets verschiedener Ansicht über die Vergangenheit von Mademoiselle Blanche waren.

Der Impresario tat nichts, um die märchenhaften Berichte über Persönlichkeit, Familie und Vorleben seiner schönen Künstlerin zu berichtigen; er rieb sich beim Anblick der ausverkauften Häuser schmunzelnd die Hände und war derselben Meinung mit dem Intendanten, daß noch nie ein Stern so hell an dem Himmel hiesiger Kunst gestrahlt hatte wie Mademoiselle Garceau. Die Herrenwelt von X. war enthusiasmiert, und es nahm kaum wunder, daß der steinreiche, alte Rentier M., welcher sonst nie das Theater betreten, seit Mlle. Garceaus Erscheinen Stammgast in dem fürstlichen Musentempel geworden war.

Er gebärdete sich wie von Sinnen vor Entzücken, klatschte die Handschuhe entzwei und stand Viertelstunden lang auf seinen von Podagra gequälten Füßen, nur um die reizende Blanche besser noch mit den Augen verschlingen zu können.

Ja, es ging so weit, daß er – von welchem glaubwürdige Zeugen erzählten, sein Geiz veranlasse, daß er, um die Kosten eines Hofhundes zu sparen und dennoch etwaige Einbrecher zu schrecken, selber des Nachts um sein Haus liefe, um sehr täuschend und laut wie ein Hund zu bellen – daß er allabendlich die herrlichsten Blumensträuße kaufte, um sie der Angebeteten werfen zu lassen.

Etliche Hyperphantasten wollten sogar in Erfahrung gebracht haben, daß eine Rose des letzten Straußes sehr kostbar funkelnden Tau im Kelch getragen, Tau, welcher anderntags als Brosche an dem Busen der berauschendsten »Adrienne Lecouvreur« Adrienne Lecouvreur (1692-1730) galt als bedeutendste französische Schauspielerin ihrer Zeit. Ihre Geschichte war Stoff für ein Theaterstück von Eugène Scribe (1849), das rasch durch verschiedene Übersetzungen auch hierzulande bekannt wurde. Die Oper von Francesco Cilea, » Adriana Lecouvreur«, 1902 (mit Enrico Caruso) uraufgeführt, kann Eschstruth zum Zeitpunkt des Verfassens des vorliegenden Textes noch nicht gekannt haben. – D.Hg. blitzte.

Die jungen Kavaliere des Städtchens waren nicht eifersüchtig auf den alten M. mit den rotumränderten Augen und der Nase, welche allzu indiskret ihren intimen Verkehr mit der Schnupftabaksdose verriet.

Verlieben konnte sich Mlle. Blanche nicht in ihn. Nein, die flotten, lebenslustigen Herren des Städtchens beobachteten voll ironischen Vergnügens, wie der alte, graue Falter immer näher und geblendeter um das Licht flog, jeden Augenblick Gefahr laufend, rettungslos in das brennende Schicksal hinein zu taumeln. –

Nur einer lehnte, so oft der Name der kleinen Französin auf dem Theaterzettel stand, mit gekreuzten Armen und schwer atmender Brust und verwandte keinen Blick von der bezaubernden Fee auf den Brettern! –

Karl Westland war bis über die Ohren in die reizende Mlle. Blanche verliebt, und diese Liebe bestand nicht nur aus Flimmer und Katzengold, sondern aus lauterem, echtem Metall, welches Gott Amor zu festen, ehelichen Trauringen verarbeitet.

Er war Sänger, mit nicht allzu glänzendem, aber auskömmlichem Honorar an der fürstlichen Oper engagiert, und er hatte die besten und reellsten Absichten – was das Heiraten anbelangte.

Er war mit Mlle. Blanche auf eigentümliche Weise in nähere Berührung gekommen.

Um die Vielbesprochene baldmöglichst kennen zu lernen, stand er während ihrer ersten Probe hinter den Kulissen, nachdenklich an eine bemalte Leinewand gelehnt und voll seltsamer Erregung jenes Blickes gedenkend, welchen ihm die reizende Kollegin bei der soeben stattgehabten Präsentation zugeworfen hatte. Und Mlle. Blanche dachte ihrerseits auch mehr, als es sonst der Fall war, an den bildhübschen, blondlockigen Tenor, welcher die märchenhaftesten blauen Augen hatte, denen sie je im Leben begegnet war. Ein Sonnenstrahl hatte dieselben just getroffen, als sie ihm die Hand reichte, und sie staunte die herrliche Farbe an – zwar sehr germanisch, aber wunderbar schön! Und weil Mlle. Blanche just wieder an die blauen Augen dachte, war sie zerstreut und verwechselte die Ausgänge, durch welche sie sich zu entfernen hatte.

Kraftvoll reißt sie die schön gemalte Tür auf und fährt mit einem Schrei des Entsetzens zurück, denn unsanft taumelt ihr der schöne Tenor, welcher just seinen Rücken an dieselbe gelehnt, entgegen, heftig an seine Kollegin anprallend und sie im ersten Schreck als einzigen Anhaltepunkt mit beiden Armen umklammernd.

Ein homerisches Gelächter ringsum, Karl Westland und Blanche Garceau aber sehen sich tödlich erschrocken abermals in die Augen, und dann werden beide rot, wie von der rotesten Schminke übermalt!

»Pardon, Mademoiselle!« stieß er hervor –

»O – Pardon –!« wiederholte sie, und es kostete ihn namenlose Überwindung, ihr zierliches Figürchen wieder aus dem Arm zu lassen. Dann lachten sie beide mit und redeten in ihrer Verlegenheit und ihrem Amüsement lebhaft aufeinander ein.

Das war die erste Begegnung, welcher noch viele andere, gesuchte und ungesuchte folgten. Karl Westland hatte noch nie so schön gesungen wie jetzt, berauscht von dem seligen Bewußtsein, daß Blanche jedesmal in der Schauspielerloge saß und ihm mit den weißen Händchen sehr lebhaft und graziös zuwinkte, wenn er gesungen.

Trat sie nach Schluß ihrer Proben aus dem Theater, so stand der junge Tenor mit strahlenden Augen bereit, sie zu begrüßen und nach Hause zu begleiten, und kehrte er aus seinen Proben zurück, so fügte es ein seltsamer Zufall, daß Mlle. Blanche just da spazieren ging, wo auch er seine Pfade wandelte. Ein paar Tage ging das vortrefflich, dann fiel dem jungen Tenor das bitterernste, sehr verweisende Gesicht des Impresarios auf, welcher plötzlich zum Schatten seiner Pflegebefohlenen geworden zu sein schien.

Auch begegnete er der kleinen Französin nicht mehr auf der Straße, und als sie abends in der Loge saß, blickte sie mit sehr schmerzlich-wehmütigem Ausdruck in dem sonst so lachenden Gesichtchen zu ihm nieder. Er war außer sich. Welch ein Schatten drängte sich zwischen sie? Derjenige des alten M. oder der des Impresario, der seine Einnahmen gefährdet sah?

Kaum konnte er die nächste Probe erwarten, die Geliebte um die auffällige Wandlung zu befragen.

Er sah, daß ihre Augen zärtlich aufleuchteten, als sie ihn erblickte, auch drückte sie ihm sehr warm und bedeutungsvoll die Hand, dann aber begann sie voll ängstlicher Hast ein sehr gleichgültiges Gespräch, denn der Impresario war neben sie getreten und musterte den jungen Sänger fast feindselig, mit gekreuzten Armen und zusammengepreßten Lippen.

Und dieselbe Szene wiederholte sich, so ist er es versuchte, sich der Angebeteten seines Herzens zu nähern.

Diese Qual ertrug er nicht länger.

Er setzte sich hin und schrieb an sie – voll leidenschaftlicher Glut und Innigkeit – eine himmelstürmende Liebeserklärung nebst regelrechtem Heiratsantrag.

Die darauffolgende Nacht schlief er nicht.

Zwar hatte sie abends, als entzückendste Georgette Vermutlich als Georgette Thibaut in der damals viel gespielten Oper »Das Glöckchen des Eremiten« (» Les dragons de Villars«, 1868), einer Opéra-comique von Aimé Maillart nach einem Libretto, dessen Geschichte von George Sand stammt. – D.Hg., ihm fraglos die glückseligsten Blicke zugeworfen, ja manche zärtlichen Worte allein zu ihm hinauf gesprochen. aber der alte M. spendete just an diesem Abend einen besonders schönen Strauß, und – Entsetzen! – der Impresario stand in intimstem Gespräch während der ganzen Zwischenpause neben ihm!

Der folgende Morgen erlöste Karl aus seinem Hangen und Bangen. Ein zierliches, duftendes Briefchen wurde ihm gebracht, des Inhalts: »Ich erwarte dich morgen um 3 Uhr an der Rolandseiche im Stadtpark.« –

Durch den herbstlich leuchtenden Park eilte er zur bestimmten Stunde dem beseligenden Stelldichein zu.

Nach kurzem Hin- und Herwandern unter den blätterstreuenden Bäumen hörte er einen Wagen rollen, und nach wenig Augenblicken hielt er die herrlichste Maid voll ungestümer Glückseligkeit umfangen.

Welch ein Liebesfrühling unter den welkenden Baumkronen.

Ja, sie liebte ihn! Und sie gestand es ihm mit der ganzen, sprühenden Lebhaftigkeit ihres Temperamentes. Sie wollte ihn auch heiraten, ganz gewiß, nur ihn allein – aber erst dann, wenn die Zeit dazu gekommen.

»Und wann kommt diese Zeit?« flehte er voll bebender Ungeduld.

Da erklärte sie ihm alles – ihren ganzen Roman. Sie war Waise – der Impresario ihr Vormund. Was er an Geld für ihre Erziehung und Ausbildung verausgabt hatte, verlangte er mit reichen Zinsen zurück.

Sein Plan war es, eine Tournee durch Deutschland zu machen, um den deutschen Michel bei seiner schwachen Seite zu packen und die »Ausländerin« auf seinen Schild zu heben. Was in Paris leicht übersehen wird, feiert wohl in Deutschland Triumphe. – Er hatte sich nicht verrechnet, die Kleinstädter und Provinzler machten ihrem Renommee noch alle Ehre. Die Erfolge berauschten den geldgierigen Mann. Der Enthusiasmus der ledigen Herrenwelt war der goldene Boden ihres Ruhms und ihrer Triumphe. Eine verlobte Schauspielerin ist eine Königin ohne Land. Entweder sollte sie sehr, sehr reich heiraten oder gar nicht. Einen jungen Tenor vor aller Welt lieben oder begünstigen, grenzte in seinen Augen an Wahnsinn, es war der Stein, an welchem die Räder ihres Siegeswagens brechen würden, das Ende ihrer Karriere. Und darum band er ihr Herz und Hände. Blanche fürchtete die Szenen, welche der Vormund infolge seiner Geldgier ihr machte.

»Schrecklich! Entsetzlich! Was sollen wir denn da beginnen?« braust er auf und drückt sie an sich, als müsse er sie gegen eine Welt verteidigen.

»In einem halben Jahr bin ich mündig und seiner Willkür und Tyrannei entronnen«, flüstert sie mit blitzenden Augen. »Dann werde ich dein! Aber bis dahin gelobe mir tiefstes Schweigen gegen jedermann! Wir werden uns schreiben – sehen und sprechen werden wir uns nicht mehr –«

»Blanche!«

»Willst du nicht alles verderben, so thue, was ich verlange! Vor der Welt kennen wir uns nicht mehr, in Onkels Augen ist alles zwischen uns aus! Verstanden! Unser süßes Geheimnis darf keine Seele ahnen, das verlange ich von dir als Beweis deiner treuen, wahren Liebe!«

Er schwört es ihr.

 

In dem Theatersaal findet anderntags ein Wohlthätigkeitskonzert statt. Auch Westland singt. Kopf an Kopf sitzt das Publikum; seitlich, auf erhöhtem Wandpolster, diesmal auch Blanche Garceau.

Und Karl singt – die Augen mit brennendem Blick auf die Geliebte gerichtet.

»Mädel ruck, ruck, ruck – an meine grüne Seite! Das Lied, in seiner gängigen Form (seit Mitte des 19. Jh.) mit dem Text von Heinrich Wagner und der Musik von Friedrich Silcher, ist ein Volkslied, dem Inhalt nach ein volkstümlicher Heiratsantrag. – D.Hg.« –

Plötzlich ein leiser, halb erdrückter Aufschrei des Zorns – Mlle. Garceau springt bebend vor Empörung auf und verläßt voll rücksichtsloser Erregtheit den Saal. –

Allgemeines Staunen, Flüstern hin und her.

Karl Westland stürmt wie ein Rasender aus der Garderobe, bleich wie der Tod – seiner selbst nicht mehr mächtig – direkt nach dem Hotel, wo die Geliebte wohnt. Was war geschehen? Warum verließ sie so auffällig und so sehr erregt den Saal?

Die Pulse des jungen Mannes fliegen, wie Schatten flirrt es vor seinen Augen. Wie er seine Lieder zu Ende gesungen, weiß er selber nicht!

Ohne sich melden zu lassen, stürzt er nach ihrer Tür, klopft kurz an und tritt ein.

Blanche erhebt das Köpfchen von dem Sofapolster, auf welchem sie schluchzend liegt. Bei seinem Anblick springt sie empor; ihre Augen flammen, die kleinen Hände beben. »Verlassen Sie mich! Wie wagen Sie es noch, mir unter die Augen zu treten!« ruft sie zitternd vor Aufregung.

»Blanche! – Geliebte – was ist denn geschehen? Was erregt dich so?«

»Was mir geschehen? O das Schändlichste, das Entsetzlichste! Nennen Sie das Erfüllung Ihres Schwures, unser zärtliches Geheimnis treu zu wahren? Und soll das die gelobte deutsche Treue sein – solch' eine brutale, rücksichtslose Indiskretion?«

Mit der ganzen Lebhaftigkeit französischen Temperaments sprudelt es von ihren Lippen, dann verstummt sie jählings und starrt verwundert in sein Gesicht. Nein – so sieht ein böses Gewissen und das Schuldbewußtsein eigentlich nicht aus. –

»Blanche –« er greift sich wie ein Träumender an die Stirn – »bin ich bei Sinnen oder nicht?! Was soll dies alles? Was faselst du von Indiskretion, von Treulosigkeit? Ich verstehe nicht –«

Sie weint wieder und preßt das Spitzentuch vor das Antlitz.

»Wie kannst du dich so verstellen – ach, waren deine Worte nicht deutlich genug?!«

»Meine Worte? –«

»Nun ja – das Lied: Mädel ruck, ruck, ruck – Ja, so fing es wohl an!«

»Und was ist's mit dem Lied?«

»Ah, du fragst noch? Welch eine empörende Keckheit, unsere Liebe in alle Welt hinaus zu posaunen, den Leuten direkt zu sagen, daß du mich liebst?!«

»Dich? – Wer kann denn beweisen, daß du mit dem Lied gemeint warst?« stottert er.

Da stampfte sie ungeduldig, zornig den Boden

»Lächerlich! Du nanntest ja meinen Namen!«

»Deinen Namen?« Er taumelt zurück.

»Gewiß: I hab die Garceau gern – i mag Di leide! – Hast du das nicht gesungen? Du Wortbrüchiger – du – –«

Sie schweigt erschreckt. Ein schallendes, unbändiges Gelächter tönt ihr entgegen. Karl Westland wirft sich in einen Sessel und scheint ersticken zu wollen –

»I hab di gar so gern –
I mag di leide!!«

wiederholt er keuchend, atemlos vor Lachen, und dann springt er auf, schlingt die Arme um die Geliebte und hebt sie jubelnd empor.

Als zwei Minuten vergangen sind, lacht auch Mlle. Blanche, daß Tränen in ihren schönen Augen glänzen. »O diese deutsche Sprache! Schreib mir die Worte auf, mon ami: I hab di gar so gern – Ach ja, das ist etwas anderes!«

In ihrem Entzücken haben sie beide nicht bemerkt, daß Herr Rentier M. und der Impresario in der Tür des Nebenzimmers gestanden. Herr M. geht dröhnenden Schrittes wütend davon, der Onkel aber bereitet dem süßen Kosen ein Ende voll Schrecken!

Herr M. war indiskret. Er erzählte voll Wut die Geschichte am selben Abend in der Kneipe und war starr, einen Sturm der Heiterkeit dadurch zu entfachen. Wie ein Lauffeuer ging die amüsante kleine Geschichte und der Liebesroman der Diva durch die Stadt. Man nahm Partei; das Publikum wollte seine Lieblinge Westland und Garceau glücklich sehen, es griff handelnd in die Angelegenheit ein. Auch die Fürstin erfuhr von dem Scherz und interessierte sich lebhaft für das junge Paar, und wie man munkelte, soll dieses Interesse das Glück der jungen Leute begründet haben. Die Verlobung stand wenige Tage darnach in der Zeitung, und der Onkel Impresario lächelte etwas sauersüß zu den Glückwünschen, welche auch ihm dargebracht wurden. Abends aber erhielt die Braut ein Ständchen. Der Opernchor sang unter jubelnder Beteiligung der Menge das alte Liedchen mit dem neuen Schreibfehler:

»I hab di Garceau gern,
I mag sie leide!! –«



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