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Zur Dämmerstunde war es. Auf meinem Schooß lag ein aufgeschlagenes Journal.
Zum Lesen war es zu dunkel geworden und mechanisch blätterte ich in den Seiten, ob vielleicht noch ein Bild zu erkennen sei.
Da ragen waldige Berge empor, Mauerwerk, Zinnen und Turm, – die Wartburg! meine liebe alte Wartburg!
Mit so viel herzlicher Freude begrüßt man das Antlitz eines treuen Freundes, welcher jählings und unvermutet unseren Weg kreuzt! Die Wartburg! Verschleiert vom grauen Dämmerlicht, verschwimmend in geheimnisvoller Undeutlichkeit schwebt das Bild vor mir, und ich strenge die Augen nicht mehr an, es zu erkennen, lebt es doch frisch und unauslöschbar in meinem Herzen, so oft in trautem Rückerinnern von meinem geistigen Auge geschaut! –
Draußen saust der Herbstwind! Horch, wie die Regenschauer gegen die Fenster prasseln, wie es im Schornstein heult, wie die Bäume im Garten rauschen und wild gegen die Mauern schlagen, der wüsten Umarmung des ungestümen Gesellen zu entgehen! Ein blutroter Streifen zuckte noch einmal grell am westlichen Himmel – dann jagen die Wolkenschatten wie Wodans Geisterheer heran und stürzen sich durch das offene Thor Walhalls, es schließt sich. – Wie feurige Lohe wallte es noch einmal auf am Himmel, Ränder von Gold und Purpur säumen das Gewölk, das sind die gleißenden Brünnen und Helme, die blitzsprühenden Lanzen, mit welchen das wilde Heer herniederstürmt – und dann ist es Nacht, durch welche Allvaters Jagd mit gellendem Hussa einherfährt!
Ich schmiege mich fester in den Sessel – und das Bild der Wartburg raschelt geheimnisvoll auf meinem Schooß, als wolle es flüsternd fragen: »Denkst du an damals? – an jene Sturmnacht, wo dein angstzitterndes Mädchenherz in meinen Mauern Zuflucht fand??«
Ja, ich denke daran, in dieser Stunde lebhafter denn je! »Was sucht ihr mich heim, ihr Bilder, die längst ich vergessen geglaubt?!«
Nein, so etwas vergißt man nicht!
Ich lehne den Kopf zurück und schließe die Augen, ich sehe uns – all die lieben, treuen Gesichter, von denen drei schon längst nicht mehr auf dieser Welt weilen, und sehe uns im altdeutschen Restaurationszimmerchen der Wartburg sitzen, dieweil um Turm und Zinnen der Wetterturm heulte – just so wie heut!
Lange Jahre sind vergangen. Es war ein herbstschöner, sonnenheller Oktobertag, als wir in heiterer Gesellschaft zur Wartburg empor pilgerten.
Wir jungen Leute wählten einen tüchtigen Umweg, die älteren Herrschaften aber wanderten gemächlich die breite Fahrstraße empor, führten sie doch einen hochbetagten Herrn mit sich, einen Zeitgenossen des Altmeisters Goethe, welchem das ehemalige Studentlein K. gar oft im Laboratorium eifrig zur Hand gegangen war.
Geheimrat K. war trotz seiner silberweißen Locken noch frisch und rüstig wie ein Mann von fünfzig Jahren. Hoch und kraftvoll gebaut, mit Vorliebe noch die Kleider von altmodischstem Schnitt tragend, schritt der Greis wie eine liebe, ehrwürdige Erinnerung an längst vergessene Zeiten rüstig die Straße empor. Zeitweilig stützte ihn der Arm seiner Tochter oder Enkelin, wenn er hochatmend einen Augenblick stehen blieb, hellen Blicks, voll warmherzigen Entzückens, umher zu schauen und die köstlich würzige Luft um Brust und Stirne wehen zu lassen. Wir Jungen schritten wacker aus, kletterten hie und da abseits vom Wege einen besonders verlockenden Pfad in der Bergwildnis empor, und achteten es in unserm Eifer nicht, daß die Sonne sich versteckte und der Wind immer kühler und bedrohlicher durch die Baumkronen fuhr.
Dunkler und dunkler bezog sich der Himmel, und zwang uns endlich, das noch ferne Ziel im Sturm zu nehmen.
Schon klatschten die einzelnen Regentropfen schwer hernieder, als wir atemlos in die Vorhalle der Restauration stürmten.
Unsere Angehörigen saßen bereits bei dem Kaffee und hatten recht voll Sorge nach uns ausgeschaut, die Stimmung wurde durch unser Erscheinen sehr gehoben und wir fanden es sogar äußerst gemütlich, bei diesem unwirtlichen Wetter so wohlgeborgen unter Dach und Fach zu sitzen.
Der kurze Herbsttag wurde durch die trübe Witterung noch bedeutend abgekürzt.
Der Regen strömte, es pfiff und heulte um den Turmbau und die buntgefärbten Wipfel des Laubwaldes drunten wogten wie ein wild entfesselt Meer, umsprüht von den Schwärmen dürrer Blätter, welche gleich Gischt und Schaum über die Wellenkämme flogen. Wie eigenartig schön, wie großartig in dieser wetterdüstern Färbung lag das sonst so sonnige Thüringen vor unserem Blick!
Die fernen Bergketten waren längst im bleifarbenen Grau versunken, auch die näher ragenden Berghäupter verschleierten sich mehr und mehr, und mit Riesenschritten stieg die Nacht daher und hüllte bald alles in ihren sturmzerfetzten Mantel!
Anfänglich hatten wir uns sorglos unseres sichern Unterschlupfs gefreut, bald aber schüttelten die älteren Herrschaften doch bedenklich die Köpfe und pflogen Rat mit dem liebenswürdigen Wirt, was bei solchem Unwetter betreffs des Heimwegs anzufangen sei!
»Abwarten! ruhig abwarten!« lautete der allgemeine Beschluß und unser liebenswürdiger alter Geheimrat gedachte seines unsterblichen Freundes und citierte lächelnd:
»Laß regnen, laß regnen, –
Laß regnen seinen Lauf,
Denn wenn's genug geregnet hat,
Dann hört's auch wieder auf!«
Man bestellte das Abendbrot und wir junges Volk freuten uns schon unbändig auf den interessanten Heimweg durch Nacht und Sturm, oder gar auf ein höchst poetisches Nachtquartier auf der Wartburg.
Die letzten beiden Touristen, welche an einem Nebentischchen gesessen, rüsteten sich unter Groll und Galgenhumor zum Aufbruch. Sie mußten den Zug erreichen und darum sonder Wahl den Kampf mit den Elementen aufnehmen.
Wir blieben allein.
Im Nebenzimmer saß eine schweigsame Eisenacher Skatpartie und der Kellner glitt lautlos einher und entzündete die Lampen.
Durch die Thür trat ein neuer Gast, der greise Kommandant der Wartburg, Herr v. A., ein Junggeselle, welchem es doch gar zu einsam in seinem Schloßzimmer geworden, und welcher hoffte, hier in der Restauration Gesellschaft zu seinem Abendbrot zu finden.
Mit großer Freude begrüßten wir den charmanten alten Herrn, und saßen bald im engen Kreise an dem großen, bleigefaßten Fenster zusammen, um welches der Herbststurm immer wildere Weisen sang.
»Eine entsetzlich unheimliche Musik!« schauderte eine junge Dame furchtsam und schob ihren Arm in den meinen, »so recht ein Gespensterkonzert in der Vollendung! – Es ist gut, Herr v. A., daß Sie sich zu uns geflüchtet haben, denn in den dunklen, alten Rittersälen der Wartburg muß es doch jetzt zum Todfürchten sein!!«
Die Herren lachten. »Aber Fräulein Hedchen, Sie glauben doch nicht etwa, daß es in unserer braven alten Wartburg spukt?!«
»Und warum soll ich es nicht glauben?« trotzte Schön-Hedchen, mit dem dunklen Lockenköpfchen eine energische Bewegung machend. »In allen alten Schlössern spukt es, in historischen ganz besonders! Großpapa hat Stein und Bein darauf geschworen, daß er in Schloß Wilhelmsthal bei Kassel den Totenkopf aus der berüchtigten schwarzen Rüstung hat grinsen sehen – und Großpapa glaubt sonst faktisch an keinen Spuk –«
»Totenkopf? – Berüchtigte schwarze Rüstung? Stopp, meine Gnädigste! Sie sprechen in Rätseln für mich! Erklären Sie!« riefen ein paar Stimmen, und Hedchen setzte sich in Positur und flüsterte mit großen Augen: »Haben sie noch nicht von dem Spuk gehört? Wenn ein Kurfürst von Hessen begraben wird, mußte einer alten Tradition gemäß der ›schwarze Ritter‹ dem Trauerzug voranreiten. Einer der Hofmarschälle oder Kammerherren wurde bestimmt, die schwarze Rüstung anzulegen und seinem hochseligen Herrn das letzte Geleit zu geben. Dies war aber ein grauenvolles Amt, denn verbürgterweise starb der betreffende Kavalier jedesmal ganz kurze Zeit nach seinem Auftreten als ›schwarzer Ritter.‹
Als mein Großvater noch ein junges Bürschchen war, starb der regierende Kurfürst und die Beisetzungsfeierlichkeiten wurden vorbereitet. Mein Urgroßvater, als Flügeladjutant des hochseligen Herrn, sollte die schwarze Rüstung einem Waffenschmied übergeben, sie reinigen und auf ihre Brauchbarkeit prüfen lassen. In Begleitung eines Freundes, des Waffenschmieds und meines Großvaters fuhr er nach Wilhelmsthal hinaus. Es war helles, sonniges Wetter, und die schwarze Rüstung stand wohlbeleuchtet im Glanz des Fensters vor ihnen. Die Herren schreiten unter harmlosem Gespräch näher; kaum aber, daß sie sich dem eisernen Recken auf fünf Schritt genähert haben, klappt mit scharfem Klang das Visir zurück und die vor Entsetzen regungslos Stehenden blicken auf einen Totenschädel, welcher ihnen aus dem Helm entgegen grinst.
Mein Großvater schrie gellend auf vor Angst, der Waffenschmied taumelte leichenblaß zurück, und auch der Urgroßvater und sein Freund faßten sich voll Grausen an den Händen.
Dann riß Urgroßvater den Degen aus der Scheide und hieb voll sinnloser Erregung auf den greulichen Spuk ein.
Der Helm polterte zur Erde, – die Erscheinung war verschwunden.
Man meldete dem Thronfolger das Unfaßliche, dieser aber befahl, den Vorfall, welcher wohl nur auf einer Spiegelung beruhen könnte, zu verschweigen.
Ein junger Kammerherr trug in dem Trauerkondukt die schwarze Rüstung; drei Tage darnach erkrankte er an heftiger Lungenentzündung und starb.«
Ich nickte. »Gewiß, ich habe auch davon gehört. Man erklärt sich das unheimliche Zusammentreffen sehr einfach. Die sehr schwere, festgeschlossene Rüstung ist für den Träger eine Last, welche er kaum zu tragen vermag. Natürlicherweise transpiriert er sehr stark und erkältet sich alsdann während der Beisetzung rettungslos. Daraufhin ist es zurückzuführen, daß der Träger der schwarzen Rüstung fast jedesmal einer tödlichen Krankheit zum Opfer fiel!«
Hedchen sah mich beinahe feindselig an. »So erklärt man es sich! Natürlich! Die superklugen Menschen werden sich doch nicht blamieren und an einen Spuk glauben! Großvater und Urgroßvater aber sahen den Totenkopf in dem Helm, – wie erklärt sich das?«
»Die Herren sprachen auf Wunsch des Kurfürsten damals nicht über das Erlebnis, sonst hätte sich sicher auch eine Auflösung dafür gefunden.«
»Sie glauben also auf keinen Fall an übernatürliche Dinge?« fragte mich Herr v. A. mit einem so nachdenklichen Gesicht und so seltsamer Betonung, daß wir alle überrascht aufschauten.
»Wie kann ich etwas ableugnen, was schon so manchen Beweis und so manchen Gegenbeweis erfahren hat!« schüttelte ich lebhaft den Kopf. »Die vierte Dimension ist vorläufig noch ein Rätsel, und wenn demselben auch noch die wissenschaftliche Lösung fehlt, so wäre es dennoch kühn, seine Existenz ohne triftige Gründe zu leugnen.«
»Es ist ja so schön, an die Fortexistenz der Seele zu glauben!« sprach Geheimrat K. in seiner mildlächelnden Weise, »daß ich mich stets von Herzen freue, neues Beweismaterial dafür zu sammeln. Es ist seltsamerweise wenig bekannt geworden, daß auch Goethe sehr stark zum Spiritismus neigte, und ich habe persönlich sogar zwei Abenteuer mit dem Altmeister erlebt, welche mich zu seinem treuen Glaubensgenossen gemacht haben!«
»Abenteuer mit Goethe? – Thatsächlich als wahr verbürgte Erlebnisse?!« klang es schier atemlos vor Interesse aus dem Kreise.
Der alte Herr nickte. Sein schönes, regelmäßiges, bartloses Antlitz neigte sich wie in momentanem Sinnen etwas zurück, – das matte Lampenlicht glänzte auf den silberweißen Haaren, wie ein Heiligenschein wallten sie um die ehrwürdige Stirn.
Wie ein Gefühl scheuer Andacht überkam es uns bei dem Anblick, wir sahen den greisen Mann als jugendfrischen Studenten, wie er Hand in Hand mit einem Dichter, welcher uns bereits wie ein Halbgott aus grauer Sagenzeit erschien, durch die Gassen von Jena wandelte.
Ohne sich lange bitten zu lassen, begann der Geheimrat: »Es war zu einer Zeit, da Goethe sich vorübergehend in Jena aufhielt, um ungestört im chemischen Laboratorium arbeiten zu können. Durch gute Empfehlung meines Professors gelangte ich zu der Auszeichnung, ihm kleine Handlangerdienste thun zu dürfen, und weil das Glück mir immer hold war, fand der große Meister so viel Wohlgefallen an mir, daß ich ihn sogar auf seinen Spaziergängen begleiten durfte. Mit ganz besonderem Interesse lenkte er seine Schritte nach dem Schlachtfeld. Mit Vorliebe gegen Abend, so daß uns oft die Dunkelheit überraschte. Dann stand er plötzlich still, in geheimnisvollem Lauschen, den scharfen Adlerblick durchdringend in das Dunkel gerichtet.
›Hören Sie nichts? sehen Sie nichts?‹ fragte er oft flüsternd, ›Roßgestampf und Waffengeklirr, Todesseufzer und Jammerschreie?‹ –
Ich verneinte überrascht.
›Man sagt, es soll hier spuken –‹, fuhr Goethe lebhaft fort, ›und ich möchte für mein Leben gern einmal etwas Außergewöhnliches erleben! Da zieht es mich wie mit übermächtigen Gewalten hierher. Es liegt eine schauerliche Poesie in diesen weiten, einsamen, blutgetränkten Feldern! Wie manch ein Herz mag hier, unversöhnt mit seinem Gott, gebrochen sein! Und solche Geister, sagt man, sind gebannt an die Erde. – Ich interessiere mich gewaltig für dieses Thema, ich lechze danach, nur einen einzigen kurzen Blick durch die geheimnisvolle Thüre, welche das ›Dort vom Hier‹ scheidet, zu werfen! Aber ich erlebe nichts. Eine Person – eine durchaus achtbare Frau, welche bei Hof in Weimar viel Vertrauen genießt, hat mir ein sonderbares Erlebnis mitgeteilt, verbürgt durch vier weitere Augenzeugen.
Die Dame hatte sich in Jena durch irgend welche Zwischenfälle verspätet und war gezwungen, noch in der Nacht zu Wagen nach Hause zurückzukehren.
Ihr Weg führte über das Schlachtfeld.
Eine köstliche warme, mondhelle Sommernacht. Man lacht und plaudert in der offenen Kalesche, die beiden Töchter beginnen zu singen und der Schwiegersohn begleitet sie mit gefälliger Stimme. Da klingen Glockenschläge fern her durch die Stille, – Mitternacht.
Gleicherzeit wendet der Kutscher besorgt den Kopf: ›Möge sich die Herrschaft nicht erschrecken, uns entgegen kommt in wilder Jagd ein Wagen, an dem die Rosse durchzugehen scheinen!‹
Richtig, ein dumpfes Rollen, Dröhnen und Hufgeknatter schallt ihnen entgegen.
›Halten Sie!‹ ruft der Schwiegersohn meiner Gewährsmännin dem Kutscher zu. ›Ich will absteigen und unsere Braunen am Zügel nehmen! Sie sind auch Durchgänger und böses Beispiel verdirbt oft gute Sitten!‹
Er sprang herab und stellte sich neben die Pferde, dieweil die Damen in verzeihlicher Neugierde sich aus dem Wagen bogen, das eigentümliche, so wild daherstürmende Gefährt zu sehen.
Seltsam, zuerst hatte man ein dumpfes Rollen und Hufschlag vernommen, jetzt mit einemmal flogen Roß und Wagen lautlos, schier geisterhaft daher
›Es sind vier schwarze Rosse!‹ sagte der Kutscher.
›Aber sie scheinen mager wie Skelette zu sein!‹ fügte der junge Herr hinzu.
›Warum hört man keinen Laut mehr von dem Gefährt?‹ fragte der Schwiegersohn erstaunt.
Da sauste es auch schon schattenhaft heran.
Gleichzeitig ein Schrei des Entsetzens, welchen der Kutscher ausstieß, und welcher bei den Damen ein markerschütterndes Echo fand. –
An ihnen vorüber sauste ein vierspänniger schwarzer Wagen, ein französischer Bagagewagen, und auf demselben standen dichtgedrängt französische Soldaten, anstatt der Köpfe weiß grinsende Totenschädel unter den Käppis. – Halb ohnmächtig vor Entsetzen sanken die Damen zurück, der Kutscher drückte die Arme vor das Gesicht und der junge Herr stand wie gelähmt vor Grauen und starrte wortlos dem Geisterwagen nach. Er flog lautlos über das Brachfeld und verschwand schließlich in dem nebelnden Mondschein, ohne daß die scharfen Augen des Spähenden sahen, wo er blieb.«
Goethe machte hochaufatmend eine Pause und fuhr dann leiser fort: »Diese wundersame Begebenheit hat fünf Augenzeugen, deren Wort mir volle Bürgschaft für die Wahrheit desselben ist! Ich kenne seit der Zeit keinen höheren Wunsch, als einmal ähnliches zu erleben, denn erst dann, wenn wir mit eigenen Augen schauten, sind wir völlig überzeugt!«
Geheimrat K. blickte einen Augenblick schweigend in die dunkle Herbstnacht hinaus, welche noch immer Sturm und Regen gegen das Fenster trieb; er wartete, bis sich unsere Erregung über das Gehörte etwas gelegt hatte, dann fuhr er lebhaft, wie er meist von seinen Erinnerungen sprach, fort: »Ich hatte bei diesem Gespräch die Empfindung, als ließe der große Meister mich in selber Stunde tiefer in sein Inneres schauen, als je einen anderen Menschen. Es reizte mich auf das höchste, ihm zur Erfüllung seines Wunsches behilflich zu sein.
›Excellenz‹, sagte ich mit blitzenden Augen, ›es ließe sich wohl ermöglichen, einen Spuk auf dem Schlachtfeld zu schauen! Ich kenne persönlich etliche glaubhafte Personen in Jena, welche die ›Schildwache‹ auf dem Felde schon mehr denn einmal gesehen, ja, die ganze Stadt weiß davon, und ich bin überzeugt, auch wir werden sie sehen. Dazu aber müßten wir bei mondheller Nacht zur elften Stunde hinaus wandern!‹
Goethe sah mich schweigend mit seinen schönen großen Augen an. Es lag beinahe etwas mißtrauisch Forschendes in seinem Blick, welcher mich zu durchdringen schien.
›Von einer spukenden Schildwacht habe ich noch nichts gehört‹, entgegnete er ernst, ›würde mich aber sehr freuen, sie kennen zu lernen. Sie werden mich doch begleiten?‹
›Wenn mich Ew. Excellenz der Ehre würdigen wollen, ohne Frage!‹ rief ich freimütig, ›ich stehe allem Übernatürlichen sehr zweifelnd gegenüber und würde mich aufs höchste begeistern, eine eventuelle Mystifikation entlarven zu können!‹
›Gut, gehen wir, mein junger Freund! Meine Pistolen sollen Sie bei diesem Entlarven unterstützen.‹
Goethe hatte den Argwohn, daß ich ihm zu Gefallen ein kleines Possenspiel in Scene setzen werde, darüber herrschte kein Zweifel.
Und thatsächlich bestand der alte Herr darauf, schon am nächsten Abend, obwohl der Himmel bedeckt war, den nächtlichen Spaziergang zu unternehmen. Er kündete mir den Entschluß erst an, als er bereits marschfertig vor mir stand. So glaubte er wohl die etwaige Vorbereitung eines Studentenscherzes am besten vereiteln zu können und ich sah daraus, wie ernst es dem bedeutenden Mann mit dem Wissenseifer war.
Wohl ausgerüstet wanderten wir hinaus. Die Stelle, an welcher der gespenstische Posten sich zeigen sollte, hatte ich mir genau lassen. Sie war nicht zu verfehlen, da sie unmittelbar am Weg, am Fuß eines kleinen Hügels lag, unter welchem man ein französisches Massengrab mutmaßte.
Unter ernsten Gesprächen schritten wir dahin. Der Himmel war wolkig, aber die Nacht nicht dunkel. Wir gewöhnten uns an den Dämmerschein und unterschieden bald jeglichen Gegenstand in voller Deutlichkeit, – ja, als wir die Hälfte des Weges hinter uns hatten, trat sogar der Mond zeitweilig hervor und tauchte das Schlachtfeld und die Berge in silbernen Glanz.
Goethe rauchte eine kleine Pfeife Das Goethe geraucht haben soll, widerspricht seinen sonstigen Äußerungen, die darauf hinauslaufen, dass er glaubte, Tabak rauchen machen dumm. Sollte dies ein augenzwinkernder Hinweis der Autorin sein, dass dies - wie alles andere - auch nur erfunden ist? – D.Hg., er nahm sie plötzlich aus dem Mund und deutete mit leisem, kurz hervorgestoßenem ›Da!‹ geradeaus nach dem Hügel.
Wir blieben stehen. ›Da bewegte sich etwas!‹ – Ich schärfte die Blicke. Richtig, eine Gestalt, noch fern und undeutlich, schritt langsam dort auf und nieder.
Jetzt blitzte etwas an ihr auf. Das Bajonett oder die Kopfbedeckung.
Eine fieberhafte Erregung bemächtigte sich unserer.
Goethe schob die Pfeife in die Tasche und faßte die Pistole mit kramphaftem Druck.
›Sind Sie auch bewaffnet?‹ raunte er mir zu.
›Ich habe meinen Schläger, Excellenz.‹
›Gut, dann vorwärts!‹ –
Leise, aber so eilig wie möglich schritten wir auf dem weichen Boden weiter. Immer näher kamen wir der seltsamen Erscheinung.
Goethes Atem ging schwer. ›Wahrlich – ein französischer Soldat!‹ murmelte er.
Wir waren ganz nahe, bis auf zwanzig Schritte wohl herangekommen.
Vor uns, auf dem freien Feld schritt die Gestalt ruhig und gleichmäßig auf und nieder. Wir erkannten sie genau, die hohen Stiefel, weißen Beinkleider, den Waffenrock mit Bandelier und die hohe Mütze. Das Gewehr im Arm wandelte Napoleons alter Gardist auf kleiner Strecke hin und her.
›Erkennen Sie das Gesicht?‹
›Mich deucht so, Excellenz, aber seltsamerweise nicht so deutlich wie alles andere, es scheint mir von phosphorescierender Weiße!‹ –
›Wir wollen ihn anrufen, – kommen Sie näher.‹
Abermals näherten wir uns um drei bis vier Schritte. Dann blieb Goethe stehen. –
›Heda! – Wer geht dort?‹ klang seine Stimme unheimlich laut über das stille Feld.
Die Schildwacht wandelte ruhig weiter.
› Qui vive?!‹
Keine Regung der Gestalt, sie schritt ganz wie zuvor marionettenhaft hin und her.
›Antworte Gesell, oder ich schieße!‹
Dasselbe Resultat.
Ich sah, wie Goethe die Zähne zusammenbiß. ›Eine freche Persiflage!‹ knirschte er. ›Der Bursch verdient einen Denkzettel!‹
Er hob die Pistole, zielte und schoß.
Der Pulverdampf verflog – und die Schildwache schritt ruhig wie zuvor auf und nieder.
Einen Augenblick standen wir regungslos, wie erstarrt.
Dann warf Goethe wie ein gereizter Löwe das Haupt in den Nacken. ›Nun wollen wir den Spuk mit Händen greifen!‹ keuchte er. Vergessen war sein weißes Haar, wie ein Jüngling stürmte er mir voran – und plötzlich standen wir und starrten uns aufs höchste betroffen an. ›Wo blieb der Posten?‹ – Still, einsam lag die weite Ebene vor uns. Kein Mensch nah und fern zu erblicken; eine Fußspur im Sande, wo eben noch der alte Grenadier auf und ab geschritten war. –
Mit krampfhaftem Druck umspannte Goethe meinen Arm. ›Wo ist er hin, K.? wo ist er hin?!‹ Ich schüttelte den Kopf und stotterte konfuses Zeug. Ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. ›Ist ein Graben da, in den er gesprungen sein könnte?‹
Nichts dergleichen weit und breit. Wir stampften sogar im Umkreis die Erde ab, ob vielleicht ein hohler Klang eine Höhle offenbare, – nichts, absolut nichts zu finden.
Im hellen Mondschein lag die Heide, und die tauschweren Halme und Rispen zitterten im Nachtwind.
Goethe strich langsam über die Stirn. ›Lassen Sie uns heimkehren!‹ sagte er leise.
Und wir gingen zurück. Schweigsam, in tiefe Gedanken verloren. Nur einmal blieb Goethe stehen, hob das wunderbar feierliche, schöne, greise Antlitz mit leuchtenden Augen zum Himmel und sprach aus tiefster Brust heraus: ›Also doch!‹ – Und ein andermal sagte er: ›Welch eine erhabene, schauerlich schöne Poesie lag in dieser gespenstischen Schildwacht! Ein Getreuer der Garde, welcher keine Ruhe im Grabe findet, welcher auf seinen Kaiser wartet, die zerfetzten Siegesbanner aufs neue aus dem Staub zu heben! – Das wäre eine Ballade! Beim Himmel – mir klingen schon die Reime wie Marseillaisenton im Herzen!‹ –
Ich bin überzeugt, daß Goethe sich ernsthaft mit dem Plan getragen hat, die tote ›Schildwacht‹ in einer Dichtung zu verewigen, warum er es nicht gethan? – Es kamen damals jähe Ereignisse, welche seinen Besuch in Jena abkürzten und die Erinnerung an jene Spuknacht auf dem Schlachtfeld wohl in den Hintergrund drängten. Später erzählte mir ein Weimarer Freund, Goethe habe doch zum öfteren noch über seinen Plan, ›die tote Schildwacht‹ gesprochen; ja er behauptete mit Bestimmtheit, diese Idee zu einer Ballade sei auch zu den Ohren Heinrich Heines gedrungen und habe die Entstehung der ›Drei Grenadiere‹ zur Folge gehabt.
»So will ich liegen und warten still
wie eine Schildwacht im Grabe –«
Inwieweit diese Mutmaßung Beachtung verdient, ja ob sie überhaupt glaublich ist, möchte ich sehr dahingestellt sein lassen. Ich bezweifle es, daß Goethe sich vielen Menschen über unser mysteriöses Erlebnis anvertraut hat, – er sprach auch mit mir wenig darüber und ermahnte mich, nicht solch ernste Sachen durch Gespräche am Biertisch zu entweihen.
›Die Welt ist leichtfertig im Urteil‹, sagte er, ›ich habe es zu viel erlebt, daß man ehrenwerte Leute durch Spott und Zweifel kränkte.‹ –
Ich begriff ihn, sein spröder, leicht gereizter Sinn hätte einen Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit nicht ertragen. – Noch ein anderes Erlebnis, welches Goethe mehr erregt und erschüttert hat, wie je ein anderes, ist unbegreiflicherweise nie an die Öffentlichkeit gedrungen, obwohl es im Freundeskreise lebhaft besprochen wurde; es lag wohl nicht in dem Sinn der Zeit, außergewöhnliche Ereignisse mit dem wissenschaftlichen Ernst zu behandeln, wie z. B. heutzutage dem Mysterium des zweiten Gesichts nachgeforscht wird.«
Mit glühenden Wangen saßen wir um den Sprecher und bestürmten ihn mit Bitten, auch dieses zweite Erlebnis zu erzählen.
Der Geheimrat schien besonders angeregt und fuhr in seiner würdigen, so unvergleichlich anziehenden Weise fort: »Ich erhielt eine Einladung zu Goethe nach Weimar, ihm bei einer besonders mühsamen Arbeit im Laboratorium zu helfen. Wir hatten uns den ganzen Vor- und Nachmittag tüchtig angestrengt, und obwohl das Wetter regnerisch war, schlug Goethe gegen Abend einen Spaziergang vor.
Es war im Sommer und die Tage noch lang, und so schritten wir denn noch vor Eintritt der Dämmerung den Weg von Belvedere zurück. –
Wir plauderten nicht übermäßig lebhaft, Goethe schien das Bedürfnis zu haben, auch geistig der Ruhe zu genießen.
Vor uns lag der freie, menschenleere Weg.
Plötzlich blieb mein Begleiter stehen, streckte ein wenig den Kopf vor, um besser sehen zu können, und sprach im Tone größter Überraschung: ›Undenkbar … sollte er es wirklich sein?‹
Ich blickte den Sprecher verdutzt an. ›Von wem sprechen Euer Excellenz?‹
›Nun, da, von dem Herrn, welcher uns entgegen kommt: Wüßte ich nicht zu genau, daß Friedrich in Frankfurt ist, würde ich darauf schwören, daß er es ist!‹ –
Tödlich erschrocken starrte ich den alten Herrn an. Sprach er plötzlich irre? – Er redet von einem Herrn, welchen er sieht, und doch ist die regenüberflutete Straße völlig menschenleer und still. Ehe ich antworten kann, schlägt Goethe die Hände über dem Kopf zusammen und bricht in ein jubelndes Gelächter aus. ›Wahrhaftig, er ist es! Freund Friedrich! – Hier in Weimar! – Aber um Gotteswillen, Mensch, wie siehst du aus? In meinem Schlafrock – in meinen Morgenschuhen gehst du auf offener Straße?!‹ –
Entsetzen ergriff mich, – mein Gönner redet im Wahnsinn! – Er sprach mit einem Menschen, welchen ich beim besten Willen nicht zu erblicken vermochte.
›Excellenz –! stammelte ich – –
Gleicherzeit aber taumelte Goethe mit allen Anzeichen höchster Betroffenheit ein paar Schritte vor, die Arme ausgestreckt, als wolle er jemand greifen.
›Friedrich – um Gottes willen … wo bist du hin?! Lieber K., haben Sie nicht gesehen, wo der Herr geblieben ist, welcher uns eben hier entgegen kam?!‹ –
Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. ›Ich habe keinen Menschen gesehen, Euer Excellenz, es ist niemand hier gewesen‹ – –
Da schlug Goethe die Hand vor die Stirn. Er sah erschreckend bleich aus. ›Eine Vision! ich habe meinen Freund deutlich – leiblich und wahrhaftig vor mir gesehen! mit meinem eigenen Schlafrock und meinen Pantoffeln bekleidet! – Was soll das bedeuten? – Ein Gutes wahrlich nicht! Er hat sich angemeldet, – er ist tot!‹ – Der alte Herr war so erregt und bestürzt, daß ich kaum vermochte ihn einigermaßen zu beruhigen. –
›Seine Todesnachricht erwartet mich wohl schon daheim‹, fuhr Goethe in nervöser Erregung fort.
›Und daß er meinen Schlafrock trug … o, ohne Frage ist das ein Zeichen, daß ich ihm bald folgen werde!‹ –
All mein Gegenreden half nichts. ›Ist die Vision nicht an und für sich schon etwas Unerklärliches – Übernatürliches?‹ schüttelte er erregt den Kopf, ›und warum sehe ich die Gestalt meines fernen Freundes mit meinen Sachen bekleidet? Das steht in irgend einem geheimnisvollen Zusammenhang, und daß es unerforschliche Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, das werden Sie doch wohl am wenigsten ableugnen wollen, lieber K., nach unserem Erlebnis auf dem Schlachtfelde!‹ –
Was sollte ich entgegnen? Auch meiner bemächtigte sich ein beklommenes Gefühl, und nicht ohne Sorge folgte ich dem alten Herrn in seine Wohnung. – Goethe öffnete die Thüre und trat hastig vor mir ein. Da ertönte ein Schrei aus seinem Munde, und wie ich dem starr, mit erhobenen Armen Dastehenden erschrocken nachdränge, da sehe auch ich die unheimliche Spukgestalt, welche den Meister abermals entsetzte.
Auf dem Sofa saß ein fremder Herr, mit Goethes Schlafrock und Pantoffeln bekleidet, der wandte sich bei dem Schrei hastig von einem Buch, in welchem er gelesen, ab, sprang auf und kam uns laut lachend mit ausgebreiteten Händen entgegen.
Aber Goethe taumelte zurück. ›Von mir, Spuk! hinweg!‹ keuchte er.
›Aber Wolf! liebe treue Seele – ist das ein Empfang für den treuesten Freund?‹
Bei dem Klang der Stimme atmete Goethe tief auf – trat wie ein Mondsüchtiger dem Fremden entgegen, tastete nach seiner Hand, faßte … fühlte sie an – und stieß dann halb weinend, halb lachend vor Freude hervor: ›Nein – diesmal ist es kein Geist – er ist von Fleisch und Blut!‹ – Einen Augenblick später lagen sich die alten Freunde in den Armen, und mir war es, als ob Zentnerlasten von meinem Herzen gewälzt wären.
Natürlich wurde bei einem Glase Wein die seltsame Vision des großen Dichters erzählt. Freund Friedrich lauschte erstaunt, ließ sich die Stelle des Wegs nennen, wo er von Goethe gesehen wurde, und erzählte uns alsdann folgendes: ›Ich kam überraschend hier an und war sehr niedergeschlagen, dich nicht zu Hause zu treffen. Man sagte mir, du habest einen Spaziergang nach Belvedere unternommen. Anfänglich wollte ich dir folgen, aber in anbetracht des schlechten Wetters, welches mich eben erst bis auf die Haut durchnäßt hatte, stand ich von dem Vorhaben ab. Ich ließ mir deine trockenen Kleider reichen, da mein Gepäck noch nicht gebracht war, setzte mich auf das Sofa und malte mir voll Ungeduld deine Überraschung aus, wenn du heimkommen würdest. Meinem liebenden, sehnsuchtsvollen Herzen währte dein Säumen unerträglich lang, und da ich ja den Weg nach Belvedere sattsam kenne, so begleitete ich in Gedanken deinen Gang, malte mir aus: jetzt ist er wohl dort – jetzt dort – jetzt da – und während solcher Gedanken muß ich wohl entschlummert sein, denn ich träumte äußerst lebhaft, daß ich dir entgegenging und dich auch just an der Stelle sah, wo ich dir als Vision erschien. Ich wollte dir entgegeneilen, da riefst du mir zu: ›In meinem Morgenrock und Hausschuhen auf der Straße?‹ –
Ich sah an mir herab, schämte mich und erschrak so sehr über meine Ungehörigkeit, daß ich erwachte!‹ –
Betroffen sahen Goethe und ich uns an. Er hatte die Worte gehört, welche Goethe, wohl eine halbe Stunde von uns entfernt, seiner Erscheinung zugerufen hatte.
Dieses unerklärliche Erlebnis wurde selbstverständlich auf das lebhafteste von uns besprochen, und der Altmeister faßte unsere Hände mit bebendem Druck und sprach feierlich: ›Nun ist es das zweite Mal, daß das Jenseits mich gegrüßt hat. Ich that abermals einen Blick in seine geheimnisvolle Existenz und glaube an dieselbe. Nun weiß ich, daß ich meine Lieben wiedersehen werde. –
Und diesen Glauben hat Goethe bis an sein Lebensende, welches leider nicht allzulange Zeit nach diesem Vorkommnis erfolgte, behalten. Auch ich habe noch oft über das Unerklärliche nachgedacht, und ich gestehe es freudig ein, in meinem schweren Beruf als Arzt ist es mir oft ein seliger Trost an den Sterbebetten gewesen. – Ich habe diese Erlebnisse manch verzagtem Sterbenden erzählt und er hat mir mit leuchtendem Blick die Hand gedrückt und gelächelt: ›Haben Sie Dank! Nun weiß ich, daß auch ich meine Lieben wiedersehen werde, – daß es einen Himmel gibt!‹« –
Der greise Sprecher schwieg, sein mild lächelndes Antlitz hatte sich zur Brust geneigt, die gefalteten Hände ruhten in seinem Schoß. Der Sturm aber hielt einen Augenblick inne mit seinem Brausen, als wolle er die Weihe dieses Augenblicks nicht stören. Anmerkung der Verfasserin. Ich habe obige Erlebnisse nacherzählt, wie ich sie aus dem Munde des hochverehrten alten Herrn gehört habe. Wenn es seltsam erscheint, daß solch eingreifende Momente aus Goethes Leben nicht früher allgemein bekannt geworden (daß sie bekannt waren, bestätigte mir ein anderer Zeitgenosse Goethes, Herr Hofrat G. in Jena), so kann ich nur darauf hinweisen, daß auch Joseph Victor von Scheffel mir ein ähnliches spukhaftes Erlebnis mitteilte, welches er bei ernstem Anlaß meinem Vater und mir auf Seehalde erzählte und welches er bis dahin außer seiner Mutter wohl nur wenigen oder keinen Freunden anvertraute. Da der Meister mir kein Schweigen darüber auferlegte, habe ich es diesen Aufzeichnungen vorausgehen lassen.
Ein paar Minuten blieb es still in dem kleinen Zimmer der Wartburg; nur der Sturm setzte mit neuer Gewalt ein und die Bäume rauschten wie Meeresbrandung.
Wir alle waren mit unseren Gedanken beschäftigt, bis sich schließlich eine Frage nach der andern an den Geheimrat heranwagte, welche noch über dies und jenes Aufschluß oder Detaillierung erbat.
»Es ist nur sehr seltsam, daß so wenig Menschen derartig übernatürliche Dinge erleben!« sagte einer der Herren.
»In den Kinderstuben oder Gesindekammern wimmelt es allerdings von Spukgeschichten, aber wirklich zuverlässige glaubwürdige Gewährsmänner aus unseren Kreisen findet man doch höchst selten!«
»Das ist wohl leicht erklärlich! Je gebildeter und gelehrter ein Mensch ist, desto ungläubiger verhält er sich Dingen gegenüber, welche die Schulweisheit der aufgeklärten Zeit nun einmal in Acht und Bann erklärt hat! Er wird stets nach natürlicher Lösung des Rätsels suchen und – falls er eine solche nicht findet – sich bei dem Gedanken beruhigen: ›es muß sich ja aufklären, denn Spuk und Gespenster gibt es eben nicht!‹ – – Außerdem hält jeden feinfühligen Menschen eine gewisse Scheu zurück, von etwaigen unerklärlichen Erlebnissen zu sprechen, weil er den Spott und taktlose Neckereien der Menschen fürchtet. Manche Leute halten es ja für ein Zeichen von Feigheit, an Geister zu glauben, während es meiner Ansicht nach kaum noch ein höheres Zeichen von Mut gibt, als an die Existenz einer Zwischenwelt zu glauben – und sich doch nicht zu fürchten! – Einen Gegner von Fleisch und Bein bekämpfen, erfordert nur eine körperliche Kraft und das trotzige Vertrauen in dieselbe, – es aber mit dem ungeheuren Grausen einer Geistererscheinung kaltblütig aufnehmen, das erfordert eine heldenhafte Willenskraft und höchste Überwindung, denn es liegt in der menschlichen Natur, vor Dingen zu schaudern, an welche unsere Vernunft und unser Verstand nicht heranreicht! – Mancher Mensch, welcher gar viel Spukhaftes erzählen könnte, schweigt, um sich nicht lächerlich zu machen, und begeht dadurch einen unverzeihlichen Fehler. – Die vierte Dimension ist ein Feld des Wissens, welches mehr denn jedes andere Pioniere braucht, um es urbar zu machen und zu erforschen. – Der Humbug manch spiritistischer Veranstaltung, die Betrügereien mancher geisterbeschwörenden Hochstapler versperren leider dem ernsten Forscher den Weg und erschweren – ja vereiteln geradezu seine Bemühungen. Wollten aber zuverlässige Leute von Ehre und Gewissen den hohen Mut der Wahrheit haben, ihre Erlebnisse auf dem Gebiet des Unerklärlichen rückhaltslos zu erzählen und aufzufordern: ›Nun kommt ihr alle, die ihr euch dafür interessiert, und helft das Rätsel lösen!‹ dann würde wohl mancher Spatenstich gethan werden‚ den großen Schatz, welcher vielleicht die Wissenschaften der Zukunft birgt, zu heben!« –
Wir alle stimmten dem Sprecher lebhaft bei, und Herr v. A. strich lächelnd den weißen Bart und sprach: »Gut, ich melde mich als Pionier! Ich gestehe, daß ich bisher auch nicht gern über Erlebnisse gesprochen habe, welche doch keinen Glauben bei dem großen Publikum gefunden hätten! Und Sie haben recht, lieber Baron, es ist für einen Kavalier eine heikle Sache, sich bespötteln und verhöhnen zu lassen! Hier aber, wo unser hochverehrter Herr Geheimrat den Anfang gemacht hat, die Wahrheit mutig auf den Schild zu heben, will ich nicht zurückstehen!«
»Bravo! – bravo! Verehrtester Herr Kommandant, haben Sie gar einen Spuk hier in der Wartburg erlebt?«
»Einen Spuk? – ja, ich persönlich glaube es, daß es sich um etwas absolut Unerklärliches handelte, aber möglicherweise finden die Herrschaften ja eine ganz einfache Aufklärung, an welche ich noch nicht dachte! Hören Sie also kurz und bündig die Thatsache an und urteilen Sie alsdann selber, ob sie in das Register ›Gespenstergeschichte‹ gehört!
Es ist wohl schon zwei Jahre her, als in den Privatgemächern Sr. Königl. Hoheit ein großes Ölbild hing. Dasselbe stellte eine Dame dar, von welcher man in dem Jahrhundert, da sie lebte, manch geheimnisvolle Dinge geflüstert, ob mit Recht oder Unrecht, hat die Geschichte ebensowenig erforscht, wie bei den anderen weißen oder schwarzen Ahnfrauen, welche in alten Fürstenschlössern friedlos umherwandeln.
Die schöne Dame auf meinem Bilde jedoch hatte noch niemals Spukgelüste gezeigt, wenngleich ich öfters von Besichtigern des Gemäldes sagen hörte: Welch ein unheimliches Gesicht! Vor den Augen könnte man sich ja ja fürchten, so lebendig funkeln sie von der Leinewand hernieder!
Ich hatte das Bild stets voll Interesse betrachtet, ohne ihm jedoch im mindesten mehr Wohlwollen oder Abneigung zu bewahren wie irgend einem anderen.
Da war es denn an einem Wintertage, als ich auf dem beschneiten Pflaster des Hofes ausglitt und mir unerheblich den Fuß verletzte. Der Knöchel schwoll etwas an und ich legte mich frühzeitig zu Bett, um bequemer die Umschläge machen zu können.
Mein Diener, welcher mir die Handlangerdienste that, hatte sich, nachdem ich eingeschlafen, in dem Nebenzimmer angekleidet niedergelegt, die Lampe in meiner Stube aber brennen lassen.
Ich mochte geraume Zeit geschlafen haben, als mich ein Gefühl weckte, als ob jemand eine recht kalte, schwere Hand auf die meine lege. Ich schrak empor und starrte um mich her. Das Zimmer war hell erleuchtet und vor mir stand – ich rieb mir aufs höchste betroffen die Augen – die schöne, längstverstorbene Schöne jenes besagten Gemäldes.
Ich richtete mich jählings auf und glaubte im ersten Augenblick an irgend einen Scherz, den man sich mit mir machen wollte; ich griff nach den schweren Seidenfalten ihres Gewandes, welche ganz dicht vor mir glänzten und faßte leere Luft.
Nun starrte ich betroffen in ihr Antlitz – und ich sah ihre unheimlichen dunklen Augen so stier und geisterhaft auf mich gerichtet, daß mir ein eisiger Schauder durch Mark und Bein ging.
›Wer da?!‹ schrie ich auf, – und als die Gestalt keine Antwort gab, sondern lautlos noch einen Schritt näher schwebte und sich zu mir herabneigen wollte, da donnerten ein paar alte Kernworte von meinen Lippen. – Mit hochklopfendem Herzen, unter dem Bann eines Grauens, in welches sich die Wut mischte, riß ich den Degen, welcher stets am Kopfende meines Bettes steht, an mich, zog blank und führte einen mächtigen Hieb gegen die spukhafte Unholdin.
Ein leiser, stöhnender Schmerzensschrei. Ich sah, wie meine scharfe Klinge von oben bis unten durch die strahlende Gestalt zuckte, sie gleichsam mitten durch spaltend – und dann noch ein Wimmern – leis und verhallend, währenddem die Gestalt wie Dunst vor meinen Blicken zerrann.
Gleicherzeit stand mein Diener neben mir, mich ganz entsetzt anstarrend. ›Sie fiebern, gnädiger Herr! – allmächtiger Gott, nach wem schlugen Sie?!‹
›Siehst du nichts!!‹ murmelte ich ganz verstört und wischte den kalten Schweiß von der Stirn, ›die Dame hier … von dem Gemälde drüben …‹
Der Getreue nahm statt aller Antwort meine Hand und fühlte besorgt den Puls.
Ich schüttelte ihn ärgerlich ab.
›Narrheit! ich bin ganz gesund! ich habe auch nicht geträumt! Ich habe das Frauenzimmer wahr und wahrhaftig vor mir gesehen! – Hast du denn ihren Schmerzensschrei und das Wimmern nicht gehört, als ich nach ihr schlug?«
Der Diener blickte sich entsetzt im Zimmer um. ›Das schon … aber … ich dachte, der Herr Baron hätten den Hund getroffen –‹
›Thorheit, es ist gar kein Hund in der Stube!‹
›Ja, wer soll denn aber sonst so schreien?!‹
›Nun, die Spukgestalt, – ich sage dir's ja, Kerl!
›Ein Spuk?!‹ – Er riß die Augen weit auf. ›I das wäre doch!! – es hat doch sonst nicht hier in den Stuben umgegangen!‹
Ich hatte mich währenddessen erhoben, warf die nötigsten Kleidungsstücke über, schlüpfte in die weiten Pantoffeln und hüllte mich in den Pelz.
›So, nimm dir auch den Mantel um, fass' die Lampe und komm mit, ich muß sehen, ob das Bild noch an Ort und Stelle hängt!‹
Der brave Kerl schien einen Augenblick etwas fatal von dieser Zumutung berührt, als ich aber sagte: ›na wenn du dich fürchtest, dann gehe ich allein‹ – erwachte der alte Soldat in ihm, er warf hastig eine warme Joppe über und nahm die Lampe zur Hand.
Ich entzündete noch eine Laterne, welche ich selber zur Hand nahm, mit der Rechten faßte ich den Degen und schritt eilig, von einer unbestimmten Unruhe getrieben, durch die Thür voran.
Alle Schlösser, welche ich sorgfältig auf dem ganzen Wege prüfte, waren verschlossen.
Unsere Schritte hallten in den hohen, leeren Gemächern, und der Mondschein fiel durch die Fenster und beleuchtete grell weiß die einzelnen Gegenstände.
Endlich standen wir vor dem Gemälde, welchem unsere Wanderung galt.
Es kostete mich eine thatsächliche Überwindung, es anzusehen.
Ich hielt den Arm mit der Lampe hoch, gleichzeitig aber entfuhr ein Schrei höchster Bestürzung meinen Lippen, welcher bei meinem Diener ein Echo fand.
Das Gemälde war von oben bis unten, wie durch einen scharfen Säbelhieb, gespalten!
Sprachlos starrten wir das Unfaßliche an.
Mein Blick schweifte scheu zu den Augen des Gemäldes empor. Es waren dieselben Augen wie ich sie stets auf dem Bilde und vorhin bei der Erscheinung gesehen, – und doch waren sie anders geworden, nicht mehr so grell – so lebendig funkelnd, jetzt blickten sie erloschen ins Leere, wie das gebrochene Auge einer Toten.
Ein unbeschreibliches Gefühl überkam mich. Das Gefühl unaussprechlich banger, unheimlicher Hilflosigkeit, welche umsonst nach Erlösung sucht.
Stumm winkte ich dem Diener und schritt zurück, trotz meines warmen Pelzes fror ich bis in das Mark hinein.
Am nächsten Morgen stellte ich die umfassendsten Untersuchungen an. Sie blieben resultatlos.
Das Bild hing, von scharfem Schnitt mitten durch geteilt, als ungelöstes Rätsel vor unser aller Augen. – Nun, meine Herrschaften, hatte ich in jener Nacht nur geträumt?!« –
Tiefe Stille. Auch wir froren plötzlich, so daß wir uns enger noch aneinander schmiegten.
Der Geheimrat wiegte nachdenklich das Haupt.
»Verzeihen Sie dem Arzt eine Frage. Sie haben das Außergewöhnliche in heller Vollmondnacht erlebt; wissen Sie bestimmt, daß Sie nicht mondsüchtig sind? – Wäre es der Fall, so ließe sich Ihr Abenteuer dadurch erklären. Sie würden in nachtwandelndem Zustand den Weg zu dem Bild zurückgelegt haben, würden dasselbe in der Wahnvorstellung einer Erscheinung angegriffen und durchschlagen haben!«
Herr v. A. schüttelte den Kopf. »Diesen Gedanken haben wir bereits erörtert. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß ein Nachtwandler so viele richtige Thürschlüssel an einem Bund heraussucht, wie es zu dem fraglichen Weg nach dem Gemälde notwendig war; auch hätte ich bei meinem schmerzenden Fuß, bei strenger Kälte nicht so lange gehen können, ohne zu erwachen. Außerdem war ich niemals mondsüchtig, und wäre auf jeden Fall von dem Diener bemerkt worden, dessen Zimmer ich passieren mußte. Auch hörte der Diener alle Worte, die ich zu er Erscheinung sprach, und sah, wie ich den Hieb führte. Dieser ist also ohne jeden Zweifel von meinem Bett aus geführt worden. Wäre noch ein Bedenken, so würde der Schrei, welchen der Spuk ausstieß, und das leise Wimmern, welches von uns beiden, dem Diener und mir, gehört wurde, jeden Zweifel an dem Schauplatz des Ereignisses ausschließen. Wir haben schon jedwede Möglichkeit, welche das Erlebnis auf natürliche Weise erklären könnte, in Betracht gezogen, ohne jedoch den mindesten Anhalt für diese oder jene Auflösung zu finden!«
Wir besprachen das Gehörte noch eine Zeit lang, ohne zu günstigerem Resultat zu gelangen, bis Herr v. A. abermals das Wort nahm.
»Wenn es die Herrschaften interessiert, kann ich mit noch einem zweiten Erlebnis aufwarten, welches seiner zeit viel besprochen und auf die verschiedenste Weise ›gelöst‹ wurde, ohne daß jedoch thatsächliche Beweise erbracht werden konnten. Ich will mich auch diesmal auf den neutralen Standpunkt in dieser Kriegsfrage stellen und die Sache so erzählen, wie ich sie persönlich erlebt habe.
Da war ich denn eines schönen Sommertages nach heiterm Abendbrot im Kreise guter Freunde, an welchem jedoch dem Wein keineswegs tapfer zugesprochen war, aus der Restauration hier heimgekommen und hatte mich zur Ruhe begeben.
Ich war auch bald recht fest und tief eingeschlafen, als ich durch das Geräusch meiner knarrenden Thüre geweckt wurde.
Mein Diener stand halb angekleidet vor mir und meldete in wichtigem Flüsterton, daß in der Waffenhalle eingebrochen werde. Mit einem Satz war ich aus den Federn und legte die notwendigsten Kleider an.
›Wer meldet es?‹ fragte ich atemlos.
›Der Wächter hat ein Klirren und Poltern gehört und behauptet, es rühre von Dieben her!‹
›Hat er die Außenthür untersucht, ob sie geöffnet war?‹
›Jawohl, sie ist aber fest verschlossen. Die Kerls müssen durch die Fenster eingestiegen sein!‹
›Na nu! das soll mir mal einer vormachen!! Aber gleichviel, abfassen wollen wir die Burschen schon!‹
Ich eilte, ohne im Eifer an eine Waffe zu denken, zur Thür hinaus und traf auf dem Hof den Wächter, welcher mit allen Zeichen der Ungeduld mir entgegenkam.
›Sie scheinen an die Rüstungen zu gehen!‹ flüsterte er mir zu, gewiß die beiden blonden Engländer, die dem Führer gestern so verdächtig vorgekommen sind!‹
›Wohl möglich. Haben Sie den Posten benachrichtigt?‹
›Befehl.‹
Ich sann eine Sekunde. Dann entwarf ich folgenden Schlachtplan.
Auf einem Umweg wollte ich mich mit dem Diener auf die Galerie der Waffenhalle schleichen, um die Diebe zu beobachten und dieselben mäglicherweise zu erkennen, falls sie durch die Fenster flüchten sollten, wenn Wächter und Posten durch die Thür eintraten.
Wir wollten einen gewissen Vorsprung haben und die Flüchtenden durch überraschenden Anruf – von der Fensterecke her – irreführen.
Gesagt, gethan.
Wächter und Posten stellten sich an der Außenthür auf, um nach etlichen Minuten, wenn sie mein ›Wer da‹ gehört, einzudringen.
Behutsam schleichen wir die Treppe empor und lauschen an der Thür, welche auf die Galerie der Rüsthalle führt.
Richtig, ein Stampfen, Klirren – und doch kein Aufdröhnen, wie von wuchtigem Schritt, der Dieb schlich auf leisen Sohlen.
Kaum zügelten wir unsern Eifer.
Behutsam – so lautlos wie möglich öffneten wir und schlichen im Dunkel der niederen Loge vorwärts.
Bequem überschauten wir den Saal.
Es war eine helle Nacht, der Mondschein fiel in vollem Glanz durch die hohen Fenster und blinkte in den Waffen und Rüstungen, welche voll feierlicher Würde ringsum ergleißten.
Unser Blick aber schweifte ungeduldig umher, die Einbrecher zu entdecken.
Überrascht starrten wir in den Saal hinab.
Das Roß, welches sonst die mächtige Rüstung Kunz von Kaufungens trug, stand reiterlos, der geharnischte Ritter aber lehnte neben dem Pferd und wandte sich just, mit klirrenden täppischen Schritten durch die Breite des Saales zu gehen.
Aufs höchste verdutzt starrten wir den überraschten Dieb an, welcher sich die Mühe nahm, die Rüstung erst noch anzulegen, ehe er sie stahl.
Noch dachten wir an alles andere eher, wie an einen Spuk.
Atemlos vorgebeugt verfolgten wir den Ritter Kunz, wie er klirrend nach dem Fenster schritt.
Dasselbe war merkwürdigerweise noch geschlossen und der Einbrecher schien auch gar keine Eile zu haben, es zu öffnen und mit seiner wuchtigen Beute zu entfliehen.
Er schwang sich mit seltsam steifer Bewegung auf das Fensterbrett, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fensterwand und verharrte regungslos, wie in tiefem Schauen der mondbeglänzten Landschaft versunken.
Ich war sprachlos über eine solch unerhörte Frechheit.
Der Gedanke durchzuckte mich plötzlich, daß wir es nicht mit einem Dieb, sondern irgend einem Phantasten zu thun haben könnten, welcher hier ein kleines Ritteridyll träumen wollte.
Ein paar Engländer hatten sich durch ihr Benehmen auffällig gemacht, – war es unwahrscheinlich, daß einer der Tollköpfe sich in der Halle hatte einschließen lassen, um sich dem vollen, nervenreizenden Zauber einer ›Mitternacht zwischen den Manen alter Recken und Helden‹ hinzugeben?
Was wäre einem Engländer unmöglich?!
Ich will mir also den Burschen genau ansehen und entdeckte erst jetzt, zu meinem noch größeren Staunen, daß er das Visir des Helmes geschlossen hat.
Regungslos sitzt er, und da reizt mich das Verlangen, dem kühnen Jüngling doch einen kleinen Schrecken einzujagen.
Er wähnt sich ganz allein in der Halle, – er soll glauben, daß die Stimme des ergrimmten Ritters Kunz, dessen ehrwürdiges Eisenkleid er zu einer Maskerade entwürdigt, ihn höchstselbst zur Ordnung ruft.
Mit möglichst unheimlicher, dröhnender Stimme schmettere ich jählings ein Wort auf ihn herab.
›Heda – Erbärmlicher! – Wer bist du?!‹
Ehrlich gestanden hatte ich erwartet, daß John Bull vor Schrecken mindestens die Balance verlieren würde, aber siehe da – zu unserm namenlosen Staunen sitzt die eiserne Gestalt regungslos, ohne auch nur mit einem Glied zu zucken, auf dem Fensterbrett.
Ein Gemisch von Ärger und Anerkennung für solch gute Nerven und solch kaltblütige Unverschämtheit überkam mich.
›Herunter vom Fenster!‹ kommandierte ich.
Die Gestalt machte eine leichte Bewegung mit dem Haupt, daß die Helmdecke im Mondlicht aufblitzte, aber sie verharrte regungslos, wie angeschmiedet.
In demselben Augenblick knarrte der Schlüssel, die Außenthür sprang auf und mit der Laterne in der Hand drangen Wächter und Posten ein.
›Da sitzt er am Fenster!‹ schrie mein Diener, welchem auch die Galle in das Blut getreten war. ›Auf ihn! – haltet ihn! –‹
Beide Männer schritten hastig der geharnischten Gestalt entgegen.
Ungefähr fünf Schritt von ihr entfernt stutzten sie einen Augenblick, wie es schien vor Überraschung, den Einbrecher im Eisenkleide des Ritters Kunz zu erblicken.
Da erhob die Gestalt auf dem Fensterbrett wie in drohender Abwehr den Arm und der eiserne Handschuh fiel klirrend zur Erde.
›Er hat keine Hand!‹ stieß der Wächter jäh hervor.
Wir blickten auf die Rüstung. Die Armschiene hielt die Gestalt noch erhoben, aber man sah deutlich im hellen Mondlicht, daß weder Arm noch Hand darunter lagen.
In demselben Augenblick schlug mit leis klirrendem Laut das Visier zurück – und anstatt ein Gesicht dahinter zu erblicken, sahen wir nichts, der Helm war leer.
Der Wächter und mein Diener stießen einen Schrei des Entsetzens aus, – der Posten sprang einen Schritt vor und stieß mit dem Bajonett nach der Rüstung. Sie fiel rasselnd vorn über und wie von einer Panik erfaßt in wildem, fassungslosem Entsetzen stürzten die beiden Männer nach dem Hof zurück.
Das Ganze spielte sich sehr schnell in wenigen Sekunden ab, und als ich mich von meiner ersten Überraschung erholt, stürmte ich die Stiege hinab, persönlich hat den Ort der That zu erreichen.
Im Hof standen kreidebleich und an allen Gliedern bebend die beiden Männer.
›Ein Spuk, Herr Kommandant! – ein Spuk!‹ stöhnten sie auf.
›Narrheit!‹ wetterte ich, ›ein infames Possenspiel! Man hat die Rüstung auf das Fenster gesetzt, um sie bequemer stehlen zu können, und die Diebe halten sich in der Halle verborgen, weil sie uns vorhin schon auf dem Hofe gehen und sprechen hörten!‹
Diese Erklärung schien den Mut der Geängstigten neu zu beleben.
›Marsch, vorwärts! wir wollen die Halle absuchen!‹ rief ich und trat energisch durch die Thür.
Die Männer folgten.
Mein erster Blick flog nach dem Fenster, wo die Rüstung gesessen. Es war leer, das Eisenkleid aber lag, in all seine einzelnen Teile gelöst, so wie es herabgesunken war, an der Erde.
Die Aufregung ließ vorerst kein Grausen aufkommen, – ich brannte darauf, ein menschliches Wesen in der Halle versteckt zu finden.
Wir suchten und leuchteten alles ab; vergeblich, leer – öde – grabesstill.
Meine Begleiter wagten kaum zu flüstern.
›Wir finden niemand, Herr Kommandant, die Sache ist nicht mit rechten Dingen zugegangen!‹ beharrte der Wächter.
Wir traten auf den Hof zurück und verschlossen sorgfältig die Thür.
›Das war ein wirklicher und wahrhaftiger Spuk!‹ atmete der Posten schwer auf, ›die Rüstung hat sich bewegt, und es steckte doch niemand darin!‹
›Wir haben sogar gesehen, wie die eiserne Gestalt durch die ganze Halle hindurch nach dem Fenster geschritten ist!‹ bekräftigte mein Diener.
›Natürlich! weil da noch ein Kerl drinnsteckte!‹ sprach ich ärgerlich, mit dem festen Vorsatz, keine Spukgeschichte unter den Leuten aufkommen zu lassen, ›ich habe beobachtet, daß ein Schatten unter dem Fenster hinhuschte und sich seitwärts im Dunkel hielt. Man konnte von dort die Rüstung ungesehen anstoßen und somit ihre Bewegungen hervorrufen. Unsere Verwirrung hat der Gauner von einem Engländer benutzt, sich bis dicht an die Thür zu schleichen, und während wir die Halle absuchten, ist er hinaus entwischt. Es war thöricht, wir hätten die Thür besetzen sollen.‹
›Ja, es wird wohl so ein Engländer gewesen sein!‹ nickte der Posten, ›die haben ja immer was bei der Burg zu schaffen, gestern saß schon wieder einer im Hof und malte sie ab, – da hat er sich wohl mehr die Schlüssellöcher besehen wie die Mauern!‹
Ich stimmte lebhaft zu. ›Morgen wird sich schon alles aufklären!‹ beruhigte ich den Wächter, nun legt euch aufs Ohr und schlaft; der Morgen graut, und für diese Nacht sind wir wohl vor Dieben sicher.‹
Wir trennten uns und ich ging in mein Zimmer Aber schlafen konnte ich nicht. Den Schatten, von welchem ich den Leuten zur Beruhigung gesprochen, hatte ich nicht huschen sehen, im Gegenteil, ich hatte die eiserne Gestalt auf das schärfste beobachtet und würde jeden heiligsten Eid geleistet haben, daß ihre Bewegungen durchaus eigenwillige und nicht durch fremdes Anstoßen gemachte waren.
Je mehr ich mir jetzt, bei ruhigem Nachdenken, die Sache überlegte, desto rätselhafter und unbegreiflicher wurde sie mir. Meine Worte, mit welchen ich die entsetzten Männer beruhigt, waren Unsinn, denn unbemerkt aus einer eisernen Rüstung schlüpfen, welche man so fest angelegt hatte, daß man darin die Länge einer Halle durchschreiten konnte, war ein absolutes Unding.
In meinem Eifer, den Dieb zu erkennen, hatte ich jede Regung der Gestalt fest im Auge behalten, sie hatte sich unverzüglich auf das Fensterbrett gesetzt und war dort ohne besonderes Rasseln oder Klirren sofort sitzen geblieben.
Hätte man sich aber einer Rüstung, welche aus vielen einzelnen Teilen bestand, entledigen und sie alsdann in vollem Zusammenhang auf dem Fensterbrett aufbauen wollen, so wäre dies eine Arbeit gewesen, an welcher ein Mensch eine lange Zeit zu thun gehabt hätte, und zwar mit Benutzung all seiner Gliedmaßen, ohne sich dabei bis zur Unsichtbarkeit verborgen halten zu können.
Nach meinem unerklärlichen Erlebnis mit dem Gemälde hielt ich gespenstische Erscheinungen für kein Märchen mehr. Und der von Kaufungen, welchen ich soeben hatte durch die Rüsthalle schreiten sehen, war nun und nimmer von Fleisch und Bein gewesen.
Ich vergegenwärtigte mir seine marionettenhaften, wunderlich steifen, bei aller Täppigkeit dennoch schwebend, geräuschlosen Schritte. Die Rüstung hatte dabei geklirrt und gerasselt, aber die Erschütterung eines schweren, menschlichen Schrittes hatte ich nicht gehört. In meiner war mir das nicht aufgefallen, jetzt, nachdem ich alle Geschehnisse noch einmal im Geiste durchging, achtete ich darauf.
Aber seltsam, was sollte wohl Kunz von Kaufungen veranlassen, plötzlich wieder in seine Rüstung zu steigen und voll beinahe lyrischer Schwärmerei noch einmal hinaus in das Thüringer Land zu träumen?
Ich wußte so wenig von dem Ritter, – nur die weltbekannte Thatsache des Prinzenraubs, über sein Leben und Sterben entsann ich mich, nicht viel gehört zu haben.
Jetzt interessierte ich mich dafür. Ich holte mir ein Geschichtswerk und schlug nach.
Kunz von Kaufungen starb auf dem Schafott am 14. Juli 1455.
Seltsam, – auch im Juli. Und welches Datum hatten wir heute? – Ich blickte auf den Kalender. Es war die Nacht vom 14. zum 15. Juli.
Da lief mir ein eisiger Schauer den Rücken herab, – ich atmete auf, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen.
Sie haben recht, Herr Geheimrat, wenn Sie sagen: die Menschen schweigen oft über spukhafte Erlebnisse, um sich nicht lächerlich zu machen.
Als am folgenden Tag die nächtliche Begebenheit ruchbar wurde, stürmte Alt und Jung zur Wartburg. Da hörte ich fast ununterbrochen die spottende, lachende, übermütige Frage meiner Bekannten: ›Alle Wetter, A.! jetzt soll es ja gar auf der Wartburg spuken? Wird nun das Entree etwa erhöht?‹
Ich ärgerte mich. Alles ziemt sich nicht für alle.
›Unsinn, – ein paar Engländer haben sich einen Scherz gemacht, – die Sache soll aber totgeschwiegen werden,‹ antwortete ich und schnitt dadurch alle weiteren Erörterungen eines Themas ab, welches ich ungern frivoler Weise verlacht sah.
Und dieser Engländerglauben hat sich erhalten und soll sich auch so lange weiter erhalten, bis Kunz von Kaufungen noch einmal erscheint und selber sein Geheimnis ruchbar macht. Bis jetzt hat er es noch nicht gethan, und obwohl ich jede Nacht vom 14. zum 15. Juli die Rüsthalle nächtlich beobachtet habe, so ließ sich doch nichts Verdächtiges wieder hören. Das Bajonett des Soldaten mag den schwermütigen Träumer doch wohl allzu ungastlich berührt haben.
Ich freue mich der Geisterruhe in der Burg, denn es ist in vielen Dingen unangenehm, gegen Furcht und Feigheit kämpfen zu müssen. Ich hoffe, daß es auch in Zukunft still in der Rüsthalle bleibt. – Und daß ich Ihnen heute so indiskret aus der Schule plaudere, das verschuldete der Herr Geheimrat mit seiner geharnischten Rede. Nun haben wir in unserm kleinen Kreise schon verschiedentliche Zeugnisse aus hochachtbarem Munde gehört, welche zu ernstem Denken anregen, und doch bin ich überzeugt, daß unter den Herrschaften noch verschiedene sein werden, welche den Kreis dieser Erfahrungen bereichern könnten. Nun, Herr Oberst? Sie sehen mir just so aus, als ob auch Sie etwas Selbsterlebtes erzählen könnten?«
Der alte Pensionär mit dem heitern, frischwangigen Gesicht und dem martialischen Schnauzbart nickte ein wenig zögernd:
»Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen!« sagte er, »ich persönlich bin zwar noch nie von einem Gespensterbesuch beehrt worden, aber ich stelle statt meiner einen noch zuverlässigeren Gewährsmann, welcher mit Wort und Handschlag recht seltsame Erlebnisse beglaubigt hat, – meinen Vater.
Derselbe starb als hochbetagter Mann in einer nordischen kleinen Residenz, in welcher er eine höhere Stellung bei Hofe bekleidete.
Als heranwachsender Jüngling that er oft Pagendienste im Schloß, wenn zu Ehren auswärtiger Fürstlichkeiten große Feste veranstaltet wurden.
In diesem Schlosse nun sollte es seit grauen Zeiten spuken, und zwar wurde der seltsame kleine Geist als winziges, zwerghaftes Männchen geschildert, welches als treuer Hüter über das geliebte Fürstenhaus wachte.
Laut der Sage erschien der Kleine bei besonderen Veranlassungen. Hatte er ein frohes und beglückendes Ereignis anzumelden, so erschien er in weißer Kleidung, zeigte er Feuer oder Kriegsnot an, sah man ihn in feuerrotem Gewande, und galt es gar einen Todesfall im Herrscherhaus zu verkünden, so sah man ihn in schwarzem Mantel und spitzem, schwarzem Hütlein trübselig in einer Ecke kauern.
Gar viele Menschen in der Residenz wußten von dem Erscheinen des kleinen Gesellen zu erzählen, Schildwachen, Bedienstete des Schlosses, Hofdamen und Kammerherren hatten ihn gesehen, und soweit die Tradition Jahrhunderte zurückreichte, hörte man von dem spukhaften Männchen, welches sogar eine beherzte Schildwache einst mit sich durch unterirdische Gänge geführt hatte, mit dem flehenden Ansinnen, ihm ein uraltes, verrostetes Schwert blank zu putzen.
›Ja zum Teufel, mit was denn putzen? ich habe nichts hier!‹ hatte der Grenadier geantwortet, und bei dem bösen Wort war das Zwerglein mit einem Schreckensruf entschwunden. Der unterirdische Gang aber war durch den Vorfall entdeckt worden, – man hatte ihn zuvor nicht gekannt.
Selbstredend waren die Meinungen über den kleinen Spukgeist sehr geteilt, – viele glaubten an ihn, viele spotteten und höhnten darüber, doch hat mir eine eben so schöne wie geistreiche Hofdame noch kürzlich versichert, daß sie ein paar Tage vor dem Tode des letztverstorbenen Fürsten den schwarzgekleideten Zwerg in einer Nische des Korridors habe kauern sehen. Und Wesen und Charakter dieser Gewährsmännin bürgen mir vollkommen für die Wahrheit ihrer Aussage.
Auch in der Jugendzeit meines Vaters war oft von dem Schutzgeist des Schlosses die Rede, weidlich bespöttelt von uns übermütigen Jungens, die wir es sehr unter unserer Würde hielten, an ›solche Ammenmärchen‹ zu glauben.
Da ereignete es sich, daß die liebreizende Tochter des regierenden Herrn sich mit einem ausländischen Prinzen verlobte und die Vermählungsfeier mit großer Pracht begangen wurde.
Auch die Pagen wurden zur Dienstleistung befohlen, und glückselig der goldenen Zeit, welche ihrer harrte, stürmten sechs der jungen Leute, darunter auch mein Vater, die hohe Turmtreppe empor, denn der vielen Gäste wegen hatte man den Pagen die fernsten Turmstübchen einräumen müssen.
Es galt in fliegender Eile die Galauniform anzulegen, um rechtzeitig am Portal zu harren, wenn der Brautzug sich zum Gang in die Kapelle rüstete.
Unter Lachen und Scherzen wurde die Toilette beendet, und nachdem der Spiegel noch einmal die strahlenden, hochgeröteten Gesichter unter dem Federbarett gezeigt hatte, ertönte auch schon drunten im Treppenhaus die Stimme des Hofmarschalls, welcher ungeduldig nach den saumseligen Junkerlein rief.
›Wir kommen!‹ hallte es im Chorus zurück, und die fröhliche Schar stürmte zur Thür. Allen voran mein Vater und sein Freund, ein Herr v. B.
Kaum aber, daß die beiden den Flur betreten haben, prallen sie, aufs höchste betroffen, zurück.
Dicht vor ihnen, auf dem Rand eines Kamins sitzt eine kleine, zwerghafte Gestalt im weißglänzenden Seidenmäntelchen, mit einem spitzen weißen Hütchen keck auf dem Ohr, auf welchem drei ebensolch farbige Federn nicken, und einem uralten, verhutzelten Gesichtchen, welches aber so vergnügt und heiter blickt und die Pagen so verschmitzt anblinzelt, daß es gar nichts Geisterhaftes an sich hat.
Und doch stehen die Jungens wie gelähmt vor Entsetzen und starren das Männlein mit zitternden Gliedern an.
Die anderen drängen nach – auch sie sehen den Zwerg und schauen ihm mit weitaufgerissenen Augen sprachlos in das lachende Gesichtchen.
Da ruft der Hofmarschall abermals, und zwar recht ungnädig.
Die Pagen aber stehen wie ein Häuflein geängstigter Küken und keiner wagt sich an dem Spuk vorbei!
Das Männchen aber reibt sich die Hände und kichert und nickt.
›Pagen herzu! – Die Gäste betreten bereits den Saal!‹ donnerte drunten die Stimme eines dienstthuenden Offiziers.
Da lacht der Zwerg schrill auf, thut einen Luftsprung und ist droben im Kamin verschwunden, die Pagen aber rasen wie scheue Rosse mit wildem Satz an ihm vorüber, ihr Erlebnis mit kreidebleichen Gesichtern drunten zu erzählen. Und bis zu seinem Tode hat mein Vater die Wahrheit des Gesagten beschworen, ebenso wie die fünf anderen Pagen es gethan haben.
Nichts konnte den alten Herrn mehr kränken, als Zweifel an diesem Erlebnis.
Aus dem Pagen wurde ein junger Kavalier, und anläßlich eines Hofballes lernte mein Vater eine reizende, junge Dame kennen, in welche er sich glühend verliebte, und welche diese Liebe auch ebenso herzlich erwiderte.
Einer Werbung stand nichts im Wege, und so feierte man bald eine Verlobung auf dem heimatlichen Gut der Braut.
Dieses Gut zählte zu den ältesten Besitzungen des Landes und wies ein herrliches uraltes Schloß auf, um welches Frau Sage auch ihre geheimnisvollen Fäden gewoben.
Da gab es gar manche Spukstube, deren Geheimnisse noch nicht gelöst waren, obwohl beherzte Herren und Damen es schon oft unternommen hatten, das gespenstische Klopfen, Rascheln, Hin- und Herschreiten, das Gläserklingen und Waffenklirren zu entlarven, – leider immer vergeblich.
Auch der Hexenkeller hatte entsetzliche Dinge um Mitternacht zu offenbaren, aber dies alles war nichts gegen einen ganz besonders unheimlichen Spuk, dessen Bekanntschaft meine beiden Eltern leider in recht unheilverkündender Weise machen sollten.
Es war nach dem Verlobungsdiner, welches sehr feierlich in engstem Familienkreise gefeiert worden war.
Das überselige Brautpaar benutzte die erste Stunde trauten Ungestörtseins und wandelte Arm in Arm durch den herrlichen Park, welcher im vollen Blütenduft des Frühlings, in der mildstrahlenden Nachmittagssonne vor ihnen lag. Mein Vater erzählte darüber:
Der Weg schlängelte sich durch eine wohlgepflegte Wiese, auf welcher rechts und links niedere Teppichbeete in bunten Farben prangten.
Kein Gebüsch, kein Baum in nächster Nähe, nur der weite, goldig beleuchtete Rasen, von gelben Sandpfaden durchschnitten.
Der Himmel spannte sich wolkenlos und tiefblau über uns aus, jubelnde Vögel flogen in die klare Unendlichkeit empor, und unsere junge Liebe entfaltete ihre Silberschwingen, ihnen überselig zu folgen, in phantastischem Flug bis in den offenen Himmel hinein.
Wie die Welt ringsum, waren auch unsere Herzen eitel Licht und Frühlingswonne, und wohl nie hat uns der Gedanke an Spuk und mitternächtiges Grausen ferner gelegen, als wie in jener Stunde.
Wir wandelten innig umschlungen, uns herzend und küssend, durch die wiegenden Halme, als meine Braut plötzlich mit heftigem Ruck nach rückwärts taumelte und erschreckt aufschrie: ›O Gott, wer schlägt mich so sehr auf die Schultern!‹ –
Ich schnellte herum und sah zu meinem nicht geringen Schreck einen riesigen, schwarzzottigen Hund, welcher beide Vorderpranken auf die Schultern meiner Braut gelegt hatte. Seine Zunge hing ihm blutrot und lechzend aus dem Hals, seine Augen, seltsam rot und feurig, rollten wie in Tollwut hin und her und trafen mich mit einem Blick, welcher mir das Blut in den Adern erstarren machte.
›Allmächtiger Gott, ein Hund! – Steh still, Liebling, rühre dich nicht!‹ keuchte ich mit schwindelnden Sinnen, fest überzeugt, daß einer der großen Hofrüden toll geworden und uns überfallen habe.
Und keine Waffe zur Hand, als wie mein kleines Taschenmesser!
Blitzschnell fuhr meine Hand in den Rock, es zu suchen, und während ich noch mit bebenden Fingern darnach taste, zerrinnt der Hund plötzlich wie flüssiger Nebel vor meinen Augen und ist ebenso jählings verschwunden wie er gekommen.
Wie gelähmt vor Überraschung, mit verstörtem Blick starre ich um uns her.
Still und einsam liegt die weite Rasenfläche im Sonnenlicht, – kein Hund nah und fern zu sehen, keine Kratz-, keine Fußspur im Sand, und nirgends ein Busch oder Baum, hinter welchem er hätte entwichen sein können.
Kalter Schweiß trat auf meine Stirn, – mir war's zu Sinnen wie einem Menschen, welchem man plötzlich einen Schlag vor die Stirn versetzt. Aber ich hatte keine Zeit zum Überlegen.
Mit tiefem, schmerzvollem Aufseufzen richtete sich mein Bräutchen auf und sah mir mit todbleichem Antlitz in die Augen.
›Du hast einen großen, schwarzen Hund gesehen?‹ fragte sie mit zitternden Lippen.
›Ja gewiß, ganz deutlich! ein Scheusal von einem Köter!‹ rief ich mit verzweifelter Anstrengung, meiner Erregung Herr zu werden und die Sache womöglich in das Scherzhafte zu ziehen. ›Das muß ich sagen, ihr habt eine nette Sorte von Parkwächtern! Schnell wie der Blitz sind sie da und ebenso schnell wieder weg! Armes Herzlieb, du bist ja ganz elend vor Schreck! Komm schnell, – wir holen uns einen Cognac und einen Knüppel, um dem schwarzen Bengel mal gehörig das Leder zu versohlen!‹
Ich wollte dazu lachen, aber ich konnte es nicht. Laut aufschluchzend warf sich meine Braut an meine Brust und umschlang mich krampfhaft mit den Armen!
›Unglück! – Unglück!‹ schluchzte sie ganz verzweifelt, und als ich ihr Köpfchen zurückbog und ihr fragend in die thränenüberströmten Augen blickte, richtete sie sich plötzlich energisch auf und murmelte: ›Unsinn … es ist ja ein Aberglauben – bitte, sprich zu keinem …‹
Weiter kam sie nicht. Sie verstummte jählings, griff mit den Händen in die Luft, taumelte … und sank bewußtlos in meinen Armen zusammen.
Gleicherzeit hörte ich Stimmen und rief laut um Beistand.
Der Gärtner mit seinem Gehilfen sprangen herzu.
›Schnell, Wasser –! Holen Sie Hilfe aus dem Schloß! Das gnädige Fräulein hat sich so sehr über einen schwarzen Hund erschreckt …‹
›Einen schwarzen Hund?‹ schrie der Gärtner auf, ›Allmächtiger! … haben Sie ihn gesehen?‹ Er hob die Hände wie in beschwörender Angst, aber ich wies ihn ungeduldig fort –: ›schnell doch! Wasser!‹ Er stürmte davon, – sein Gehilfe aber stand noch wie die personificierte Furcht und ließ die Blicke voll scheuer Eile in die Runde gehen.
›Hier war er, am hellen Tage?‹ stammelte er.
›Holen Sie die Jungfer!‹ herrschte ich ihn mit gedämpfter Stimme an.
Er gehorchte – wie es mir schien mit einem Gefühl der Panik – und während ich voll verzehrender Angst die Ohnmächtige so bequem wie möglich an meine Brust bettete, folterte mich die Frage: Was ist's mit dem Hund? – es war keiner von Fleisch und Blut, – ich sah ihn vor meinen Augen wie eine Rauchwolke zergehen –! Ein Spuk? Am hellen, lichten Tag ein Spuk? – Er schien auch bekannt im Schloß, das Entsetzen des Gärtners bewies es.
Endlich kam Hilfe.
Meine Schwiegermama, die Schwägerin und hinter ihr weibliche Dienstboten.
Alle sahen verstört und leichenfahl aus.
Aber niemand sprach, lautlos bemühten wir uns um die Erkrankte, welche, Gott sei Lob und Dank, bald die Augen aufschlug.
Was ich aber gelitten, als ich in ihr marmorbleiches, lebloses Antlitz schaute, das kann keine Sprache der Welt ausdrücken. Wie eine furchtbare, qualvolle Ahnung überkam es mich und ließ mein Herz still stehen vor Schmerz und Entsetzen.
Es kostete mich viele Mühe, bis ich erfuhr, welche Bewandtnis es mit dem schwarzen Hund habe.
Niemand wollte mit der Sprache heraus, man suchte scheue Ausflüchte oder leugnete die Existenz des Spukes ganz ab, und doch sah ich es in jeder Miene, in jedem Blick, daß man sich bemühte, mir ein beunruhigendes Geheimnis zu verbergen.
Schließlich war es meine Braut selbst, welche mir Aufschluß gab.
Sie war ruhig und gefaßt, voll süßer, hingebender Liebe und Treue.
›Mag es kommen wie es will, ich gehöre dir, ich bleibe dir treu im Leben und Sterben.‹
Und dann erzählte sie mir von dem Spuk, welcher schon seit Jahrhunderten die Seelen der Schloßbewohner ängstigte.
Sein Erscheinen verkündete Unglück und Tod. Mit Vorliebe erschien er jungen Bräuten, welche in der Ehe nicht glücklich werden, oder frühzeitig sterben sollten.
Zuletzt hatte ihn Tante Clementine an ihrem Hochzeitstage gesehen. Ihre Ehe wurde schon nach zwei Jahren wieder geschieden.
Dann erschien er dem Großvater vor dem Tode, ebenso vielen Bediensteten des Schlosses, wenn ihnen Tod oder sonst ein Unglück bevorstand.
Als der alte Teil des Schlosses vor wenigen Jahren abgebrannt war, hörte man die Nacht zuvor das entsetzliche Heulen eines Hundes darin, und zwischen den Flammen wurde er selber in einem Fensterbogen sichtbar.
Der Mann, welcher ihn zuerst sah und die Leute darauf aufmerksam machte, wurde eine Stunde später von einstürzendem Mauerwerk erschlagen.
Wohl hörte ich diesen Bericht der Geliebten mit schmerzzuckendem Herzen, aber ich nahm allen Mut und alle Zuversicht in Gottes Treue und Gnade zusammen und redete meinem Bräutchen Mut ein.
Wir wollten uns unser junges Glück nicht durch thörichte Märchen trüben lassen! Wer sagte es denn überhaupt, daß wir den wirklichen Spukhund gesehen hatten?
Auf dem Hof gab es genug schwarzzottige Hunde, z. B. einen Bernhardiner, welchen ich den Schloßbewohnern mit Bestimmtheit als den von mir gesehenen bezeichnete.
Ich that alles, um den Bann der Gespensterfurcht von den Gemütern zu nehmen, verschwieg, daß der Hund vor meinen Augen verschwunden – sondern behauptete, er sei über die Wiese nach dem Schloß zurückgejagt.
Außerdem versicherte ich, müsse jedes Unglück nur mich treffen, da ich ja den Verkündiger desselben ganz allein gesehen hatte!
Dies leuchtete schließlich allen ein, und weil ich eine durchaus heitere und sorglose Miene zur Schau trug und standhaft den guten Bernhardiner auf dem Hof den ›Spuk‹ nannte, verlor sich allmählich der unheimliche Eindruck und wir verlebten eine glückliche Brautzeit.
Ehrlich gestanden habe ich aber namenlos unter der Heiterkeitskomödie, welche ich spielte gelitten, und manch lange Nacht wälzte ich mich schlaflos auf meinem Lager, mit vollem Grausen und Entsetzen in der Rückerinnerung an den unerklärlichen und schauderhaften Spuk lebend.
Unsere Hochzeit wurde gefeiert, – wir verlebten ein Ehejahr, welches vollkommen an Glückseligkeit gewesen wäre, hätte nicht der Gedanke an den gespenstischen Hund doch immer wie ein Alp meine Brust belastet.
Meine kleine Frau schien gar nicht mehr daran zu denken, sie sprach nie darüber, war stets heiter und guten Muts, und ich hoffte, daß die neuen Verhältnisse und die neue Umgebung ihren guten Einfluß nicht verfehlen würden.
Zwei Tage, bevor unser Söhnchen geboren wurde, richtete sie sich plötzlich nachts im Bett auf.
›Ein Hund bellt ununterbrochen und läßt mich nicht schlafen!‹ sagte sie ärgerlich.
Obwohl ich nichts hörte, sagte ich doch ebenso ärgerlich: ›Es ist Leutnant v. M.s Bulldogge, welche der Hauptmann nebenan in Pension genommen, so lange M. verreist ist.‹
Ich ging auch pro forma an das Fenster und schimpfte in den Hof.
›So, nun wird's Ruhe geben, – der Bursch nimmt ihn in den Stall! – Schlaf ein, mein Liebling.‹
Und die kleine Frau schlief sanft und ruhig ein, ich aber lag mit fiebernden Schläfen die ganze Nacht über wach. Ich hatte keinen Hund bellen hören – und ein eisiger Schauer schlich sich mir in das Herz.
Nach acht Tagen lag meine unbeschreiblich geliebte Frau auf der Totenbahre. Als ich ihr, halb wahnsinnig vor Schmerz, die treuen Augen zudrückte, erscholl vor dem Fenster das laute, klagende Geheul eines Hundes.«
Der Sprecher schwieg und strich langsam mit der Hand über die Augen.
Wir saßen stumm und regungslos, durchschauert von dem heimlichen Grausen, welches uns allen an das Herz geschlichen war.
»Huhuhu« heulte draußen der Wind, und die Wetterfahne kreischte im Kampf mit dem Sturm.
Der Kellner trat in das Zimmer und meldete, daß ein Wagen für den Herrn Geheimrat besorgt würde.
Das brach den Bann, in welchem unsere Seelen noch gelegen.
Das Gespräch wurde abermals aufgenommen und auch die Erscheinung des Hundes auf alle nur denkbare Weise zu erklären gesucht.
Ohne Erfolg, denn der Erzähler konnte jeglichen Einwand sofort widerlegen.
»Ich habe auch einmal die Erscheinung eines Tieres gehabt«, sagte der Geheimrat, »aber mir in meiner Eigenschaft als Arzt dieselbe sogleich als Alpdruck erklärt.
Ich wurde an dem kältesten aller Winterabende auf ein Gut hinaus geholt, wo einem Jäger bei der Saujagd ein Unfall zugestoßen war. Die ganze Jagdgesellschaft übernachtete vollzählig in dem alten Schloß, und da die Verwundung durchaus keine bedenkliche war, so nahm das späte Jagddiner einen ebenso heiteren wie ›feuchten‹ Verlauf.
Ich mußte an demselben teilnehmen, und obwohl ich sonst alle Spirituosen meide, schien mir bei dieser Kälte ein Glas Punsch doch recht gute Dienste zu leisten. Wir saßen aber lange bei Tisch, aus einem Glase wurden mehrere, und dazu gab es viele recht schwere Speisen, Gänsebraten und Jägerkohl, Majonaise und Plumpudding – – und während des Essens erhob sich draußen ein Schneesturm, daß gar nicht an die Rückfahrt gedacht werden konnte. Ich mußte also auch in dem Schloß übernachten, wie es schien, zum Schrecken der Hausfrau, welche ihrem Gatten zuflüsterte: ›Alle Fremdenzimmer sind besetzt! Ob ich den Herrn Doktor wohl in die Giebelstube logieren kann?‹
Der Hausherr lachte mit weingerötetem Gesicht und rief: ›Natürlich; warum auch nicht? Herr Medizinalrat Sie fürchten sich doch nicht vor ein paar Gespenstern?!‹ – Allgemeine Aufmerksamkeit.
Ich versicherte lachend, daß ich viel zu müde wäre, um noch Spukvisiten zu empfangen! Ich bäte gehorsamst um die Giebelstube!
›Es spukt darin? – Donnerwetter! eine schöne, weiße Dame à la George Brown? George Brown ist die männliche Hauptfigur in » La dame blanche« (Die weiße Dame, 1825 ), einer Oper des französischen Komponisten François-Adrien Boieldieu. Das Libretto stammt von Eugène Scribe, der seine Inspiration aus fünf Romanen des schottischen Schriftstellers Sir Walter Scott bezog. – D.Hg.‹ rief ein junger Offizier übermütig, ›lassen Sie mich da schlafen! ich kann gerade so ein kleines Majorat brauchen!!‹
›Unsinn! Weiße Dame! ein Scheusal spukt in der Giebelstube! ein riesiger schwarzer Bär mit einem roten Halsband um!‹
›Pfui Teufel! – den gönne ich ihnen allein, Herr Medizinalrat!‹
Es wurde noch hin- und hergescherzt, – etliche Herren wollten gern noch eine heldenhafte Bärenjagd riskieren, – aber schließlich blieb ich Sieger, und als man in elften Stunde endlich das ›Diner‹ beendete, bat ich, mich zurückziehen zu dürfen, da ich die vergangenen Nächte bei einem Schwerkranken gewacht hatte.
Die Hausfrau führte mich in die Giebelstube, versicherte, es sei ja alles Unsinn mit dem Spuk – und wünschte mir eine gute Nacht.
Ich stand in einem großen, viereckigen, nicht allzuhohen Zimmer, dessen drei runde Bogenfenster erkerartig herausgebaut waren. Die Wände waren nach altmodischer Weise königsblau gestrichen und mit weißen, rosentragenden Säulen bemalt.
Ich nahm eins der beiden brennenden Lichter vom Tisch und besah mir das Zimmer genau.
Die Möbel waren einfach und altmodisch, der große Nußbaumschrank leer. Eine Thüre führte auf den Flur, sonst befand sich kein zweiter Ausgang im Zimmer.
Als ich nach dem Tisch zurückschritt, gewahrte ich an einer der Wände eine großstrichige Kohlenzeichnung. Sie stellte einen Bär dar, welcher mit erhobenen Vorderpranken daher schreitet. Um den Hals trug er einen Ring, mit Rotstift gemalt; unter dem karrikaturenhaften Bild stand ein Vers:
Ich armer Kerl schwor zu der
alma mater
Und sah bisher nur nächtens einen Kater,
Die Bären band bei hellem Tag ich an,
Was ein Studiosus ja nicht lassen kann.
Zur Rache nun den angebundnen Seinen
That mir heut nacht allhier ein Petz erscheinen,
Der drückte mich – o Schreck – o große Not –
In seinen Armen beinah mausetot.
Drum eile ich – als Sühne meiner Sünden
Noch heut' die Bonner Bären abzubinden!
Vetter Heinz.
Ich lachte hell auf, besah mir den grimmen Meister Petz noch einmal genau und begann mich auszukleiden.
Ich riegelte die Thür ab und lag nach wenigen Minuten im schönsten, tiefsten Schlaf.
Aber meine Träume waren recht unerquicklich; erst stürzte ich von einem hohen Turm herab, dann fiel ich ins Wasser und war gerade am Ertrinken, als ich einen röchelnden Hilfeschrei ausstieß und erwachte. Ich sah, daß ich im Bett lag.
Von den drei Fenstern fiel heller Mondschein in das Zimmer, denn man schien in der Eile vergessen zu haben, die Läden oder Vorhänge zu schließen.
Ich vernahm ein Geräusch und wollte mich aufrichten, aber meine Glieder waren schwer wie Blei, – mechanisch richtete ich die Augen nach der Thür.
Ich sah, wie sich dieselbe langsam öffnete, wie eine große, ungefüge, schwarze Gestalt hereintappte.
Ich wollte sie anrufen, ich konnte es nicht.
Nun trat sie in den Mondschein.
Der Bär! – beim Himmel, es war der Bär!
Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, – ich wollte zum Bett heraus und meinen Stock als Waffe ergreifen, – unmöglich, ich lag wie gelähmt!
Und der Bär tappt auf mich zu, – genau wie ihn die Zeichnung an der Wand darstellte, mit erhobenen Vorderpranken und geöffnetem Rachen. Der rote Ring leuchtete an seinem Hals, aber er schien wie Blut, welches in dicken Tropfen in den zottigen Pelz hinablief.
Immer näher kam er, – nun stand er vor meinem Bett.
›Hilfe!‹ wollte ich rufen, umsonst, kein Laut kam von meinen Lippen.
Das Ungeheuer neigte sich, daß sein heißer Atem über mein Gesicht strich, faßte mich mit den Pranken und preßte mich in mordender Umarmung an sich, fester – immer fester … ich röchelte … die Besinnung schwand mir und dann stieß ich einen dumpfen Schrei aus. Er hallte mir selber in den Ohren, ich bäumte mich voll Verzweiflung wild auf und saß im nächsten Moment aufrecht im Bett.
Ich war allein. Ruhig und still lag die Stube im Mondeslicht vor mir, von dem Bär war keine Spur mehr zu entdecken. In kalten Schweiß gebadet waren meine Glieder. Ich griff zum Licht und entzündete es.
Die Stellen, wo der Bär mich gedrückt, schmerzten, als ob ich jede einzelne Pranke noch fühlte.
Magen, Rücken und die Seiten schienen wie zermalmt.
Ich erholte mich ein wenig, schritt nach der Thür und untersuchte sie. Sie war von innen fest verriegelt.
Ich nahm ein Glas Wasser, that drei Tropfen Salzsäure hinein und trank es.
Die Wirkung trat ein, indem der Druck nachließ, und das bewies mir, daß sich Gänsebraten und Jägerkohl gerächt hatten.
Der beschwerte Magen zauberte mir die bösen Träume Ad schließlich einen regelrechten Alpdruck.
Der Anblick der Zeichnung hatte in dem Gehirn reflektiert und ließ mich nun den Bär in just derselben Gestalt als spukhaftes Traumbild erscheinen.
Ich bin überzeugt, daß jeder andere an ein übernatürliches Ereignis geglaubt hätte, denn es war frappant, daß auch Vetter Heinz den Bär just so gesehen hatte wie ich, – aber wer weiß, ob der Herr Studiosus nicht zuvor auch einem späten Jagddiner Ehre angethan hatte.
Auf alle Fälle war ich diesem Spuk gegenüber zu sehr der skeptische Mediziner, welcher sofort eine natürliche Lösung fand. Zwar bestritt man mir andern Morgens meine Aufklärung auf das heftigste und war in hohem Grade alteriert, daß sich der Bär auch mir gegenüber in seiner stets üblichen, so unwirtlichen Weise gezeigt.
Man behauptete, nicht alle Gäste könnten doch just im Giebelzimmer an Alpdruck leiden, während die andern ›Dineresser‹ sanft und süß – vielleicht mit der doppelten Portion im Magen – geschlafen hätten! – – Ich bat, die Zeichnung aus dem Zimmer zu entfernen, welche möglicherweise bei jedem Gast zu der Wahnvorstellung eines alpdruckartigen Traumes beitrage! – Man versprach es mir, aber die Tochter des Hauses hat mir schon kurze Zeit danach ein Billet geschrieben: ›Trotz der neu getünchten Wände spukt der Bär weiter!!‹ – Welch ein altes Schloß ließe sich auch mir nichts dir nichts seine Spukstube rauben?!
Ich gestehe ehrlich ein, daß ich persönlich an diesen Spuk nach dem Jagddiner nicht geglaubt habe und auch jetzt noch nicht glaube. Findet sich eine auch nur annähernd mögliche Deutung, so lasse ich dieselbe in erster Linie gelten, – und der spukende Bär war meiner Ansicht nach nur Alpdruck!«
Wir stimmten dieser Ansicht zu. In diesem Augenblick trat der Kellner ein und meldete, daß das Abendbrot serviert sei. Und der gute Appetit verscheuchte das Interesse an den unheimlichen Gestalten.