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Die Frau Sanitätsrätin stand hinter dem Sessel, in welchem ihr Sohn, der junge, schmucke Fabrikant mit dem kecken blonden Schnurrbärtchen und den schalkhaft blitzenden Augen, behaglich zurückgelehnt lag und blaue Rauchwölkchen in die Luft blies. Sie formten sich alle zu den tadellosesten Ringen, welche langsam durch die warme, duftige Luft des Salons schwebten, bis sie an den zackigen Blättern einer Agave, deren graziöse Krone sich von dem Blumentisch herüberneigte, zerrannen.
Die alte Dame sah mit traurigem, ein wenig forschendem Blick in das frische Antlitz ihres Einzigen.
»Gehst du, Freddy? Gehst du ganz gewiß?«
Der junge Mann wandte lächelnd den Kopf und küßte – ohne seine Stellung zu verändern – die schlanke, weiße Hand, welche mit sanftem Druck auf seiner Schulter lag.
»Aufs Wort, Mutterchen, ich gehe! Was ich einmal versprochen habe, das halte ich auch, wenn es mir auch noch so langweilig und unangenehm ist.«
»Ich traue dir noch nicht so recht! Warum willst du es mir denn durchaus nicht sagen, welch ein Kostüm du gewählt hast – warum soll ich dich nicht vorher sehen …«
Wieder drückten sich seine Lippen zärtlich auf die leicht bebenden Finger der Sprecherin, und seine Augen leuchteten voll Schelmerei.
»Maskengeheimnis, kleine Mama! Tiefes Maskengeheimnis! Ich bitte dich, respektiere es! Du weißt, daß ich ein närrischer Kauz bin …«
»Schäme dich, Freddy! Geheimnisse vor der Mutter! Das war doch früher nicht so! Da gab es keine Falte in deinem Herzen, welche ich nicht kannte! Aber jetzt … o ich empfinde es ja täglich, wie es anders geworden ist!«
Wie vorwurfsvoll ihre Stimme klang, – wie die zarten Hände bebten … und jetzt … gar eine Träne?
Freddy richtete sich jählings auf. Einen Augenblick zuckte und arbeitete es in seinem Gesicht, dann schloß er die alte Dame stürmisch in seine Arme und flüsterte: »Welch eine böse Einbildung, Mutterchen! Du weißt, daß niemand meinem Herzen näher steht als du! Wenn du es ernsthaft wissen willst, sage ich es natürlich – ich werde heute abend als Don Carlos den Maskenball bei dem Herrn Präsidenten verschönern, – schwarzer Samt mit rotem Seidenfutter – gepufft und geschlitzt, daß es eine Lust ist! So … bist du nun zufrieden?«
Sie streichelte mit lebhaftem Blick seine Wangen.
»Du mein bester – liebster Schlingel! Also endlich Farbe bekannt! – Ich darf dich doch sehen?«
Wieder eine sekundenlange Pause der Verlegenheit, dann zuckte Alfred Naugardt zweifelnd die Achseln.
»Das wird wohl nicht möglich sein, Herzensmamachen, wir wollen uns alle in dem Maskenleihinstitut ankleiden lassen – Rudolf, Leutnant von Mirsch, Seike und ich, – weil der Friseur nicht Zeit hat, in unsere so entfernten Wohnungen zu laufen … Aber vielleicht mache ich es möglich und fahre noch einen Augenblick hierher – falls noch Zeit ist, Mutterchen – mit Bestimmtheit darfst du nicht darauf rechnen!« –
»Ich würde dich gar zu gern sehen!« lächelte die alte Dame, und ihr Blick flog voll zärtlichen Stolzes über die schlanke, zierliche und doch so blühende Gestalt des Sohnes; »das Kostüm wird dir herrlich stehen! Du wirst Eroberungen machen … und … ach … wirst du dich nicht auch endlich einmal erobern lassen?!«
Wie ihr Blick in seine Seele drang! »Freddy – ich begreife nicht, daß du der süßen kleinen Cilly Mornier gegenüber so unempfindlich bleibst – dieses herzige Wesen – dieses bildhübsche Mädchen – und ach … wenn du wüßtest, wie gern sie dich hat!«
Alfred lachte hell auf. »Ein Trotzkopf ist sie! Großgezogen mit dem Kräutlein Eigensinn. Sie schwärmt für die moderne Frauenbewegung, sie will das gute, alte Wort: ›Er soll dein Herr sein!‹ nicht mehr anerkennen! Immerhin! hat sie ihren Kopf – so habe ich auch den meinen, wir wollen sehen, welcher stärker ist!«
Und der Sprecher drückte die Mutter etwas aufgeregt an die Brust, schnitt ihr jedes weitere Wort durch einen Abschiedskuß ab und stürmte zur Tür. »Jetzt kommt das Heiratsprojekt. – Rette sich wer kann! – Auf Wiedersehen, kleine Sanitätsrätin – halte mir den Daumen, daß Don Carlos heute abend auch einer Königin versichern kann: ›Das Leben ist doch schön!‹« – Wie ein Wirbelwind war er davon, und Frau Clementine nahm eine Stickerei zur Hand und lächelte befriedigt vor sich hin.
Endlich, nach vieler Mühe, hatte sie es heraus! Also, Don Carlos! Wahrlich, keine üble Wahl – er wird die Herzen im Sturme nehmen! – Und Cilly? Ja nun, es ist noch nicht aller Tage Abend, und der holden Schelmin wird das Warten schließlich selber lang! Sie liebt ja den Freddy – und all die Neckerei und der lustige Krieg mit ihm führt schließlich doch zu seinem Sieg! – Warum forschte Frau Major Heibig so dringlich nach Alfreds Kostüm? Das geschah lediglich für Cilly! Sie will den Geliebten kennen und sich ihm unbefangen nähern können! O, die Mädchen sind ja schlau, wenn es gilt, einem stolzen Liebhaber das »Bettelwort« auf die Lippe zu zwingen. In diesem Falle ist Frau Naugardt die Verbündete des künftigen Schwiegertöchterchens, sie ziehen an einem Strick, an dem rosigfarbenen, geheimnisvollen Zauberfädchen, welches den starrköpfigen jungen Kaufmann auf die Knie zwingen soll! Hastig nahm die Sanitätsrätin ein Billett zur Hand und schrieb an Frau Major Helbig:
»Endlich kann ich Ihnen genauen und sicheren Bescheid geben. Der Betreffende erscheint als Don Carlos, schwarzer Samt mit roter Seide.«
Sie schellte und gab dem Diener den Brief zur schleunigen Bestellung, – und dann setzte sie sich näher zum Fenster und zog lächelnd die seidenen Fäden durch den feinen Battist, – sie stickte Ausstattung!
Die Lichter brannten vor dem Spiegel, und mitten in dem Zimmer des Hotels, in welchem Alfred Naugardt tief verborgen und geheimnisvoll Toilette machte, stand der junge Mann und blickte mit fröhlichem Gesicht auf einen Korb hernieder, aus welchem ein ganz seltenes Gewirr von Spitzen, Atlas und Blumen hervorschaute.
Er zwirbelte das blonde Bärtchen keck empor. War es ein Unrecht gewesen, der Mutter das Märchen vom Don Carlos-Kostüm aufzubinden? O nein, es war Notwehr, Selbsterhaltung gewesen. Eine Frau ist wie die andere, – sie plaudern alle gern, und schon manch ein Lebensglück ist an Weiberlippen zerschellt! Darum hat er nicht seit zwei Wochen solch saure Arbeit getan, um der rollenden Kugel Fortunas den Weg zu bahnen! Weder Zeit, noch Mühe, noch Geld hat er gespart, um zum Ziel zu gelangen. Da galt es zuerst, die Schneiderin von Cillys bester Freundin Alice – auszubaldowern! Dann mußte die Schneiderin gewonnen werden, – sie mußte dem Schlachtplan geneigt und zur sicheren Verbündeten gemacht werden. O, das war kein leichtes Stück Arbeit, – aber wirklich, alles war geglückt! Hier im Korb lag ganz genau dasselbe Kostüm, wie es Fräulein Alice heute abend anlegen wird, – oder besser gesagt, wie sie es anlegen wollte, – denn daß sie nicht erscheint, ist ebenfalls ein Werk Alfreds gewesen, welches ihm nicht leicht geworden. Sein bester Freund kam ihm endlich dabei zu Hilfe. Er liebte Fräulein Alice und beabsichtigte, sich mit ihr zu verloben, – auf Alfreds Bitten und seine ehrliche Beichte hin hatte er sich entschlossen, schon heute als Freier bei der jungen Dame anzuklopfen, ganz überraschend – zu später Stunde, – die Fahrt zum Ball dadurch vereitelnd. So weit wäre alles glatt gegangen, – nun hilf weiter, du gutes Glück, welches ja ein junger Mann stets haben muß!
Wenige Minuten später saß Alfred Naugardt vor dem Spiegel und hinter ihm stand lachend der Friseur und verwandelte den blondlockigen Männerkopf in ein brünettes Mädchenhaupt, täuschend ähnlich demjenigen des Fräulein Alice. Ein Spitzenschleier verhüllte die Ohren und die verräterische Partie um Wangen und Hals, flammende Granatblüten und ein hoher Goldkamm schmückten das Haar, und während der Künstler mit der Brennschere seines Amtes waltete, flogen Freddys Gedanken zurück zu einer Stunde, welche schon damals die glücklichste seines Lebens werden sollte und doch so verhängnisvoll endete.
Es war im Herbst. Man machte eine Landpartie. Tiefblau wölbte sich der Himmel, köstlich frische Luft wehte von dem nahen See herüber, und der Buchenwald lag vor ihnen wie ein Märchengebild, mit Gold, Smaragd und Purpur überschüttet. Seite an Seite schritten sie dahin, – zurückbleibend hinter den andern, die Herzen so voll, die Blicke so leuchtend und sehnsüchtig in die Ferne gerichtet, als ob von dort das süße Wunderland der Liebe winke!
Aber nur kurze Minuten dauerte solch ein seliges Träumen. Kaum, daß Freddy die ersten, leisen Worte flüsterte – Worte von bedeutsamem Klang, Worte, welche ahnen ließen, daß seinem Herzen in dieser Stunde Flügel, gewachsen, sich innig werbend zu der Geliebten aufzuschwingen – da verflog die träumerische Weichheit in Cillys rosigem Antlitz, der Ausdruck kecken, selbstbewußten Trotzes, welcher es so oft beherrschte, trat wieder in demselben hervor, und ihre Augen blitzten seltsam zu ihm auf.
»Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, finden Sie?« sagte sie achselzuckend. »Je nun, oft wäre es wohl recht viel besser, die Menschen blieben allein und für sich, anstatt sich freiwillig Fesseln anzulegen, welche nur später drücken!«
»Rosenketten drücken nicht!«
»Wenn Menschen, welche nicht zusammen passen, sie gemeinschaftlich tragen müssen, drücken selbst solche Rosenketten !«
»Was verstehen Sie unter ›nicht zusammen passen‹?«
Sie lachte und zuckte die Achseln. »Nun, Starrköpfe, die sich nicht ineinander fügen können!«
»Eine Frau soll immer das weiche Wachs in den Händen des Gatten sein!«
Sie faltete die feinen Augenbrauen schier zornig zusammen. »Natürlich, die Frau soll sich fügen, dulden – ertragen! Die Frau soll Sklavin sein und die Launen ihres Tyrannen gutheißen! Welch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Die brutale Gewalt des Stärkeren dürfte an dem neunzehnten Jahrhundert scheitern, in welchem hoffentlich Geist und Verstand des Weibes jenes Männervorrecht, uns unter die Füße treten zu dürfen, aufheben wird!«
»Unter die Füße treten? Ich glaube, es gibt eine größere Machtstellung auf der Welt als die eines liebenden und geliebten Weibes! Der Mann beugt seine Knie vor der Königin seines Herzens!«
»Einmal im Leben! Vielleicht bei seiner Werbung, und solche Sentimentalität und zeitraubende Förmlichkeit haben die modernen Männer auch schon längst gestrichen! Aber dennoch wird solch ein imaginärer Kniefall zeitlebens als eine schreckliche Sklavenarbeit ins Treffen geführt!«
»Wenn unsere nüchterne Zeit wohl auch zumeist von einem Beugen des Knies absieht, so ist doch die ganze Werbung eines Mannes ein demütiges Sichneigen vor der Geliebten!«
Ihre Wangen flammten heißer, ihre Stimme klang immer erregter und die dunklen Augen sprühten ihm entgegen wie in Spott und Kampfeslust. »Ist es denn wahrlich eine solche Überwindung, eine solche Erniedrigung für einen Mann, dem Mädchen, von dem er so viel – alles verlangt – zu sagen, daß er sie liebt?«
Auch Alfred schoß das Blut in den Kopf.
»Ich möchte wohl sehen, ob sich je eine der demütigen, engelsmilden, entsagungsvollen Frauen dazu verstehen würde, solch ein ›Bettelwort‹ auszusprechen!« antwortete er gereizt.
Cilly blieb stehen und ward schon allein bei solch einem Gedanken leichenblaß. »Wir … wir Mädchen auch noch die Liebeserklärungen machen? – eher sterben! – Tausendmal lieber sterben!«
»Aha!«
»Nicht aus Hochmut, nicht aus Trotz – wie Sie eben anzunehmen scheinen! Aber aus Stolz – dem edlen weiblichen Stolz und Schamgefühl, welches sich vor einem Manne nichts vergeben darf!«
»Wenn das neunzehnte Jahrhundert mit der abhängigen Stellung des Weibes aufräumen soll, so muß es auch mit allem, was daraus hervorgeht, brechen! Eine Frau, welche den Mann als völlig gleichartiges Wesen ansieht, braucht sich nicht mehr zu schämen, noch zu erröten; die Frau der Zukunft vergibt sich nichts mehr, wenn sie um einen Gatten wirbt, den sie anständig ernähren kann. Sie sprechen so wegwerfend von einer Liebeserklärung – gut, heiraten Sie doch mal einen Mann, zu welchem Sie das entscheidende Wort sagen!«
Sie knäulte das Spitzentuch zwischen den bebenden Händen. »Nie, Nie! Ich verlange von meinem Zukünftigen den Kniefall, welcher ihn zu meinem Vasallen macht!«
»Gut! Und ich verlange von meiner Zukünftigen, daß sie mich so glühend, so über alles liebt – daß sie mir ihre Liebe gesteht!«
Cilly starrte ihn an, als habe sie nicht recht gehört.
»Ich schwöre es Ihnen – ich verlange eine Liebeserklärung und einen Kniefall.«
»Und ich schwöre es Ihnen ebenfalls – ich heirate nur eine Frau, welche mir selbst ins Ohr flüstert, daß sie mich liebt! Den Kniefall erlasse ich ihr vielleicht, obwohl mir derselbe auch recht angenehm wäre!«
»Empörend! Ich hoffe, darauf warten Sie bis an Ihr Lebensende!«
»Wer weiß!«
Sie wandte ihm schroff den Rücken und stürmte den moosigen Abhang hinab, mit bebenden Lippen, den Arm ihrer Freundin Alice zu nehmen.
Der schöne, goldensonnige Herbsttag aber endete mit Sturm und Regen.
Sie sahen sich oft und viel danach, sie verkehrten in alter Weise, nur daß sich manch ironischer Blick, manch spitzes Wort in das Geplauder schlich, und dabei drückten sie sich beide den giftigen Pfeil Amors immer tiefer und rettungsloser in die Herzen.
»Sie liebten sich beide – doch keines wollt' es dem andern gestehn, sie sahen sich an so feindlich, und wollten vor Liebe vergehn!« Heinrich Heine, Buch der Lieder. Die Heimkehr, XXXIII. – D.Hg. – Welch eine qualvolle bittere Zeit sehnenden. glühenden Hängens und Bangens!
Cillys flehender Blick warb um Liebe, – ihre Eitelkeit brannte darauf, einen süßen, großen Triumph über den Geliebten zu feiern.
Mit allen erlaubten Mitteln reizender Koketterie versuchte sie, den starrköpfigen Verehrer vor ihre Füße niederzuzwingen, und Freddy wiederum bot alles auf, was in seinen Kräften stand, den Funken der Liebe in ihrem Herzen zur Flamme zu schüren.
Welch ein glühendes, leidenschaftliches Werben auf beiden Seiten, und welch ein spröder Stolz, welch ein Eigensinn und Trotz bei jedem, den begonnenen Kampf zu Sieg und Ehren durchzuführen!
Umsonst, kein Nachgeben, kein Weichwerden hier oder dort! Das anfängliche Spiel war ernst geworden; die Brücke hinter jedem war abgebrochen, und doch standen sie einander gegenüber und breiteten voll qualvoller Sehnsucht die Arme aus: »Komm!« – Wer aber sollte nachgeben?
Cillys spröder Stolz bäumte sich auf gegen das Ungewöhnliche und Herausfordernde einer Annäherung von ihrer Seite. – Jetzt, der entscheidenden Thatsache gegenübergestellt, sah sie es erst ein, wie weit entfernt sie davon war, eine »moderne Fortschrittlerin« der Frauenbewegung zu sein, und wie tief und unlöslich die alten Grundsätze und Ansichten der Mutter und Großmutter auch in ihrem Herzen wurzelten.
Sie wäre gestorben vor Scham und Verlegenheit, hätte sie dem Geliebten auch nur mit einer Silbe gestehen sollen, wie verzweifelt und trostlos es in ihrem Herzen aussah, wie die Liebe sie zu der Sklavin des erwählten Mannes gemacht, ohne daß er ihr die Händchen mit Rosenketten gefesselt! Oft schon deuchte es ihr wie ein Verbrechen, wenn ihr Blick – ihr Händedruck ihm mehr verrieten, als es die strenge Sitte erlaubt, und doch war sie ihrem Empfinden gegenüber oft so willenlos!
Ach, wie bereute sie ihren törichten Trotz, ihre unüberlegten Worte so bitter, welche sie an jenem unglückseligen Herbsttag so ewig weit von allem Glück geschieden hatten! Sie sah, daß Alfred sie liebte, – sie standen einander so nah, – ach so nah, daß sie nur einander in die Arme zu sinken brauchten, um für ewige, glückselige Zeiten vereint zu sein, und doch lag ein selbst aufgerissener Abgrund zwischen ihnen – –: der ließ sie zusammen nicht kommen, das Wasser war gar zu tief!« –
O der bitteren Pein! –
Alfred sah und empfand genau, welch ein holder Wandel in dem Herzen der Geliebten vor sich gegangen war, wie das Leid der Sehnsucht allen Trotz und Eigensinn ausgerottet hatte; er fühlte und empfand es ihr auch nach, daß sie es voll holden Schamgefühls nie zuwege bringen würde, ihm die verlangte Liebeserklärung zu machen, – ja, jetzt, bei ruhiger, kühler Überlegung wäre es ihm sogar höchst unangenehm und der Geliebten unwürdig erschienen, hätte sie sich zu einer Liebeserklärung emanzipieren wollen!
Aber was beginnen?
Er, als Mann konnte und durfte in diesem Streit nicht nachgeben. Er würde damit für alle Zeit bei ihr verspielt haben, die alten Teufelchen des Trotzes und der Eitelkeit hätten schnell neuen Lebensodem aus dieser seiner Schwäche gesogen, und seine Ehe wäre auf dem morschesten aller Fundamente erbaut.
Er soll dein Herr sein! – Dies Wort ist und bleibt der Grund- und Eckstein für eine jede glückliche Ehe, und ein Weib, welches nicht die Würde und Überlegenheit des Mannes anerkennt, wird nie an seinem Herzen das Glück finden, welches sie erhofft und erträumt. Die schwache Natur des Weibes verlangt einen starken Halt und eine kräftige Stütze an dem Führer durch das Leben, – und ihr Glauben daran und ihr Vertrauen sind für ewig erschüttert, zeigt dieser Starke auch nur ein einziges Mal eine Schwäche, über welche sie triumphiert.
Nein, – zu seinem und zu ihrem Heil –! er durfte nicht nachgeben. Aber so wie bisher ging es nicht weiter; dieser unerträgliche Zustand konnte und durfte nicht länger andauern.
Da war Alfred auf einen guten Ausweg verfallen; er ersann eine List, welche hoffentlich zum Ziele führte.
Und nun war die Stunde gekommen, wo sich dies zeigen sollte. –
Unter Lachen und Scherzen stand er vor dem Spiegel, und eine wohlbetagte Schneiderin und der Friseur verwandelten ihn in eine der reizendsten Spanierinnen, welche man sehen konnte!
Welch eine Taille! – Alfred biß die Zähne zusammen und sagte: »Ziehen Sie nur fest zusammen – ich halte es noch für zwei Zentimeter enger aus! – Und der Fuß! Wahrlich, keine Dame brauchte sich seiner zu schämen! – Puder und Schminke taten das ihre, spanische Spitzen verschleierten, was nicht gesehen werden sollte, und jede Bewegung war nett und zierlich, wenngleich die Schneiderin schier sterben wollte vor Lachen und immer wieder mahnte: »Schwenken Sie die Röcke nicht so toll! Machen Sie kleine Schritte, Herr Naugardt! – Am besten ist's, Sie setzen sich recht viel und lange hin!«
Das nahm er sich auch vor.
Eine Droschke rasselte vor die Tür, und Freddys bester Freund, Leutnant von Mirsch, sprang mit schnellen Schritten die Treppe empor.
»Ah, famos! Don Carlos! Also du hast dir dieses teure Kostüm doch andrehen lassen, alter Junge! Sehr hübsch! Schwarzer Samt und rote Seide! Ha, ich wünschte, ich könnte dich meiner Mutter mal, wenigstens von fern, zeigen!« –
Mirsch brach in stürmische Worte des Beifalls aus, als die allerliebste Spanierin ihm sehr kokett die Hand zum Kusse bot, und wenige Minuten später fuhren » Monsieur et madame« dem hellerleuchteten Ballsaal entgegen.
Cilly sollte das Kostüm einer Odaliske tragen – aber Alfred stand dennoch geraume Weile und ließ den bunten Maskenschwarm an sich vorübertosen, ehe er die Geliebte zu erraten glaubte. Da wirbelten mehrere Türkinnen im Tanz an ihm vorüber – nein … keine von all diesen konnte Cilly sein! Endlich blitzt und funkelt es ihm grell in die Augen, weiche Seidenstoffe glänzen vor seinem Blick, und in der vollen, verführerischen Schönheit, so wie Sichel Nathaniel Sichel (1843-1907), deutscher Maler und Illustrator; Schöpfer üppiger, mit Vorliebe exotischer Frauengestalten. – D.Hg. seine Odaliske gemalt, steht Cilly unter schwarzer Halbmaske vor ihm.
Erregt legt sie ihren weißen, samtweichen Arm auf den seinen.
»Endlich, Alice! Wo um alles bleibst du?« flüstert sie mit unverstellter Stimme; »wir hatten doch verabredet, daß wir uns unter der Kaiserbüste dort treffen wollten!« –
Alfreds Herz schlägt hoch im Halse. Er preßt ihren Arm fester und fester an sich. »Ich wollte mich soeben zu Majestät durcharbeiten.« flüsterte er mit piepsender Stimme; »ich stand ja hier wie eingekeilt!«
Cilly lacht und kneift ihn in den Arm. »Warum sprichst du denn so albern? Mir gegenüber brauchst du doch die Stimme nicht zu verändern?!«
Er kichert in hellem Diskant: »Doch! Doch! Ich will mich üben! Mama sagt, so wie man einmal mit eigener Stimme spricht, fällt man den Herrn gegenüber auch aus der Rolle!«
»Meinetwegen!« seufzt die reizende Odaliske, »ich will es ja gerade, daß er mich bald erkennen soll! Ach Alice – heute – oder nie!« –
»Ist er denn schon da?«
»Ja; ich sah ihn – und ich hefte mich an seine Fersen! Ich sage ihm – daß ich aus der Hand die Zukunft lesen kann – und dann nenne ich ihm … aber du weißt ja schon – – kennst ja meinen Schlachtplan – ich muß heute siegen – ich muß Gewißheit haben – ich ertrage es nicht länger…«
Alfred vermeint, die Welt drehe sich im Kreise um ihn! Welch eine Wonne! Jetzt schon – so schnell kam der Augenblick, wo er sie zu weiterem Geständnis drängen kann! Er legt den Arm voll kühner Leidenschaft um sie, – er ist ja Alice!
»Komm – setz dich dort zu mir – laß uns plaudern –« flüstert er.
»Wo denkst du hin? Das können wir morgen! Jetzt will ich ihn suchen und ihn hoffentlich für immer finden!« – Und schnell wie der Gedanke entwindet sie sich ihm, und da gerade ein lustiger Matrose vorübereilt und sie in übermütiger Weise mit sich fortzieht, so wirbelt Cilly im Tanze dahin, schneller und überraschender, als die schöne Spanierin es sich träumen läßt.
Ungestüm will er ihr nacheilen – aber ein Harlekin und ein Mephisto nehmen unter krähendem Jubel das »schöne Spanierin« gefangen, und bis Freddy sich mit etwas handfester Ungeduld von ihnen befreit hat, ist die Odaliske und ihr Tänzer im dichten Menschenschwarm verschwunden.
Er eilt hin und her … er sucht mit den Blicken … endlich sieht er die Goldmünzen leuchten – ah … spaßhaft – sie schreitet an dem Arm seines guten Mirsch, des schwarz-roten Don Carlos dahin. Wie sie sich an ihn anschmiegt – wie sie zu ihm aufflüstert … Der Tausend, ja! –
Mit kräftigen Armen bahnt sich die Spanierin ihren Weg – schon nähert er sich … da zieht Cilly den etwas widerstrebenden Carlos mit sich in das Gewoge der Tanzenden – ihr Köpfchen sinkt an seine Brust – sie schweben davon!
Hält sie jenen Don Carlos etwa für ihn? Das wäre eine schöne Bescherung! –
Fiebernd vor Aufregung stürmt Alfred ihnen abermals nach – aber wie schwer hält es, in dieser Menschenmenge und dem riesengroßen Hotelsaal einem tanzenden Paare zu folgen! Dazu die aufdringlichen Herren, – welche mit ihren Artigkeiten die »holde Schöne« verfolgen, sie umringen oder ihr den Weg versperren! –
Freddy möchte am liebsten die Maske herunterreißen und sie mit bärtigen Lippen hohnvoll zärtlich anlächeln!
Jetzt … da stehen sie wieder jenseits an der Wand! Ist Cilly von Sinnen? Sie löst eine Rose von der Brust und reicht sie dem Stockfisch von einem Mirsch … als ob … ja, fraglos! was will er denn – dies alles gilt ja ihm selber, ihm, Alfred! – Aber zum Kuckuck noch eins, wenn Mirsch Feuer fängt? Na ja – er neigt sich schon recht tief … Er küßt ihre Hand – Wie ein Rasender bahnt Freddy sich einen Weg. Ha! keine zwei Schritte mehr entfernt – und dahin wirbeln sie abermals!
Ein Gefühl glühender Eifersucht überkommt den armen Verliebten! Er, welcher Cilly durch kleine Einflüsterungen eifersüchtig machen und ihr das Geständnis der Liebe entlocken wollte, er fühlt sich plötzlich selber von den Flammen dieser Leidenschaft ergriffen.
Außer sich folgt er – eilt hin und her … aber es ist, als ob alle bösen Geister sich gegen ihn verschworen hätten, er erreicht das unruhige, tanzlustige Pärchen nicht.
Da überkommt es ihn wie dumpfe Resignation, er wendet sich nach der kleinen Seitennische, wo die Marmorbüste des Kaisers an der Wand glänzt, und wo in lauschigem Grün trauliche Ruheplätzchen winken.
Dort ist es noch etwas menschenleer, denn alles drängt der Mitte des Saales zu, wo ein paar Gaukler lustige Possen treiben.
Da klingt und klirrt es leise neben ihm; atemlos, sichtlich hocherregt, stürmt die reizende Odaliske herzu, wirft sich neben ihm auf das Polster, schlingt außer sich die Arme um ihn und drückt das Antlitz auf seine Schulter.– »Alice!« schluchzt sie auf, »alles ist verloren! – Er liebt mich nicht – er liebt eine andere – alles war nur falsches Spiel von ihm – –«
Freddy wagt kaum zu atmen, aber drückt die zitternde Gestalt an sich. »Was denn – um alles in der Welt – sprich –!« murmelt er.
»Erst nahm er all meine kleinen Avancen sehr überrascht an – er schien mich nicht zu erkennen, oder besser, er wollte es nicht! – Als ich ihm die Rose gab – flüsterte er plötzlich, wie in höchster Überraschung: ›Gretchen? – Gretchen? – könntest du es sein? – Schelm – hast du etwa eine Perücke auf?‹ – Ach Alice – das war echt – das war keine Verstellung – er hielt mich für Grete Markwitz … er nannte sie du … er ist einig mit ihr – o, und Mirsch war gewiß nur Elefant – für ihn – und wir dachten, Mirsch werbe selber um Grete …« Leidenschaftliches Schluchzen unterbrach die Worte, Cilly schob die Maske ein wenig hoch und trocknete die Augen.
»War's nicht doch etwa nur Zufall?« flüsterte Freddy, kaum noch seiner mächtig.
»Nein!« stieß Cilly verzweifelt hervor – »ich spielte für ein paar Minuten Gretes Rolle … und da – ach, da erfuhr ich alles; – sie sind heimlich verlobt!«
»Grete und Mirsch?«
»Unsinn! mit ihm ist sie verlobt – mit ihm! mit Freddy! – Ach Alice – das überlebe ich nicht!«
Die schöne Spanierin zog die Unglückliche noch näher an sich. »Und du hast Alfred Naugardt wirklich so sehr geliebt?«
Cilly preßte nur die Hände wie in stummem Schwur gegen die Brust. »Warum fragst du noch, Alice, du weißt es doch! Ja, ich habe ihn geliebt und liebe ihn noch – und werde ihn immer lieben, und wenn er auch nur ein frevles Spiel mit mir trieb – wenn er mich strafen wollte für meinen Trotz und über mich triumphieren – ach, Alice – ich liebe ihn dennoch!«
Wie ein leiser, qualvoller Aufschrei klang es, aber er verhallte in dem brausenden Jubel, welcher die Gaukelkünste der beiden Zauberer belohnte.
Freddy aber beugte sich ein wenig, schob die Maske zurück und rief mit glückzitternder Stimme nur ein einziges Wort: »Cilly!« –
Sie starrte ihn an – sie erbleichte bis in die Lippen, unfähig, sich zu regen, er aber drückte voll jauchzender Wonne Kuß um Kuß auf ihr tränenüberflutetes Antlitz und sagte lächelnd: »Nun du es mir selber gesagt hast, Cilly, daß du mich lieb hast, nun glaube ich's auch!« –
* * *
Niemand fiel es auf, daß zwei gute Freundinnen den ganzen Abend auf dem Divan zusammen saßen, eine Odaliske und eine Spanierin, und daß sie sich aneinanderschmiegten und so leis, zärtlich und vertraut plauderten wie ein Brautpaar!
Ja, warum sollen sich zwei so reizende junge Mädchen nicht auch dann und wann küssen? Sie waren wohl beide noch recht jung. Sie tanzten auch sogar zusammen, was bei dem Trubel und der Karnevalsstimmung auch nicht sonderlich auffiel.
Nur Cillys Mama schüttelte einmal im Vorübergehen den Kopf und sagte: »Aber Kinder, ihr seid ja wieder wie die Kletten unzertrennlich! Geht man darum auf einen Maskenball?«
Da nahm sie »Alice« eifrig beiseite, man flüsterte lebhaft – die Spanierin lüftete ein wenig die Maske, und die zukünftige Schwiegermama fiel vor Überraschung beinahe in Ohnmacht.
Noch vor der Demaskierung waren die drei alsdann verschwunden. Anderntags aber gab's viel in der Gesellschaft zu erzählen – Cilly und Alice hatten sich verlobt, aber die schöne Spanierin trug ein Schnurrbärtchen unter der Maske und hieß Freddy Naugardt!! –