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Peter Claasen diente in Cuxhaven als Werftarbeiter. Als er noch daheim bei den Eltern, auf der einsamen, sturmumbrausten Nordseeinsel lebte, war er Fischer und rang voll zähen Mutes, ja oft voll waghalsigen Trotzes mit den Elementen, sein kärgliches Brot zu verdienen. Er war der fünfte Sohn, – drei Schwestern wurden noch nach ihm geboren, was Wunder, wenn es in dem kleinen Fischerhaus zu eng für so viele ward.
Die älteren Brüder dienten bei der Marine,– auch an Peter kam die Reihe, und er fuhr jauchzend und frohgemut auf schmucker Korvette in fremde, bunte, lockende Welten hinein! –
Als er abermals heimkehrte, deuchte ihm das Elternhaus noch enger denn zuvor, und er packte sein Bündel und versuchte sein Glück in Cuxhaven. Sein Glück! – Ein fleißiger, braver und nüchterner Mann findet bald sein Glück, namentlich wenn er so bescheiden und anspruchslos ist wie Peter Claasen. Er bekam Arbeit und gutes Auskommen, er fand auch ein frisches, rotwangiges Friesenkind, welches ihn lieb hatte und sein Weib wurde. Und während Ebba ihm in der lebhaften, unruhigen Hafenstadt ein eigenes Heim so traut wie möglich gestaltete, dachten sie beide dennoch Tag und Nacht voll heimlicher Sehnsucht an die stille, weltferne Inselheimat, wo das Leben so hart und schwer und dennoch einzig und allein ein wahres Leben war! Viel Briefe kamen nicht von dort, in letzter Zeit aber kamen mehrere hintereinander, und ein jeder brachte so traurige Kunde, daß Peter Claasen still, mit tief geneigtem Kopf auf der Ofenbank saß und mit schwieligen Händen über die Augen wischte: die Pfeife ward kalt und die Wangen naß.
Daheim starb eins nach dem andern. Die beiden ältesten Brüder verunglückt und von der See verschlungen, der dritte am gelben Fieber in fernen Landen dahingesiecht, der vierte seit einer Fahrt nach China verschollen, – und die Schwestern verheiratet oder in Dienste außer dem Haus gegangen, – da war es leer und still in dem ehedem so vollen Fischerhüttchen geworden. Nun lag auch der Vater hoffnungslos darnieder, und die alte Mutter ließ ihm durch den Herrn Pastor schreiben: »Komm' heim, Peter – es will Abend für mich werden.« – Peter Claasen schaute seiner Ebba stumm in die Augen. »Wollen wir heim?« fragte sein Blick. Und sie drückte ihm ebenso stumm die Hand, und dennoch sprachen ihre sehnsüchtig leuchtenden Augen: »Ja, laß uns heim!« –
Da packten sie schweigend ihren kleinen Kram, lösten die Bande, welche sie hielten, und fuhren über die blaue See, der Insel zu. Als ihre gelben, kahlen Dünen über den Wogen auftauchten, zog Peter Claasen andächtig die Mütze vom Kopf, und sein Blick hing starr an dem Strand, um welchen die Möven kreischten, und sein Auge leuchtete wie verklärt. –
Ebba trug im Arm einen Blumentopf, ein kräftiges Reis der Monatsrose, welche vor etlichen Monaten auf ihrem Hochzeitstisch gestanden, – das pflanzte sie abends in das kleine, kümmerliche Sandgärtchen vor dem Fischerhaus und strich liebkosend mit der Hand über die Zweige, welche sich zitternd im Sturmwind bogen: »Ich will dich fein warten und pflegen, damit du Sand und Wind überstehen sollst!«
Und sie pflegte die Monatsrose, – und die Rose überstand die Winterstürme und faßte Wurzel im Sande.
Als der Sommer wiederum ins Land kam, lag in Frau Ebbas Armen ein flachshaariges Dirnlein, und Vater Peter stampfte mit den hohen Wasserstiefeln so leise wie möglich in das Stübchen und flüsterte der jungen Mutter voll strahlender Freude zu: »Und am Stock draußen ist über Nacht ein Monatsröslein aufgeblüht!« –
Die alten Großeltern und ihr Sohn bestanden darauf, daß die kleine Dirn den Namen Antje erhalten solle, Ebba aber schüttelte den Kopf: »Sie ist auch eine Monatsrose – und wenn ihr sie Antje tauft, – so nenne ich sie dennoch Röslein!« –
Und wie eine Mutter ihr Kind ruft und kost und schilt, so heißt es; – die Antje Claasen ward im ganzen Dorf die Rose genannt. –
Sie wuchs empor, schlank, blond und rosig anzuschauen, ebenso wie ihr Schwesterlein am Strauch vor Ebbas Fenster, nur daß sie von festerer Art als diese war. – Die Monatsröslein verblühten so schnell – ach gar zu schnell!
Sie liebten den Sturmwind, den rauhen, wilden Gesell, sie strebten ihm mit schwellenden Knospen und hoffnungsgrünem Laube entgegen, und kaum daß der Treulose ihre rosigen Wangen geküßt, kaum daß der Kelch sich voll erschloß, fuhr er wüst und erbarmungslos daher, riß die Blüten an sich und entblätterte sie, daß sie abends schon sterbend auf dem blassen Sande welkten. –
Antje liebte auch den Sturm! Ach wie sehr liebte sie ihn!
Einsam auf hoher Düne stand sie und ließ hochatmend Rock und Fürtuch flattern, – dann sauste der wilde Gesell daher, gierig die Rosenwangen zu küssen, das Goldhaar zu zausen, daß es in langen Strähnen über den Rücken flog, – und Antje breitete jauchzend die Arme aus und ließ sich drängen und fortreißen, hinab – weiter – immer weiter – bis die Gischtflocken der Brandung um ihre nackten Füße sprühten und eine angstvolle Stimme rief: »Rosenantje! zurück! sonst kommst du zu Schaden!« – Der Jürgen schritt bei solchen Worten bedächtig und schwerfällig daher, und wenn er neben dem schmucken Mädchen stand, dann schlug er die blauen Augen, welche eben noch so glückstrahlend und entzückt auf sie geschaut, schüchtern zu Boden und schob die Pfeife in den andern Mundwinkel und stotterte nur: »Aus der Tiefe kommt kein's wieder hoch! – Bleib' daheim, Rosenantje, der Sturm reißt dich ja nieder!« –
Sie lachte ihn mit schneeweißen Zähnen an: »Würdest mich nicht wieder hoch holen, Jürgen?«
Der kraute verlegen den Blondkopf, ward blutrot und blickte zur Seite: »Nee, Antje Claasen – aus den Klippen hier geht's nicht!« – Aber im Herzen dachte er: »Retten könnt' ich dich wohl nicht, aber dir nachspringen und mit dir sterben!« –
Und so dachte er vieles in seinem treuen, liebeheißen Herzen, – aber Antje hörte es nicht, und sie rümpfte ärgerlich das Näschen über den langweiligen Bursch, drehte ihm den Rücken und ging davon.
»Ach Sturmwind, lieber Sturmwind, – blas mich einmal weit weg von hier, in die große, bunte, schöne, lustige Welt, von welcher Vater erzählte, – hier ist es gar zu eng –! ich sehne mich hinaus!« –
Und Rosenantje wiegte sich keck und lebensfroh auf den schlanken Hüften und dachte: »Den Jürgen nehm' ich nicht! der ist so lau und flau wie der Wind nach Johanni! Ich aber halte es mit dem Sturm, der versteht es besser zu tanzen! heisa juchhe!« –
So weltfern die kleine Insel auch inmitten der blauen Wogen gelegen, der scharfe Späherblick moderner Spekulation hatte sie dennoch entdeckt, und bald schaukelte der kleine Dampfer vor den Dünen, welcher die ersten Badegäste in das Fischerdörfchen brachte.
Welch' ein ungewohntes, nie geahntes Leben!
Mutter Ebba erwachte bei dem Anblick der eleganten Städterinnen wie aus langem Schlaf und murmelte lächelnd: »Wie dermalen in Cuxhaven!«
Mit glänzenden Augen starrte Rosenantje das neue Schauspiel an und dachte tief im Herzen: »Wie schön muß die Welt da draußen sein, wo es so feine, herrliche Menschen gibt, welche selbst Werktags in Seide und Goldschmuck einhergehn!« –
Vater Peter aber schüttelte finster den Kopf und sprach: »'s ist Trug und Schein, – diese Stadtleute sind wie die Quallen, bunt und aufgeblasen und gar schön anzusehn, – aber sie taugen nichts, und wer die Finger von ihnen nicht zurückzieht, den brennen sie!« –
Herbstwetter! Der Sturm jagt Regenwolken und die See rollt bleigraue Wogen gegen die Dünen. Das Riedgras raschelt, und die Taue, welche die Fahne auf dem Strandmast halten, pfeifen ihr melancholisches Lied.
Droben auf der Düne steht Antje und badet mit Wohlbehagen die jungen Glieder in dem Wind, welcher ihr den flatternden roten Rock um die Füße schlägt. Ihr ist's wunderlich zumute. Wie Lachen und Weinen zugleich. Hoch auf schlägt ihr Herz in Sehnsucht nach dem Glück, dem fremden – süßen – wunderlichen Glück, welches sie nur vom Hörensagen kannte, wie ein Blinder die Farben!
Glück! – Glück, wo bleibst du?! Antje ist so jung und schön, – ihr Herz so heiß und durstig! wo bleibst du, Glück? –
Wie der blonde Jürgen schaut es nicht aus, das weiß sie! –
Horch – ein lachender Ruf! – Ho ho hojohe!! – Dort naht eine schlanke Gestalt im wehenden Mantel, den weichen Filzhut fest auf dunkle, stürmumwühlte Locken gedrückt, das blitzende Schwarzauge auf die junge Fischerdirne gebannt. – Wild auf braust es in den Lüften und ein Sturmvogel fliegt mit lachendem Schrei über ihnen hin, – Antje aber preßt die Hände auf das bebende Herz und steht regungslos.
Da kommt er ihr entgegen wie der Sturmwind, keck, siegesfreudig, rücksichtslos, und er lacht sie mit flammenden Augen an und schlingt die Arme um sie, wie der wüste Gesell in den Lüften, welcher sie hinab in die Meerestiefe reißen will!
Ein Scherz! – ach nur ein Scherz! – Es ist nicht bös gemeint, – er sagt's ja selbst mit lautem Lachen und behauptet, der Sturm habe ihm eine Rose an die Brust geweht! – Nun hält er sie fest – und ob das zitternde Mädchen auch heiß erglühend sich aus seinen Armen ringen will, – er neigt sich mit heißem Atem nur desto näher und küßt ihre Lippen, küßt sie so ungestüm und gewaltig, wie der Nordost die armen Monatsrosen!
Und durch Antjes Seele geht es wie ein Aufschrei namenloser Wonne: Das ist das Glück! – –
Da hält auch sie es mit blühenden Armen fest und blickt ihm in die Augen und lauscht den süßen Klängen, welche von seinen Lippen wehen. Die sind nicht lau und flau wie der Wind nach Johanni, – nein, die brausen über ihr Herz wie die gewaltigen Fittiche des Sturmwindes, unwiderstehlich, hinreißend – sinnverwirrend!
Das Meer rollt zu ihren Füßen und spült die Trümmer des Wracks an den Strand, welche von Falsch und Treulosigkeit des Windes erzählen, – Antje aber schließt die Augen und sieht sie nicht! –
Silberner Mondschein am Strand! du holder, verschwiegener Freund heimlicher Liebe, – klagst du nicht um die Rosen, welche ein Sturmwind entblättert? – Noch einmal küßt er ihre Lippen. »Ich gehe und du folgst mir!« flüstert er in ihr Ohr. –
Und Antje folgte ihm. Ihre Tränen, ihr leidenschaftlicher Trotz, ihre schier krankhafte, verzweifelte Sehnsucht nach Welt und Menschen haben die Eltern gezwungen, sie ziehen zu lassen.
In Hamburg hat sie wundervoll schnell ein Unterkommen und guten Dienst gefunden.
Jürgen steht an dem niedern Zaun des Gärtchens und streckt ihr die hartgearbeitete Hand entgegen. Er ist bleich bis in die Lippen hinein und noch wortkarger denn sonst.
Sie lächelt ihm flüchtig zu und hastet an ihm vorbei – die Zweige der Monatsrose klammern sich angstvoll an ihren Rock, und Jürgen sagt mit stockender Stimme: »Bis zum Sommer bleib' dort, Antje! – nicht länger! dann hol' ich dich heim! Ja,– soll ich?« –
Sie blickt betroffen auf. Welch' ein Ausdruck in seinem treuen, ehrlichen Gesicht! Antje wird dunkelrot. Sie kann es ihm nicht antun und alle Hoffnung nehmen, – so nickt sie und lächelt kurz: »Soll ein Wort sein, Jürgen, um Pfingsten holst du mich heim!«
Und dann scheidet sie, so hastig, als brenne der Boden der Heimat unter ihren Füßen.
Der Sturmwind stößt in die Segel des kleinen Schiffes und treibt sie wie ein wilder Dämon von dannen
Wieder ist's Sommer geworden.
Bang und unbeholfen steht Jürgen in Hamburg vor der Tür des Hauses, in welchem Antje wohnt. Sie sei ausgegangen, hat ihm eine Frau, welche er nach ihr gefragt, gleichgültigen Tons gesagt.
Nun wartet er, aber Antje kommt nicht. Die Stunden vergehen, es wird Nacht. Wo bleibt sie! Schweren Herzens wendet sich der Fischer, den folgenden Tag zu erwarten.
Still und düster ist es auf der Brücke, über welche er schreitet. Auf dem Geländer sitzt eine in den Mantel gehüllte Frauengestalt und starrt hinab in die gurgelnden Wogen, über welche der Nachtwind saust. Ein Flackerschein der Laterne trifft ihr Gesicht, und Jürgen steht wie gelähmt vor Entsetzen und starrt sie an. Diese bleichen, verzerrten Züge – diese tief umschatteten Augen – dieses Antlitz, in welchem sich alle Seelenqualen spiegeln – –
»Rosenantje!!« schreit er auf. –
Sie zuckt zusammen und hebt entsetzt, wie in verzweifelter Abwehr die Hände.
»Antje!« ruft er noch einmal und eilt auf sie zu.
Da ringt sich ein dumpfer, halb erstickter Schrei von ihren Lippen, – wie ein Schatten sinkt ihre Gestalt vornüber, eine wilde Bewegung – – und drunten im Wasser rauscht es auf. – –
Einen Augenblick steht Jürgen wie gelähmt, es wird schwarz vor seinen Augen und ein Schmerz zuckt brennend weh, wie ein Todesstreich durch sein Herz. – Und dann krampft er die Hände um das Geländer. – »Antje!« murmelt er, und abermals teilen sich die Wasser klatschend unter der Brücke. – Wen der Sturm in die Tiefe gerissen, den kann man nicht mehr retten, aber sterben kann man, – sterben mit der entblätterten Rose! – – –
Die Wogen rollen einförmig gegen den Strand, an welchem ein alter, einsamer Mann im Kahn sitzt und Netze flickt. Sein Haar ist weiß, seine Hände zittern.
Von der Düne herab braust der Sturm und fegt die Blätter der Monatsrosen über die See ……