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Maienluft und goldiger Sonnenschein! Volles, düfteschweres Blühen überall, so weit der Blick reicht und in junger Lenzesschöne voll trunkenen Entzückens schwelgt! Wo der Flieder seine rötlichlila Dolden über das Gartengitter neigt, steht eine schlanke, stolz gewachsene Frauengestalt und starrt nachdenklich in die Parkanlagen hinaus. Vogelstimmen jubeln in den belaubten Wipfeln, und drunten auf den glitzernden Sandwegen wandeln lachend und scherzend ein paar junge Mädchen, heiß erglühend, als zwei flotte Reiter des Weges kommen und sehr verbindlich, sehr ausdrucksvoll grüßen! Die Dame an dem Gartenzaun faltet unwillig die Brauen, aber sie bleibt dennoch stehen und schaut weiter den Weg hinab. Eine heitere Gesellschaft naht. Voran zwei ältere Damen in Begleitung eines höheren Offiziers, hinter ihnen ein Student, drei junge Mädchen und ein Leutnant. Sie gehen langsam, namentlich das letzte Pärchen. Er trägt ihren seidenen Schal, und sie steckt sich just ein Veilchensträußchen fester in das Knopfloch. Dabei begegnen sich ihre Blicke! Welch ein Himmel selig scheuer junger Liebe! Welch ein stummer und dennoch so glühend beredter Maienjubel zweier Herzen!
Die Dame unter dem Flieder preßt die Lippen zusammen, ihr Antlitz wird noch düsterer. –
Und abermals taucht ein rosiges, lachendes Gesicht hinter dem Gebüsch auf. Ein schmuckes Kindermädchen, welches mechanisch den Wagen vor sich herschiebt und strahlenden Auges zu dem jungen Handwerker aufschaut, welcher ihr viel, viel Schönes und Liebes zu sagen scheint. – Sie biegen in einen Seitenpfad ein, denn frische Stimmen erschallen hinter ihnen. Ein Brautpaar, Arm in Arm – glückselig, weltvergessen, – geleitet von den übermütigen Geschwistern.
Mit kurzer Bewegung wendet sich die Dame an dem Gitter zurück und schreitet mit hartem Schritt in die schützenden Laubkulissen des Gartens hinein. Dort wirft sie sich auf eine Bank, schlägt die Füße über und läßt das Haupt voll finsteren Trotzes auf die Brust sinken. – Sie ist nicht mehr jung, aber ihr Antlitz trägt die Spuren ehemaliger außerordentlicher Schönheit. Dennoch findet kein Mensch mehr dieses Gesicht anziehend oder liebenswert, wie es wohl auch niemand gibt, der Fräulein Lori noch den Hof machen möchte. – Sie ist sehr unbeliebt in der Gesellschaft; – warum? – Ihre Erscheinung ist noch immer eine glänzende und imposante und stellt im Ballsaal manch junges Knöspchen in den Schatten; Fräulein Lori ist auch klug und geistreich, talentvoll und nicht mittellos, wie ist es möglich, daß man sie in der Stadt eine bissige, intolerante, höchst unliebenswürdige alte Jungfer nennt? Ja, daß man sie kaum hübsch findet? – Wer kann wohl ein Gesicht, und wäre es das edelstgebildete der Welt, anziehend finden, wenn es eine mürrische, streitsüchtige, lieblose Seele spiegelt? Selbst die Vöglein flatterten scheu davon, als sie die Einsame auf der Bank sitzen sahen und in ihr neidisches, mißgünstiges Gesicht blickten.
Lori hatte sich nie beherrschen können, nicht in einer Zeit, wo sie noch die gefeierte, umschwärmte Königin der Jugend war, wie viel weniger jetzt, wo alle Maienlust und Herrlichkeit ihr eine bittere Ironie, ein Hohn auf ihr verfehltes Leben deuchte! Und wie sie unter der Bank im goldenen Sonnenschein saß, dachte sie zurück an jenen Frühlingstag, welcher zum Wendepunkt ihres Lebens geworden. Nach Jahren erst hatte sie es durch einen Zufall erfahren, was dieser sonnige Maientag ihr für schwarze Nacht gebracht hatte.
Damals wie heute! Der Himmel so blau – die Welt so schön – das Herz so weit! Und Lori als Schönste der Schönen, hoch auf dem Gipfel alles Glücks! Ein Gartenfest versammelte die Jugend, und Lori schmückte sich gar besonders schön, denn er, der sie liebte, der alles besaß, um ein junges Weib zu beglücken, reich und stolz zu machen, kam auch. – Daß er sie liebte, zeigten seine Blicke, zärtlichen Aufmerksamkeiten, mit welchen er sie überhäufte. Wie lange er heute auf sich warten ließ! Die verwöhnte Lori ärgerte sich, daß er nicht als Vasalle an der Türe gestanden, sie zu begrüßen. Außerdem war Herrenmangel, der Tanz entwickelte sich nicht so flott wie sonst, und zu allem Mißgeschick verdarb ein fallendes Bowleglas die neue Toilette Loris. – Ihr Gesicht entsetzte den armen Herrn, welcher die unschuldige Ursache gewesen. Die junge Dame hatte nie gelernt, sich zu beherrschen, zum Herzeleid ihrer Eltern, welche oft voll Sorge den Ausdruck in dem Gesicht der Tochter tadelten, einen Ausdruck, welcher aus einem Engel ein bitterbös Teuflein schuf. Und so auch heute. Ach hätte Lori geahnt, warum Graf Alfred so spät kam! Er saß bei seinen Eltern, er erbat voll glückseliger Innigkeit die Erlaubnis, die reizende Lori als Töchterchen in das Haus bringen zu dürfen. Und sie ward ihm gewährt, obwohl seine Mutter leise seufzend sagte: »Sie hat leicht einen sehr häßlichen, unfreundlichen Ausdruck im Gesicht, und du weißt, Alfred, daß die größten Tugenden der Frau Sanftmut und milde Güte sind!« – Alfred wußte es, aber er hatte Loris Antlitz noch nie unfreundlich gesehen und die böse Konduite, welche ihr andere Damen stellten, für Verleumdung gehalten.
Hochklopfenden Herzens betrat er den Gartensaal, voll ungestümer Sehnsucht, das bindende Wort zu der Geliebten zu sprechen, sie voll inniger Liebe zu eigen zu nehmen. Sein erster Blick traf Loris Antlitz, welches sich voll unbeschreiblichen Ausdrucks dem Herrn zuwandte, der sich mit tausend Entschuldigungen vor ihr verneigte. – Was spiegelte sich alles in diesem Augenblick in ihrem Gesicht! Obwohl sie den armen Sünder keines scharfen Wortes würdigte, drückte ihre Miene und ihre Bewegung, mit welcher sie das durchnäßte Kleid zurückriß, mehr aus als die bitterböseste Rede! – Alfred stand wie gelähmt und starrte sie unbemerkt an. War dieses entstellte, wutverzerrte Gesicht das reizend schöne Antlitz der Geliebten?
Langsam, zögernd näherte er sich. Wohl milderte sich ihr Zorn bei seinem Anblick ein wenig, aber ihre Stimmung blieb gereizt und ihre Laune schlecht. Lori gehörte zu den Mädchen, welche, durch ihre Schönheit verwöhnt, sich einbilden, stets und in jeder Weise zu gefallen, welche durch Anmaßung zu imponieren und durch ein schroffes, abweisendes Benehmen zu interessieren glauben. Mit diesem Aprilwetterwechsel voll Huld und Ungnade, Regen und Sonnenschein hatte sie bisher alle Herren behandelt, an deren Verehrung ihr nicht sonderlich viel gelegen war. Alfred gefiel ihr, sie liebte ihn und begehrte ihn zum Mann, – da mangelte es bisher an Gelegenheit, auch ihn durch Launen zu quälen. Sie nahm sich ihm gegenüber zusammen und gelobte sich, nur liebenswürdig zu sein. Solch ein Kartenhaus guter Vorsätze bläst aber der erste Sturmwind um, welcher die Brust eines Mädchens durchtobt, dem Liebenswürdigkeit und Selbstbeherrschung nur geborgte Requisiten sind. Sie war allzu ärgerlich, allzu erregt und verstimmt, um Graf Alfred heute anders behandeln zu können als die andern Herren, welche sich die empörende Unverschämtheit hatten zuschulden kommen lassen, in so geringer Zahl zum Tanze erschienen zu sein. – Schweigsam und nachdenklich saß der junge Mann an ihrer Seite, und sein langweiliges Benehmen reizte Loris Ingrimm noch mehr. – Ihre Bemerkungen wurden immer spitzer und streitsüchtiger; – seine kühler und kühler werdenden Antworten, sein Tadel, sein Widerspruch spornten ihren Eigensinn. Ohne daß sie es ahnte, ließ sie sich hinreißen, sich in ihrer ganzen Unfreundlichkeit und Unliebenswürdigkeit zu zeigen. »Es scheint, wir verstehen uns nicht mehr so gut wie früher, mein gnädiges Fräulein!« sagte Graf Alfred endlich, tief aufatmend, erhob sich und verneigte sich mit einem Gesicht, welches so ernst und traurig aussah wie das eines Menschen, welcher sein Glück in Splitter brechen sieht. »Er wird schon wieder kommen!« trotzte Lori, wandte ihm brüsk den Rücken und ließ ihn gehen.
Er ging für immer. Die rote Rose seiner Liebe, welche so maienfrisch in seinem Herzen blühte, als er den Saal betrat, die ließ erbleichend die Blätter sinken und starb in Eis und Kälte. Ein Reif hatte sie in der mildesten, wonnigsten Frühlingsnacht getroffen, der Rauhreif, welcher von roten Mädchenlippen fiel, des Eises Hauch, welcher von einem Antlitz herab wehte, dessen Seele starr und kalt war. – Die Sonne wahrer, echter, lauterer Herzensgüte und Liebe fehlte, welche einzig und allein die Zauberblüte der Sympathie wachsen und gedeihen lassen kann.
Zu spät hatte Lori erfahren, welch ein Geständnis dem Geliebten an jenem Abend auf den Lippen geschwebt. – Anfänglich hat sie bittere Tränen geweint, dann haben Trotz und Ingrimm ihr Herz vollends verhärtet und später alle zurückgescheucht, die forschend in ihr Antlitz blickten. Nun flieht sie, hadernd mit Gott und der Welt, in die tiefste Einsamkeit, wenn Maienliebe und Maienlust ihren Psalter der Glückseligkeit draußen, jenseits des Gitters, anstimmen.