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Im Schneesturm.

(Novellette.)

Ja, der Winter ist mehr als jede andere Jahreszeit dazu angetan, die Bande der Freundschaft zu befestigen!« sagte das dunkellockige Klärchen und schob das zierliche Spinnrad tief aufatmend beiseite, um an den Teetisch zu treten, welcher mit Zwiebelmustertäßchen, summendem Kessel und leckeren Kuchentellern so recht zum Niedersitzen einlud.

»Du hast recht! Unser Kränzchen ist nie so regelmäßig besucht wie bei Schnee und Eis, wo es sich so herrlich von allen Ball- und Gesellschaftserlebnissen plaudern läßt, wenn das Rädchen dabei schnurrt und surrt!« stimmte Fräulein Gretchen lebhaft bei, sich ebenfalls erhebend, und die schwärmerische Thea strich liebkosend über den Wocken, von welchem blaue Bänder herabwehten, und lächelte: »Es war überhaupt eine entzückende Idee, daß wir die Spinnstube neu aufleben ließen! Wie unsagbar poetisch nimmt sich unsere kleine Runde an dem prasselnden Kaminfeuer aus! Ich bin überzeugt, mancher Maler würde sich an unserm Anblick begeistern!«

»Nicht nur ein Maler, – wohl jeder Jüngling, welcher noch Sinn für hübsche Mädels und gemütliche Häuslichkeit hat!« nickte die muntere Hedwig mit den Schelmenaugen, »gar zu schade, daß die gestrengen Mütter uns just das, was doch notwendig zu der Romantik jeder Spinnstube gehört – die flotten Burschen nämlich –, versagt haben! – Ich wüßte gar manchen, welcher für sein Leben gern unsere Rädchen schnurren hörte!«

»Ja schade! – Es könnte doppelt nett sein!«

»Aber doch lange nicht so ungeniert!«

»Gewiß! Unsere intimsten Herzensgedanken müßten doch unausgesprochen bleiben!«

»Und gerade dieses Geflüster süßer Geheimnisse macht unsere Nachmittage so schön!«

»Bitte Gretchen … Kaffee oder Tee?«

»Bediene dich mit Kuchen, liebste Hedwig, und schick' ihn weiter!«

»Aha – Thea sucht sich wieder den schwärzesten aller Mohrenköpfe heraus? Ist das eine Ovation für ein gewichstes schwarzes Schnurrbärtchen?«

Thea errötete. »Nie sollt ihr mich befragen!« Anspielung auf Lohengrin, der in Richard Wagners gleichnamiger Oper (1850) der von ihm geretteten und geehelichten Elsa von Brabant verboten hatte, ihn nach Namen und Herkunft zu fragen (»Nie sollst Du mich befragen«). – D.Hg. sang sie leise, das Köpfchen schüttelnd.

»Gewiß nicht, wozu auch? Wir kennen ja deinen Geschmack ganz genau! Schwarzes Bärtchen, blanke Knöpfe – doppelt Tuch …«

»O bewahre! Neulich haben ihr die Karten ja einen Civilisten prophezeit!! –«

»Empörend! Ich heirate nie solch einen Tintenkaspar!« fuhr die kleine Blondine beinah zornig auf.

»›Aber die Karten lügen nicht!‹ singt Carmen. Im dritten Akt der gleichnamigen Oper (1875) von Georges Bizet.«

»Die ihren logen wohl nicht, aber die von der bösen Martha logen schauderhaft!«

»Ei, ei, Thea, ich habe dich noch nie so erregt gesehen! Was hast du nur gegen das Zivil? Gerade du, die sich als glühendsten Verehrer unseren hübschen Assessor zugelegt hat – –«

»Bitte recht sehr – er ist nicht mein Verehrer – ich habe jeden Kotillon mit Leutnant von Bartenstein getanzt – mit ihm die Schlittenpartie gemacht –«

»Gewiß, gewiß! Rege dich nicht so auf, Herzchen. Man kann ja auch zwei Verehrer haben – –«

– »Und wenn man dem armen Civilisten stets antwortet: Der Kotillon ist bereits vergeben, – je nun, dann muß er eben mit dem Tischwalzer fürlieb nehmen!«

»Mir ist derselbe, ehrlich gestanden, viel lieber als der Kotillon, und der hübsche Assessor unterhält so vortrefflich –«

» Hübsche Assessor?« unterbrach Thea wegwerfend, das rosige Mündchen verziehend, »das ist denn doch Geschmacksache.«

»Dieser zierliche blonde Schnurrbart –«

»Blond! – Pfui!« –

»Das schöne Oval des Gesichts –«

»Ja, ja, lang und länger – wie ein Kirchenfenster!«

»Die leuchtenden blauen Augen –«

»Mit dem schmachtenden Blick –«

»Ich hasse diese Lyrik bei einem Mann! So sentimental wird ein Soldat nie aussehen, bei dem ist alles forsch, keck, schneidig! – Aber so ein Civilist –! O – ich hasse die schwarzen Röcke beinahe noch mehr als Regen und Wind.«

»Dann muß es allerdings sehr schlimm sein, denn ich weiß, daß diese unwirtlichen Gesellen dir jedesmal eine Erkältung verursachen!«

»Leider! Prinzeßchen Thea mit der zarten Elfennatur ist jedem Unwetter gegenüber wie ein Rosenblatt!«

»Das mußt du dir aber abgewöhnen, Herzchen, als Soldatenfrau heißt es, mit dem lieben Gatten durch Sturm und Regen marschieren, wenn ihn das Schicksal an die Grenze schleudert, wo man zeitweise mit Kind und Kegel biwakieren muß, wenn noch keine Wohnungen gebaut sind!« –

»Unsinn! – Thea wird sich hüten! Sie heiratet ja doch noch ihren Civilisten, wie die Karten weissagten!«

»Nein! Ich thue es nicht! Tausendmal nein, – sie lügen doch!«

»Sie lügen nicht! Martha – flink, hol die Karten, wir wollen sehen, was sie heute sagen!«

»Laß es sein, Martha – ich glaube es ja doch nicht!«

»Gleichviel! Wir stellen die geheimnisvolle Weisheit auf die Probe!«

Hastig wurden die Tassen und Teller zusammengeschoben, voll glühenden Eifers neigten sich die Mädchenköpfe herzu, noch einmal das Schicksal der Freundin zu erforschen.

»Also Pique-König ist wieder eine Zivilperson, – Coeur-König ein Leutnant, – Karo ein Künstler und Treff ein Gutsbesitzer! – Nun wollen wir sehen, unter welchem König Treff-Aß, der Ring liegen wird!«

Klapp, klapp, klapp – schlugen die Karten auf den Tisch, – voll gespanntester Aufmerksamkeit von allen Augen beobachtet.

Da – ein vielseitiger Schrei. Zorn, Triumph, Vergnügen und Überraschung war sein Gemisch, und dann ein lautes, lachendes Durcheinander.

»Der Civilist! – Der Civilist!«

»Ich will ihn aber nicht!« stampfte Thea voll Ärger und Eigensinn mit dem Füßchen auf und warf die lügnerischen Karten mit bebenden Händchen durcheinander.

Und die Stunden flogen dahin, man erhob sich und nahm Abschied.

Harrend standen die dienstbaren Geister auf dem Flur, und die jungen Damen schieden nach vielen Umarmungen und noch mehr Küssen.

Die Wege trennten sich vor der Haustür.

 

Theas Eltern bewohnten ein ziemlich entlegenes Landhaus vor der Stadt, und Gottlieb, der Getreue, stampfte mit dem brennenden Laternchen vor seiner jungen Gebieterin her.

Welch ein heftiger Wind hatte sich erhoben, während man so gemütlich das Rädchen am warmen Ofen gedreht hatte! –

Thea wickelt sich die Boa doppelt um den Hals und zieht schaudernd das Köpfchen in die Schultern. Wie eisig das daherbläst, wie schneidend es um ihre schlanke Gestalt pfeift! – O, sie haßt den Wind! Sie haßt ihn beinah ebenso sehr wie – wie – Thea preßt plötzlich die Lippen zusammen und starrt nachdenklich vor sich auf den Schnee, über welchen der rote Flackerschein der Laterne zuckt.

Ja – warum haßt sie Assessor Garling eigentlich? Sie hat ihn doch früher ganz gut leiden mögen – bis – ja bis ihr kleines Städtchen Garnison wurde und die schmucke Pracht des Waffenrocks allen jungen Mädchen wie Blendwerk der Hölle in die Augen stach!

Nun gab's kein höheres Ideal mehr als einen Leutnant! Es ward Modesache, sich für das Militär zu begeistern, und die blonde Thea schien ebenfalls dem Zauberspruch anheimgefallen, denn sie hatte plötzlich nur noch Augen und Ohren für den eleganten, schwarzäugigen jungen Offizier, welcher sie so himmlisch flott im Tanze schwang und so forsch und schneidig seinen Rappen an ihrem Hause vorüber tummelte.

Der arme Assessor Garling, welcher bisher Ritterdienste getan, war plötzlich überflüssig geworden. Thea behandelte ihn kalt, beinah unfreundlich und markierte ihm auf das deutlichste, daß die Jünger des Mars Götter seien, welche keine andern neben sich dulden.

Der Assessor trat mit erstaunlicher Gelassenheit zurück.

Kein eifersüchtiges Wort, kein Rachegelüst, kein beleidigendes Sichabwenden, – er blieb nach wie vor der höflich aufmerksame, zartsinnige Verehrer, welcher mit gekreuzten Armen und ganz eigenartigem Lächeln das junge Mädchen beobachtete, wie jemand, der im stillen denkt: »Ich habe das Warten gelernt und weiß, daß meine Zeit schon noch kommen wird.«

Thea krampfte die Hände fester in dem Muff zusammen.

Lächerlich! seine Zeit ist für immer um. Abgeblühte Rosen verweht der Wind. – Aber sie tragen und treiben frische Knospen? – Nie! – nie! – keinen Civilisten – und wenn er auch noch so nett und hübsch wie Garling ist, an welchem sie im Grunde genommen gar nichts auszusetzen findet, so sehr sie sich auch den Kopf zerbricht, – es soll eben ein Offizier sein. Und die Karten? Die lügen!

Die Straße biegt in die Allee ein, die Häuser, welche noch etwas Schutz gegen den Wind gewährten, hören auf.

Mit grimmer Gewalt braust es über das freie Feld, reißt und wirft die zarte Mädchengestalt und verlöscht die Laterne.

»Hoh – hüh – jetzt wird's aber grob!« sagte Gottlieb und hält mit beiden Händen die Pelzmütze. Schneeflocken wirbeln durch die Luft.

Entsetzlich! nun fängt's noch zu allem Überfluß an zu schneien, und Thea war so leichtsinnig, keinen Schal über ihr Pelzkäppchen zu binden. Niemand hat sie zu Hause daran erinnert! Früher sorgte die ältere Schwester dafür, aber seit die verheiratet ist, bekümmert sich niemand mehr um die schwärmerische kleine Thea, welche so sehr, sehr zerstreut ist! »Du sollst es lernen, für dich selber zu sorgen!« schilt die Mama, »ich habe doch wirklich genug mit deinen kleinen Geschwistern zu thun!«

Huh, wie eiseskalt! Theas Zähne schlagen zusammen, der Schnee peitscht ihr Gesichtchen. – Das wird wieder eine tüchtige Erkältung geben, gerade zu dem Ball beim Landrat – auf den sie sich so riesig freut!

»Gottlieb, geben Sie schnell den Schirm her.«

»Den Schirm?«

»Nun ja, Johanna hat Ihnen doch wohl meinen Schirm mitgegeben? Ich hatte ihn in der Eile vergessen!«

Ein heftiger Schreck überfällt Thea. Sie vergaß es stets, einen Schirm mitzunehmen, war es so gewohnt, daß die Schwester jederzeit damit aushalf!

Und nun bei diesem Wetter!

Von Minute zu Minute stürmt es gewaltiger, die Schneeflocken werden Schneemassen, es wirbelt und heult um ihre schutzlose Gestalt.

Da kommt ihr eine mantelumflatterte hohe Gestalt entgegen.

»Ah, Grüß Gott, Fräulein Thea!« lacht die Stimme des Leutnants von Bartenstein, »also richtig den Schluß der Spinnstube berechnet und bien à propos zur Stelle, Sie bei diesem famosen Winterwetter schützend zu geleiten!«

»Famoses Winterwetter?« Thea erstickt das Wort in der Kehle. »Ach – ach, Herr von Bartenstein, haben Sie einen Regenschirm?« jammert sie ganz verzweifelt.

»Einen Regenschirm?« er lacht schallend auf: »Solche Frage ist ja eine Beleidigung für einen Offizier, mein gnädiges Fräulein! Solch ein schauerliches Möbel existiert bei mir nicht, und ich hoffe, Sie teilen meine Antipathie dagegen! Bedürfen Sie der Stütze? Finden Sie es denn so glatt? Dann offeriere ich Ihnen meinen Arm oder meinen Degen!« –

»Die kann man beide nicht aufspannen!« entgegnet sie voll ärgerlicher Gereiztheit.

»Mein Gott, fürchten Sie etwa das bißchen Wind und ein paar Schneeflocken? Bei solchem Wetter tollen meine Schwestern am liebsten draußen herum!«

»Na, ich danke, ohne sich zu erkälten?«

»Welch ein Gedanke! Solche Marzipanpüppchen, welche sich bei jedem Luftzug einen Schnupfen holen, sind meine Schwestern nicht! Gräßlich! Ich kann so verweichlichte, piepsige Damen nicht ausstehen! Und darum Kopf hoch, Fräulein Thea! – Weht der Schnee mir ins Gesicht – schüttl' ich ihn herunter! – es ist ja eine Lust, dieses Wetter!«

»Entsetzlich! Gräßlich! Unser Geschmack ist ja grundverschieden! Ich sterbe in diesem Sturm!« ruft sie weinerlich, »bitte holen Sie mir eine Droschke –«

»Aber Fräulein Thea –«

»Eine Droschke!« ruft sie heftig, wütend – mehr empört noch über ihn als über das Wetter.

»Wie Sie befehlen, mein gnädiges Fräulein!« Sehr steif und förmlich klingt es, er wendet sich hastig ab und geht.

Thea möchte laut aufweinen vor Ärger. Welche Ansichten von ihm! O, mehr wie das, die Freude an solchem Wetter ist geradezu brutal! Nein, sie paßt nicht zu einer Offiziersfrau – wenigstens … nun … wenigstens nicht zu der seinen!

Erschöpft wankt sie weiter, der Atem will ihr vergehen.

Und wieder Schritte hinter ihr – und dann faßt ein Arm den ihren und ein Regenschirm wird von kräftiger Hand als schützende Wand zwischen den Sturm und sie geschoben.

»Gottlob, daß ich Sie einholte! Ich kenne Ihre Passion, den Schirm zu vergessen, Fräulein Thea, und nun gar heute, bei diesem tollen Wetter! Wie kann sich eine junge Dame wohl solchem Schneesturm aussetzen! Das ist geradezu unvernünftig und Gift für zarte Menschenblumen!«

Sie atmet hoch auf – ja, nun kann sie wieder atmen.

»Ach, Assessor Garling – lieber Herr Assessor!« –

»Darf ich Ihnen meinen Schirm anbieten?«

»Dann haben Sie ja keinen? – oder lieben Sie dieses Wetter auch?«

»Absolut nicht, ich bin zu wenig daran gewöhnt. Aber wenn Sie gestatten, teilen wir uns in den Schirm und ich bringe Sie nach Hause! Bei dem Sturm können Ihre schwachen Händchen das Schutzdach doch nicht recht steuern!«

»Ach wie gut von Ihnen! wie danke ich Ihnen so recht von ganzem Herzen!«

Sie nimmt seinen Arm und schmiegt sich fest an ihn, und von einem Herzen zum andern zuckt es glühend heiß, – sie frieren beide nicht mehr. –

»Wir haben lange nicht mehr zusammen geplaudert, Fräulein Thea!«

»Leider, – sehr lange nicht!« antwortet sie leise. –

»Sie haben mir noch gar nicht zu meinem ›Assessor‹ gratuliert! War Ihnen mein Avancement ganz gleichgültig?«

»O gewiß nicht – ich … ich … ach, ich war …«

»Grausam hart gegen den alten Verehrer!« ergänzte er flüsternd und drückte ihren Arm fester an sich, »soll das nie anders werden, Thea?«

Ihr Gesichtchen sinkt gegen seine Schulter. »Doch! es ist ja schon ganz anders geworden!« schluchzt sie leise. –

»Darf ich heute abend wieder den Tee bei Ihnen trinken? Ihre Eltern gestatteten es mir früher so oft!«

»Gewiß – Sie werden von Herzen willkommen sein!«

»Auch Ihnen?«

»Auch mir!«

Na braust der Sturm jählings daher, – so mächtig, daß der Schirm umkippt und Gottlieb rettend zuspringt, – der Assessor aber hat den Arm um das junge Mädchen geschlungen und drückt sie stürmischer noch als der Sturm an sein Herz. Und dann merken sie beide nicht mehr viel von dem Unwetter, – der Regenschirm senkt sich tief über sie herab, so tief, daß Gottlieb kaum noch etwas von ihnen sieht.

Auf einer Schneewolke aber fliegt Gott Amor just über ihnen dahin, und er lacht so laut, daß es wie silberne Glocken durch Schnee und Wind klingt. Und dann notiert er sich schleunigst das große, große Wunder – wie ein Regenschirm den Sieg über einen Degen feierte! – denn – die Karten lügen nicht!



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