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Wer nie die Freiheit heiß geliebt,
Wer nie, in Sturm und Drang,
In bittern Zweifeln sich geübt,
Und mit sich selber rang;
Weß Seele, ohne kräft'gen Schwung,
Nie flammte in Begeisterung
Und freudiger Begier –
Ein Schwächling ist er mir!
Wer nie den Schmerz so tief empfand,
Daß er ihm Thränen weiht',
Wen Rührung niemals übermannt
Bei Freud und Herzeleid.
Wer niemals im gerechten Zorn
Das schöne Gleichgewicht verlorn,
Ein funkenloser Stein –
Verworfen soll er sein!
Wer nie an einer That der Kraft
Den frischen Geist gelabt,
Wer niemals eine Leidenschaft
Sein Leben lang gehabt,
Und nie ein überschwänglich Glück,
Und keinen großen Augenblick,
Der läutert und erhebt –
Umsonst hat er gelebt!
Wer nie geprüft, wer nie gefragt
Nach aller Dinge Grund,
Wer nie um Wahrheit sich geplagt,
Ob sie ihm werde kund?
Wer nicht den freien Blick bewahrt
Der Vorwelt und der Gegenwart,
Die er genießt, begreift –
Ist nicht zum Mann gereift.
Wer nie ein liebes Weib umarmt,
Den Becher nie geküßt,
Er ist an Leib und Seel verarmt,
Von keinem Stern begrüßt;
Dem hat sich auch kein Freund gesellt,
Der schleichet durch die schöne Welt
Ein Trostverlaßner hin –
Er hat es nicht Gewinn. |