Ludwig Eichrodt
Gedichte in allerlei Humoren
Ludwig Eichrodt

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Das Wanderlied

(Zeitverse zum Deklamiren)

Mit Anmerkungen vom alten Biedermeier

Erster Gesang

              Nach Italien, nach Italien!
Möcht' ich, Alter, jetzt einmaligen,
Wo die Pomeranze wohnt.
Wo die wunderschönen Mädchen
Unter süßen Triolettigen(*)
Singen wandelnd unterm Mond –
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Sicilien, nach Sicilien!
Sollst du in die Reise willigen,
Wo von Wolken nicht die Spur.
Wo die Menschen müßig gehen,
Wo die Augen ewig sehen
In das himmlische Azur(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Hispanien, nach Hispanien,
Laß mich, Alter, ziehn hinanigen!
Wo der Zigarrito(*) weilt.
Wo die stolzen Donnen kosen,
Wo die edlen Räuber tosen,
Und die Wunde niemals heilt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem tapfern Portugallien
Lasse mich den Gürtel schnalligen!
Wo der prächt'ge Marmor starrt,
Wo die Dinge in der Schwebe
Seit dem großen Erdgebebe,
Und die Waldung korkig knarrt.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Marokkien, nach Marokkien!
Spiele, Alter, nicht den Stockigen,
Wo der Siroccocco weht,
Wo die Sklavenpeitsche knallet,
Wo die Houris erdenwallet,
Und das Ding am Schnürchen geht.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Algerien, nach Algerien
Laß mich in den Osterferien!
Hehrer Alter, laß mich gehn!
Wo die Datteln heimlich reifen,
Wo die Arabesken(*) schweifen,
Und die Antilopen(*) stehn.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Aegypten, nach Aegypten
Laß mich ziehn mit der Geliebten,
Wo der Sturm der Küste pfeift.(*)
Wo der Weise stets zufrieden
Auf erhab'nen Pyramiden
Schweigend in den Busen greift.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem alten Abessynien
Soll mein Fuß sich auch erkühnigen,
Wo der Strauß entschwirrt dem Ei,
Wo die Nilkataraktere
Zu des großen Negus Ehre(*)
Schäumen in die Nubierei.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Arabien, nach Arabien
Laß mich mit dem Wanderstabigen!
Wo der Emir einsam trinkt,
Wo die edlen Wüsten brennen,
Wo die flinken Stuten rennen,(*)
Und die Karavane klingt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem Lande Palästinien,
Dem gelobten, laß mich ziehnigen!
Wo der ew'ge Oelkrug rauscht,
Wo die Büßer sich bestrafen(*),
Wo der Herr am Kreuz entschlafen,
Und der Hirt den Zedern lauscht.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Kleinasien, nach Kleinasien
Wo die sanften Esel grasigen,
Drauf die schmucke Sklavin sitzt,
Wo die Palmenwälder glühen,
Wo die heil'gen Löwen fliehen,
Wo es donnert, wenn es blitzt(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Türkanien, nach Türkanien
Zieht mich's unwiderstehlich anigen!
Wo der Pascha mordend schmaucht,(*)
Wo die Dardanellen sausen,
Wo die krummen Säbel hausen,
Und man so viel Geld verbraucht
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach den Thälern der Hellenen(*)
Möchte sich der Busen dehnen!
Wo der Boden klassisch schweigt.
Wo der eingestürzte Tempel
Seines Alters düstern Stempel
Aus beredten Trümmern zeigt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Wallachien, nach Wallachien
Laß mich einen Ausflug machigen,
Wo sich krümmt der Hospodar.
Wo die Russen sich geberden,(*)
Wo die Rosse anders werden,(*)
Und so Manches noch nicht klar.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem ungrischen Magyarien
Trieb mich's schon in jungen Jahrigen
Wo das Roß die Zügel beißt,
Wo die ew'gen Sporen klirren,
Wo aus güldenen Geschirren
Der gesammte Adel speist.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Croatien, nach Croatien
In die Berge von Banatien,
Schweift der unbegränzte Sinn;
Wo der kluge Banus waltet,
Wo der Mantel roth sich faltet,
Und die Bildung im Beginn.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Gallizien, nach Gallizien
Hab' ich schändliche Kubizigen!
Wo der Jude häufig wohnt.
Wo die Waldschlucht voll der Schauer,(*)
Wo der schwarzgelockte Bauer
Bald zum Letztenmale frohnt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Polakkien, nach Polakkien
Lasse mich den Ranzen packigen,
Wo die Sense blutig schwillt.
Wo man lebt auf bösem Fuße,
Wo der lärmende Krakuse
Sich in seinen Mantel hüllt.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem eis'gen Moskowitien
Möcht ich einen Paß besitzigen,
Wo der Pope lebt und leibt,
Wo das Volk stiert in Verblendung,
Wo der Zaar in starrer Wendung
Seinen grimmen Ukas(*) schreibt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach der Flur der alten Schweden
Will ich mich des Drangs entledigen
Dort wo »Genie« Lind entsproß,(*)
Wo der Dalkerl sich verpelzet,
Wo im Kattegat sich wälzet
Stumm der thranige Koloß.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Norwegien, nach Norwegien
Lasse, Vater, dich bewegigen,
Wo der Fels gen Himmel schreit.
Wo der Ozean sich brandet,
Wo der Lootse fröhlich strandet
Und von fern der Hekla speit.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Britannien, nach Britannien(*)
Lasse wandern mich von dannigen,
Wo am Mast der Schiffer lehnt,
Wo sich tummeln die Schaluppen,
Wo in dumpfen Marmorgruppen
Lächelnd der Matrose gähnt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem grünen Land der Iren
Möcht' ich spurlos mich verlieren,
Wo die armen Teufel sind!
Wo sich die Mylords, die reichen,
Freuen der Kartoffelseuchen,
Und der Mensch mit O' beginnt.(*)
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

In dem hohen Land der Schotten
Möcht' ich mich zusammenrotten,
Mit den Söhnen edler Lairds.(*)
Wo für Ossians Duftgestalten
Noch dem Sprößlinge der Skalden
Glühet sein gewürfelt Herz.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach der Mark der kecken Dänen
Laß mich ziehn, gleich nord'schen Schwänen
Wo der Sundzoll gierig schnaubt,(*)
Wo sich die Fregatten rüsten,
Und die Scharlachröcke brüsten,
Und man sich so viel erlaubt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Hollandien, nach Hollandien!
Segl' ich hin, dem dünensandigen,
Wo die feinsten Käse her.
Wo mit Wechseln aller Welten
Unter köstlichen Gemälden(*)
Wandelt hin der Millionär.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Hin nach Belgien, fort nach Flandern!(*)
Werd ich dann, o Vater, wandern,
Wo die Industrie sich spreizt,
Wo der Handel blüht, der Wandel,
Wo der Wandel für den Handel
Die Lokomotiven heizt.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Franzosien, nach Franzosien!
Wo die Rebellion ging losigen,
Reißt es meine Jünglingsbrust.
Wo die Marselljäse strotzet,
Wo der Flüchtling friedlich trotzet,(*)
Seiner Menschlichkeit bewußt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach Helvetien, nach Helvetien
Lasse mich zur Zeit, zur jetzigen!
Wo die Löwin(*) donnernd rutscht.
Wo zerstäubt der Jesuite,
Wo noch der Europamüde
Mit dem Stier von Uri putscht.
Dahin, Alter, laß mich ziehn.

Nach dem Rheine, nach dem Rheine
Wall' ich wieder, wenn ich weine,
Wo des Deutschen Vaterland;
Deutscher Wein und deutsche Eichen!
Wo sich Volk und Fürsten reichen
Ihrer Hände Hochverband –
Dahin, Alter, werd' ich ziehn!

 


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