Ludwig Eichrodt
Gedichte in allerlei Humoren
Ludwig Eichrodt

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Diogenes

(In 10 cynisch-graziösen Gesängen)(*)

Erster Gesang

              Diogenes der weise Mann
Aus den antiken Tagen,
Der fing es äußerst pfiffig an,
Sich glänzend durchzuschlagen.

Er lockte durch Genügsamkeit
Den Hund von jedem Ofen,
Drum hießen ihn die dummen Leut'
Den Hundephilosophen.

Zwar Anfangs war er auch ein Mensch,
Wie andre Menschen pflegen,
Verschwendrisch, neidisch, wetterwend'sch,
Und um das Geld verlegen.

Das wußt' er aber Alles sich
So gut ab zu gewöhnen,
Daß er mit jedem Falle sich
Vermochte auszusöhnen.

Denn aufmerksam auf dies und das,
Was ihm zur Zeit passirte;
War nichts, wovon er nicht etwas
Sich zu Gemüthe führte.

Der Lehrsatz, den er um sich warf,
Und pries den allerhöchsten,
War: wer am wenigsten bedarf,
Den Göttern steht am nächsten!

Nur, falsch verstanden späterhin
Vom rohen Schülertrosse,
Ward seine Lehre schnöd verschrie'n
Als Weisheit aus der Gosse.

Von Jüngern tölpisch aufgefaßt
Die nimmer geistesnüchtern,
Ward er zum Unglück noch verhaßt
Den großen Kirchenlichtern.

Der Geist ist willig, schwach das Fleisch,
O möchten wir's erhaschen,
Die goldnen Lehren unpartei'sch
Jetzt wieder weiß zu waschen!

Zweiter Gesang

      So war er denn ein Schoppenglas
Gewohnt herumzutragen,
Daß wenn er an der Quelle saß,
Er könnt' ein Schlückchen wagen.

Nun ging er einstmals über Land
Spazieren und bemerkte,
Wie Einer aus der hohlen Hand
Sich aus der Quelle stärkte.

Da schlug er gleich sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor:
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Und hochbegeistert hüpft er heim,
Besorgt, daß er, zu trinken,
Nicht die Gelegenheit versäum',
Aus der gehöhlten Linken.

Doch seine Schüler wollten noch
Den Meister überbieten:
Und soffen aus dem Spuntenloch,
Sich vor dem Glas zu hüten!

Dritter Gesang

        So thät er, wie war er gewohnt,
Auch einen Mantel tragen,
Daß er bei Wind und Wetter konnt'
Sich leicht in's Freie wagen.

Im tiefen Mantel eingemummt
Ging einst er nun spazieren,
An einem Wintertag und brummt
Und schnattert zum Erfrieren.

Da sah er einen Fechtersmann,
Sich übenden und ems'gen,
Den wandelte kein Frieren an
In seinem leichten Wämmschen.

Da schlug er gleich sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Und hochbegeistert hüpft er heim,
Daß er, durch Waffenwetzen,
Nicht die Gelegenheit versäum',
In Schweiß sich zu versetzen.

Doch seine Schüler wollten dann
Den Meister überbieten:
Und fingen ewig Händel an,
Vor Mänteln sich zu hüten!

Vierter Gesang

          So war er siebzig Jahr gewohnt,
Frisirtes Haar zu tragen,
Damit er mit Manier sich konnt'
Auf die Agora wagen.

Drum führt er unter'm schlichten Kleid
Ein Kämmchen, einfach thönern,
Um jeweils bei Gelegenheit
Die Glatze zu verschönern.

Da ging er einst in der Natur,
Und sah, wie von den Jüngern
Sich Einer in den Titus fuhr,
Verwundert, mit den Fingern.

Und ehe noch: »beim Herkules!«
Die Worte Dem verklangen,
War wieder dem Diogenes
Ein Lichtlein aufgegangen.

Und gleich schlug er sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Die Götter haben in die Hand
Die Hand als Kamm gegeben,
Es liegt so Manches auf der Hand,
Und Handlung ist das Leben.

Er schleudert seinen Kamm hinweg,
Ein Werkzeug nur zum Schlemmen,
Und ließ ihn liegen in dem Dreck,
Sich niemals mehr zu kämmen.

Doch seine Jünger, ausgehaust,
Den Herrn zu überbieten:
Verblieben stets zersaust, verlaust,
Vor'm Kamme sich zu hüten!

Fünfter Gesang

        So thät er, wie er war gewohnt,
Soliden Knaster rauchen,
Was er so beim Spazieren konnt'
Wie beim Dociren brauchen.

Nun ging er mutterseel'nallein
Im Schatten der Platanen,
Es mochte gegen fünf Uhr sein,
Einst die gewohnten Bahnen.

Als er wohl einen Feldschütz sah,
Der aller Sorgen ledig,
Auf einem Acker dort und da
Sich sammelte, was nöthig.

Da trat er diesen Menschen an;
Und es bemerkten Beide,
Daß dürr Kartoffelkraut bergan
Den schönsten Rauch verbreite.

Und gleich schlug er sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

»Natur hat dir das Kraut gedürrt«
Spricht er hierauf zum Schützen,
»Was dir umsonst geboten wird,
Das mußt du weise nützen.«

Und hochbegeistert hüpft er heim,
Damit er beim Dociren
Gelegenheiten nicht versäum'
Das Neuste zu probiren.

Die Schüler ließen, das Gesetz
Des Herrn zu überbieten:
Cigarren sich anbieten stets,
Vor Luxus sich zu hüten!

Sechster Gesang

        So war er Seife lang gewohnt
Mit sich herum zu tragen,
Damit er von der Arbeit konnt'
Die Konsequenzen wagen.

Nun ging er einst so vor sich hin
In einem griechischen Walde,
Und Nichts zu suchen war sein Sinn
Zum lieben Unterhalte.

Da sah er Einen, ganz berußt,
Der sich, verlegen munter,
Mit Bachsand zu benehmen wußt'
Auch ohne Seif, o Wunder!

Und gleich schlug er sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Bewundernd hüpft hierauf er heim,
Besorgt, daß er mit nichten
Gelegenheit und Ort versäum',
Das Gleiche zu verrichten.

Die Jünger aber, um den Ruhm
Des Herrn zu überbieten:
Verschmähten schon die Arbeit, um
Vor Seife sich zu hüten!

Siebenter Gesang

        Nun pflegt' er auch sein Haus sogar
Mit sich herumzutragen,
Die Tonne, daß er, wo er war,
Ein Schläfchen konnte wagen.

Da ging er einst um Mitternacht
Hinunter an den Hafen,
Um dort in seiner Rückenfracht
Zu schnarchen und zu schlafen.

So wird er einen Kerl gewahr,
Der unter'm Schutz der Mauer
Gemüthlich eingeschlafen war
Im vollsten Regenschauer.

Gleich schlug er da sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Und selig, daß er Solches fand,
Hüpft er davon im Regen
Und sucht sich eine steile Wand,
Sich hart daran zu legen.

Doch seine Jünger, als er todt,
Den Herrn zu überbieten:
Die wälzten sich im Straßenkoth,
Vor Tonnen sich zu hüten!

Achter Gesang

        So pflegt' er eine Nachtlatern
Am Tage anzuzünden,
Um, was er wünschte gar so gern,
Um Menschen aufzufinden.

Als nun gerad ein Sonnenstrahl
Erleuchtete die Straßen,
Hat ihm ein böser Bub einmal
Die Lichter ausgeblasen.

Da schlug er gleich sich hinter's Ohr
Und rief mit Hohngenäsel:
Ein Weiser willst du sein, o Thor?
Schmeiß' weg und sei kein Esel!

Und tiefbewegt versetzt er dann
Ein wenig aus der Ferne:
Ach! keine Menschen findet man
Auch ohne die Laterne!

Die Schüler aber wollten sein
Gespötte übertreffen:
Und schmissen die Laternen ein,
Die Polizei zu äffen!

Neunter Gesang

              Einst lag der Alte vor der Stadt
Korinthus in der Sonne,
Und schmauchte sein Kartoffelblatt
Mit philosoph'scher Wonne.

Da thäten Stutzer aller Art
Daher des Weges schwenzeln,
Um unsern alten Knasterbart
Zu necken und zu hänseln.

Der hört mit voller Seelenruh
Die Witzeleien beißend;
Kehrt ihnen nur den Rücken zu,
Die rechte Mitte weisend.

Da kam auch mit dem Hofgeschmeis
Der große Alexander,
Und sprach: »ich glaub', wir sind, beim Zeus!
Jetzt alle beieinander.«

Tritt dann aus dem Gefolg heraus,
Den Weisen zu beschatten –:
»Bitt' Er sich eine Gnade aus,
Es geht heut gut von Statten!«

Darauf versetzt mit sanftem Ton
Diogenes der Weise:
Geh nur ein wenig aus der Sonn'
Mir altem Jubelgreise!

Da wollte das Gefolg ihn flott
Sogleich beim Kragen packen,
Es trieb ihm dieser freche Spott
Das Vollblut aus den Backen.

Doch staunend rief der hohe Herr:
Das sieht ein blinder Hess' ein,
Wenn ich nicht Alexander wär',
Möcht ich Diogenes seyn!

Die Schüler haben's nachgemacht
Dem Meister vor der Tonne,
Und lungerten, nur bei der Nacht
Auch, in der »gold'nen Sonne!«

Zehnter Gesang

                Zum Abschluß dieses Lehrgedichts
Ist nöthig, daß ich preise,
Wie er gestiegen in das Nichts,
Diogenes der Weise.

Drum war's ein schöner Sommertag,
Als der Entsagungslehrer
Hochfrohsinnig im Grase lag,
Ein freundlicher Entbehrer.

Da schlich der krumme Tod heran,
Und sprach: »du mach dich fertig,
Du weißt, ich bin ein großer Mann,
Und immer gegenwärtig.

Zwar hatt' ich lang vor dir Respekt,
Nicht kann ich's Gnade nennen,
Doch, wenn dich auch mein Kopf nicht schreckt,
Darfst du mich nicht verkennen.«

Diogenes entgegnet dem:
Ich könnte dich entbehren,
Doch passest du in mein System,
Komm her, ich will dich's lehren!

Da schrack der Tod zusammen sehr,
Und rief vor Solchem ängstig:
»Wenn ich wie du genügsam wär',
Hätt' Dich geholt ja längst ich.«

Du bietest mir das leere Nichts,
Sprach unser Held; genügsam
Bin ich im Uebermaß, drum sticht's
Mich, dir zu werden fügsam.

Da sagt der Tod, den Fuß im Grab':
»Ich schenke dir das Leben!
Dein Steckenpferd zu reiten, hab'
Ich mich nicht herbegeben.«

Jedoch Diogenes versetzt:
Gerad nun will ich sterben!
Was anders bleibt mir übrig jetzt,
Den höchsten Ruhm zu erben?

Und sieh! der Tod, erstaunt, gerührt
Von solcher Seelengröße,
Versetzt ihm, ohne daß er's spürt,
Drei sanfte Rippenstöße.

So starb Diogenes; allein
Die Jünger stürmten leider
Muthwillig auf ihr Leben ein,
Als eitle Ehrabschneider.

 


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