Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Weinsegen

            Heut atm' ich mit den Sommerlüften
Die allerfeinsten Würzen ein,
Ich kenne dieses seltne Düften:
Heut blüht der echte Klosterwein.
Hier zog im Land die ersten Trauben
Zum ersten Liebesmahl der Abt,
Der mit dem teuern Christenglauben
Uns öde Heiden einst begabt.

Das Kloster, längst ists schon verschwunden,
Zerstäubt mit Altar, Gruft und Chor,
Doch steigt in diesen Mittagsstunden
– So heissts – der erste Abt empor.
Nicht will er zu der Lese kommen,
Wo wild die Kelter überschäumt,
Nein, wie sich ziemt für einen Frommen,
Wann mystisch süss die Blüte träumt.

Was dort? Wer öffnet still das Gatter?
Berauscht die starke Würze mich?
Ein wallend blankes Rockgeflatter
Bewegt sich sacht und feierlich!
Es ist der Abt. Ich sehe bücken
Das edelgreise Haupt ihn dort,
Die frechen Nachbarskinder drücken
Sich schleunig durch die Hecke fort.

Er prüft genau die zarte Blüte,
Die jungen Schosse licht und grün,
Sein Angesicht ist voller Güte
Und voll von herzlichem Bemühn.
Hochwürden blickt so hell und heiter,
Dies Jahr gerät der Wein wie nie!
Er wandelt zu den Stufen weiter
Und geisterleicht ersteigt er sie.

Schon auf des Weinbergs Höhe schreitet
Er bei dem kleinen Winzerhaus.
Er setzt sich auf die Bank. Er breitet
Die Geisterhände mächtig aus.
Er segnet seine Klosterreben,
Sein eigen, vielgeliebtes Kind,
Uns Ketzer segnet er daneben,
Die seines Weinbergs Erben sind.

 


 


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