Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Die Narde

Nach einem venezianischen Bilde

        Die brave Marthe tat, was sie vermocht',
Sie rupfte, spickte, briet und sott und kocht',
Sie schob dem Herrn die braunsten Kuchen zu
Und: »Diesen,« sagt' sie, »Herr, versuche du!«

Maria nahte, die den schlanken Krug,
Gefüllt mit einer seltnen Narde, trug.
Sie neigt' das Knie, den Krug. Die Narde floss.
Sie neigt' das Herz, das strömend sich ergoss.

In der beseelten Hand Mariens ruht'
Der edle Fuss. Drauf quoll der Narde Flut.
Ihn abzutrocknen, löste sie des Haars
Geschlungnen Knoten. Blond und seiden wars.

Ein spitz Geflüster regte sich am Tisch,
Wie der getretnen Viper scharf Gezisch:
»Das duftet! Tausend oder mehr Denar
Verduften mit! Ich wollt', wir hättens bar!

Bei Levi legten wirs auf Zins geschwind
Und draus erzögen wir ein Waisenkind –«
»Still«, sagt' der Göttliche, »lass unentweiht,
Judas! Wer liebt, verschwendet allezeit.

 


 


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