Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Die Söhne Haruns

            Harun sprach zu seinen Kindern Assur, Assad, Scheherban:
»Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muts begann?
Seit ich Bagdads Thron bestiegen, bin von Feinden ich umgeben!
Wie befestigt ihr die Herrschaft? Wie verteidigt ihr mein Leben?«

Assur ruft, der feurig schlanke: »Schleunig werb ich dir ein Heer,
Zimmre Masten, webe Segel! Ich bevölkre dir das Meer!
Rosse schul ich. Säbel schmied ich. Ich erbaue dir Kastelle.
Dir gehören Stadt und Wüste! Dir gehorchen Strand und Welle!«

Assad mit der schlauen Miene sinnt und äussert sich bedächtig:
»Sicher schaff ich deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig.
Dass du dich des Lebens freuest, bleibe Vater, meine Sache!
Über jedem deiner Schritte halten hundert Augen Wache!

Wirte, Kuppler und Barbiere, jedem setz ich einen Sold,
Dass sie alle mir berichten, wer dich liebt und wer dir grollt.«
Harun lächelt. Zu dem Jüngsten, seinem Liebling, sagt er: »Ruhst du?
Wie beschämst du deine Brüder? Zarter Scheherban, was tust du?«

»Vater«, redet jetzt der Jüngste, keusch errötend, »es ist gut
Dass ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus deinem Blut!
Über ungezählte Lose bist allmächtig du auf Erden,
Das ist Raub an deinen Brüdern – und du wirst gerichtet werden!

Dein erhaben Los zu sühnen, das sich türmt den Blitzen zu
Lass mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen du!
Such mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch Spende!
Wie der Ärmste will ich leben von der Arbeit meiner Hände!

Mit dem Hammer, mit der Kelle lass mich, Herr, ein Maurer sein!
Selber maur ich mich in deines Glückes Grund und Boden ein!
Jedem Hause wird ein Zauber, dass es unzerstörlich dauert,
Etwas Liebes und Lebendges in den Grundstein eingemauert!

Hörest du die Strasse rauschen unter deinem Marmorschloss?
Morgen bin ich dieser Menge namenloser Tischgenoss –
Blickst du nieder auf die vielen Unbekannten, die dir dienen,
Einer segnet dich vom Morgen bis zum Abend unter ihnen!«

 


 


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