Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Das kaiserliche Schreiben

        Petrus, schreib – zu seinem Kanzler
sprachs der gramverstörte Staufen –
Satteln sollen meine Boten,
hundert Rosse sollen laufen!
Meinen Eignen, meinen Städtern,
meinen Pfaffen und Baronen!
Dem Geringsten wie dem Höchsten!
Allen, die das Reich bewohnen!
Klage! Klage! Totenklage!
Meinen Sohn hab ich verloren ...
Heinrich mit den finstern Locken ...
Den Konstanze mir geboren!
Der das Reich verriet ... dem eignen
Vater brach das Lehnsversprechen ...
Den ich beugen, beugen musste,
dessen Trotz ich musste brechen ...
Lange brütet' er im Kerker –
endlich hat er mich gerufen –
Da ich kam, flog er vorüber,
flog empor die Wendelstufen –
Wieder wars, als ob, verzweifelnd,
er vom höchsten Söller riefe –
Da! Der Knabe springt vor meinen
Augen in die Todestiefe!
Jammeranblick ohnegleichen!
Kommt, dass wir zusammen klagen!
Helft mir meine schlimmen Träume,
meine Nachtgedanken tragen!
Könnt ich ihn erwecken, nimmer
würd ich aus dem Arm ihn lassen!
Saget, ist es nicht entsetzlich,
dass mein Kind mich musste hassen? ...
Petrus, zeig mir, was du schreibest!
Willst du mir den Mund verhalten?
Über meine Qualen wirfst du
würdevolle Purpurfalten?
Meines Knaben Schrei erstickst du?
Meine Tränen sind verboten?
Kanzler Petrus, schreibe Wahrheit
über mich und meinen Toten!
Reden will ich zu den Vätern:
Sagt mir, würdet ihr nicht einen
Knaben, der euch Not und dunkeln
Kummer brachte doch beweinen?
Den ihr in der Wiege küsstet
– ob er auch ein Arger wäre –
Wenn er ginge zu den Schatten,
weigertet ihr ihm die Zähre?
Prüfet eure Herzen, Väter!
Was wir von den Kindern dulden,
Ist es nicht gerechte Sühne,
nicht das eigene Verschulden? ...
Petrus, du erschrickst, so ende!
Ende mit dem kurzgefassten
Reichsbefehl: Wir ordnen Trauer
an für diesen Frühverblassten.

 


 


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