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Aber es gab in den alten Autoren noch ein anderes, weniger gefälliges Bild des Jenseits, nämlich das Schattenreich Homers und derjenigen Dichter, welche jenen Zustand nicht versüsst und humanisiert hatten. Auf einzelne Gemüter machte auch dies Eindruck. Gioviano Pontano legt irgendwoIn seiner späten Schrift Actius. dem Sannazar die Erzählung einer Vision in den Mund, die er frühmorgens im Halbschlummer gehabt habe. Es erscheint ihm ein verstorbener Freund, Ferrandus Januarius, mit dem er sich einst oft über die Unsterblichkeit der Seele unterhalten hatte; jetzt frägt er ihn, ob die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Höllenstrafen eine Wahrheit sei? Der Schatten antwortet nach einigem Schweigen ganz im Sinne des Achill, als ihn Odysseus befragte: »Soviel sage und beteure ich dir, dass wir vom leiblichen Leben Abgeschiedenen das stärkste Verlangen tragen, wieder in dasselbe zurückzukehren.« Dann grüsst und verschwindet er.
Es ist gar nicht zu verkennen, dass solche Ansichten vom Zustande nach dem Tode das Aufhören der wesentlichsten christlichen Dogmen teils voraussetzen, teils verursachen. Die Begriffe von Sünde und Erlösung müssen fast völlig verduftet gewesen sein. Man darf sich durch die Wirkung der Bussprediger und durch die Bussepidemien, von welchen oben (S. 502 u. f., 526 u. f.) die Rede war, nicht irre machen lassen; denn selbst zugegeben, dass auch die individuell entwickelten Stände daran teilgenommen hätten wie alle andern, so war die Hauptsache dabei doch nur das Rührungsbedürfnis, die Losspannung heftiger Gemüter, das Entsetzen über grosses Landesunglück, der Schrei zum Himmel um Hülfe. Die Weckung des Gewissens hatte durchaus nicht notwendig das Gefühl der Sündhaftigkeit und des Bedürfnisses der Erlösung zur Folge, ja selbst eine sehr heftige äussere Busse setzt nicht notwendig eine Reue im christlichen Sinne voraus. Wenn kräftig entwickelte Menschen der Renaissance uns erzählen, ihr Prinzip sei: nichts zu bereuenCardanus, de propria vita, cap. 13: non poenitere ullius rei quam voluntarie effecerim, etiam quae male cessisset; ohne dieses wäre ich der unglücklichste Mensch gewesen., so kann dies allerdings sich auf sittlich indifferente Angelegenheiten, auf bloss Unkluges und Unzweckmässiges beziehen, aber von selbst wird sich diese Verachtung der Reue auch auf das sittliche Gebiet ausdehnen, weil ihre Quelle eine allgemeine, nämlich das individuelle Kraftgefühl ist. Das passive und kontemplative Christentum mit seiner beständigen Beziehung auf eine jenseitige höhere Welt beherrschte diese Menschen nicht mehr. Macchiavell wagt dann die weitere Konsequenz: dasselbe könne auch dem Staat und der Verteidigung von dessen Freiheit nicht förderlich seinDiscorsi, L. II, cap. 2..
Welche Gestalt musste nun die trotz allem vorhandene starke Religiosität bei den tiefern Naturen annehmen? Es ist der Theismus oder Deismus, wie man will. Den letztem Namen mag diejenige Denkweise führen, welche das Christliche abgestreift hat, ohne einen weitern Ersatz für das Gefühl zu suchen oder zu finden. Theismus aber erkennen wir in der erhöhten positiven Andacht zum göttlichen Wesen, welche das Mittelalter nicht gekannt hatte. Dieselbe schliesst das Christentum nicht aus und kann sich jederzeit mit dessen Lehre von der Sünde, Erlösung und Unsterblichkeit verbinden, aber sie ist auch ohne dasselbe in den Gemütern vorhanden.
Bisweilen tritt sie mit kindlicher Naivetät, ja mit einem halbheidnischen Anklang auf; Gott erscheint ihr als der allmächtige Erfüller der Wünsche. Agnolo Pandolfini erzähltDel governo della famiglia, p. 114., wie er nach der Hochzeit sich mit seiner Gemahlin einschloss und vor dem Hausaltar mit dem Marienbilde niederkniete, worauf sie aber nicht zur Madonna sondern zu Gott beteten, er möge ihnen verleihen die richtige Benützung ihrer Güter, langes Zusammenleben in Fröhlichkeit und Eintracht und viele männliche Nachkommen; »für mich betete ich um Reichtum, Freundschaften und Ehre, für sie um Unbescholtenheit, Ehrbarkeit und dass sie eine gute Haushälterin werden möge«. Wenn dann noch eine starke Antikisierung im Ausdruck hinzukömmt, so hat man es bisweilen schwer, den heidnischen Stil und die theistische Ueberzeugung auseinanderzuhaltenAls Beispiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Coryciana (vgl. S. 296 [Anm. 555]):
Vos iocos risusque senis faceti At simul longo satiatus aevo
.
Dii quibus tam Corycius venusta
Signa, tam dives posuit sacellum,
Ulla si vestros animos piorum
Gratia tangit,
Sospites servate diu; senectam
Vos date et semper viridem et Falerno
Usque madentem.
Liquerit terras, dapibus Deorum
Laetus intersit, potiore mutans
Nectare Bacchum.
Auch im Unglück äussert sich hie und da diese Gesinnung mit ergreifender Wahrheit. Es sind aus der spätern Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag, einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er sich beiläufig mit Nachdruck als einen gläubigen Christen geltend macht und doch ein rein theistisches Bewusstsein an den Tag legtFirenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s.. Er fasst sein Leiden weder als Sündenschuld noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt; es ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott allein, der die mächtige Liebe zum Leben zwischen den Menschen und seine Verzweiflung hineingestellt hat. »Ich fluche, doch nur gegen die Natur, denn Deine Grösse verbietet mir, Dich selbst zu nennen... gib mir den Tod, Herr, ich flehe Dich, gib mir ihn jetzt!«
Einen augenscheinlichen Beweis für einen ausgebildeten, bewussten Theismus wird man freilich in diesen und ähnlichen Aussagen vergebens suchen; die Betreffenden glaubten zum Teil noch Christen zu sein und respektierten ausserdem aus verschiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre. Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen waren, sich abzuklären, gelangte diese Denkweise zu einem deutlichern Bewusstsein; eine Anzahl der italienischen Protestanten erwiesen sich als Antitrinitarier, und die Sozinianer machten sogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denkwürdigen Versuch, eine Kirche in diesem Sinn zu konstituieren. Aus dem bisher Gesagten wird wenigstens so viel klar geworden sein, dass ausser dem humanistischen Rationalismus noch andere Geister in diese Segel wehten.
Ein Mittelpunkt der ganzen theistischen Denkweise ist wohl in der platonischen Akademie von Florenz und ganz besonders in Lorenzo magnifico selbst zu suchen. Die theoretischen Werke und selbst die Briefe jener Männer geben doch nur die Hälfte ihres Wesens. Es ist wahr, dass Lorenzo von Jugend auf bis an sein Lebensende sich dogmatisch christlich geäussert hatNic. Valori, Vita di Lorenzo, passim. – Die schöne Instruktion an seinen Sohn Kardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 178, und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo. und dass Pico sogar unter die Herrschaft Savonarolas und in eine mönchisch aszetische Gesinnung hineingerietJo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. – Seine Deprecatio ad Deum, in den Deliciae poetar. italor.. Allein in den Hymnen LorenzosEs sind die Gesänge: Orazione (»Magno Dio, per la cui costante legge etc.«, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120); – der Hymnos (»Oda il sacro inno tutta la natura etc.« bei Fabroni, Lautentius, Adnot. 9); – L'altercazione (Poesie di Lorenzo magn. I, p. 265; in letzterer Sammlung sind auch die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt)., welche wir als das höchste Resultat des Geistes jener Schule zu bezeichnen versucht sind, spricht ohne Rückhalt der Theismus, und zwar von einer Anschauung aus, welche sich bemüht, die Welt als einen grossen moralischen und physischen Kosmos zu betrachten Während die Menschen des Mittelalters die Welt ansehen als ein Jammertal, welches Papst und Kaiser hüten müssen bis zum Auftreten des Antichrist, während die Fatalisten der Renaissance abwechseln zwischen Zeiten der gewaltigen Energie und Zeiten der dumpfen Resignation oder des Aberglaubens, erhebt sich hier, im KreiseWenn es dem Pulci in seinem Morgante irgendwo mit religiösen Dingen ernst ist, so wird dies von Ges. XVI, Str. 6, gelten; diese deistische Rede der schönen Heidin Antea ist vielleicht der greifbarste Ausdruck der Denkweise, welche unter Lorenzos Genossen geltend war; die oben (S. 535 f., 539, Anm. 1003) zitierten Reden des Dämons Astarotte bilden dann gewissermassen die Ergänzung dazu. auserwählter Geister, die Idee, dass die sichtbare Welt von Gott aus Liebe geschaffen, dass sie ein Abbild des in ihm präexistierenden Vorbildes sei, und dass er ihr dauernder Beweger und Fortschöpfer bleiben werde. Die Seele des Einzelnen kann zunächst durch das Erkennen Gottes ihn in ihre engen Schranken zusammenziehen, aber auch durch Liebe zu ihm sich ins Unendliche ausdehnen, und dies ist dann die Seligkeit auf Erden.
Hier berühren sich Anklänge der mittelalterlichen Mystik mit platonischen Lehren und mit einem eigentümlichen modernen Geiste. Vielleicht reifte hier eine höchste Frucht jener Erkenntnis der Welt und des Menschen, um derentwillen allein schon die Renaissance von Italien die Führerin unseres Weltalters heissen muss.