Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die riesenhaftesten Kathedralen fast alle Unser Frauen gewidmet sind, wo ein ganzer reicher Zweig der Poesie im Lateinischen wie in den Landessprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine grössere Verehrung derselben auch nur möglich gewesen wäre? Allein diesem gegenüber macht sich in Italien eine ungemein viel grössere Anzahl von wundertätigen Marienbildern geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das tägliche Leben. Jede beträchtliche Stadt besitzt ihrer eine ganze Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden »Malereien des St. Lucas« bis zu den Arbeiten von Zeitgenossen, welche die Mirakel ihrer Bilder nicht selten noch erleben konnten. Das Kunstwerk ist hier gar nicht so harmlos wie Battista MantovanoDie merkwürdige Aussage, aus seinem späten Werke de sacris diebus (L. I.), bezieht sich freilich auf weltliche und geistliche Kunst zugleich. Bei den Hebräern, meint er, sei mit Recht alles Bildwerk verdammt gewesen, weil sie sonst in den ringsberrschenden Götzen- oder Teufelsdienst wieder zurückgefallen wären:

Nunc autem, postquam penitus natura Satanum
Cognita, et antiqua sine maiestate relicta est,
Nulla ferunt nobis statuae discrimina, nullos
Fert pictura dolos; iam sunt innoxia signa;
Sunt modo virtutum testes monimentaque laudum
Marmora, et aeternae decora immortalia famae...
glaubt; es gewinnt je nach Umständen plötzlich eine magische Gewalt. Das populäre Wunderbedürfnis, zumal der Frauen, mag dabei vollständig gestillt worden sein und schon deshalb der Reliquien wenig mehr geachtet haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novellisten gegen falsche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag tatSo klagt Battista Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über gewisse »nebulones«, welche an die Echtheit des Heiligenblutes zu Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits die Schenkung Constantins bestritt, war sicher den Reliquien ungünstig, wenn auch im Stillen., mag auf sich beruhen.

Das Verhältnis der Gebildeten zum Mariendienst zeichnet sich dann schon etwas klarer als das zum Reliquiendienst. Es darf zunächst auffallen, dass in der Literatur Dante mit seinem ParadiesBesonders Paradiso XXXIII, 1, das berühmte Gebet des heil. Bernhard: Vergine madre, figlia del tuo figlio. eigentlich der letzte bedeutende Mariendichter der Italiener geblieben ist, während im Volk die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervorgebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, SabellicoVielleicht auch Pius II., dessen Elegie auf die heilige Jungfrau in den opera, p. 964, abgedruckt ist und der sich von Jugend auf unter dem besondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens., de morte. Pii, p. 656. und andere lateinische Dichter namhaft machen wollen, allein ihre wesentlich literarischen Zwecke benehmen ihnen ein gutes Teil der Beweiskraft. Diejenigen italienisch abgefassten Gedichte des 15. Jahrhunderts und des beginnenden 16., aus welchen eine unmittelbare Religiosität zu uns spricht, könnten meist auch von Protestanten geschrieben sein; so die betreffenden Hymnen usw. des Lorenzo magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michelangelo, der Gaspara Stampa usw. Abgesehen von dem lyrischen Ausdruck des Theismus redet meist das Gefühl der Sünde, das Bewusstsein der Erlösung durch den Tod Christi, die Sehnsucht nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter Gottes nur ganz ausnahmsweise erwähntHöchst belehrend sind hiefür die wenigen und kühlen Madonnensonette der Vittoria. (N. 85 u. ff.) wird. Es ist dasselbe Phänomen, welches sich in der klassischen Bildung der Franzosen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt. Erst die Gegenreformation brachte in Italien den Mariendienst wieder in die Kunstdichtung zurück. Freilich hatte inzwischen die bildende Kunst das Höchste getan zur Verherrlichung der Madonna. Der Heiligendienst endlich nahm bei den Gebildeten nicht selten (S. 85 f., 292) eine wesentlich heidnische Farbe an.

Wir könnten nun noch verschiedene Seiten des damaligen italienischen Katholizismus auf diese Weise prüfend durchgehen und das vermutliche Verhältnis der Gebildeten zum Volksglauben bis zu einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifenden Resultat zu gelangen. Es gibt schwer zu deutende Kontraste. Während z. B. an und für Kirchen rastlos gebaut, gemeisselt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts die bitterste Klage über Erschlaffung im Kultus und Vernachlässigung derselben Kirchen: Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paulatim divinus abitBapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V., und besonders die Rede des jüngern Pico, welche für das lateranensische Konzil bestimmt war, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, vol. VIII, p. 115.!... Es ist bekannt, wie Luther in Rom durch das weihelose Benehmen der Priester bei der Messe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen Feste mit einer Pracht und einem Geschmack ausgestattet, wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird annehmen müssen, dass das Phantasievolk im vorzugsweisen Sinne das Alltägliche gern vernachlässigte, um dann von dem Aussergewöhnlichen sich hinreissen zu lassen.

Durch die Phantasie erklären sich auch jene Bussepidemien, von welchen hier noch die Rede sein muss. Sie sind wohl zu unterscheiden von den Wirkungen jener grossen Bussprediger; was sie hervorruft, sind grosse allgemeine Kalamitäten oder die Furcht vor solchen.

Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Europa irgendein Sturm dieser Art, wobei die Massen sogar in strömende Bewegung gerieten, wie z. B. bei den Kreuzzügen und Geisselfahrten. Italien beteiligte sich bei beiden; die ersten ganz gewaltigen Geisslerscharen traten hier auf, gleich nach dem Sturze Ezzelinos und seines Hauses, und zwar in der Gegend desselben PerugiaMonich. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heisst von dieser Busse: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum, deinde fere Italiae populos universos. – Dagegen Guil. Ventura (de gestis Astensium, col. 701) nennt die Geisselfahrt admirabilis Lombardorum commotio; Eremiten seien aus ihren Höhlen gekommen und hätten die Städte zur Busse aufgerufen., das wir bereits (S. 507, Anm. [946]) als eine Hauptstation der spätern Bussprediger kennenlernten. Dann folgten die FlagellantenGiov. Villani VIII, 122. XI, 23. von 1310 und 1334 und dann die grosse Bussfahrt ohne Geisselung, von welcher CorioCorio, fol. 281; Sismondi VII, 397, s. zum Jahre 1399 erzählt. Es ist nicht undenkbar, dass Jubiläen zum Teil eingerichtet wurden, um diesen unheimlichen Wandertrieb religiös aufgeregter Massen möglichst zu regulieren und unschädlich zu machen; auch zogen die inzwischen neu berühmt gewordenen Wallfahrtsorte Italiens, wie z. B. Loreto, einen Teil jener Aufregung an sichEntferntere Wallfahrten werden schon sehr selten. Diejenigen der Fürsten vom Hause Este nach Jerusalem, S. Yago und Vienne sind aufgezählt im Diario Ferrarese bei Murat. XXIV, Col. 182, 187, 190, 279. Die des Rinaldo Albizzi ins heilige Land bei Macchiavelli, Stor. fior., L. V. Auch hier ist bisweilen die Ruhmlust das Bestimmende; von Lionardo Frescobaldi, der mit einem Gefährten (gegen 1400) nach dem heiligen Grabe pilgern wollte, sagt der Chronist Giov. Cavalcanzi (II, p. 478): Stimarono di eternarsi nella mente degli uomini futuri..

Aber in schrecklichen Augenblicken erwacht hie und da ganz spät die Glut der mittelalterlichen Busse, und das geängstigte Volk, zumal wenn Prodigien hinzukommen, will mit Geisselungen und lautem Geschrei um Barmherzigkeit den Himmel erweichen. So war es bei der Pest von 1457 zu BolognaBursellis, Annal. Bon. bei Murat. XXIII, Col. 890., so bei den innern Wirren von 1496 in SienaAllegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s., um aus zahllosen Beispielen nur zwei zu wählen. Wahrhaft erschütternd aber ist, was 1529 zu Mailand geschah, als die drei furchtbaren Geschwister Krieg, Hunger und Pest samt der spanischen Aussaugerei die höchste Verzweiflung über das Land gebracht hattenBurigozzo, Arch. stor. III, p. 486. – Für das damalige Elend in der Lombardie ist Galeazzo Capella (de rebus nuper in Italia gestis) die klassische Quelle; Mailand litt im ganzen kaum weniger als Rom beim Sacco litt.. Zufällig war es ein spanischer Mönch, Fra Tommaso Nieto, auf den man jetzt hörte; bei den barfüssigen Prozessionen von Alt und Jung liess er das Sakrament auf eine neue Weise mittragen, nämlich befestigt auf einer geschmückten Bahre, welche auf den Schultern von vier Priestern im Linnengewande ruhte – eine Nachahmung der BundesladeMan nannte es auch l'arca del testimonio, und war sich bewusst, die Sache sei conzado (eingerichtet) con gran misterio., wie sie einst das Volk Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an seinen alten Bund mit den Menschen, und als die Prozession wieder in den Dom einzog und es schien, als müsse von dem Jammerruf misericordia! der Riesenbau einstürzen, da mochte wohl mancher glauben, der Himmel müsse in die Gesetze der Natur und der Geschichte eingreifen durch irgendein rettendes Wunder.

Es gab aber eine Regierung in Italien, welche sich in solchen Zeiten sogar an die Spitze der allgemeinen Stimmung stellte und die vorhandene Bussfertigkeit polizeilich ordnete: die des Herzogs Ercole I. von FerraraDiario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 317, 322, 323, 326, 386, 401.. Als Savonarola in Florenz mächtig war und Weissagung und Busse in weiten Kreisen, auch über den Apennin hinaus, das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara grosses freiwilliges Fasten (Anfang 1496); ein Lazarist verkündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der schrecklichsten Krieges- und Hungersnot, welche die Welt gesehen; wer jetzt faste, könne diesem Unheil entgehen, so habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündet. Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu fasten, aber er ergriff nun selber die Leitung der Devotion. Am 3. April (Ostertag) erschien ein Sitten- und Andachtsedikt gegen Lästerung Gottes und der h. Jungfrau, verbotene Spiele, Sodomie, Konkubinat, Häuservermieten an Huren und deren Wirte, Oeffnung der Buden an Festtagen mit Ausnahme der Bäcker und Gemüsehändler usw.; die Juden und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren, sollten wieder ihr gelbes O auf der Brust genäht tragen. Die Zuwiderhandelnden wurden bedroht nicht nur mit den im bisherigen Gesetz verzeichneten Strafen, sondern auch »mit den noch grössern, welche der Herzog zu verhängen für gut finden wird«. Darauf ging der Herzog samt dem Hofe mehrere Tage nacheinander zur Predigt; am 10. April mussten sogar alle Juden von Ferrara dabei sein. Allein am 3. Mai liess der Polizeidirektor – der schon oben (S. 78 f.) erwähnte Gregorio Zampante – ausrufen: wer den Schergen Geld gegeben habe, um nicht als Lästerer verzeigt zu werden, möge sich melden, um es samt weiterer Vergütung zurückzuerhalten; diese schändlichen Menschen nämlich hatten von Unschuldigen bis auf 2, 3 Dukaten erpresst durch die Androhung der Denunziation, und einander dann gegenseitig verraten, worauf sie selbst in den Kerker kamen. Da man aber eben nur bezahlt hatte, um nicht mit dem Zampante zu tun zu haben, so möchte auf sein Ausschreiben kaum jemand erschienen sein. – Im Jahr 1500, nach dem Sturze des Lodovico Moro, als ähnliche Stimmungen wiederkehrten, verordnete Ercole von sich ausPer buono rispetto a lui noto e perchè sempre è buono a star bene con Iddio, sagt der Annalist. eine Folge von neun Prozessionen, wobei auch die weissgekleideten Kinder mit der Jesusfahne nicht fehlen durften; er selber ritt mit im Zuge, weil er schlecht zu Fusse war. Dann folgte ein Edikt ganz ähnlichen Inhaltes wie das von 1496. Die zahlreichen Kirchen- und Klosterbauten dieser Regierung sind bekannt, aber selbst eine leibhaftige Heilige, die Suor ColombaVermutlich die S. 55 in Perugia erwähnte., liess sich Ercole kommen, ganz kurz bevor er seinen Sohn Alfonso mit der Lucrezia Borgia vermählen musste (1502). Ein KabinettskurierDie Quelle nennt ihn einen Messo de' cancellieri del Duca. Die Sache sollte recht augenscheinlich vom Hofe und nicht von Ordensobern oder sonstigen geistlichen Behörden ausgehen. holte die Heilige von Viterbo mit 15 andern Nonnen ab, und der Herzog selber führte sie bei der Ankunft in Ferrara in ein bereitgehaltenes Kloster ein. Tun wir ihm Unrecht, wenn wir in all diesen Dingen die stärkste politische Absichtlichkeit voraussetzen? Zu der Herrscheridee des Hauses Este, wie sie oben (S. 73 ff.) nachgewiesen wurde, gehört eine solche Mitbenützung und Dienstbarmachung des Religiösen beinahe schon nach den Gesetzen der Logik.


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