Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Einwirkung des Altertumes auf die Bildung, wovon nunmehr zu handeln ist, setzte zunächst voraus, dass der Humanismus sich der Universitäten bemächtigte. Dies geschah, doch nicht in dem Masse und nicht mit der Wirkung, wie man glauben möchte.
Die meisten Universitäten in ItalienVgl. Libri, Histoire des sciences mathém. II, p. 92, s. – Bologna war bekanntlich älter, Pisa dagegen eine späte Gründung des Lorenzo magnifico, «ad solatium veteris amissae libertatis»gestiftet, wie Giovio, Vita Leonis X, L. I sagt. – Die Universität Florenz (vgl. Gaye, carteggio, I, p. 461 bis 560 passim; Matteo Villani I, 8; VII, 90) schon 1321 vorhanden mit Studienzwang für die Landeskinder, wurde neu gestiftet nach dem schwarzen Tode 1348 und mit 2500 Goldgulden jährlich ausgestattet, schlief aber wieder ein und wurde 1357 abermals hergestellt. Der Lehrstuhl für Erklärung des Dante, gestiftet auf Petition vieler Bürger 1373, war in der Folge meist mit der Professur der Philologie und Rhetorik verbunden, so noch bei Filelfo. tauchen im Lauf des 13. und 14. Jahrhunderts erst recht empor, als der wachsende Reichtum des Lebens auch eine strengere Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten sie meist nur drei Professuren: des geistlichen und weltlichen Rechtes und der Medizin; dazu kamen mit der Zeit ein Rhetoriker, ein Philosoph und ein Astronom, letzterer in der Regel, doch nicht immer, identisch mit dem Astrologen. Die Besoldungen waren äusserst verschieden; bisweilen wurde sogar ein Kapital geschenkt. Mit der Steigerung der Bildung trat Wetteifer ein, so dass die Anstalten einander berühmte Lehrer abspenstig zu machen suchten; unter solchen Umständen soll Bologna zu Zeiten die Hälfte seiner Staatseinnahmen (20 000 Dukaten) auf die Universität gewandt haben. Die Anstellungen erfolgten in der Regel nur auf ZeitDies ist bei Aufzählungen zu beachten, wie z. B. bei dem Professorenverzeichnis von Pavia um 1400 (Corio, Storia di Milano, fol. 290), wo u. a. zwanzig Juristen vorkommen., selbst auf einzelne Semester, so dass die Dozenten ein Wanderleben führten wie Schauspieler; doch gab es auch lebenslängliche Anstellungen. Bisweilen versprach man, das an einem Ort Gelehrte nirgend anderswo mehr vorzutragen. Ausserdem gab es auch unbesoldete, freiwillige Lehrer.
Von den genannten Stellen war natürlich die des Professors der Rhetorik vorzugsweise das Ziel des Humanisten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er sich den Sachinhalt des Altertums angeeignet hatte, um auch als Jurist, Mediziner, Philosoph oder Astronom auftreten zu können. Die innern Verhältnisse der Wissenschaft wie die äussern des Dozenten waren noch sehr beweglich. Sodann ist nicht zu übersehen, dass einzelne Juristen und Mediziner weit die höchsten Besoldungen hatten und behielten, erstere hauptsächlich als grosse Konsulenten des sie besoldenden Staates für seine Ansprüche und Prozesse. In Padua gab es im 15. Jahrhundert eine juristische Besoldung von 1000 Dukaten jährlichMarin Sanudo, bei Mut. XXII, Col. 990., und einen berühmten Arzt wollte man mit 2000 Dukaten und dem Recht der Praxis anstellenFabroni, Laurent, magn. Adnot. 52, vom Jahr 1491., nachdem derselbe bisher in Pisa 700 Goldgulden gehabt hatte. Als der Jurist Bartolommeo Socini, Professor in Pisa, eine venezianische Anstellung in Padua annahm und dorthin reisen wollte, verhaftete ihn die florentinische Regierung und wollte ihn nur gegen eine Kaution von 18 000 Goldgulden freilassenAllegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 824.. Schon wegen einer solchen Wertschätzung dieser Fächer wäre es begreiflich, dass bedeutende Philologen sich als Juristen und Mediziner geltend machten; andererseits musste allmählich, wer in irgendeinem Fache etwas vorstellen wollte, eine starke humanistische Farbe annehmen. Anderweitiger praktischer Tätigkeiten der Humanisten wird bald gedacht werden.
Die Anstellungen der Philologen als solcher jedoch, wenn auch im einzelnen Fall mit ziemlich hohen BesoldungenFilelfo hat bei seiner Berufung an die neugegründete Universität Pisa 500 Goldgulden wenigstens verlangt. Vgl. Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 41. und Nebenemolumenten verbunden, gehören im ganzen zu den flüchtigen, vorübergehenden, so dass ein und derselbe Mann an einer ganzen Reihe von Anstalten tätig sein konnte. Offenbar liebte man die Abwechselung und hoffte von jedem Neues, wie dies bei einer im Werden begriffenen, also sehr von Persönlichkeiten abhängigen Wissenschaft sich leicht erklärt. Es ist auch nicht immer gesagt, daß derjenige, welcher über alte Autoren liest, wirklich der Universität der betreffenden Stadt angehört habe; bei der Leichtigkeit des Kommens und Gehens, bei der grossen Anzahl verfügbarer Lokale (in Klöstern usw.) genügte auch eine Privatberufung. In denselben ersten Jahrzehnden des 15. JahrhundertsVgl. Vespasian. Fior., p. 271, 572, 580, 625. – Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 531, s., da die Universität von Florenz ihren höchsten Glanz erreichte, da die Hofleute Eugens IV. und vielleicht schon Martins V. sich in den Hörsälen drängten, da Carlo Aretino und Filelfo miteinander in die Wette lasen, existierte nicht nur eine fast vollständige zweite Universität bei den Augustinern in S. Spirito, nicht nur ein ganzer Verein gelehrter Männer bei den Camaldulensern in den Angeli, sondern auch angesehene Privatleute taten sich zusammen oder bemühten sich einzeln, um gewisse philologische oder philosophische Kurse lesen zu lassen für sich und andere. Das philologische und antiquarische Treiben in Rom hatte mit der Universität (Sapienza) lang kaum irgendeinen Zusammenhang und ruhte wohl fast ausschliesslich teils auf besonderer persönlicher Protektion der einzelnen Päpste und Prälaten, teils auf den Anstellungen in der päpstlichen Kanzlei. Erst unter Leo X. erfolgte die grosse Reorganisation der Sapienza, mit 88 Lehrern, worunter die größten Zelebritäten Italiens auch für die Altertumswissenschaft; der neue Glanz dauerte aber nur kurze Zeit. – Von den griechischen Lehrstühlen in Italien ist bereits (S. 226) in Kürze die Rede gewesen.
Im ganzen wird man, um die damalige wissenschaftliche Mitteilung sich zu vergegenwärtigen, das Auge von unsern jetzigen akademischen Einrichtungen möglichst entwöhnen müssen. Persönlicher Umgang, Disputationen, beständiger Gebrauch des Lateinischen und bei nicht wenigen auch des Griechischen, endlich der häufige Wechsel der Lehrer und die Seltenheit der Bücher gaben den damaligen Studien eine Gestalt, die wir uns nur mit Mühe vergegenwärtigen können.
Lateinische Schulen gab es in allen irgend namhaften Städten, und zwar bei weitem nicht bloss für die Vorbildung zu den höheren Studien, sondern weil die Kenntnis des Lateinischen hier notwendig gleich nach dem Lesen, Schreiben und Rechnen kam, worauf dann die Logik folgte. Wesentlich erscheint es, dass diese Schulen nicht von der Kirche abhingen, sondern von der städtischen Verwaltung; mehrere waren auch wohl blosse Privatunternehmungen.
Nun erhob sich aber dieses Schulwesen, unter der Führung einzelner ausgezeichneter Humanisten, nicht nur zu einer grossen rationellen Vervollkommnung, sondern es wurde höhere Erziehung. An die Ausbildung der Kinder zweier oberitalienischer Fürstenhäuser schliessen sich Institute an, welche in ihrer Art einzig heissen konnten.
An dem Hofe des Giovan Francesco Gonzaga zu Mantua (reg. 1407-1444) trat der herrliche Vittorino da FeltreVespas. Fior., p. 640. – Die besondern Biographien des Vittorino und des Guarino von Rosmini kenne ich nicht. auf, einer jener Menschen, die ihr ganzes Dasein Einem Zwecke widmen, für welchen sie durch Kraft und Einsicht im höchsten Grade ausgerüstet sind. Er erzog zunächst die Söhne und Töchter des Herrscherhauses, und zwar auch von den letztern eine bis zu wahrer Gelehrsamkeit; als aber sein Ruhm sich weit über Italien verbreitete und sich Schüler aus grossen und reichen Familien von nahe und ferne meldeten, liess es der Gonzaga nicht nur geschehen, dass sein Lehrer auch diese erzog, sondern er scheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, dass es die Erziehungsstätte für die vornehme Welt sei. Hier zum erstenmal war mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht gesetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht sein höchstes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in seinem Hause nährte und erzog »per l'amore di Dio«, neben jenen Vornehmen, die sich hier gewöhnen mußten, mit dem blossen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft ebensoviel betrug. Er wusste, dass Vittorino keinen Heller für sich beiseite legte, und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittelten die stillschweigende Bedingung sei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauses war streng religiös, wie kaum in einem Kloster.
Mehr auf der Gelehrsamkeit liegt der Akzent bei Guarino von VeronaVesp. Fior., p. 646., der 1429 von Niccolò d'Este zur Erziehung seines Sohnes Lionello nach Ferrara berufen wurde und seit 1436, als sein Zögling nahezu erwachsen war, auch als Professor der Beredsamkeit und der beiden alten Sprachen an der Universität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus verschiedenen Gegenden und im eigenen Hause eine auserlesene Zahl von Armen, die er teilweise oder ganz unterhielt; seine Abendstunden bis spät waren der Repetition mit diesen gewidmet. Auch hier war eine Stätte strenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino so wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meisten Humanisten ihres Jahrhunderts in diesen Beziehungen kein Lob mehr davontrugen. Unbegreiflich ist, wie Guarino neben einer Tätigkeit, wie die seinige war, noch immerfort Uebersetzungen aus dem Griechischen und grosse eigene Arbeiten verfassen konnte.
Ausserdem kam an den meisten Höfen von Italien die Erziehung der Fürstenkinder wenigstens zum Teil und auf gewisse Jahre in die Hände der Humanisten, welche damit einen Schritt weiter in das Hofleben hinein taten. Das Traktatschreiben über die Prinzenerziehung, früher eine Aufgabe der Theologen, wird jetzt natürlich ebenfalls ihre Sache, und Aeneas Sylvius hat z. B. zweien jungen deutschen Fürsten vom Hause HabsburgAn Erzherzog Sigismund, Epist. 105, p. 600, und an König Ladislaus den Nachgeborenen, p. 695, letzteres als Tractatus de liberorum educatione. umständliche Abhandlungen über ihre weitere Ausbildung adressiert, worin begreiflicherweise beiden eine Pflege des Humanismus in italienischem Sinne ans Herz gelegt wird. Er mochte wissen, dass er in den Wind redete, und sorgte deshalb dafür, dass diese Schriften auch sonst herumkamen. Doch das Verhältnis der Humanisten zu den Fürsten wird noch insbesondere zu besprechen sein.