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Die höchste und meistbewunderte Form der Illegitimität ist aber im 15. Jahrhundert der Condottiere, der sich – welches auch seine Abkunft sei – ein Fürstentum erwirbt. Im Grunde war schon die Besitznahme von Unteritalien durch die Normannen im 11. Jahrhundert nichts anderes gewesen; jetzt aber begannen Projekte dieser Art die Halbinsel in dauernder Unruhe zu erhalten.
Die Festsetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Usurpation geschehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten abfandFür das Folgende vgl. Canestrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor.; ohnehin bedurfte der Condottiere, selbst wenn er für den Augenblick seine meisten Leute entliess, eines sichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die notwendigsten Vorräte bergen konnte. Das erste Beispiel eines so ausgestatteten Bandenführers ist John Hawkwood, welcher von Papst Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt. Als aber mit Alberigo da Barbiano italienische Heere und Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die Gelegenheit viel näher, Fürstentümer zu erwerben, oder wenn der Condottiere schon irgendwo Gewaltherrscher war, das Ererbte zu vergrössern. Das erste grosse Bacchanal dieser soldatischen Herrschbegier wurde gefeiert in dem Herzogtum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402); die Regierung seiner beiden Söhne (S. 39 f.) ging hauptsächlich mit der Vertilgung dieser kriegerischen Tyrannen dahin, und der grösste derselben, Facino Cane, wurde samt seiner Witwe, samt einer Reihe von Städten und 400 000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdies zog Beatrice di Tenda die Soldaten ihres ersten Gemahls nach sichCagnola, Archiv. stor. III, p. 28: et (Filippo Maria) da lei (Beatr.) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme del dicto Facino, che obedivano a lei.. Von dieser Zeit an bildete sich dann jenes über alle Massen unmoralische Verhältnis zwischen den Regierungen und ihren Condottieren aus, welches für das 15. Jahrhundert charakteristisch ist. Eine alte AnekdoteInfessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1911. Die Alternative, welche Macchiavell dem siegreichen Condottiere stellt, s. Discorsi, I, 30., von jenen die nirgends und doch überall wahr sind, schildert dasselbe ungefähr so: Einst hatten die Bürger einer Stadt – es soll Siena gemeint sein – einen Feldherrn, der sie von feindlichem Druck befreit hatte; täglich berieten sie, wie er zu belohnen sei und urteilten, keine Belohnung, die in ihren Kräften stände, wäre gross genug, selbst nicht wenn sie ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob sich einer und meinte: Lasst uns ihn umbringen und dann als Stadtheiligen anbeten. Und so sei man mit ihm verfahren ungefähr wie der römische Senat mit Romulus. In der Tat hatten sich die Condottieren vor niemand mehr zu hüten als vor ihren Brodherren; kämpften sie mit Erfolg, so waren sie gefährlich und wurden aus der Welt geschafft wie Roberto Malatesta gleich nach dem Siege, den er für Sixtus IV. erfochten (1482); beim ersten Unglück aber rächte man sich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am Carmagnola (1432)Ob sie auch den Alviano 1516 vergiftet, und ob die dafür angegebenen Gründe richtig sind? vgl. Prato im Archiv. Stor. III, p. 348.Von Colleoni liess sich die Republik zur Erbin einsetzen und nahm nach seinem Tode 1475 erst noch eine förmliche Konfiskation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor. VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in Venedig anlegten, ibid. p. 351.. Es zeichnet die Sachlage in moralischer Beziehung, dass die Condottieren oft Weib und Kind als Geiseln geben mussten und dennoch weder Zutrauen genossen noch selber empfanden. Sie hätten Heroen der Entsagung, Charaktere wie Belisar sein müssen, wenn sich der tiefste Hass nicht in ihnen hätte sammeln sollen; nur die vollkommenste innere Güte hätte sie davon abhalten können, absolute Frevler zu werden. Und als solche, voller Hohn gegen das Heilige, voller Grausamkeit und Verrat gegen die Menschen, lernen wir manche von ihnen kennen, fast lauter Leute, denen es nichts ausmachte, im päpstlichen Banne zu sterben. Zugleich aber entwickelt sich in manchen die Persönlichkeit, das Talent, bis zur höchsten Virtuosität und wird auch in diesem Sinne von den Soldaten anerkannt und bewundert; es sind die ersten Armeen der neuern Geschichte, wo der persönliche Kredit des Anführers ohne weitere Nebengedanken die bewegende Kraft ist. Glänzend zeigt sich dies z. B. im Leben des Francesco SforzaCagnola, im Archiv. stor. III, p. 121, s.; da ist kein Standesvorurteil, das ihn hätte hindern können, die allerindividuellste Popularität bei jedem einzelnen zu erwerben und in schwierigen Augenblicken gehörig zu benützen; es kam vor, dass die Feinde bei seinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblösstem Haupt ihn ehrerbietig grüssten, weil ihn jeder für den gemeinsamen »Vater der Kriegerschaft« hielt. Dieses Geschlecht Sforza gewährt überhaupt das Interesse, dass man die Vorbereitung auf das Fürstentum von Anfang an glaubt durchschimmern zu sehenWenigstens bei Paul. Jovius, in seiner Vita magni Sfortiae (Viri illustres), einer der anziehendsten von seinen Biographien.. Das Fundament dieses Glückes bildete die grosse Fruchtbarkeit der Familie; Francescos bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geschwister, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endlosen romagnolischen Vendetten zwischen ihnen und dem Hause der Pasolini. Die ganze Wohnung war lauter Arsenal und Wachtstube, auch Mutter und Töchter völlig kriegerisch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heimlich von dannen, zunächst nach Panicale zum päpstlichen Condottiere Boldrino, demselben, welcher dann noch im Tode seine Schar anführte, indem die Parole von einem fahnenumsteckten Zelte ausgegeben wurde, in welchem der einbalsamierte Leichnam lag – bis sich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verschiedenen Diensten allmählich emporkam, zog auch seine Angehörigen nach sich und genoss durch dieselben die nämlichen Vorteile, die einem Fürsten eine zahlreiche Dynastie verleiht. Diese Verwandten sind es, welche die Armee beisammen halten, während er im Castel dell' uovo zu Neapel liegt; seine Schwester nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieses Pfand vom Tode. Es deutet schon auf Absichten von Dauer und Tragweite, dass Jacopo in Geldsachen äusserst zuverlässig war und deshalb auch nach Niederlagen Kredit bei den Bankiers fand; dass er überall die Bauern gegen die Lizenz der Soldaten schützte, und die Zerstörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, dass er seine ausgezeichnete Konkubine Lucia (die Mutter Francescos) an einen andern verheiratete, um für einen fürstlichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermählungen seiner Verwandten unterlagen einem gewissen Plan. Von der Gottlosigkeit und dem wüsten Leben seiner Fachgenossen hielt er sich ferne; die drei Lehren, womit er seinen Francesco in die Welt sandte, lauten: rühre keines andern Weib an; schlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geschehen, schicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäuliges Pferd und keines, das gerne die Eisen verliert. Vor allem aber besass er die Persönlichkeit, wenn nicht eines grossen Feldherrn, doch eines grossen Soldaten, einen mächtigen, allseitig geübten Körper, ein populäres Bauerngesicht, ein wunderwürdiges Gedächtnis, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältnisse von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italienisch; alle Musse aber wandte er auf Kenntnis der Geschichte und liess griechische und lateinische Autoren für seinen Gebrauch übersetzen. Francesco, sein noch ruhmvollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer grossen Herrschaft gestrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrat auch erhalten (1447-1450).
Sein Beispiel lockte. Aeneas SylviusAen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475. schrieb um diese Zeit: »In unserm veränderungslustigen Italien, wo nichts fest steht und keine alte Herrschaft existiert, können leicht aus Knechten Könige werden.« Einer aber, der sich selber »den Mann der Fortuna« nannte, beschäftigte damals vor allen die Phantasie des ganzen Landes: Giacomo Piccinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürstentumes gelingen werde oder nicht? Die grössern Staaten hatten ein einleuchtendes Interesse, es zu verhindern, und auch Francesco Sforza fand, es wäre vorteilhaft, wenn die Reihe der souverän gewordenen Soldführer mit ihm selber abschlösse. Aber die Truppen und Hauptleute, die man gegen Piccinino absandte, als er z. B. Siena hatte für sich nehmen wollen, erkanntenPii II. Comment. I, p. 46, vgl. 69. ihr eigenes Interesse darin, ihn zu halten: »Wenn es mit ihm zu Ende ginge, dann könnten wir wieder den Acker bauen.« Während sie ihn in Orbetello eingeschlossen hielten, verproviantierten sie ihn zugleich, und er kam auf das ehrenvollste aus der Klemme. Endlich aber entging er seinem Verhängnis doch nicht. Ganz Italien wettete, was geschehen werde, als er (1465) von einem Besuch bei Sforza in Mailand nach Neapel zum König Ferrante reiste. Trotz aller Bürgschaften und hohen Verbindungen liess ihn dieser im Castel nuovo ermordenSismondi X, p. 258. – Corio, Fol. 412, wo Sforza als mitschuldig gilt, weil er von P.s kriegerischer Popularität Gefahren für seine eigenen Söhne gefürchtet. – Storia Bresciana, bei Murat. XXI, Col. 902. – Wie man 1466 den venezianischen Grosscondottiere Colleoni in Versuchung führte, erzählt Malipiero, Annali veneti, Arch. stor. VII, I, p. 210.. Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten besassen, fühlten sich doch nie sicher; als Roberto Malatesta und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener in Rom, dieser in Bologna, starben, fand es sich, dass jeder im Sterben dem andern seinen Staat empfehlen liessAllegretti, Diarii Sanesi, bei Murat. XXIII, p. 811.! Gegen einen Stand, der sich so vieles erlaubte, schien alles erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer reichen calabresischen Erbin, Polissena Ruffa, Gräfin von Montalto, verheiratet worden, welche ihm ein Töchterchen gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbschaft an sichOrationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco..
Vom Untergang Piccininos an galt das Aufkommen von neuen Condottierenstaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Skandal; die vier »Großstaaten« Neapel, Mailand, Kirche und Venedig schienen ein System des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenstaat, wo es von kleinen Tyrannen wimmelte, die zum Teil Condottieren gewesen oder es noch waren, bemächtigten sich seit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf solche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo ins Schwanken zu geraten, so meldeten sich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, dass ein früher in burgundischen Diensten gewesener Hauptmann Boccalino sich mitsamt der Stadt Osimo, die er für sich genommen, den Türken übergeben hätteMarin Sanudo, Vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241.; man musste froh sein, dass er sich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden liess und abzog. Im Jahre 1495, bei der Erschütterung aller Dinge infolge des Krieges Karls VIII., versuchte sich ein Condottiere Vidovero von BresciaMalipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, 1, p. 407.; er hatte schon früher die Stadt Cesena durch Mord vieler Edeln und Bürger eingenommen, aber das Kastell hielt sich, und er musste wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böser Bube, Pandolfo Malatesta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianischer Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbischof von Ravenna die Stadt Castelnuovo ab. Die Venezianer, welche Grösseres besorgten und ohnehin vom Papst gedrängt wurden, befahlen dem Pandolfo »wohlmeinend«, den guten Freund bei Gelegenheit zu verhaften; es geschah, obwohl »mit Schmerzen«, worauf die Ordre kam, ihn am Galgen sterben zu lassen. Pandolfo hatte die Rücksicht, ihn erst im Gefängnis zu erdrosseln und dann dem Volk zu zeigen. – Das letzte bedeutendere Beispiel solcher Usurpationen ist der berühmte Kastellan von Musso, der bei der Verwirrung im Mailändischen nach der Schlacht bei Pavia (1525) seine Souveränetät am Comersee improvisierte.