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Der grosse Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie gesagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. »Scharfe Augen und böse Zungen« ist das Signalement der FlorentinerLettere pittoriche, I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini 1577. – Macchiavelli, Stor. fior. L. VII. sagt von den jungen Herrn in Florenz nach der Mitte des 15. Jahrhunderts: gli studî loro erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era più savio e da più stimato.. Ein gelinder Hohn über alles und jedes mochte der vorherrschende Alltagston sein. Macchiavelli, in dem höchst merkwürdigen Prolog seiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Medisance das sichtbare Sinken der moralischen Kraft her, droht übrigens seinen Verkleinerern damit, dass auch er sich auf Uebelreden verstehe. Dann kommt der päpstliche Hof, seit lange ein Stelldichein der allerschlimmsten und dabei geistreichsten Zungen. Schon Poggios Facetiae sind ja aus dem Lügenstübchen (bugiale) der apostolischen Schreiber datiert, und wenn man erwägt, welche grosse Zahl von enttäuschten Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Konkurrenten der Begünstigten, von Zeitvertreibern sittenloser Prälaten beisammen war, so kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beschaulichere Satire eine wahre Heimat wurde. Rechnet man noch gar hinzu, was der allgemeine Widerwille gegen die Priesterherrschaft und was das bekannte Pöbelbedürfnis, den Mächtigen das Grässlichste anzudichten, beifügte, so ergibt sich eine unerhörte Summe von SchmachVgl. Fedra Inghiramis Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505), in den Anecd. litt. I, p. 319. – Der Skandalsammler Massaino erwähnt bei Paul. Jov., Dialogus de viris litt. illustr. (Tiraboschi, Tom. VII, parte IV, p. 1631).. Wer konnte, schützte sich dagegen am zweckmässigsten durch Verachtung, sowohl was die wahren als was die erlogenen Beschuldigungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen AufwandSo hielt es im ganzen Leo X. und er rechnete damit im ganzen richtig; so schrecklich die Pasquillanten zumal nach seinem Tode mit ihm umgingen, sie haben die Gesamtanschauung seines Wesens nicht dominieren können.. Zartere Gemüter aber konnten wohl in eine Art von Verzweiflung fallen, wenn sie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verstrickt warenIn diesem Falle war wohl Kardinal Ardicino della Porta, der 1491 seine Würde niederlegen und in ein fernes Kloster flüchten wollte. Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.. Allmählich sagte man jedem das Schlimmste nach, und gerade die strengste Tugend weckte die Bosheit am sichersten. Von dem grossen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um seiner Verdienste willen zum Kardinal erhob und der sich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigteS. dessen Leichenrede in den Anecd. litt. IV, p. 315. Er brachte in der südlichen Mark Ancona ein Bauernheer zusammen, das nur durch den Verrat des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert wurde. Seine schönen hoffnungslosen Liebesmadrigale bei Trucchi, Poesie ined. III, p. 123., gibt Giovio zu verstehen, er habe sich die aszetische Blässe durch Qualm von nassem Stroh u. dgl. konserviert. Giovio ist bei solchen Anlässen ein echter KurialeWie er an der Tafel Clemens VII. seine Zunge brauchte, s. bei Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.; in der Regel erzählt er sein Histörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und lässt endlich in einer allgemeinem Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran sein. Das wahre Brandopfer des römischen Hohnes aber war der gute Hadrian VI.; es bildete sich ein Uebereinkommen, ihn durchaus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich von Anfang an, indem er drohte – nicht die Statue des Pasquino, wie manDie ganze angebliche Beratung über das Versenken des Pasquino bei Paul. Jov., Vita Hadriani, ist von Sixtus IV. auf Hadrian übertragen. – Vgl. Lettere de' principi I, Brief des Negro vom 7. April 1523. Pasquino hatte am St. Marcustag ein besonderes Fest, welches der Papst verbot. sagte –, sondern die Pasquillanten selber in die Tiber werfen zu lassen. Die Rache dafür war das berühmte Capitolo »gegen Papst Adriano«, diktiert nicht eigentlich vom Hass, sondern von der Verachtung gegen den lächerlichen holländischen Barbaren; die wilde Drohung wird aufgespart für die Kardinäle, die ihn gewählt haben. Berni und andereZ. B.: Firenzuola, Opere, vol. I, p. 116, im Discorso degli animali. malen auch die Umgebung des Papstes mit derselben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das heutige großstädtische Feuilleton das So zum Anders und das Nichts zum Etwas verkünstelt. Die Biographie, welche Paolo Giovio im Auftrag des Kardinals von Tortosa verfasste und welche eigentlich eine Lobschrift vorstellen sollte, ist für jeden, der zwischen den Zeilen lesen kann, ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest sich (zumal für das damalige Italien) sehr komisch, wie Hadrian sich beim Domkapitel von Saragossa um die Kinnlade des S. Lambert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit Schmuck und Zeug ausstatten, »bis er einem wohlherausgeputzten Papst recht ähnlich sieht«, wie er seinen stürmischen und geschmacklosen Zug von Ostia gen Rom hält, sich über die Versenkung oder Verbrennung des Pasquino berät, die wichtigsten Verhandlungen wegen Meldung des Essens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher Regierung an allzu vielem Biertrinken verstirbt; worauf das Haus seines Leibarztes von Nachtschwärmern bekränzt und mit der Inschrift Liberatori Patriae S. P. Q. R. geschmückt wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renteneinziehung auch seine Rente verloren und nur deshalb zur Entschädigung eine Pfründe erhalten, weil er »kein Poet«, d. h. keine Heide sei. Es stand aber geschrieben, dass Hadrian das letzte grosse Opfer dieser Art sein sollte. Seit dem Unglück Roms (1527) starb mit der äussersten Ruchlosigkeit des Lebens auch die frevelhafte Rede sichtlich ab.
Während sie aber noch in Blüte stand, hatte sich, hauptsächlich in Rom, der grösste Lästerer der neuern Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf sein Wesen erspart uns die Beschäftigung mit manchen Geringern seiner Gattung.
Wir kennen ihn hauptsächlich in den letzten drei Jahrzehnden seines Lebens (1527-1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Asyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszustand; hieher mündeten auch die Geschenke auswärtiger Fürsten, die seine Feder brauchten oder fürchteten. Karl V. und Franz I. pensionierten ihn beide zugleich, weil jeder hoffte, Aretino würde dem andern Verdruss machen; Aretino schmeichelte beiden, schloss sich aber natürlich enger an Karl an, weil dieser in Italien Meister blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieser Ton in den der lächerlichsten Vergötterung über, wobei zu erwägen ist, dass Aretino fortwährend sich mit der Hoffnung hinhalten liess, durch Karls Hülfe Kardinal zu werden. Vermutlich genoss er eine spezielle Protektion als spanischer Agent, indem man durch sein Reden oder Schweigen auf die kleinern italienischen Fürsten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papstwesen gab er sich die Miene gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne; der wahre Grund war, dass man ihn von Rom aus nicht mehr honorieren konnte und wollteAn den Herzog von Ferrara, 1. Januar 1536: Ihr werdet nun von Rom nach Neapel reisen, ricreando la vista avvilita nel mirar le miserie pontificali con la contemplatione delle eccellenze imperiali.. Venedig, das ihn beherbergte, beschwieg er weislich. Der Rest seines Verhältnisses zu den Grossen ist lauter Bettelei und gemeine Erpressung.
Bei Aretino findet sich der erste ganz grosse Missbrauch der Publizität zu solchen Zwecken. Die Streitschriften, welche hundert Jahre vorher Poggio und seine Gegner gewechselt hatten, sind in der Absicht und im Ton ebenso infam, allein sie sind nicht auf die Presse, sondern auf eine Art von halber und geheimer Publizität berechnet; Aretino macht sein Geschäft aus der ganzen und unbedingten; er ist in gewissem Betracht einer der Urväter der Journalistik. Periodisch lässt er seine Briefe und andere Artikel zusammen drucken, nachdem sie schon vorher in weitern Kreisen kursiert haben mochtenWie er sich damit speziell den Künstlern furchtbar machte, wäre anderswo zu erörtern. – Das publizistische Vehikel der deutschen Reformation ist wesentlich die Broschüre, in Beziehung auf bestimmte einmalige Angelegenheiten; Aretino dagegen ist Journalist in dem Sinne, dass er einen fortwährenden Anlass des Publizierens in sich hat..
Verglichen mit den scharfen Federn des 18. Jahrhunderts hat Aretino den Vorteil, dass er sich nicht mit Prinzipien beladet, weder mit Aufklärung, noch mit Philanthropie und sonstiger Tugend, noch auch mit Wissenschaft; sein ganzes Gepäck ist das bekannte Motto: »Veritas« odium parit. Deshalb gab es auch für ihn keine falschen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der seine Pucelle verleugnen und anderes lebenslang verstecken musste; Aretino gab zu allem seinen Namen, und noch spät rühmt er sich offen seiner berüchtigten Ragionamenti. Sein literarisches Talent, seine lichte und pikante Prosa, seine reiche Beobachtung der Menschen und Dinge würden ihn unter allen Umständen beachtenswert machen, wenn auch die Konzeption eines eigentlichen Kunstwerkes, z. B. die echte dramatische Anlage einer Komödie, ihm völlig versagt blieb; dazu kommt dann noch ausser der gröbsten und feinsten Bosheit eine glänzende Gabe des grotesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachstehtZ. B. im Capitolo an den Albicante, einen schlechten Dichter; leider entziehen sich die Stellen der Zitation..
Unter solchen Umständen, mit solchen Absichten und Mitteln geht er auf seine Beute los oder einstweilen um sie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen sondern zu verzeihenLettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527., während das Jammergeschrei des verwüsteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papstes, empordringt, ist lauter Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geschenke völlig aufgeben muss, bricht seine Wut in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in dem Capitolo an den Fürsten von Salerno. Dieser hatte ihn eine Zeitlang bezahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen scheint es, dass der schreckliche Pierluigi Farnese, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieser Herr auf gute Nachrede wohl überhaupt verzichtet hatte, so war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu tun; Aretino versucht es, indem erIm ersten Capitolo an Cosimo. sein äusseres Ansehen als das eines Sbirren, Müllers und Bäckers bezeichnet. Possierlich ist Aretino am ehesten im Ausdruck der reinen, wehmütigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Drohung und Schmeichelei gemischten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen lesen können. Ein Brief wie der an Michelangelo vom November 1545Gaye, Carteggio II, p. 332. existiert vielleicht nicht ein zweites Mal; zwischen alle Bewunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligiosität, Indezenz und Diebstahl (an den Erben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Postskript bei: »Ich habe Euch nur zeigen wollen, dass wenn Ihr divino (di-vino) seid, ich auch nicht d'acqua bin.« Aretino hielt nämlich darauf – man weiss kaum, ob aus wahnsinnigem Dünkel oder aus Lust an der Parodie alles Berühmten –, dass man ihn ebenfalls göttlich nenne, und so weit brachte er es in der persönlichen Berühmtheit allerdings, dass in Arezzo sein Geburtshaus als Sehenswürdigkeit der Stadt galtS. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I, Append., 34. – Vgl. oben S. 176 das Geburtshaus des Petrarca in demselben Arezzo.. Andererseits freilich gab es ganze Monate, da er sich in Venedig nicht über die Schwelle wagte, um nicht irgendeinem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchstichen und entsetzlichen Prügeln
, wenn sie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem famosen Sonett weissagte; er ist in seinem Hause am Schlagfluss gestorben.
L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano,
Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente,
E più colpi ha, che dita in una mano.
(Mauro, capitolo in lode delle bugie.)
In der Schmeichelei macht er beachtenswerte Unterschiede; für Nichtitaliener trägt er sie plump und dick aufMan sehe z. B. den Brief an den Kardinal von Lothringen, Lettere, ed. Venez. 1539, vom 21. November 1534, sowie die Briefe an Karl V., für Leute wie den Herzog Cosimo von Florenz weiss er sich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürsten, der in der Tat auch diese Eigenschaft mit Augustus in hohem Grade gemein hatte; er lobt seinen sittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeschäfte von Cosimos Mutter Maria Salviati, und schließt mit einer wimmernden Bettelei wegen der teuren Zeiten usw. Wenn ihn aber Cosimo pensionierteFür das Folgende s. Gaye, Carteggio, II, p. 336, 337, 345., und zwar im Verhältnis zu seiner sonstigen Sparsamkeit ziemlich hoch (in der letzten Zeit mit 160 Dukaten jährlich), so war wohl eine bestimmte Rücksicht auf seine Gefährlichkeit als spanischer Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Atemzug über Cosimo bitter spotten und schmähen und doch dabei dem florentinischen Geschäftsträger drohen, dass er beim Herzog seine baldige Abberufung erwirken werde. Und wenn der Medici sich auch am Ende von Karl V. durchschaut wusste, so mochte er doch nicht wünschen, dass am kaiserlichen Hofe aretinische Witze und Spottverse über ihn in Kurs kommen möchten. Eine ganz hübsch bedingte Schmeichelei ist auch diejenige an den berüchtigten Marchese von Marignano, der als »Kastellan von Musso« einen eigenen Staat zu gründen versucht hatte. Zum Dank für übersandte hundert Scudi schreibt Aretin: »Alle Eigenschaften, die ein Fürst haben muss, sind in Euch vorhanden, und jedermann würde dies einsehen, wenn nicht die bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltsamkeit Euch noch als etwas rauh (aspro) erscheinen liesseLettere, ed. Venez. 1539. Fol. 15, vom 16. Juni 1529..«
Man hat häufig als etwas Besonderes hervorgehoben, dass Aretino nur die Welt, nicht auch Gott gelästert habe. Was er geglaubt hat, ist bei seinem sonstigen Treiben völlig gleichgültig, ebenso sind es die Erbauungsschriften, welche er nur aus äussern RücksichtenMochte es die Hoffnung auf den roten Hut oder die Furcht vor den beginnenden Bluturteilen der Inquisition sein, welche er noch 1535 herb zu tadeln gewagt hatte (s. a. a. O. Fol. 37), welche aber seit der Reorganisation des Institutes 1542 plötzlich zunahmen und alles zum Schweigen brachten. verfasste. Sonst aber wüsste ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gotteslästerung verfallen sollen. Er war weder Dozent noch theoretischer Denker und Schriftsteller; auch konnte er von Gott keine Geldsummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpressen, fand sich also auch nicht durch Versagung zur Lästerung gereizt. Mit unnützer Mühe aber gibt sich ein solcher Mensch nicht ab.
Es ist ein gutes Zeichen des heutigen italienischen Geistes, dass ein solcher Charakter und eine solche Wirkungsweise tausendmal unmöglich geworden sind. Aber von Seite der historischen Betrachtung aus wird dem Aretino immer eine wichtige Stellung bleiben.