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Warum haben aber die Italiener der Renaissance in der Tragödie nur Untergeordnetes geleistet? Dort war die Stelle, Charakter, Geist und Leidenschaft tausendgestaltig im Wachsen, Kämpfen und Unterliegen der Menschen zur Anschauung zu bringen. Mit andern Worten: warum hat Italien keinen Shakespeare hervorgebracht? – denn dem übrigen nordischen Theater des 16., 17. Jahrhunderts möchten die Italiener wohl gewachsen sein, und mit dem spanischen konnten sie nicht konkurrieren, weil sie keinen religiösen Fanatismus empfanden, den abstrakten Ehrenpunkt nur pro forma mitmachten und ihr tyrannisches, illegitimes Fürstentum als solches anzubeten und zu verklären zu klug und stolz warenDem einzelnen Hofe oder Fürsten allerdings wurde von den Gelegenheitsdramatikern hinlänglich geschmeichelt.. Es handelt sich also einzig nur um die kurze Blütezeit des englischen Theaters.
Hierauf liesse sich erwidern, dass das ganze übrige Europa auch nur Einen Shakespeare hervorgebracht hat und dass ein solcher Genius überhaupt ein seltenes Geschenk des Himmels ist. Ferner könnte möglicherweise eine hohe Blüte des italienischen Theaters im Anzuge gewesen sein, als die Gegenreformation hereinbrach und im Zusammenhang mit der spanischen Herrschaft (über Neapel und Mailand und indirekt fast über ganz Italien) die besten Blüten des italienischen Geistes knickte oder verdorren liess. Man denke sich nur Shakespeare selber z. B. unter einem spanischen Vizekönig oder in der Nähe des heiligen Officiums zu Rom, oder nur in seinem eigenen Lande ein paar Jahrzehnde später, zur Zeit der englischen Revolution. Das Drama, in seiner Vollkommenheit ein spätes Kind jeder Kultur, will seine Zeit und sein besonderes Glück haben.
Bei diesem Anlass müssen wir jedoch einiger Umstände gedenken, welche allerdings geeignet waren, eine höhere Blüte des Dramas in Italien zu erschweren oder zu verzögern, bis es zu spät war.
Als den wichtigsten dieser Umstände darf man ohne Zweifel die grosse anderweitige Beschäftigung der Schaulust bezeichnen, zunächst vermöge der Mysterien u. a. religiösen Aufzüge. Im ganzen Abendlande sind Aufführungen der dramatisierten heiligen Geschichte und Legende gerade Quelle und Anfang des Dramas und des Theaters gewesen; Italien aber hatte sich, wie im folgenden Abschnitt erörtert werden soll, den Mysterien mit einem solchen künstlerisch dekorativen Prachtsinn hingegeben, dass darunter notwendig das dramatische Element in Nachteil geraten musste. Aus all den unzähligen kostbaren Aufführungen entwickelte sich dann nicht einmal eine poetische Kunstgattung wie die »Autos sagramentales« bei Calderon und andern spanischen Dichtern, geschweige denn ein Vorteil oder Anhalt für das profane Drama.
Als letzteres dennoch emporkam, nahm es sofort nach Kräften an der Pracht der Ausstattung teil, an welche man eben von den Mysterien her nur allzusehr gewöhnt war. Man erfährt mit Staunen, wie reich und bunt die Dekoration der Szene in Italien war, zu einer Zeit, da man sich im Norden noch mit der einfachsten Andeutung der Oertlichkeit begnügte. Allein selbst dies wäre vielleicht noch von keinem entscheidenden Gewichte gewesen, wenn nicht die Aufführung selbst teils durch Pracht der Kostüme, teils und hauptsächlich durch bunte Intermezzi den Sinn von dem poetischen Gehalt des Stückes abgelenkt hätte.
Dass man an vielen Orten, namentlich in Rom und Ferrara, Plautus und Terenz, auch wohl Stücke alter Tragiker aufführte (S. 267, 281), bald lateinisch, bald italienisch, dass jene Akademien (S. 309) sich eine förmliche Aufgabe hieraus machten, und dass die Dichter der Renaissance selbst in ihren Dramen von diesen Vorbildern mehr als billig abhängen, gereichte dem italienischen Drama für die betreffenden Jahrzehnde allerdings auch zum Nachteil, doch halte ich diesen Umstand für untergeordnet. Wäre nicht Gegenreformation und Fremdherrschaft dazwischen gekommen, so hätte sich jener Nachteil gar wohl in eine nützliche Uebergangsstufe verwandeln können. War doch schon bald nach 1520 wenigstens der Sieg der Muttersprache in Tragödie und Komödie zum grossen Verdruss der HumanistenPaul. Jovius, Dialog. de viris lit. illustr., bei Tiraboschi, Tom. VII, IV. – Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp. soviel als entschieden. Von dieser Seite hätte der entwickeltsten Nation Europas kein Hindernis mehr im Wege gestanden, wenn es sich darum handelte, das Drama im höchsten Sinne des Wortes zu einem geistigen Abbild des Menschenlebens zu erheben. Inquisitoren und Spanier waren es, welche die Italiener verschüchterten und die dramatische Schilderung der wahrsten und grössten Konflikte, zumal im Gewande nationaler Erinnerungen, unmöglich machten. Daneben aber müssen wir doch auch jene zerstreuenden Intermezzi als einen wahren Schaden des Dramas näher ins Auge fassen.
Als die Hochzeit des Prinzen Alfonso von Ferrara mit Lucrezia Borgia gefeiert wurde, zeigte der Herzog Ercole in Person den erleuchten Gästen die 110 Kostüme, welche zur Aufführung von fünf plautinischen Komödien dienen sollten, damit man sehe, dass keines zweimal dieneIsabella Gonzaga an ihren Gemahl, 3. Februar 1502, Arch. stor. Append. II, p. 306, s. – Bei den französischen Mystères marschierten die Schauspieler selbst vorher in Prozessionen auf, was man la montre hiess.. Aber was wollte dieser Luxus von Taffet und Kamelot sagen im Vergleich mit der Ausstattung der Ballette und Pantomimen, welche als Zwischenakte der plautinischen Stücke aufgeführt wurden. Dass Plautus daneben einer lebhaften jungen Dame wie Isabella Gonzaga schmerzlich langweilig vorkam und dass jedermann sich während des Dramas nach den Zwischenakten sehnte, ist begreiflich, sobald man den bunten Glanz derselben in Betracht zieht. Da gab es Kämpfe römischer Krieger, welche ihre antiken Waffen kunstgerecht zum Takte der Musik bewegten, Fackeltänze von Mohren, einen Tanz von wilden Männern mit Füllhörnern, aus welchen flüssiges Feuer sprühte; sie bildeten das Ballett zu einer Pantomime, welche die Rettung eines Mädchens von einem Drachen darstellte. Dann tanzten Narren in Pulcinelltracht und schlugen einander mit Schweinsblasen und dergleichen mehr. Es war eine zugestandene Sache am Hofe von Ferrara, dass jede Komödie »ihr« Ballett (moresca) habeDiario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 404. Andere Stellen über das dortige Theaterwesen Col. 278, 279, 282 bis 285, 361, 380, 381, 393, 397.. Wie man sich vollends die Aufführung des plautinischen Amphitruo daselbst (1491, bei Alfonsos erster Vermählung mit Anna Sforza) zu denken habe, ob vielleicht schon mehr als Pantomime mit Musik, denn als Drama, bleibt zweifelhaftStrozii poetae, p. 232, im IV. Buch der Aeolosticha des Tito Strozza.. Das Eingelegte überwog jedenfalls das Stück selber; da sah man, von einem rauschenden Orchester begleitet, einen Chortanz von Jünglingen in Efeu gehüllt, in künstlich verschlungenen Figuren; dann erschien Apoll, schlug die Lyra mit dem Plektrum und sang dazu ein Preislied auf das Haus Este; zunächst folgte, gleichsam als Intermezzo im Intermezzo, eine bäuerische Genreszene oder Posse, worauf wieder die Mythologie mit Venus, Bacchus und ihrem Gefolge die Szene in Beschlag nahm und eine Pantomime – Paris auf dem Ida – vorging. Nun erst kam die zweite Hälfte der Fabel des Amphitruo, mit deutlicher Anspielung auf die künftige Geburt eines Herkules aus dem Hause Este. Bei einer frühern Aufführung desselben Stückes im Hof des Palastes (1487) brannte fortwährend »ein Paradies mit Sternen und andern Rädern«, d. h. eine Illumination vielleicht mit Feuerwerk, welche gewiss die beste Aufmerksamkeit absorbierte. Offenbar war es besser, wenn dergleichen Zutaten für sich als eigene Darstellungen auftraten, wie etwa an andern Höfen geschah. Von den festlichen Aufführungen beim Kardinal Pietro Riario, bei den Bentivogli zu Bologna usw. wird deshalb bei Anlass der Feste zu handeln sein.
Für die italienische Originaltragödie war die nun einmal gebräuchliche Pracht der Ausstattung wohl ganz besonders verhängnisvoll. »Man hat früher in Venedig«, schreibt Francesco SansovinoFranc. Sansovino: Venezia, fol. 169. Statt parenti ist wohl pareti zu lesen. Seine Meinung ist auch sonst nicht ganz klar. um 1570, »oft ausser den Komödien auch Tragödien von antiken und modernen Dichtern mit grossem Pomp aufgeführt. Um des Ruhmes der Ausstattung (apparati) willen strömten Zuschauer von fern und nahe dazu herbei. Heutzutage jedoch finden Festlichkeiten, die von Privatleuten veranstaltet werden, zwischen vier Mauern statt, und seit einiger Zeit hat sich von selbst der Gebrauch so festgesetzt, dass die Karnevalszeit mit Komödien und andern heitern und schätzbaren Vergnügungen hingebracht wird.« Das heisst, der Pomp hat die Tragödie töten helfen.
Die einzelnen Anläufe und Versuche dieser modernen Tragiker, worunter die Sofonisba des Trissino (1515) den grössten Ruhm gewann, gehören in die Literaturgeschichte. Und auch von der vornehmern, dem Plautus und Terenz nachgebildeten Komödie lässt sich dasselbe sagen. Selbst ein Ariost konnte in dieser Gattung nichts Ausgezeichnetes leisten. Dagegen hätte die populäre Komödie in Prosa, wie sie Macchiavelli, Bibiena, Aretino behandelten, gar wohl eine Zukunft haben können, wenn sie nicht um ihres Inhaltes willen dem Untergang verfallen gewesen wäre. Dieser war nämlich einstweilen teils äusserst unsittlich, teils gegen einzelne Stände gerichtet, welche sich seit etwa 1540 nicht mehr eine so öffentliche Feindschaft bieten liessen. Wenn in der Sofonisba die Charakteristik vor einer glanzvollen Deklamation hatte weichen müssen, so war sie hier, nebst ihrer Stiefschwester, der Karikatur, nur zu rücksichtslos gehandhabt gewesen. Immerhin waren diese italienischen Lustspiele, wenn wir nicht irren, die frühesten in Prosa und in völlig realistischem Ton gedichteten, so dass die europäische Literaturgeschichte ihrer nicht vergessen darf.
Nun dauert das Dichten von Tragödien und Komödien unaufhörlich fort, und auch an zahlreichen wirklichen Aufführungen antiker und moderner Stücke fehlt es fortwährend nicht; allein man nimmt davon nur Anlass und Gelegenheit, um bei Festen die standesmässige Pracht zu entwickeln, und der Genius der Nation hat sich davon als von einer lebendigen Gattung völlig abgewandt. Sobald Schäferspiel und Oper auftraten, konnte man jene Versuche vollends entbehren.
National war und blieb nun nur eine Gattung: die ungeschriebene Commedia dell' Arte, welche nach einem vorliegenden Szenarium improvisiert wurde. Sie kommt der höhern Charakteristik deshalb nicht sonderlich zugute, weil sie wenige und feststehende Masken hat, deren Charakter jedermann auswendig weiss. Die Begabung der Nation aber neigte so sehr nach dieser Gattung hin, dass man auch mitten in den Aufführungen geschriebener Komödien sich der eigenen Improvisation überliessDies meint wohl Sansovino, Venezia fol. 168, wenn er klagt, die recitanti verdürben die Komödien »con invenzioni o personaggi troppo ridicoli«., so dass eine förmliche Mischgattung sich hie und da geltend machen konnte. In dieser Weise mögen die Komödien gehalten gewesen sein, welche in Venedig Burchiello und dann die Gesellschaft des Armonio, Val. Zuccato, Lod. Dolce usw. aufführteSansovino, a. a. O.; von Burchiello erfährt man bereits, dass er die Komik durch einen mit Griechisch und Slawonisch versetzten venezianischen Dialekt zu steigern wusste. Eine fast oder ganz vollständige Commedia dell' Arte war dann die das Angelo Beolco, genannt il Ruzzante (1502-1542), dessen stehende Masken paduanische Bauern (Menato, Vezzo, Billora u. a.) sind; ihren Dialekt pflegte er zu studieren, wenn er auf der Villa seines Gönners Luigi Cornaro zu Codevico den Sommer zubrachteScardeonius, de urb. Patav. antiq. bei Graevius, Thes. VI, III, Col. 288, s. Eine wichtige Stelle auch für die Dialektliteratur überhaupt.. Allmählich tauchen dann all die berühmten Lokalmasken auf, an deren Ueberresten Italien sich noch heute ergötzt: Pantalone, der Dottore, Brighella, Pulcinella, Arlecchino usw. Sie sind gewiss grossenteils sehr viel älter, ja möglicherweise im Zusammenhang mit den Masken altrömischer Farsen, allein erst das 16. Jahrhundert vereinigte mehrere von ihnen in einem Stücke. Gegenwärtig geschieht dies nicht mehr leicht, aber jede grosse Stadt hält wenigstens ihre Lokalmaske fest: Neapel seinen Pulcinella, Florenz den Stenterello, Mailand den bisweilen herrlichen MenekingDass letzterer mindestens im 15. Jahrhundert schon vorhanden ist, lässt sich aus dem Diario Ferrarese schliessen, indem dieses aus den in Ferrara 1501 aufgeführten Menächmen des Plautus missverständlich einen Menechino macht. Diar. Fett. bei Murat. XXIV, Col. 393..
Ein dürftiger Ersatz freilich für eine grosse Nation, welche vielleicht vor allen die Gabe gehabt hätte, ihr Höchstes im Spiegel des Dramas objektiv zu schildern und anzuschauen. Aber dies sollte ihr auf Jahrhunderte verwehrt bleiben durch feindselige Mächte, an deren Aufkommen sie nur zum Teil schuld war. Nicht auszurotten war freilich das allverbreitete Talent der dramatischen Darstellung, und mit der Musik hat Italien vollends Europa zinspflichtig gehalten. Wer in dieser Tonwelt einen Ersatz oder einen verhüllten Ausdruck für das verwehrte Drama erkennen will, mag sich damit nach Gefallen trösten.