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Im allgemeinen läßt sich von den Gewaltherrschern des 15. Jahrhunderts sagen, dass die schlimmsten Dinge in den kleinern und kleinsten Herrschaften am meisten sich häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien, deren einzelne Mitglieder alle ranggemäss leben wollten, die Erbstreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino schaffte (1434) zwei Brüder aus der WeltChron. Eugubinum, bei Murat. XXI, Col. 972., weil seine Söhne mit deren Erbe ausgestattet sein wollten. Wo ein blosser Stadtherrscher sich auszeichnet durch praktische, gemässigte, unblutige Regierung und Eifer für die Kultur zugleich, da wird es in der Regel ein solcher sein, der zu einem grossen Hause gehört oder von der Politik eines solchen abhängt. Dieser Art war z. B. Alessandro SforzaVespasiano Fiorent., p. 148., Fürst von Pesaro, Bruder des grossen Francesco und Schwiegervater des Federigo von Urbino (+ 1473). Als guter Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoss er nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, sammelte eine herrliche Bibliothek und brachte seine Musse mit gelehrten und frommen Gesprächen zu. Auch Giovanni II. Bentivoglio von Bologna (1462-1506), dessen Politik von der der Este und Sforza bedingt war, lässt sich hieher zählen. Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den Häusern der Varani von Camerino, der Malatesta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereignisse im Hause der letztern gegen Ende des 15. Jahrhunderts sind wir durch ausgezeichnete Geschichtsquellen – die Chroniken des Graziani und des MatarazzoArchiv. stor. XVI, Parte I. et II. – besonders anschaulich unterrichtet.
Die Baglionen waren eines von jenen Häusern, deren Herrschaft sich nicht zu einem förmlichen Fürstentum durchgebildet hatte, sondern mehr nur in einem städtischen Primat bestand und auf grossem Familienreichtum und tatsächlichem Einfluß auf die Aemterbesetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde einer als Gesamtoberhaupt anerkannt; doch herrschte tiefer, verborgener Hass zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt sich eine gegnerische Adelspartei unter Anführung der Familie Oddi; alles ging (um 1487) in Waffen, und alle Häuser der Grossen waren voller Bravi; täglich gab es Gewalttaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutschen Studenten stellten sich zwei Kollegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten sich die Bravi verschiedener Häuser Schlachten auf offener Piazza. Vergebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpstlichen Governatoren und Nepoten schwiegen oder machten sich bald wieder davon. Endlich müssen die Oddi Perugia verlassen, und nun wird die Stadt eine belagerte Feste unter der vollendeten Gewaltherrschaft der Baglionen, welchen auch der Dom als Kaserne dienen muss. Komplotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nachdem man (im Jahr 1491) 130 Eingedrungene zusammengehauen und am Staatspalast gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Messen gelesen und Prozessionen gehalten, um den Fluch von der Stätte wegzunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen Tage auf der Gasse erstochen, einer Alexanders VI., der abgesandt war um zu schlichten, erntete nichts als offenen Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden Hauses Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der heiligen wundertätigen Dominikanernonne Suor Colomba von Rieti, welche unter Androhung grossen künftigen Unheils zum Frieden riet, natürlich vergebens. Immerhin macht der Chronist bei diesem Anlass aufmerksam auf die Andacht und Frömmigkeit der bessern Peruginer in diesen Schreckensjahren. Während (1494) Karl VIII. heranzog, führten die Baglionen und die in und um Assisi gelagerten Verbannten einen Krieg von solcher Art, dass im Tal alle Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten, und Hirsche und Wölfe das emporwuchernde Gestrüpp bevölkerten, wo letztere sich an den Leichen der Gefallenen, an »Christenfleisch«, gütlich taten. Als Alexander VI. vor dem von Neapel zurückkehrenden Karl VIII. (1495) nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte sich der Baglionen auf immer entledigen; er schlug dem Guido irgendein Fest, ein Turnier oder etwas dergleichen vor, um sie irgendwo alle beisammen zu haben, aber Guido war der Meinung, »das allerschönste Schauspiel wäre, alle bewaffnete Mannschaft von Perugia beisammen zu sehen«, worauf der Papst seinen Plan fallen liess. Bald darauf machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem nur der persönlichste Heldenmut der Baglionen den Sieg gewann. Da wehrte sich auf der Piazza der achtzehnjährige Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte, und stürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob sich aber wieder, als ihm Astorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu Ross in vergoldeter Eisenrüstung mit einem Falken auf dem Helm: »Dem Mars vergleichbar an Anblick und an Taten sprengte er in das Gewühl.«
Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht sind Eindrücke dieser Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil. Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas davon unvergänglich fort in dem grossen St. Michaelsbilde, und wenn irgendwo Astorre Baglione seine Verklärung gefunden hat, so ist es geschehen in der Gestalt des himmlischen Reiters im Heliodor.
Die Gegner waren teils umgekommen, teils in panischem Schrecken gewichen, und fortan keines solchen Angriffes mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle Versöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde nicht sicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herrschenden Hauses brach jetzt in entsetzlichen Taten aus. Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo, Simonetto, Astorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. a. taten sich zwei Grossneffen, Grifone und Carlo Barciglia, zusammen; letzterer zugleich Neffe des Fürsten Varano von Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten, Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der schlimme Ahnungen hatte, seinen Oheim kniefällig, diesen Penna töten zu dürfen, Guido versagte es ihm. Das Komplott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Astorre mit der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Fest nahm seinen Anfang und dauerte einige Tage unter düstern Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich schön geschildert ist. Der anwesende Varano trieb sie zusammen; in teuflischer Weise wurde dem Grifone die Alleinherrschaft und ein erdichtetes Verhältnis seiner Gemahlin Zenobia mit Gianpaolo vorgespiegelt und endlich jedem Verschworenen sein bestimmtes Opfer zugeteilt. (Die Baglionen hatten lauter geschiedene Wohnungen, meist an der Stelle des jetzigen Kastells.) Von den vorhandenen Bravi bekam jeder fünfzehn Mann mit; der Rest wurde auf Wachen ausgestellt. In der Nacht vom 15. Juli wurden die Türen eingerannt und der Mord an Guido, Astorre, Simonetto und Gismondo vollzogen; die andern konnten entweichen.
Als Astorres Leiche mit der des Simonetto auf der Gasse lag, verglichen ihn die Zuschauer »und besonders die fremden Studenten« mit einem alten Römer; so würdig und gross war der Anblick; in Simonetto fanden sie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn selbst der Tod nicht gebändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie herum und wollten sich empfehlen, fanden jedoch alles in Tränen und mit der Abreise auf die Landgüter beschäftigt. Aber die entronnenen Baglionen sammelten draussen Mannschaft und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgenden Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, soeben von Barciglia mit dem Tode bedroht, schleunig zu ihm stiessen; als bei S. Ercolano Grifone in seine Hände fiel, überliess er es seinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und Penna aber flüchteten sich nach Camerino zum Hauptanstifter des Unheils, Varano; in einem Augenblick, fast ohne Verlust, war Gianpaolo Herr der Stadt.
Atalanta, Grifones noch schöne und junge Mutter, die sich Tags zuvor samt seiner Gattin Zenobia und zwei Kindern Gianpaolos auf ein Landgut zurückgezogen und den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutterfluche von sich gewiesen, kam jetzt mit der Schwiegertochter herbei und suchte den sterbenden Sohn. Alles wich vor den beiden Frauen auf die Seite; niemand wollte als der erkannt sein, der den Grifone erstochen hätte, um nicht die Verwünschung der Mutter auf sich zu ziehen. Aber man irrte sich; sie selber beschwor den Sohn, denjenigen zu verzeihen, welche die tödlichen Streiche geführt, und er verschied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll sahen die Leute den beiden Frauen nach, als sie in ihren blutigen Kleidern über den Platz schritten. Diese Atalanta ist es, für welche später Rafael die weltberühmte Grablegung gemalt hat. Damit legte sie ihr eigenes Leid dem höchsten und heiligsten Mutterschmerz zu Füssen.
Der Dom, welcher das meiste von dieser Tragödie in seiner Nähe gesehen, wurde mit Wein abgewaschen und neu geweiht. Noch immer stand von der Hochzeit her der Triumphbogen, bemalt mit den Taten Astorres und mit den Lobversen dessen, der uns dieses alles erzählt, des guten Matarazzo.
Es entstand eine ganz sagenhafte Vorgeschichte der Baglionen, welche nur ein Reflex dieser Greuel ist. Alle von diesem Hause seien von jeher eines bösen Todes gestorben, einst 27 miteinander; schon einmal seien ihre Häuser geschleift und mit den Ziegeln davon die Gassen gepflastert worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung ihrer Paläste wirklich ein.
Einstweilen aber scheinen sie gute Vorsätze gefasst, in ihrer eignen Partei Ordnung geschafft und die Beamten gegen die adligen Bösewichter geschützt zu haben. Allein der Fluch brach später doch wieder wie ein nur scheinbar gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X. 1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine seiner Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweise und unter den gewaltsamsten Umständen besass, nämlich als Parteigänger des ebenfalls von den Päpsten bedrohten Herzogs von Urbino, wütete noch einmal im eignen Hause auf das grässlichste. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet, worauf ihm der Herzog sagen liess, es sei jetzt genugVarchi, Stor. florent. I, p. 242, s.. Sein Bruder Malatesta Baglione ist der florentinische Feldherr, welcher durch den Verrat von 1530 unsterblich geworden, und dessen Sohn Ridolfo ist jener letzte des Hauses, welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze, aber schreckliche Herrschaft übte.
Den Gewaltherrschern von Rimini werden wir noch hie und da begegnen. Frevelmut, Gottlosigkeit, kriegerisches Talent und höhere Bildung sind selten so in einem Menschen vereinigt gewesen wie in Sigismondo Malatesta (+ 1467). Aber wo die Missetaten sich häufen, wie in diesem Hause geschah, da gewinnen sie das Schwergewicht auch über das Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der schon erwähnte Pandolfo, Sigismondos Enkel, hielt sich nur noch, weil Venedig seinen Condottiere trotz aller Verbrechen nicht wollte fallen lassen; als ihn seine Untertanen (1497) aus hinreichenden GründenMalipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor, VII, I, p. 498. in seiner Burg zu Rimini bombardierten und dann entwischen liessen, führte ein venezianischer Kommissär den mit Brudermord und allen Greueln Befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden waren die Malatesten arme Verbannte. Die Zeit um 1527 war, wie die des Cesare Borgia, eine Epidemie für diese kleinen Dynastien, nur sehr wenige überlebten sie und nicht einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürsten aus dem Hause Pico herrschten, sass im Jahr 1533 ein armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Verwüstung von Rom sich an den gastlichen Herd des hochbejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlass ihrer Besprechungen über das Grabmal, welches der Fürst für sich bereiten wollte, entstand eine AbhandlungLil. Greg. Giraldus, de vario sepeliendi ritu. – Schon 1470 war in diesem Hause eine Miniaturkatastrophe vorgefallen. Vgl. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Col. 225., deren Dedikation vom April jenes Jahres datiert ist. Aber wie wehmütig lautet die Nachschrift: »Im Oktober desselben Jahres ist der unglückliche Fürst durch nächtlichen Mord von seinem Brudersohn des Lebens und der Herrschaft beraubt worden, und ich selber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davongekommen.«
Eine charakterlose Halbtyrannie, wie sie Pandolfo Petrucci seit den 1490er Jahren in dem von Faktionen zerrissenen Siena ausübte, ist kaum der nähern Betrachtung wert. Unbedeutend und böse, regierte er mit Hülfe eines Professors der Rechte und eines Astrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordtaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunterzurollen, ohne Rücksicht darauf, was und wen sie trafen. Nachdem ihm gelingen musste, was den Schlausten misslang – er entzog sich den Tücken des Cesare Borgia – starb er doch später verlassen und verachtet. Seine Söhne aber hielten sich noch lange mit einer Art von Halbherrschaft.