Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Das Korrektiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, sondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt ist der moderne Spott und Hohn, womöglich in der siegreichen Form des WitzesDas Schimpfen allein hat man schon sehr früh, bei dem verlogenen Benzo von Alba, im 11. Jh. (Pertz, Scriptt. XI.). Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürsten und Grosse einander mit symbolischem Hohn auf das Aeusserste reizen, oder wie der unterlegene Teil mit höchster symbolischer Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theologischen Streitigkeiten schon hie und da, unter dem Einfluss antiker Rhetorik und Epistolographie, der Witz eine Waffe zu werden, und die provenzalische Poesie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den Minnesingern fehlt gelegentlich dieser Ton nicht, wie ihre politischen Gedichte zeigen1Das Mittelalter ist ausserdem reich an sogenannten satirischen Gedichten, allein es ist noch nicht individuelle, sondern fast lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen usw. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Niederschlag dieser ganzen Richtung ist vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redaktionen bei den verschiedene Völkern des Abendlandes. Für die französische Literatur dieses Zweiges ist eine trefflich neuere Arbeit vorhanden: Lenient, La satire en France au moyen-âge.. Aber ein selbständiges Element des Lebens konnte der Witz doch erst werden, als sein regelmässiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit persönlichen Ansprüchen, vorhanden war. Da beschränkt er sich auch bei weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, sondern wird tatsächlich: er spielt Possen und verübt Streiche, die sogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellensammlungen ausmachen.

Die »hundert alten Novellen«, welche noch zu Ende des 13. Jahrhunderts entstanden sein müssen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Kontrastes, und noch nicht die Burla zum InhaltAusnahmsweise kommt auch schon ein insolenter Witz vor, Nov. 37.; ihr Zweck ist nur, weise Reden und sinnvolle Geschichten und Fabeln in einfach schönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das hohe Alter der Sammlung beweist, so ist es dieser Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem 14. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt hinter sich lässt und z. B. schon allein wegen jenes grossen höllischen Genrebildes von den BetrügernInferno XXI, XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Aristophanes. der höchste Meister kolossaler Komik heissen muss. Mit Petrarca beginnenEin schüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memorandarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2. Der Wortwitz schmeckt bisweilen noch sehr nach seinem mittelalterlichen Asyl, dem Kloster. schon die Witzsammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata usw.). Was dann während des genannten Jahrhunderts sich in Florenz von Hohn aufsammelte, davon gibt Franco Sacchetti in seinen Novellen die bezeichnendste Auswahl. Es sind meist keine eigentlichen Geschichten, sondern Antworten, die unter gewissen Umständen gegeben werden, horrible Naivetäten, womit sich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komische liegt dann in dem schreienden Gegensatz dieser wahren oder scheinbaren Naivetät zu den sonstigen Verhältnissen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge stehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darstellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B. schon die Nachahmung bestimmter oberitalienischer Dialekte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die bare freche Insolenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei; ein paar CondottierenspässeNov. 40, 41; es ist Ridolfo da Camerino. gehören zum Rohesten und Bösesten, was aufgezeichnet ist. Manche Burla ist hochkomisch, manche aber auch ein bloss vermeintlicher Beweis der persönlichen Ueberlegenheit, des Triumphes über einen andern. Wie viel man einander zugute hielt, wie oft das Schlachtopfer durch einen Gegenstreich die Lacher wieder auf seine Seite zu bringen sich begnügte, wissen wir nicht; es war doch viele herzlose und geistlose Bosheit dabei, und das florentinische Leben mag hiedurch oft recht unbequem geworden seinDie bekannte Posse von Brunellesco und dem dicken Holzschnitzer, so geistreich erfunden, ist doch wohl grausam zu nennen.. Bereits ist der Spasserfinder und Spasserzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muss darunter klassische gegeben haben, weit überlegen allen blossen Hofnarren, welchen die Konkurrenz, das wechselnde Publikum und das rasche Verständnis der Zuhörer (lauter Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deshalb reisten auch einzelne Florentiner auf Gastrollen an den Tyrannenhöfen der Lombardie und Romagna herumIbid. Nov. 49. Und doch hatte man laut Nov. 67 das Gefühl, dass hie und da ein Romagnole auch dem schlimmsten Florentiner überlegen sei. und fanden ihre Rechnung dabei, während sie in der Vaterstadt, wo der Witz auf allen Gassen lief, nicht viel gewannen. Der bessere Typus dieser Leute ist der des amüsanten Menschen (l'uomo piacevole), der geringere ist der des Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der sich an Hochzeiten und Gastmählern einfindet mit dem Raisonnement: »Wenn ich nicht eingeladen worden bin, so ist das nicht meine Schuld.« Da und dort helfen diese einen jungen Verschwender aussaugenAng. Pandolfini, del governo della famiglia, p. 48., im ganzen aber werden sie als Parasiten behandelt und verhöhnt, während höherstehende Witzbolde sich fürstengleich dünken und ihren Witz für etwas wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiser Karl IV. zum »König der italienischen Spassmacher« erklärt hatte, sagte in Ferrara zu ihm: »Ihr werdet die Welt besiegen, da Ihr mein und des Papstes Freund seid; Ihr kämpft mit dem Schwert, der Papst mit dem Bullensiegel, ich mit der ZungeFranco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. – Die Facetiae des Poggio sind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt: burle, Insolenzen, Missverständnisse einfacher Menschen gegenüber der raffinierten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen verraten. Ueber L. B. Alberti vgl. S. 170 f.!« Dies ist kein blosser Scherz, sondern eine Vorahnung Pietro Aretinos.

Die beiden berühmtesten Spassmacher um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella, für die Buffonerien. Es ist bedenklich, ihre Geschichten mit denjenigen des Pfaffen von Kalenberg und des Till Eulenspiegel zu vergleichen; letztere sind eben auf ganz andere, halbmythische Weise entstanden, so dass ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und dass sie mehr auf das Allgemeingültige, Allverständliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella historisch und lokal bekannte und bedingte Persönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulassen und sie auf die »Schwänke« der ausseritalischen Völker überhaupt ausdehnen, so wird es sich im ganzen finden, dass der »Schwank«, in den französischen FabliauxFolgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt von dort entlehnt ist. wie bei den Deutschen, in erster Linie auf einen Vorteil oder Genuss berechnet ist, während der Witz des Arlotto, die Possen des Gonnella sich gleichsam Selbstzweck, nämlich um des Triumphes, um der Satisfaktion willen vorhanden sind. (Till Eulenspiegel erscheint dann wieder als eine eigentümliche Gattung, nämlich als der personifizierte, meist ziemlich geistlose Schabernack gegen besondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauses Este hat sich mehr als einmal durch bittern Hohn und ausgesuchte Rache schadlos gehaltenLaut Bandello IV, Nov. 2 konnte Gonnella auch sein Gesicht in die Züge anderer verstellen und alle Dialekte Italiens nachmachen..

Die Spezies des uomo piacevole und des Buffone haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter Herzog Cosimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des 17. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Marignolli. Ganz merkwürdig zeigt sich in Papst Leo X. die echt florentinische Vorliebe für Spassmacher. Der »auf die feinsten geistigen Genüsse gerichtete und darin unersättliche« Fürst erträgt und verlangt doch an seiner Tafel ein paar witzige Possenreisser und Fresskünstler, darunter zwei Mönche und ein KrüppelPaul. Jovius, Vita Leonis X.; bei festlichen Zeiten behandelte er sie mit gesucht antikem Hohn als Parasiten, indem ihnen Affen und Raben unter dem Anschein köstlicher Braten aufgestellt wurden. Ueberhaupt behielt sich Leo die Burle für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu seiner Art von Geist, die eigenen Lieblingsbeschäftigungen – Dichtungen und Musik – bisweilen ironisch zu behandeln, indem er und sein Faktotum Kardinal Bibiena die Karikaturen derselben befördertenErat enim Bibiena mirus artifex hominibus aetate vel professione gravibus ad insaniam impellendis. Man erinnert sich dabei an den Scherz, welchen Christine von Schweden mit ihren Philologen trieb.. Beide fanden es nicht unter ihrer Würde, einen guten alten Sekretär mit allen Kräften so lange zu bearbeiten, bis er sich für einen grossen Musiktheoretiker hielt. Den Improvisator Baraballo von Gaeta hetzte Leo durch beständige Schmeicheleien so weit, dass sich derselbe ernstlich um die kapitolinische Dichterkrönung bewarb; am Tage der mediceischen Hauspatrone S. Cosmas und S. Damian musste er erst, mit Lorbeer und Purpur ausstaffiert, das päpstliche Gastmahl durch Rezitation erheitern und, als alles am Bersten war, im vatikanischen Hof den goldgeschirrten Elefanten besteigen, welchen Emanuel der Grosse von Portugal nach Rom geschenkt hatte; währenddessen sah der Papst von oben durch sein LorgnonDas Lorgnon entnehme ich nicht bloss aus Rafaels Porträt, wo es eher als Lupe zur Betrachtung der Miniaturen des Gebetbuches gedeutet werden kann, sondern aus einer Notiz des Pellicanus, wonach Leo eine aufziehende Prozession von Mönchen durch ein Specillum betrachtete (vgl. Zürcher Taschenbuch auf 1858, S. 177), und aus der cristallus concava, die er laut Giovio auf der Jagd brauchte. – Laut Attilius Alexius (Baluz. Miscell. IV, 518): oculari ex gemina (gemma?) utebatur, quam manu gestans, si quando aliquid videndum esset, oculis admovebat. herunter. Das Tier aber wurde scheu vom Lärm der Pauken und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über die Engelsbrücke zu bringen.

Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welche uns hier in Gestalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte damals bereits eine mächtige Stellung in der Poesie eingenommenAuch in der bildenden Kunst fehlt sie nicht; man erinnere sich z. B. jenes bekannten Stiches, welcher die Laocoonsgruppe in drei Affen übersetzt darstellt. Nur ging dergleichen selten über eine flüchtige Handzeichnung hinaus; manches mag auch zernichtet worden sein. Die Karikatur ist dann wieder wesentlich etwas anderes; Lionardo in seinen Grimassen (Ambrosiana) stellt das Hässliche dar, wenn und weil es komisch ist, und erhöht dabei diesen komischen Charakter nach Belieben.. Freilich musste sie sich ein anderes Opfer suchen als z. B. Aristophanes durfte, da er die grossen Tragiker in seiner Komödie auftreten liess. Aber dieselbe Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer bestimmten Zeit die Parodie hervortrieb, brachte sie auch hier zur Blüte. Schon zu Ende des 14. Jahrhunderts werden im Sonett petrarchische Liebesklagen und anderes der Art durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vierzehnzeiligen Form an sich wird durch geheimtuenden Unsinn verspottet. Ferner lud die göttliche Komödie auf das stärkste zur Parodierung ein, und Lorenzo magnifico hat im Stil des Inferno die herrlichste Komik zu entwickeln gewusst. (Simposio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt in seinem Morgante deutlich die Improvisatoren nach, und überdies ist seine und Bojardos Poesie, schon insofern sie über dem Gegenstande schwebt, stellenweise eine wenigstens halbbewusste Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung. Der grosse Parodist Teofilo Folengo (blühte um 1520) greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Limerno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritterwesen nur noch als lächerliche Rokokoeinfassung um eine Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figuriert; unter dem Namen Merlinus Coccajus schildert er die Taten und Fahrten seiner phantastischen Landstreicher, ebenfalls mit starker tendenziöser Zutat, in halblateinischen Hexametern, unter dem komischen Scheinapparat des damaligen gelehrten Epos. (Opus Macaronicorum.) Seitdem ist die Parodie auf dem italischen Parnass immerfort, und bisweilen wahrhaft glanzvoll, vertreten gewesen.

In der Zeit der mittlern Höhe der Renaissance wird dann auch der Witz theoretisch zergliedert und seine praktische Anwendung in der feinern Gesellschaft genauer festgestellt. Der Theoretiker ist Gioviano PontanoJovian. Pontan. de Sermone. Er konstatiert eine besondere Begabung zum Witz ausser bei den Florentinern auch bei den Sienesen und Peruginern; den spanischen Hof fügt er dann noch aus Höflichkeit bei.; in seiner Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, versucht er durch Analyse zahlreicher einzelner Witze oder facetiae zu einem allgemeinen Prinzip durchzudringen. Wie der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben sei, lehrt Baldassar Castiglione in seinem CortigianoIl cortigiano, Lib. II. fol. 74, s. – Die Herleitung des Witzes aus dem Kontrast, obwohl noch nicht völlig klar, fol. 76.. Natürlich handelt es sich wesentlich nur um Erheiterung dritter Personen durch Wiedererzählung von komischen und graziösen Geschichten und Worten; vor direkten Witzen wird eher gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern zu viele Ehre antue und Mächtige und durch Gunst Verwöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen wird dem Mann von Stande ein weises Masshalten in der nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimassen, empfohlen. Dann folgt aber, nicht bloss zum Wiedererzählen, sondern als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Sammlung von Sach- und Wortwitzen, methodisch nach Gattungen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel strenger und behutsamer lautet etwa zwei Jahrzehnde später die Doktrin des Giovanni della Casa in seiner Anweisung zur guten LebensartGaleato del Casa, ed. Venez. 1789, p. 26, s. 48; im Hinblick auf die Folgen will er aus Witzen und Burle die Absicht des Triumphierens völlig verbannt wissen. Er ist der Herold einer Reaktion, welche eintreten musste.

 

In der Tat war Italien eine Lästerschule geworden wie die Welt seitdem keine zweite mehr aufzuweisen gehabt hat, selbst in dem Frankreich Voltaires nicht. Am Geist des Verneinens fehlte es dem letztern und seinen Genossen nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle von passenden Opfern hernehmen sollen, jene zahllosen hoch und eigenartig entwickelten Menschen, Zelebritäten jeder Gattung, Staatsmänner, Geistliche, Erfinder und Entdecker, Literaten, Dichter und Künstler, die obendrein ihre Eigentümlichkeit ohne Rückhalt walten liessen? Im 15. und 16. Jahrhundert existierte diese Heerschar, und neben ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Geschlecht von geistreichen Ohnmächtigen, von geborenen Krittlern und Lästerern grossgezogen, deren Neid seine Hekatomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid der Berühmten untereinander. Mit letzterem haben notorisch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während z. B. die Künstler des 15. Jahrhunderts noch in fast völlig friedlichem Wettstreit nebeneinander lebten, wovon die Kunstgeschichte Akt nehmen darf.


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