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Betrachten wir beispielsweise das religiöse Verhalten eines der Geringern aus der grossen Schar, des Codrus UrceusCodri Urcei opera, vorn sein Leben von Bart. Bianchini, dann in seinen philologischen Vorlesungen p. 65, 151, 278 etc., der erst Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürsten von Forlì, und dann lange Jahre Professor in Bologna gewesen ist. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die obligaten Lästerungen im vollsten Mass; sein Ton im allgemeinen ist höchst frevelhaft, dazu erlaubt er sich eine beständige Einmischung seiner Person nebst Stadtgeschichten und Possen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren Gottmenschen Christus reden und sich brieflich in das Gebet eines frommen Priesters empfehlen. Einmal fällt es ihm ein, nach Aufzählung der Torheiten der heidnischen Religion also fortzufahren: »auch unsere Theologen wackeln oft und zanken de lana caprina, über unbefleckte Empfängnis, Antichrist, Sakramente, Vorherbestimmung und einiges andere, was man lieber beschweigen als herauspredigen sollte.« Einst verbrannte sein Zimmer samt fertigen Manuskripten, da er nicht zu Hause war; als er es vernahm, auf der Gasse, stellte er sich gegen ein Madonnenbild und rief an dasselbe hinauf: »Höre, was ich dir sage, ich bin nicht verrückt, ich rede mit Absicht! wenn ich dich einst in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen sollte, so brauchst du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen hinüberzunehmen; denn mit dem Teufel will ich wohnen bleiben in Ewigkeit!« Eine Rede, auf welche hin er doch für gut fand, sich sechs Monate hindurch bei einem Holzhacker verborgen zu halten. Dabei war er so abergläubisch, dass ihn Augurien und Prodigien beständig ängstigten; nur für die Unsterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Seinen Zuhörern sagte er auf Befragen: was nach dem Tode mit dem Menschen, mit seiner Seele oder seinem Geiste geschehe, das wisse man nicht, und alle Reden über das Jenseits seien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber ans Sterben ging, empfahl er doch in seinem Testament seine Seele oder seinen GeistAnimum meum seu animam, eine Unterscheidung, durch welche damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit setzte. dem allmächtigen Gott, vermahnte auch jetzt seine weinenden Schüler zur Gottesfurcht und insbesondere zum Glauben an Unsterblichkeit und Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sakramente mit grosser Inbrunst. – Man hat keine Garantie dafür, dass ungleich berühmtere Leute desselben Faches, auch wenn sie bedeutende Gedanken ausgesprochen haben, im Leben viel konsequenter gewesen seien. Die meisten werden innerlich geschwankt haben zwischen Freigeisterei und Fragmenten des anerzogenen Katholizismus, und äusserlich hielten sie schon aus Klugheit zur Kirche.
Insofern sich dann ihr Rationalismus mit den Anfängen der historischen Kritik verband, mochte auch hie und da eine schüchterne Kritik der biblischen Geschichte auftauchen. Es wird ein Wort Pius II. überliefertPlatina, Vitae pontiff., p. 311: christianam fidem, si miraculis non esset approbata, honestate sua recipi debuisse., welches wie mit der Absicht des Vorbauens gesagt ist: »wenn das Christentum auch nicht durch Wunder bestätigt wäre, so hätte es doch schon um seiner Moralität willen angenommen werden müssen.« Ueber die Legenden, insoweit sie willkürliche Uebertragungen der biblischen Wunder enthalten, erlaubte man sich ohnehin zu spottenBesonders wenn die Mönche dergleichen auf der Kanzel frisch ersannen, doch auch das längst Anerkannte blieb nicht ohne Anfechtung. Firenzuola (opere, vol. II, p. 208, in der 10. Novelle) spottet über die Franziskaner von Novara, welche aus erschlichenem Geld eine Kapelle an ihre Kirche bauen wollen, dove fusse dipinta quella bella storia, quando S. Francesce predicava agli uccelli nel deserto; e quando ei fece la santa zuppa, e che l'agnolo Gabriello gli portò i zoccoli., und dies wirkte dann weiter zurück. Wenn judaisierende Ketzer erwähnt werden, so wird man dabei vor allem an Leugnung der Gottheit Christi zu denken haben; so verhielt es sich vielleicht mit Giorgio da Novara, welcher um 1500 in Bologna verbrannt wurdeEiniges über ihn bei Bapt. Mantuan. de patientia, L. III, cap. 13.. Aber in demselben Bologna musste um diese Zeit (1497) der dominikanische Inquisitor den wohl protegierten Arzt Gabrielle da Salò mit einer blossen ReueerklärungBursellis, Ann. Bonen., bei Murat. XXIII, Col. 915. durchschlüpfen lassen, obwohl derselbe folgende Reden zu führen pflegte: Christus sei nicht Gott gewesen, sondern Sohn des Joseph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfängnis; er habe die Welt mit seiner Arglist ins Verderben gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen begangener Verbrechen; auch werde seine Religion nächstens aufhören; in der geweihten Hostie sei sein wahrer Leib nicht; seine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft, sondern sie seien durch Einfluss der Himmelskörper geschehen. Letzteres ist wiederum höchst bezeichnend; der Glaube ist dahin, aber die Magie behält man sich vorWie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieseler, Kirchengeschichte II, IV, S 154 Anm. mit einigen sprechenden Beispielen dargetan..
In betreff der Weltregierung raffen sich die Humanisten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt resignierten Betrachtung dessen, was unter der ringsum herrschenden Gewalt und Missregierung geschieht. Aus dieser Stimmung sind hervorgegangen die vielen Bücher »vom Schicksal« oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen. Sie konstatieren meist nur das Drehen des Glücksrades, die Unbeständigkeit der irdischen, zumal der politischen Dinge; die Vorsehung wird herbeigezogen, offenbar nur weil man sich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkenntnis von Ursachen und Wirkungen, oder des baren Jammers noch schämt. Nicht ohne Geist konstruiert Gioviano Pontano die Naturgeschichte des dämonischen Etwas, Fortuna genannt, aus hundert meist selbsterlebten ErfahrungenJov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodizee II, p. 286.. Mehr scherzhaft, in Form eines Traumgesichtes, behandelt Aeneas Sylvius den GegenstandAen. Sylvii opera, p. 611.. Poggios Streben dagegen, in einer Schrift seines GreisenaltersPoggius, de miseriis humanae conditionis., geht dahin, die Welt als ein Jammertal darzustellen und das Glück der einzelnen Stände so niedrig als möglich zu taxieren. Dieser Ton bleibt dann im ganzen der vorherrschende; von einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Haben ihres Glückes und Unglückes untersucht und die Summe daraus in vorwiegend ungünstigem Sinn gezogen. In höchst würdiger Weise, fast elegisch, schildert uns vorzüglich Tristan CaraccioloCaracciolo, de varietate fortunae, bei Murat. XXII. Eine der lesenswertesten Schriften jener sonst so reichen Jahre. Vgl. S. 364. – Die Fortuna bei festlichen Aufzügen, S. 452 und Anm. 849 das Schicksal Italiens und der Italiener, soweit es sich um 1510 überschauen liess. Mit spezieller Anwendung dieses herrschenden Grundgefühls auf die Humanisten selber verfasste dann später Pierio Valeriano seine berühmte Abhandlung (S. 304 ff.). Es gab einzelne ganz besonders anregende Themata dieser Art, wie z. B. das Glück Leos X. Was von politischer Seite darüber Günstiges gesagt werden kann, das hat Francesco Vettori in scharfen Meisterzügen zusammengefasst; das Bild seines Genusslebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines UngenanntenLeonis X. Vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153.; die Schattenseiten dieses Glückes verzeichnet unerbittlich wie das Schicksal selbst der obengenannte Pierio.
Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und da sich jemand öffentlich in lateinischer Inschrift des Glückes rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrscher von Bologna, an dem neuerbauten Turme bei seinem Palaste es in Stein hauen zu lassen: sein Verdienst und sein Glück hätten ihm alle irgend wünschbaren Güter reichlich gewährtBursellis, Ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimentum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriae rectore, cui virtus et fortuna cuncta quae optari possunt affatim praesteterunt. Es ist indes nicht ganz klar, ob diese Inschrift aussen angebracht und sichtbar, oder wie die zunächst vorher mitgeteilte in einem Grundstein verborgen war. Im letztern Fall verbände sich wohl damit eine neue Idee: das Glück sollte durch die geheime Schrift, die vielleicht nur noch der Chronist kannte, magisch an das Gebäude gefesselt werden. – wenige Jahre vor seiner Verjagung. Die Alten, wenn sie in diesem Sinne redeten, empfanden wenigstens das Gefühl vom Neid der Götter. In Italien hatten es wahrscheinlich die Condottieren (S. 51) aufgebracht, dass man sich laut der Fortuna rühmen durfte.
Der stärkste Einfluß des wiederentdeckten Altertums auf die Religion kam übrigens nicht von irgendeinem philosophischen System oder von einer Lehre und Meinung der Alten her, sondern von einem alles beherrschenden Urteil. Man zog die Menschen und zum Teil auch die Einrichtungen des Altertums denjenigen des Mittelalters vor, strebte ihnen auf alle Weise nach und wurde dabei über den Religionsunterschied völlig gleichgültig. Die Bewunderung der historischen Grösse absorbierte alles. (Vgl. S. 177, Anm. [311], 462.)
Bei den Philologen kam dann noch manche besondere Torheit hinzu, durch welche sie die Blicke der Welt auf sich zogen. Wie weit Papst Paul II. berechtigt war, das Heidentum seiner Abbreviatoren und ihrer Genossen zur Rechenschaft zu ziehen, bleibt allerdings sehr zweifelhaft, da sein Hauptopfer und Biograph Platina (S. 256, 363) es meisterlich verstanden hat, ihn dabei als rachsüchtig wegen anderer Dinge und ganz besonders als komische Figur erscheinen zu lassen. Die Anklage auf Unglauben, HeidentumQuod nimium gentilitatis amatores essemus., Leugnung der Unsterblichkeit usw. wurde gegen die Verhafteten erst erhoben, nachdem der Hochverratsprozess nichts ergeben hatte; auch war Paul, wenn wir recht berichtet werden, gar nicht der Mann dazu, irgend etwas Geistiges zu beurteilen, wie er denn die Römer ermahnte, ihren Kindern über Lesen und Schreiben hinaus keinen weitern Unterricht mehr geben zu lassen. Es ist eine ähnliche priesterliche Beschränktheit wie bei Savonarola (S. 514), nur dass man Papst Paul hätte erwidern können, er und seinesgleichen trügen mit die Hauptschuld, wenn die Bildung den Menschen von der Religion abwendig mache. Daran aber ist doch nicht zu zweifeln, dass er eine wirkliche Besorgnis wegen der heidnischen Tendenzen in seiner Nähe verspürte. Was mögen sich vollends die Humanisten am Hofe des heidnisch ruchlosen Sigismondo Malatesta (S. 536, Anm. 999) erlaubt haben? Gewiss kam es bei diesen meist haltungslosen Menschen wesentlich darauf an, wie weit ihre Umgebung ihnen zu gehen gestattete. Und wo sie das Christentum anrühren, da paganisieren sie es (S. 286 f., 363 f.[?]). Man muss sehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Vermischung treibt; ein Heiliger heisst bei ihm nicht nur Divus, sondern Deus; die Engel hält er schlechtweg mit den Genien des Altertums für identischWährend doch die bildende Kunst wenigstens zwischen Engeln und Putten unterschied und für alle ernsten Zwecke die erstern anwandte. – Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heisst der Amorin oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus., und seine Ansicht von der Unsterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt zu einzelnen ganz wunderbaren Exzessen in dieser Beziehung. Als 1526 SienaDella Valle, Lettere sanesi, III, 18. von der Partei der Ausgetriebenen angegriffen wurde, stand der gute Domherr Tizio, der uns dies selber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte dessen, was im dritten Buch des MacrobiusMacrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort vorgeschriebenen Gesten dazu. geschrieben steht, las eine Messe und sprach dann die in jenem Autor aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur dass er statt Tellus mater teque Jupiter obtestor sagte: Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die Feinde ab. Von der einen Seite sieht dergleichen aus wie eine unschuldige Stil- und Modesache, von der andern aber wie ein religiöser Abfall.