Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Mit diesem Aberglauben sowohl als mit der Denkweise des Altertums überhaupt hängt die Erschütterung des Glaubens an die Unsterblichkeit eng zusammen. Diese Frage hat aber überdies noch viel weitere und tiefere Beziehungen zu der Entwicklung des modernen Geistes im grossen und ganzen.

Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unsterblichkeit war zunächst der Wunsch, der verhassten Kirche, wie sie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir sahen, dass die Kirche diejenigen, welche so dachten, Epikureer nannte (S. 536 ff.). Im Augenblick des Todes mag sich mancher wieder nach den Sakramenten umgesehen haben, aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während ihrer tätigsten Jahre unter jener Voraussetzung gelebt und gehandelt. Dass sich daran bei vielen ein allgemeiner Unglaube hängen musste, ist an sich einleuchtend und überdies geschichtlich auf alle Weise bezeugt. Es sind diejenigen, von welchen es bei Ariost heisst: sie glauben nicht über das Dach hinausAriosto, Sonetto 34 ... non creder sopra il tetto. Der Dichter sagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer Sache von Mein und Dein gegen ihn entschieden hatte.. In Italien, zumal in Florenz, konnte man zuerst als ein notorisch Ungläubiger existieren, wenn man nur keine unmittelbare Feindseligkeit gegen die Kirche übte. Der Beichtvater z. B., der einen politischen Delinquenten zum Tode vorbereiten soll, erkundigt sich vorläufig, ob derselbe glaube? »Denn es war ein falsches Gerücht gegangen, er habe keinen GlaubenNarrazione del caso del Boscoli, Arch. stor. I, p. 273, s. – Der stehende Ausdruck war non aver fede, vgl. Vasari, VII, p. 122, Vita di Piero di Cosimo.

Der arme Sünder, um den es sich hier handelt, jener S. 87 f. erwähnte Pierpaolo Boscoli, der 1513 an einem Attentat gegen das eben hergestellte Haus Medici teilnahm, ist bei diesem Anlass zu einem wahren Spiegelbild der damaligen religiösen Konfusion geworden. Von Hause aus der Partei Savonarolas zugetan, hatte er dann doch für die antiken Freiheitsideale und anderes Heidentum geschwärmt; in seinem Kerker aber nimmt sich jene Partei wiederum seiner an und verschafft ihm ein seliges Ende in ihrem Sinne. Der pietätvolle Zeuge und Aufzeichner des Herganges ist einer von der Künstlerfamilie della Robbia, der gelehrte Philologe Luca. »Ach, seufzt Boscoli, treibet mir den Brutus aus dem Kopf, damit ich meinen Gang als Christ gehen kann!« – Luca: »Wenn Ihr wollt, so ist das nicht schwer; Ihr wisset ja, dass jene Römertaten uns nicht schlicht, sondern idealisiert (con arte accresciute) überliefert sind.« Nun zwingt jener seinen Verstand, zu glauben und jammert, dass er nicht freiwillig glauben könne. Wenn er nur noch einen Monat mit guten Mönchen zu leben hätte, dann würde er ganz geistlich gesinnt werden! Es zeigt sich weiter, dass diese Leute vom Anhang Savonarolas die Bibel wenig kannten; Boscoli kann nur Paternoster und Avemaria beten, und ersucht nun den Luca dringend, den Freunden zu sagen, sie möchten die heilige Schrift studieren, denn nur was der Mensch im Leben erlernt habe, das besitze er im Sterben. Darauf liest und erklärt ihm Luca die Passion nach dem Evangelium Johannis; merkwürdigerweise ist dem Armen die Gottheit Christi einleuchtend, während ihm dessen Menschheit Mühe macht; diese möchte er gerne so sichtbar begreifen, »als käme ihm Christus aus einem Walde entgegen« – worauf ihn sein Freund zur Demut verweist, indem dies nur Zweifel seien, welche der Satan sende. Später fällt ihm ein ungelöstes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta ein; der Freund verspricht, es zu erfüllen an seiner Statt. Dazwischen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savonarolas Kloster, wie er ihn erbeten hatte, gibt ihm zunächst jene oben erwähnte Erläuterung über die Ansicht des Thomas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli antwortet: »Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu genügen mir schon die Philosophen; helfet mir, den Tod zu erleiden aus Liebe zu Christus.« Das weitere, die Kommunion, der Abschied und die Hinrichtung, wird auf sehr rührende Weise geschildert; besonders hervorzuheben ist aber der eine Zug, dass Boscoli, indem er das Haupt auf den Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem Hieb zu warten: »Er hatte nämlich die ganze Zeit über (seit der Verkündigung des Todesurteils) nach einer engen Vereinigung mit Gott gestrebt, ohne sie nach Wunsch zu erreichen, nun gedachte er in diesem Augenblick durch volle Anstrengung sich gänzlich Gott hinzugeben.« Offenbar ist es ein Ausdruck Savonarolas, der – halb verstanden – ihn beunruhigt hatte.

Besässen wir noch mehr Bekenntnisse dieser Art, so würde das geistige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht gibt. Wir würden noch besser sehen, wie stark der angeborene religiöse Trieb, wie subjektiv und auch wie schwankend das Verhältnis des Einzelnen zum Religiösen war und was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberstanden. Dass Menschen von einem so beschaffenen Innern nicht taugen, um eine neue Kirche zu bilden, ist unleugbar, aber die Geschichte des abendländischen Geistes wäre unvollständig ohne die Betrachtung jener Gärungszeit der Italiener, während sie sich den Blick auf andere Nationen, die am Gedanken keinen Teil hatten, getrost ersparen darf. Doch wir kehren zur Frage von der Unsterblichkeit zurück.

Wenn der Unglaube in dieser Beziehung unter den höher Entwickelten eine so bedeutende Stellung gewann, so hing dies weiter davon ab, dass die grosse irdische Aufgabe der Entdeckung und Reproduktion der Welt in Wort und Bild alle Geistes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen Grade für sich in Anspruch nahm. Von dieser notwendigen Weltlichkeit der Renaissance war schon (S. 531 f.) die Rede. Aber überdies erhob sich aus dieser Forschung und Kunst mit derselben Notwendigkeit ein allgemeiner Geist des Zweifels und der Frage. Wenn derselbe sich in der Literatur wenig kundgibt, wenn er z. B. zu einer Kritik der biblischen Geschichte (S. 544) nur vereinzelte Anläufe verrät, so muss man nicht glauben, er sei nicht vorhanden gewesen. Er war nur übertönt durch das soeben genannte Bedürfnis des Darstellens und Bildens in allen Fächern, d. h. durch den positiven Kunsttrieb; ausserdem hemmte ihn auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, sobald er theoretisch zu Werke gehen wollte. Dieser Geist des Zweifels aber musste sich unvermeidlich und vorzugsweise auf die Frage vom Zustand nach dem Tode werfen, aus Gründen, welche zu einleuchtend sind, als dass sie genannt zu werden brauchten.

Und nun kam das Altertum hinzu und wirkte auf diese ganze Angelegenheit in zwiefacher Weise. Fürs erste suchte man sich die Psychologie der Alten anzueignen und peinigte den Buchstaben des Aristoteles um eine entscheidende Auskunft. In einem der lucianischen Dialoge jener ZeitJovian. Pontan. Charon. erzählt Charon dem Mercur, wie er den Aristoteles bei der Ueberfahrt im Nachen selber um seinen Unsterblichkeitsglauben befragt habe; der vorsichtige Philosoph, obwohl selber bereits leiblich gestorben und dennoch fortlebend, habe sich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort kompromittieren wollen; wie werde es erst nach vielen Jahrhunderten mit der Deutung seiner Schriften gehen! – Nur um so eifriger stritt man über seine und anderer alten Schriftsteller Meinungen in betreff der wahren Beschaffenheit der Seele, ihren Ursprung, ihre Präexistenz, ihre Einheit in allen Menschen, ihre absolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen, und es gab Leute, die dergleichen auf die Kanzel brachtenFaustini Terdocei triumphus stultitiae, L. II.. Die Debatte wurde überhaupt schon im 15. Jahrhundert sehr laut; die einen bewiesen, dass Aristoteles allerdings eine unsterbliche Seele lehreSo Borbone Morosini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII, p. 243.; andere klagten über die Herzenshärte der Menschen, welche die Seele gern breit auf einem Stuhl vor sich sitzen sähen, um überhaupt an ihr Dasein zu glaubenVespas. Fiorentin., p. 260.; Filelfo in seiner Leichenrede auf Francesco Sforza führt eine bunte Reihe von Aussagen antiker und selbst arabischer Philosophen zugunsten der Unsterblichkeit an und schliesst dies im DruckOrationes Philelphi, fol. 8. anderthalb enge Folioseiten, betragende Gemisch mit zwei Zeilen: »überdies haben wir das Alte und Neue Testament, was über alle Wahrheit ist.« Dazwischen kamen die florentinischen Platoniker mit der Seelenlehre Platos, und, wie z. B. Pico, mit sehr wesentlicher Ergänzung derselben aus der Lehre des Christentums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit ihrer Meinung. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war das Aergernis, das die Kirche darob empfand, so hoch gestiegen, dass Leo X. auf dem lateranensischen Konzil (1513) eine KonstitutionSeptimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8. erlassen musste zum Schutz der Unsterblichkeit und Individualität der Seele, letzteres gegen die, welche lehrten, die Seele sei in allen Menschen nur eine. Wenige Jahre später erschien aber das Buch des Pomponazzo, worin die Unmöglichkeit eines philosophischen Beweises für die Unsterblichkeit dargetan wurde, und nun spann sich der Kampf mit Gegenschriften und Apologien fort und verstummte erst gegenüber der katholischen Reaktion. Die Präexistenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Platos Ideenlehre gedacht, blieb lange ein sehr verbreiteter Begriff und kam z. B. den DichternAriosto, Orlando, canto VII, Str. 61. – Ins Lächerliche gezogen: Orlandino, cap. IV, Str. 67, 68. (Vgl. S. 358.) – Cariteo, ein Mitglied der neapolitanischen Akademie des Pontanus, benutzt die Präexistenz der Seelen, um die Sendung des Hauses Aragon damit zu verherrlichen. Roscoe, Leone X, ed. Bossi, II, p. 288. gelegen. Man erwog nicht näher, welche Konsequenz für die Art der Fortdauer nach dem Tode daran hing.

Die zweite Einwirkung des Altertums kam ganz vorzüglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Ciceros sechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen »Traum des Scipio« bekannt ist. Ohne den Kommentar des Macrobius wäre es wahrscheinlich untergegangen wie die übrige zweite Hälfte des ciceronischen Werkes; nun war es wieder in unzähligen AbschriftenOrelli ad Cic. de republ. L. VI. – Vgl. auch Lucan. Pharsal. IX, Anfang. und von Anfang der Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehrfach neu kommentiert. Es ist die Schilderung eines verklärten Jenseits für die grossen Männer, durchtönt von der Harmonie der Sphären. Dieser Heidenhimmel, für den sich allmählich auch noch andere Aussagen der Alten fanden, vertrat allmählich in demselben Masse den christlichen Himmel, in welchem das Ideal der historischen Grösse und des Ruhmes die Ideale des christlichen Lebens in den Schatten stellte, und dabei wurde doch das Gefühl nicht beleidigt wie bei der Lehre von dem gänzlichen Aufhören der Persönlichkeit. Schon Petrarca gründet nun seine Hoffnung wesentlich auf diesen »Traum des Scipio«, auf die Aeusserungen in andern ciceronischen Schriften und auf Platos Phädon, ohne die Bibel zu erwähnenPetrarca, epp. fam. IV, 3 (p. 629). IV, 6 (p. 632).. »Warum soll ich«, frägt er anderswo, »als Katholik eine Hoffnung nicht teilen, welche ich erweislich bei den Heiden vorfinde?« Etwas später schrieb Coluccio Salutati seine (noch handschriftlich vorhandenen) »Arbeiten des Hercules«, wo am Schluß bewiesen wird, dass den energischen Menschen, welche die ungeheuern Mühen der Erde überstanden haben, der Wohnsitz auf den Sternen von Rechts wegen gehöreFil. Villani, Vite, p. 15. Diese merkwürdige Stelle, wo Werkdienst und Heidentum zusammentreffen, lautet: che agli uomini fortissimi, poichè hanno vinto le mostruose fatiche della terra, debitamente sieno date le stelle.. Wenn Dante noch strenge darauf gehalten hatte, dass auch die grössten Heiden, denen er gewiss das Paradies gönnte, doch nicht über jenen Limbus am Eingang der Hölle hinauskamenInferno IV, 24, s. – Vgl. Purgatorio VII, 28. XXII, 100., so griff jetzt die Poesie mit beiden Händen nach den neuen liberalen Ideen vom Jenseits. Cosimo der Aeltere wird, laut Bernardo Pulcis Gedicht auf seinen Tod, im Himmel empfangen von Cicero, der ja auch »Vater des Vaterlandes« geheissen, von den Fabiern, von Curius, Fabricius und vielen andern; mit ihnen wird er eine Zierde des Chores sein, wo nur tadellose Seelen singenDieser Heidenhimmel findet sich deutlich auch in der Grabschrift des Tonbildners Niccolò dell'Arca:

Nunc te Praxiteles, Phidias, Polycletus adorant
Miranturque tuas, o Nicolae, manus.

(Bei Bursellis, ann. Bonon., Murat. XXIII, Col. 912.)

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