Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Vierter Abschnitt

Die Entdeckung der Welt und des Menschen

Frei von zahllosen Schranken, die anderwärts den Fortschritt hemmten, individuell hoch entwickelt und durch das Altertum geschult, wendet sich der italienische Geist auf die Entdeckung der äussern Welt und wagt sich an deren Darstellung in Wort und Form. Wie die Kunst diese Aufgabe löste, müsste anderswo erzählt werden.

Ueber die Reisen der Italiener nach fernen Weltgegenden ist uns hier nur eine allgemeine Bemerkung gestattet. Die Kreuzzüge hatten allen Europäern die Ferne geöffnet und überall den abenteuernden Wandertrieb geweckt. Es wird immer schwer sein, den Punkt anzugeben, wo derselbe sich mit dem Wissensdrang verbindet oder vollends dessen Diener wird; am frühsten und vollständigsten aber ist dies bei den Italienern geschehen. Schon an den Kreuzzügen selbst hatten sie sich in einem andern Sinne beteiligt als die übrigen, weil sie bereits Flotten und Handelsinteressen im Orient besassen; von jeher hatte das Mittelmeer seine Anwohner anders erzogen als das Binnenland die seinigen, und Abenteurer im nordischen Sinne konnten die Italiener nach ihrer Naturanlage überhaupt nie sein. Als sie nun in allen östlichen Häfen des Mittelmeeres heimisch geworden waren, geschah es leicht, dass sich die Unternehmendsten dem grandiosen mohammedanischen Wanderleben, welches dort ausmündete, anschlossen; eine ganze grosse Seite der Erde lag dann gleichsam schon entdeckt vor ihnen. Oder sie gerieten, wie die Polo von Venedig, in die Wellenschläge der mongolischen Welt hinein und wurden weitergetragen bis an die Stufen des Thrones des Grosschans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch schon im Atlantischen Meere als Teilnehmer von Entdeckungen, wie denn z. B. Genuesen im 13. Jahrhundert bereits die Kanarischen Inseln fandenLuigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo sich eine Uebersicht der frühern ital. Reisen und Entdeckungen findet, p. 91, s.; in demselben Jahre, 1291, da Ptolemais, der letzte Rest des christlichen Ostens, verlorenging, machten wiederum Genuesen den ersten bekannten Versuch zur Entdeckung eines Seeweges nach OstindienHierüber eine Abhandlung von Pertz. Eine ungenügende Kunde davon schon bei Aeneas Sylvius, Europae status sub Friderico III. Imp. cap. 44. (U. a. in Frehers Scriptores, Ausg. v. 1624, Vol. II, p. 87.); Columbus ist nur der Grösste einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienste der Westvölker in ferne Meere fuhren. Nun ist aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerst irgendwohin gerät, sondern der, welcher gesucht hat und findet; ein solcher allein wird auch im Zusammenhange stehen mit den Gedanken und Interessen seiner Vorgänger, und die Rechenschaft, die er ablegt, wird danach beschaffen sein. Deshalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede einzelne Priorität der Ankunft an diesem oder jenem Strande abgestritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk im vorzugsweisen Sinne für das ganze Spätmittelalter bleiben.

Die nähere Begründung dieses Satzes gehört der Spezialgeschichte der Entdeckungen an. Immer von neuem aber wendet sich die Bewunderung der ehrwürdigen Gestalt des grossen Genuesen zu, der einen neuen Kontinent jenseits der Wasser forderte, suchte und fand, und der es zuerst aussprechen durfte: il mondo è poco, die Erde ist nicht so gross als man glaubt. Während Spanien den Italienern einen Alexander VI. sendet, gibt Italien den Spaniern den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papstes (7. Juli 1503) datiert dieser aus Jamaica seinen herrlichen Brief an die undankbaren katholischen Könige, den die ganze Nachwelt nie wird ohne die stärkste Erregung lesen können. In einem Kodizill zu seinem Testamente, datiert zu Valladolid, 4. Mai 1506, vermacht er »seiner geliebten Heimat, der Republik Genua, das Gebetbuch, welches ihm Papst Alexander geschenkt, und welches ihm in Kerker, Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchsten Troste gereicht hatte«. Es ist als ob damit auf den fürchterlichen Namen Borgia ein letzter Schimmer von Gnade und Güte fiele.

Ebenso wie die Geschichte der Reisen dürfen wir auch die Entwicklung des geographischen Darstellens bei den Italienern, ihren Anteil an der Kosmographie, nur kurz berühren. Schon eine flüchtige Vergleichung ihrer Leistungen mit denjenigen anderer Völker zeigt eine frühe und augenfällige Ueberlegenheit. Wo hätte sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts ausserhalb Italiens eine solche Verbindung des geographischen, statistischen und historischen Interesses gefunden wie in Aeneas Sylvius? Wo eine so gleichmässig ausgebildete Darstellung? Nicht nur in seiner eigentlich kosmographischen Hauptarbeit, sondern auch in seinen Briefen und Kommentarien schildert er mit gleicher Virtuosität Landschaften, Städte, Sitten, Gewerbe und Erträgnisse, politische Zustände und Verfassungen, sobald ihm die eigene Wahrnehmung oder lebendige Kunde zu Gebote steht; was er nur nach Büchern beschreibt, ist natürlich geringer. Schon die kurze SkizzePii II. comment. L. I, p. 14. – Dass er nicht immer richtig beobachtete und bisweilen das Bild willkürlich ergänzte, zeigt uns z. B. seine Beschreibung Basels nur zu klar. Im ganzen bleibt ihm doch ein hoher Wert. jenes tirolischen Alpentales, wo er durch Friedrich III. eine Pfründe bekommen hatte, berührt alle wesentlichen Lebensbeziehungen und zeigt eine Gabe und Methode des objektiven Beobachtens und Vergleichens, wie sie nur ein durch die Alten gebildeter Landsmann des Columbus besitzen konnte. Tausende sahen und wussten wenigstens stückweise, was er wusste, aber sie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu entwerfen, und kein Bewusstsein, dass die Welt solche Bilder verlange.

Auch in der KosmographieIm 16. Jahrhundert hielt sich Italien noch lange als die vorzugsweise Heimat der kosmographischen Literatur, als die Entdecker selbst schon fast nur den atlantischen Völkern angehörten. Die einheimische Geographie hat gegen Mitte des Jahrhunderts das grosse und sehr achtungswerte Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia aufzuweisen. wird man umsonst genau zu sondern suchen, wie viel dem Studium der Alten, wieviel dem eigentümlichen Genius der Italiener auf die Rechnung zu schreiben sei. Sie beobachten und behandeln die Dinge dieser Welt objektiv, noch bevor sie die Alten genauer kennen, weil sie selber noch ein halbantikes Volk sind und weil ihr politischer Zustand sie dazu vorbereitet; sie würden aber nicht zu solcher raschen Reife darin gelangt sein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg gewiesen. Ganz unberechenbar ist endlich die Einwirkung der schon vorhandenen italienischen Kosmographien auf Geist und Tendenz der Reisenden, der Entdecker. Auch der dilettantische Bearbeiter einer Wissenschaft, wenn wir z. B. im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius so niedrig taxieren wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Interesse für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den unentbehrlichen neuen Boden einer herrschenden Meinung, eines günstigen Vorurteils bildet. Wahre Entdecker in allen Fächern wissen recht wohl, was sie solchen Vermittlern verdanken.


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