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Henry Felix lag indessen weder bei einem Weibe noch im Gebet vor der allerheiligsten Schulterwunde, sondern er befand sich auf dem Wege von dem einen zum andern.
Da hatte er eine Begegnung, die ihn noch tiefer ins Gebet warf, als sonst.
Er hatte die Villa Madame Adeles kaum verlassen und bog eben in einen Zypressengang ein, der, rechts und links von rosenüberhangenen Mauern begleitet, einen sanften Hügel hinaufführte, als er, wie von einer unirdischen Erscheinung berührt, stehen bleiben mußte.
Er sah kaum zehn Schritte vor sich, eine schmächtige, hohe, edle Frauengestalt langsam, doch leicht den Weg zwischen den schwarzen Bäumen und hellen Rosen hinaufschreiten. Sie trug ein dunkles, etwas nachschleppendes Kleid. Ein schwarzer Spitzenschleier hing über die Schultern. Der Kopf war unbedeckt, aber schwere, dunkle Flechten wuchteten wie eine Krone auf dem Scheitel, wanden sich um die Schläfen wie ein Kronband. Selbst aus der Ferne sah der Stehengebliebene wie ein düsteres Flammen und Blitzen das Leuchten von großen Edelsteinen, die in diesem wundervollen Haar an Spangen und verborgenen Perlenketten saßen.
– Welch ein Weib! sprach eine sonderbare Ergriffenheit in Henry Felix. Scheu, als traue er sich nicht in die Nähensphäre dieser Erscheinung von tragischer Schönheit und Würde, tat er zögernd einen Schritt nach vorn.
Da wandte sich die Frau um. Er sah eine hohe, weiße, leuchtende Stirn, zwei große, dunkle Augen unter strengen Brauenbogen, einen Mund, schmerzlicher, als er je einen auf Bildern der schmerzhaften Mutter Gottes gesehen hatte. Und er sah, daß sie das Haupt in leiser Senkung nach vorn geneigt hielt. Welch eine Blässe lag auf diesem Antlitz! Und welch ein Geist. Welche Verklärung durch Geist, Schmerz, Liebe!
– Blutleuchte! schrie es in ihm auf. Das ist sie! Ist sie! Mir ist die Gnade! Die Gnade ist mir nahe! Ich habe es gesehen, gefühlt, das Ungeheure, Selige! Nicht Steine leuchten aus diesem Haar! Das ist der blaue Schein unter der schattenden Hand Gottes!
Er wollte ihr nach, wollte die Schleppe ihres Kleides küssen, sich vor ihr niederwerfen, die Stirne in den Staub.
Da verschwand die Erscheinung zwischen dem Rosenschwall eines Mauertors.
Hinter ihm knirschten Schritte.
Er wandte sich um und sah kaum, daß es eine kleine, weißhaarige, vornehme Dame war, der er die Frage entgegenstammelte: »Wer... wer... ist... das?«
Die alte Dame sah ihn erschrocken an und sagte, indem sie ihren Schritt beschleunigte: »Kaiserin Elisabeth.«
Er stand einen Augenblick starr. Dann streckte er, als wollte er etwas Entschwindendes ergreifen, beide Hände aus und war mit zwei Schritten neben der Dame, die nun fast vor ihm floh, als sie das erregte Gesicht des Fremden mit den fieberisch leuchtenden Augen neben sich sah.
»Ich bin...« keuchte er, »ich will... ich bitte um die Gnade...«
»Nicht doch, mein Herr!« wehrte sie ab; »Sie dürfen nicht... Es darf niemand...«
Er blieb ächzend stehen, als habe er einen langen Weg hinter sich und sähe sich nun am falschen Orte.
Er mußte sich an die Mauer neben dem Tor lehnen, in dem jetzt auch die Dame verschwunden war.
»Träume ich?« murmelte er und griff in die dornigen Rosenranken, daß ihm das Blut zwischen die Finger rann.
»Dies ist wahr?« murmelte er, und sein Blick, als suchte die Unruhe seiner Seele mit ihm einen Ankerplatz, verlor sich im Dunkel des Zypressengrüns. »Aber dann... dann ist es doch mehr, als gemeine Wahrheit?... Wer darf die Blutleuchte sehen, wenn nicht einer, der erwählt ist?... Aber es ist doch auch wie ein Gruß... meines Schicksals... Und... mein Schicksal... hat mich doch... verlassen? Aber nein!... Es ist da! Es ist verwandelt da! Es ist immer noch wahr nur... anders... tiefer... Die Verbindung ist noch geheimnisvoller! Noch viel, viel geheimnisvoller!... O, mein Jesus, Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! O, Jesus! süßer Herr! Christus! Liebe! Christus Liebe!... Es hat mir geleuchtet! Hat mir geleuchtet! Iddio! Iddio! Amore!« Da vermischte sich vor seinem inneren Auge das Bild der Kaiserin mit dem Biancas, und ein fürchterliches Grauen vor sich selbst überkam ihn.
Er stürzte davon.
Und warf sich am Kreuz vor seinem Bette nieder und flüsterte, lallte, stammelte wild und wirr durcheinander, was nur irgend von katholischen Gebeten in ihm haften geblieben war.
Es war wie ein Krampf. Seine wie zu einer großen Faust gefalteten Hände fuhren taktmäßig auf und nieder, als klopften sie an ein unsichtbares Tor; seine Schultern zuckten; kalter Schweiß rann von seiner Stirn.
Schließlich fiel er vornüber. So lag er lange, den Kopf auf den gefalteten Händen.
Ein Diener richtete ihn auf, entkleidete den völlig apathisch Gewordenen und brachte ihn ins Bett.
Fast augenblicklich fiel er in einen dumpfen Schlaf, der über vierundzwanzig Stunden währte.
Als der Graf erwachte, war es hoch am Mittag. Das Zimmer lag in einem roten, durch seidene Gardinen gedämpften Lichte. In einem helleren Streifen tanzten goldene Sonnenstäubchen.
Henry Felix fühlte sich wunderbar gekräftigt, aufs frischeste erquickt.
Es klopfte. Der Arzt trat ein.
– »Nun, Graf, – so munter? Ich fürchtete schon, Sie heute in einem bösen Zustand zu sehen. Der gestrige Anfall war schlimm. – Jetzt lassen Sie aber gefälligst ab von Ihren nächtlichen Streichen! – Ernsthaft gesprochen, Graf: ich kann Sie nicht hier behalten, wenn Sie weiter so über die Schnur hauen.«
Der Graf runzelte die Brauen. Dann sagte er kurz: »Ich reise ohnehin heut nacht. Ich muß nach Wien.«
– »Nach Wien? Da werden Sie sich jetzt nicht amüsieren können. – Aber richtig, – Sie wissen ja gar nicht! –: Heut vormittag ist unten am See die Kaiserin Elisabeth von einem Anarchisten erdolcht worden.«
Henry Felix richtete sich im Bette auf, schlug das Kreuz, senkte den Kopf und murmelte: »Erloschen... Nun schwebt die Leuchte und sucht neue Kraft, neues Blut, sich zu binden... Wer sie zuletzt sah, sieht ihren Weg dreimal sieben Tage, und wenn er rein ist...«
»Was haben Sie denn?« brummte der Doktor und sah ihn musternd an.
Der Graf sprang aus dem Bette und erklärte in herrischem Tone: »Man muß meine Koffer packen. Ich reise mit dem nächsten Zuge. Es ist keine Zeit zu verlieren.« Er schellte nach der Bedienung und nahm keine Notiz mehr von der Anwesenheit seines Arztes, der sich ärgerlich entfernte.
Bis zur Abfahrt seines Zuges nahm er gegenüber dem Hotel, wo die Leiche der Kaiserin aufgebahrt war, auf einer Bank Platz und starrte, über das Volksgewimmel weg, unverwandt zu den Fenstern, hinter denen er die Tote wußte.