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Über seine Befürchtungen war Henry also hinaus. Aber angenehm waren die folgenden Tage nicht.
Am zweiten Tage nach dem Geschehenen erschienen Jeremias, Sanna und Berta.
Der Onkel und die Tante waren ihm bloß lästig, weil sie entsetzlich jammerten und scheußlich aussahen. Aber Berta erschreckte ihn. Sie sagte kein Wort, aber er sah es ihr an: Sie wußte, was geschehen war. Sie war leichenhaft bleich und drohend ernst. Nicht einmal gab sie ihm die Hand. Fragte auch nicht. Sah ihn nur immerzu seltsam durchdringend an.
Jeremias und Sanna hatten sich zur Polizei begeben und waren vorn Untersuchungsrichter empfangen worden.
Sie kamen mit versteinerten Zügen zurück. – Was sie gehört hatten, war furchtbar gewesen. Der Fischer hatte ausgesagt, daß Karl ihn zum Morde Henrys hatte dingen wollen, nachdem er mit ihm... oh! oh!... man durfte nicht einmal daran denken.
– »Wir wollten die Leiche in Hamburg beisetzen lassen,« sagte Jeremias in Bertas und Henrys Gegenwart, »aber wir sehen davon ab. Mag sie hier beerdigt werden. Wir haben keinen Sohn gehabt. Gott verzeihe ihm seine Sünden und uns unsere Herzenshärtigkeit. Ich vermag keine Trauer mehr über sein Hinfahren zu empfinden, und ich reiße ihn aus meinem Gedächtnis!«
»Jeremias!« schluchzte Sanna.
»Auch dir ziemt nicht Jammer über seinen Tod,« fuhr Jeremias fort, »sondern ewiges Wehklagen über sein Leben. – Du aber, Henry,« wandte er sich zu diesem, »der du weißt, wie er gelebt hat, und in welch finsterer Verstrickung verbrecherischer Sündhaftigkeit er dahingefahren ist, hast alles Recht, jede Beziehung zu uns abzubrechen. Unser Haus muß dir ein Greuel sein!«
Berta sah Henry groß, kalt und wie wartend an.
Er antwortete, indem er den Blick fest erwiderte: »Ich habe kein Recht, ihn zu verurteilen. Er hat sich selbst gerichtet.« Berta trat einen Schritt vor, er ihr einen Schritt entgegen und sagte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ja. So ist es!« Sie konnte nicht reden, ja selbst ihr Blick verlor an Kraft. Dieser Mensch, den sie jetzt mehr als je, den sie mit ungeheuerster Inbrunst haßte, den sie hätte zertreten mögen, stand in einer Ruhe und Festigkeit vor ihr, daß sie sich plötzlich schwach, ja, wie ihm untertan fühlte. Sie ließ es geschehen, daß er ihre Hand ergriff und sprach: »Berta ist seit einem halben Jahre meine Braut, und ich weiß, sie wird mich mit nicht weniger Liebe lieben, als er mich mit einem schrankenlosen Hasse gehaßt hat. Wir bleiben verbunden, und wir bleiben es auch in der Verehrung für die hohen Gaben des Toten, dem ich hier ein Monument errichten werde, gleich als ob er alles das erreicht hätte, was er bestimmt erreicht haben würde, wenn nicht ein furchtbares Geschick seine Sinne verblendet hätte.«
Berta litt unter diesen Worten und unter der Berührung seiner Hand bis ins Tiefste ihres Wesens, aber sie mußte die Augen senken vor diesem Blicke der unbedingten Entschlossenheit eines herrischen und dabei tückischen Willens. Aber sie sagte kein Wort. Wenn sie die gepreßten Lippen geöffnet hätte, es hätte nur ein Wort von ihnen kommen können: Rache!
Henry ließ ihre Hand los und wandte sich zu den beiden Alten: »Er soll auf dem alten Wachtturm begraben werden, den ich ihm kurz vor seinem unseligen Ende gezeigt habe. Ich habe dafür gesorgt, daß niemand von seinen Verirrungen und seinem Plane erfährt.«
»Katholisch soll er begraben werden?« jammerte Frau Sanna, die selbst jetzt an die gereinigte Lehre dachte.
»Sei unbesorgt,« antwortete Henry kühl, »das wird nicht geschehen.«
»Ich danke dir!« flüsterte Frau Sanna. »Wie edel du denkst! Ach, Berta!« schluchzte sie und warf sich der Tochter an die Brust, die dabei einen Ekel empfand, der ihr Haßgefühl gegen Henry fast noch vertiefte.
»Aber du wirst es ihr nie sagen, Henry,« wandte sich Sanna wieder zu ihm, »nie, nie! Es würde sie zerstören! Sie würde, wie ich, den Glauben an die Welt verlieren!«
Da konnte Berta nicht mehr an sich halten: »Was soll er mir nicht sagen?! Ich weiß mehr, als ihr! und es gibt nichts, nichts, nichts, das meine Liebe zu Karl verkleinern könnte. Nichts! Nie war ein Mensch größer, als er! Jeder ist neben ihm armselig, was er auch für große Worte machen mag! Ich würde nie einwilligen, Henrys Braut zu heißen, wenn er nicht den Respekt vor dem Toten geäußert hätte, der ihm ziemt.«
Henry biß die Lippen aufeinander. Das war wahrhaftig keine Liebes-, – das war eine Kriegserklärung. Aber er fühlte sich jetzt so wundervoll stark, und der Gedanke, auch in ihr, der Hasserin, die sich aber doch, wie er wohl fühlte, fürchtete, Karl zu töten, ihn erst ganz zu beseitigen, indem er auch seinen Schatten noch aus ihr vertrieb, reizte ihn heftig. Und, wie immer, wenn er Berta leibhaft vor sich sah, war er in sie verliebt. Selbst der Gedanke an Bianca verblaßte. Das war schließlich Romantik, Poesie ohne alle Aussicht auf Verwirklichung. Aber diese da, die schon Küsse auf seinen Mund gedrückt hatte, die nachts zu ihm geschlichen war, die es zu ihm hindrängte mit der ganzen Urgewalt des Blutes, was auch alles sonst dagegen sein mochte: die wollte und mußte er haben, zwingen, beugen.
Er sah ihr gerade ins Gesicht: »Berta hat recht. Sie darf und soll alles wissen, und, wenn sie es schon weiß, um so besser. Ich schwöre ihr, daß kein Schatten zwischen uns stehen soll. Und, was den Respekt anbetrifft« (er lächelte kaum merklich), »werden wir uns, denk ich, gegenseitig nicht zu beklagen haben. Niemand weiß besser, wessen Karl fähig war, als ich, und sie kann gewiß sein, daß ich es nicht vergessen werde.«