Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Der geistreiche Gönner

Der grüne Enthusiasmus der wilden Katakombler war heiß und brausend. Im stürmischen Binsengewoge unerschrockener Diatriben gegen alles Bestehende ward Henry schleunig wohl, und er genoß das Vergnügen eines billigen Sturms und Drangs fast mit der gleichen Hingabe, wie er auch weiterhin die Wonnen der Ulrikusstraße genoß. Er wetterte gewaltig sowohl gegen Paul Heyse wie gegen den Kapitalismus und ließ kein gutes Haar weder an Julius Wolff, noch an Bismarck, dem tyrannischen Junker. Die »Hypothese vom sogenannten lieben Gotte« behandelte er mit lässiger Verachtung, den »Erfinder der zehn Gebote« nannte er einen jüdischen Wasserkopf, Christus liebte er mit Sokrates zu vergleichen, und nicht zugunsten des »Rabbis von Nazareth«. »Kraft und Stoff« waren die Worte, die er am schauderhaftesten mißbrauchte. Gleich darauf kam aber »Naturalismus«. Zola, dessen »Nana« das einzige Buch der zeitgenössischen Literatur war, das er ausgelesen hatte (gewisse Stellen zwei- und dreimal), pries er in einem dithyrambischen Vortrag als den »geistigen Wundarzt der Gegenwart«. Karl Bleibtreu, dessen »Revolution der Literatur« er in einer denkwürdigen Sitzung der Katakombe an sämtliche Mitglieder verteilte, stellte er weit über Lessing, und ungefähr alle übrigen Poeten des jüngsten Deutschlands brachte er in ähnliche Parallelen. Sein eigentliches Idol aber, sein Gott, wie er selbst sagte, war Hermann Honrader, dessen Gedichte er zwar nicht immer völlig verstand, aber sämtlich auswendig wußte.

Der Umstand, daß er sich der persönlichen Bekanntschaft des kühnsten und genialsten der jungen Dichter rühmen konnte, hob ihn auch in den Augen der wenigen Katakombler, die seiner knabenhaften und leeren Überschwänglichkeit kritisch gegenüberstanden und sie eigentlich nur deshalb hingehen ließen, weil die Katakombe allerhand Vorteile von ihm zog und jedes einzelne Mitglied sicher sein konnte, keinen Korb zu erhalten, wenn es sich in finanziellen Angelegenheiten an ihn wandte.

Dank der Generosität des »geistreichen Gönners« besaß der Geheimbund der starken Geister jetzt ein festes Lokal in einer Hafenwirtschaft. Es war ein verstecktes Hinterzimmer von ursprünglich mehr als gewöhnlicher Ausstattung, dem aber Henrys Geldbeutel nun durch Schmückung der Wände mit den Bildnissen der Häupter des jüngsten Deutschland und anderer radikal fortschrittlicher Persönlichkeiten zu einem entsprechend höheren Ansehen verholfen hatte. Es gab auch schon einen Bibliothekschrank von Henrys Gnaden, dessen Inhalt natürlich gleichfalls zumeist auf dessen offene Hand zurückzuführen war. Und immer aufs neue überraschte der geistreiche Gönner seine minderbemittelten Katakomben-Brüder durch neue Anschaffungen. War man früher zu den Sitzungen gekommen voller Erwartung, was der jeweils in Aussicht gestellte Vortrag für neue »Gesichtspunkte enthüllen« werde im Umkreis des großen Kampfes der Geister der Zeit (zu denen man sich allbereits zu zählen die jugendliche Keckheit hatte), so richtete sich die Erwartung nun mehr und mehr darauf: was wird Lord Byron Neues in die Höhle geschleppt haben?

Voltaire Krümpermann, nicht unbegabt in der lukrativen Kunst der Schmeichelei, hatte diesen Katakombennamen für Henry aufs Tapet gebracht und damit begründet, daß Henry nicht allein ein Feuergeist nach Art des genialen Lords sei, sondern auch noch einiges andere mit diesem gemein habe, z. B. ein großes Vermögen. Man hatte, ein paar ganz Naive ernsthaft, die übrigen mit gut versteckter Ironie, beigestimmt, nur Karl war nicht imstande gewesen, seinen Spott zu verbergen.

Denn Karl merkte wohl: die einzige Möglichkeit, Henry weiterhin unter seiner Fuchtel zu behalten, war, ihm zu zeigen, daß er sich nicht durch ihn imponieren ließ, weder durch seine üppigen Reden, noch durch seine materiellen Gefälligkeiten. Er rechnete ganz richtig. Allen übrigen wuchs Lord Byron über den Kopf, alle übrigen wurden abhängig von ihm, alle übrigen gerieten in die Lage von ewigen Bittstellern, die gezwungen waren, eine Schmeichelei immer mit einer anderen zu überbieten, so daß Henry selbst, so angenehm ihm das war, schließlich doch auch Degout und Mißtrauen empfand. Karl dagegen blieb für ihn immer der Überlegene. Und, wenn er einmal schmeicheln mußte, so konnte es in einer Form geschehen, die wirklich auszeichnend wirkte. Der gescheite Vetter war auch klug genug, nie dann zu schmeicheln, wenn ein bestimmter Zweck ersichtlich sein konnte. Er hatte das auch nicht nötig, denn das Verhältnis zwischen den beiden war nach und nach so geworden, daß Karls Wünsche unausgesprochen in Erfüllung gingen. Wenn Karl zuweilen Henrys Bedürfnis nach Anerkennung aus seinem Munde befriedigte, so geschah es von einem höheren, pädagogisch-psychologischen Standpunkt aus: eben zur Festigung dieses Verhältnisses, das doch zuweilen Lockerungskrisen durchmachte, wenn Henrys Eitelkeit Karl gegenüber gar zu wenig auf ihre Kosten kam.


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