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Henricus Felix Hauart amicus fühlte sich ausbündig wohl. So wohl, daß er beschloß, sich fürderhin Felix und nicht mehr Henry zu nennen.
Er schrieb in sein »Tagebuch«, einen gewaltig dicken Lederband mit silbernem Anhängeschloß aus seiner Leipziger Zeit, der als Wichtigstes zahlreiche Mädchenadressen nebst beigefügten kurzen Charakteristiken enthielt, mit sowohl lapidaren wie wilden Zügen die Worte: »Endlich frei! Endlich die Zügel allein in der Hand! Endlich Herr meiner selbst und also – glücklich! Das Schicksal hat mich gerächt und – belohnt. Ich habe es aus seinem (JHREM) eigenen Munde. Die schwarze Perle glüht auf in einem geheimnisvollen Lichte und strahlt mir entgegen: Felix! – Es gab eine Zeit, da ich ein Knabe war, der Henfel hieß und glücklich schien. Diesen Knaben hat der Vater Karls ermordet. Dann kam eine Zeit, da ich genannt wurde, wie es diesem Mörder gefiel, aber nicht er, sondern sein Sohn hat es gemacht, daß dieser Name mir jetzt wie ein Brandmal erscheint, auf eine Sklavenstirne geprägt. Ich werfe ihn mit Abscheu von mir und heiße mich von Schicksals Gnaden Felix. So heiß ich, was ich bin!!!«
Wie angenehm das war, so schreiben zu dürfen, ohne sich scheu umsehen zu müssen, ob nicht zwei wasserblaue Augen über die Schultern guckten und zwischen zwei rasiermesserscharfen blassen Lippen das Wort hervorkam: »Affe!«
Nur im Traume genierte ihn Carolus poeta noch ein paar Male. Nicht etwa in grauslicher Form, gespenstisch, als Toter, – nein; das wäre weniger fatal gewesen, als die durchaus realistische, widerwärtig lebendige Manier, in der sich der glücklich Abgetane in den Träumen seines Erledigers zum Worte meldete:
– »Wie siehst du wieder aus Henry? Wirst du dich denn nie anziehen können, wie ein Europäer?«
– »Laß das! Schweig! Du kannst ja Gips nicht von Marmor unterscheiden und verwechselst einen Lichtdruck mit einer Radierung. Rede von Weibern oder Beefsteaks, aber nicht von Kunst!«
Welch ein Wohlgefühl, nach solchen Worten zu erwachen und sich mit dem Bewußtsein auf die andere Seite wälzen zu dürfen: Gott sei Dank, er liegt unter einer dicken Marmorplatte, die bestimmt nicht gipsern ist, auf dem Sarazenenturm! Ich aber lebe und ziehe mich an und rede fortan, wie ich will.
Wer glücklich ist, der leicht vergißt. Und Felix war glücklich. Er dachte nicht einmal mehr an Berta.
Er dachte an Pferde und Uniformen, an Reiten und Kommandieren. Doch kam dies diesmal nicht von seinem reitenden Kosaken her, obwohl er diesen und den seidenen Schlafrock jetzt nicht weniger heilig und in Ehren hielt.
Onkel Jeremias war es gewesen, der diese Gedanken in ihm lebendig gemacht hatte, indem er darauf hinwies, daß der auf Reisen befindliche junge Grandseigneur eine Staatspflicht habe, die sich jetzt nicht mehr verschieben lasse. Kein halbes Jahr mehr, und der letzte Termin lief ab.
Anfangs hatte sich Felixens fürstlicher Sinn dagegen empört. Er und eine Dienstpflicht! Da er unbeirrt weiter in der Überzeugung lebte, ein Erzeugnis fürstlicher Lenden zu sein, fand er diesen Gedanken im Grunde abgeschmackt, aber die Vorstellung, welche Folgen es haben mußte, wenn er auf Prärogativen bestand, die nur von seiner persönlichen Überzeugung sanktioniert waren, erwies sich doch als mächtig genug, ihn zu einem Pakt mit der Realität zu bewegen. Und, wie immer, stellte sich hilfreich seine weitere Überzeugung ein, daß sein Stern doch schließlich alles zu seinem Besten lenke:
Nichts Besseres konnte ihm gerade jetzt beschieden sein, als Militärdienst. Das war der rechte Abschluß seiner Wanderjahre und vielleicht die Einleitung zu etwas Stabilerem. Seine rasche Phantasie sah bereits Perspektiven von kriegerischem Glanz, und es kam ihm mit Trällern eine Erinnerung an Frau Klara ins Ohr:
Dort vergiß leises Flehn, süßes Wimmern, Da, wo Lanzen und Schwerter dir schimmern, Sei dein Herz unter Leichen und Trümmern Nur voll Wärme für Ehre und Mut! |
Aber auch ohne Leichen und Trümmer erschien ihm seine nächste Zukunft sehr verheißungsvoll und heiter. Reiten, – ah! Und noch dazu in Uniform reiten! Den Säbel an der Seite, eine Lanze in der Faust, und alle Fenster der kleinen vornehmen Residenz mit Mädchenköpfen garniert, die ihm schwärmerisch entzückt nachschauten.
O ja: Felix war glücklich. Die angenehmsten Gefühle aus seiner Henfelzeit waren wieder munter in ihm geworden. Er war ganz kindisch vergnügt in seinen bunten Vorstellungen, die den lustig bemalten Vorhang zu einem neuen, entsprechend lustigen Akte seines Lebensspieles aufrollen ließen, nachdem ein grauer über einem grauen gefallen war. Denn es erschien ihm jetzt alles grau, was er sub auspiciis Caroli poetae erlebt hatte.
Was sich im einzelnen nun begeben, wie und wohin (zu welchen Höhen) ihn sein Stern führen mochte, das überließ er ruhig diesem hohen Regisseur. Wozu nachdenken? Weshalb planen? Im rechten Momente kam sicher wieder das Stichwort von der wunderbaren Frau.
Und der Akt setzte richtig mit dem Auftreten einer Person ein, die sich bald als bestimmend für den neuesten Schauplatz der Handlung erweisen sollte.
Im Vestibül des prachtvollen Hotels am Meere, das Felix diesmal zu seiner Wohnstätte in Neapel erkoren hatte, war ihm die elegante Erscheinung eines jungen Deutschen aufgefallen, der ihm dadurch noch besonders interessant wurde, daß sein Diener ihn mit Durchlaucht anredete. Er mochte mit Felix etwa gleichaltrig sein, sah aber älter aus infolge der etwas vornübergebeugten Haltung und seiner sonderbar welken Haut. Felix wurde an Fritz Böhle, den morphinistischen Zweibändermann, erinnert, doch schien ihm das Air des Fremden noch vornehm blasierter; wofür ihm freilich das Geistreiche deutlich abging, das »Schniller« zumal beim lebhaften Sprechen ausgezeichnet hatte. Die jugendliche Durchlaucht hatte sogar etwas Blödes, doch fand Felix, daß ihr dieser Zug gar nicht schlecht zu Gesichte stand, und er ahnte nicht mit Unrecht, daß er geflissentlich zur Schau getragen wurde, etwa mit der Bedeutung: Bitte, ich habe keinen Geist nötig. Ein ungewöhnlich großes Monokel im rechten Auge verhalf dem Antlitz zu einer interessanten Verzerrung.
Alles in allem: Der Herr sah gut aus. Felix erkundigte sich bei dem schweizerischen Portier, was Nam und Art der erlauchte Fremdling sei. Der freie Schweizer zog die Augenbrauen hoch, wie einer, der ganz Außerordentliches zu künden hat, und erklärte im Respektstone, das Wort Durchlaucht mit reichlichen Rachenlauten schmückend, Durchlaucht sei ein Prinz aus ehemals regierendem Hause, sein Name aber sei so lang, daß es schier unmöglich sei, sich ihn zu merken. Er bitte den Herrn also, das Chärtli auf der Fremdentafel zu studieren, wo er unter Nummer zehn stecke.
Und Felix las: Franz von Assisi Ferdinand Maria Arbogast Prinz von Durenburg und Zörrigen zu Lohbuchheim.
– Eine feine Sache, so ein langer Name, dachte sich Felix. Und man begreift, daß solche Herrschaften einen kurzen, prägnanten Titel haben müssen. Man könnte sie sonst überhaupt nicht anreden. Prinz... Durchlaucht... Man kommt sich ganz nackt vor.
Es steckte doch ein bißchen Neid in diesen ironisch angehauchten Gedanken, aber Felix stieß ihn geschwind von sich, indem er die Lippen zu einem unausgesprochenen »Bah« schürzte.
– Durenburg... Zörringen... Lohbuchheim, wiederholte er geringschätzig in sich: was das für Dörfer sein mögen. Heute werden sie von Schultheißen regiert, und der ganze Rest der alten Herrlichkeit wird eine Ruine sein mit einem Kastellan, der der einzige Mensch auf Gottes Erdboden ist, der noch zu sagen weiß, was diese Dorfdynasten einmal bedeutet haben.
Und er dachte wieder einmal recht inbrünstig an Habsburg-Mexiko.
Als sich aber bei der Table d'hote die Gelegenheit zu einer Vorstellung ergab, fühlte er sich doch einigermaßen dadurch geschmeichelt, daß Seine Durchlaucht die Bemerkung machte: »Freue mich, einen Landsmann begrüßen zu können. Gedenken, länger hierzubleiben?«
Es entwickelte sich ein Tischgespräch, aus dem als Hauptsache hervorging, daß der Prinz sich in Neapel sträflich langweile.
– »Bin, weiß Gott, nicht zu meinem Vergnügen da. Höherer Befehl: Arzt. Nervenberuhigung durch Mopsen. Neuestes System. Alles verboten: Alkohol, Nikotin, sogar die Mädchen. Na: durchhalten!«
Er sprach mit rheinischem Tonfalle und als ob er ein Gelübde zu seinem Namenspatron abgelegt hätte, die Regeln der deutschen Syntax auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Im Grunde gefielen diese etwas hochmütigen Allüren, die aber hier wie etwas Angeborenes, Natürliches wirkten, dem zukünftigen Kavalleristen ganz gut, ja, er fand sie auf der Stelle nachahmenswert. Da er aber von Karl her gewöhnt war, im allgemeinen eher preziös wohlgesetzt zu reden, und seine ganze Natur auch im Gespräch mehr zum Dekorativen, als zur Knappheit neigte, so fiel es ihm nicht ganz leicht, dieses Muster zu kopieren.
Indessen machte auch er ersichtlich einen günstigen Eindruck auf den Prinzen, der sofort merkte, es nicht mit einem Grünling zu tun zu haben, sondern mit einem jungen Lebemann von vielen Graden. Nur in einem, stellte sich Felix zu des Prinzen Erstaunen als unerfahren heraus: im Spiel.
– »Merkwürdig! Nie gejeut!? Sonderbare Tugend. Na, kommt schon noch. Mir natürlich allerstriktest verboten. Beinahe Ehrenwort abgenommen. Beinahe! Kann ja nicht verschworen werden. Alles andere, – ja. Jeu – nee. Angeboren. Erbe. Reflexbewegung vor grünem Tische. – Möchte wirklich wissen, ob es solche Möbel in dieser unangenehmen Stadt gar nicht gibt.«
– »Doch, Durchlaucht. Hier ist für alles gesorgt. Wenigstens für alle Leidenschaften.«
– »Äh ja. Weiß. Unglaubliche Sachen. Tolle Spezialitäten: Jungens, Kinder, Ziegen, Enten und überhaupt alles, was der Mensch vermeiden soll. Daher der Name Süden. Aber Jeu-Zirkel? Wo man anständigerweise hingehen kann? Glaubs nicht. Wahrscheinlich Gaunerklubs. Affröse Möglichkeiten. Lebhaft gewarnt worden.« –
Felix beschloß, Nachforschungen anstellen zu lassen, und es gelang ihm, durch John einen Klub ausfindig zu machen, der, ausschließlich aus Herren der Gesellschaft bestehend, im Rufe stand, dem Glücksspiele angelegentlichste Pflege angedeihen zu lassen, und in den Fremde von Distinktion durch Mitglieder eingeführt werden konnten. Ateneo nannte sich dieser Klub, – vermutlich, weil auch in der berühmten Gelehrtenschule des Kaisers Hadrian das Spiel ludere par impar fleißig traktiert worden ist.
Franz von Assisi usw. war eine wilde Spielratte. Wenn seine langen, schmalen Hände mit ihren feingliedrigen, scheinbar aus altem, nachgegilbtem Elfenbein geschnitzten Fingern auf dem grünen Tuche lagen, so schien es, als ströme durch sie aus ihrer Unterlage her ein kräftigendes Fluidum in den sonst so gebrechlich wirkenden Körper. Der Prinz richtete sich dann straff auf und war ganz Muskel und Nerv. Selbst seine welke Haut schien sich zu spannen, und die sonst kleine bräunliche Pupille seiner grünlichen Augen erweiterte sich. Er konnte, mit äußerster Anspannung der Aufmerksamkeit, zehn Stunden bei der Roulette, Trente et quarante, Rouge et noir und beim Pharao sitzen, ohne daß er das geringste zu sich nahm. Sein Gesicht blieb unbeweglich, nur die Lippen verschwanden im Aufeinanderbeißen auf Momente, und es gab Augenblicke, wo seine feinen, dünnen Nasenflügel bebten. Immer gleich auch blieb sich seine Stimme beim Spiel. Sie hatte dann eine Art von Flüstern, das, kaum hörbar, Wort von Wort doch deutlich abhob.
Kein Zweifel: diesem nicht mehr ganz frischen Zweige an einem sehr alten Stammbaume war das intensivste Lebensgefühl beim Hasard beschieden. Er spielte nicht, um zu gewinnen, und es war nicht eigentlich Gewinn und Verlust selbst, was ihn erregte. Er genoß das Gefühl der Konzentration, das ihm sonst versagt war, das Gefühl einer ganzen Hingegebenheit an eine Macht, die Schlag auf Schlag sich äußerte wie Elektrizität aus Spannung. Diese Macht gewissermaßen auf eine Probe zu stellen, ja, sie zu reizen, obgleich er wohl wußte, daß das unsinnig war, aber es doch immer wieder zu versuchen, wieder zu glauben, sich immer wieder auf Momente als Herr des Glückes zu fühlen: das erfüllte ihn mit einer Art weißgluthafter Leidenschaft, unter deren Herrschaft er bei äußerer Kälte das heftigste seelische Feuer entwickelte, dessen er fähig war.