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Es war in den großen Sommerferien und ein schwül heißer Tag. So angenehm ermüdet, wie es nur ein gesundes kräftiges Kind sein kann, hatte er sich, soeben aus dem Wasser gestiegen, im warmen Sande einer kleinen von Schilf umsäumten Landzunge niedergelegt und war, die Arme unter dem Kopf verschränkt, eingeschlafen. Ein von fern heranziehendes Gewitter donnerte wie leiser, unendlich weiter Paukenwirbel in sein Geträume von wirrem Allerhand: Wilde Pferde, er auf dem wildesten, verfolgt vom Herrn Lehrer, dann der König, wie er ihn abgebildet gesehen hatte, im blausamtenen Gewande des Ordensmeisters vom heiligen Georg; aber gleich daneben das braune Zensei, seine Favoritin; und nun wieder der Stall mit seinem warmen Dunst, und hinter dem Stallfenster der hohe Nußbaum; und jetzt im Nußbaum er, aber angetan mit dem seidenen Schlafrock; und dann Apfelkücheln, seine Leibspeise, die er an sämtliche Mädeln seiner Klasse verteilte; und nun, in Paukenwirbeln heranbrausend, auf einem herrlichen Schimmel mit goldenem Zaumzeug wieder der König; und – ach, welch ein Duft, und, horch, welch ein Rauschen! – beugt sich nicht der König über ihn in dieser Wolke süßen Geruches unter dem leisen Geknister dieses Rauschens?...?...
Ganz selig von Traumeswonne öffnete Felix die Augen, und die weit offenen blieben im Traume stehen, blieben hangen an einem wundervollen Antlitz, das wie aus weißem rötlich überzogenem Samt und eingerahmt war von schwankenden Ringellocken und bekrönt von einem goldenen (ja: goldenen!) Hute, mit lauter hellen Rosen besteckt. Dicht über seinem Gesicht war dieses ihm unsäglich hold erscheinende Antlitz, auf seiner nackten Brust aber bewegte sich warm eine weichere, von dunkelgrüner Seide nur wie von einem Flor bedeckte, und zwei wunderbar weiße und wundersam linde Hände hatten die seinen umfangen. Aber das ganze wonnige Wunder war wolkenhaft in einen süßen und schweren Duft gehüllt, der alle seine Sinne so umnebelte, daß er die Augen wieder schließen mußte, bis eine volle Frauenstimme zärtlich an sein Ohr klang: Will mir Prinz Kuckuck keinen Kuß geben?
Und Felix richtete sich, wie hingenommen von Seligkeit, immer noch nicht wissend, ob er träume oder wache, ein weniges auf, umschlang mit seinen nackten Armen den Nacken der schönen Frau und küßte sie auf den vollen warmen Mund. Der Geruch und die Weichheit ihrer Haut, das streichelnde Bestreifen der seinen durch ihre Locken, das Anschwellen ihrer Brust an seine, und die dunklen Augen, die ihn mit einer Innigkeit und einem Feuer betrachteten, wie es ihm nie vordem geschehen war, taten ihm bis ins Tiefste wohl, und wie in einem Strom aus seinem Innersten kam ihm das Gefühl wachsten Lebens. Er sprang auf, sprang zurück, machte wieder einen Schritt vor und blieb dann stehen, Blick in Blick gebunden mit der noch knienden Frau.
»Was für ein hübscher Junge er ist!« sagte die mit einem Tone von Stolz und Staunen. Und jetzt erst merkte Felix, daß noch jemand da war: der Porträtmaler, der ihm vor Jahren den Übernamen gegeben hatte.
Damit war Traum und Wonne vorbei. Er rannte zu seinen Kleidern, raffte sie zusammen und lief ins Gebüsch. Die Dame aber, sich erhebend, sprach, indem sie ihm nachblickte, zu ihrem Begleiter: »Was für schöne Bewegungen er hat! Und was für Beine! Und ganz braun ist er!«
»A Prachtstück von a Buam,« entgegnete der Maler, dessen Sprache stark oberbayrisch klang. »Den darfst fei net ganz verbauern lassen! Und gscheit is er! So gscheit, daß er schon verliebt is, glaub i.«
Madam Sara lächelte, und ihr Lächeln war, zumal bei diesem Anlasse, nicht um den Schatten eines Schattens weniger schön als früher, wie denn überhaupt der Reiz ihrer Erscheinung fast noch zugenommen hatte, obgleich sie ein gut Stück voller geworden war.
»Aber was soll ich denn tun?« erwiderte sie. »Ich hab es dir schon damals gesagt, wie du mir von dem Jungen erzählt hast, daß mir der Gedanke schrecklich ist, ihn um mich zu haben und damit mich an ihn zu ketten. Ohne dich und wenn du nicht immer wieder davon angefangen hättest, wäre ich ganz gewiß nicht hierher gefahren, um ihn zu sehen, und es wäre auch besser so gewesen. Denn der Junge ist zu reizend. Ich werde mich jetzt schwer von ihm trennen und öfter an ihn denken, als gut ist.«
Der Maler, ein Mann von etwa dreißig, aber etwas älter aussehend in seinem ungepflegten langen Bart und den vielen Krähenfüßen um die fast stechend blickenden, sehr großen Augen, riß die noch weiter auf und sagte: »Dös is doch net zum glauben! Wie kann man nur so a weibliches Frauenzimmer sein und so a Monstrum von einer Mutter! Paß auf, ich mal dich noch als was ganz Schauderhaftes mit Schlangen in die Haar, oder sowas.«
– »Jeder Pinselstrich von dir wird mir eine Ehre sein, Tonl, aber das verstehst du nicht. Du verstehst überhaupt nichts, als malen.«
– »Und gern ham.«
– »Das gehört zum Malen. Aber sonst bist und bleibst du der Maurergesell, der du gewesen bist.«
– »Das möcht ich mir auch ausbitten, Madam. Weißt: ich und der Leibl, mir zwaa sind die rechtn! Maln und sonst nix! Am Kopf gfalln samma trotzdem net.«
– »Du bist und bleibst, was ich immer gesagt habe: der geniale Pinsel. Und du wärst nicht halb so zum Fressen, wenns anders wäre. Aber du bist auch ein sentimentaler deutscher Pinsel.«
– »Kruzitürken, hör auf! Ich bin so sentimental wie die Michel, die jetzt deine guten Freunderln, die Franzosen, so sakrisch klopft ham. Aber Mutterlieb is nix Sentimentals, sondern bloß was Natürlichs.«
– »Natürlich! Aber jede hat sie auf ihre Fasson. Aus den Augen verlier ich den Felix nicht; darauf kannst du dich verlassen! Aber mich mit ihm behängen? Nein! – Daß du ihm nicht etwa sagst, wer ich bin!«
– »Gwiß net! – Aber er kann doch net allweil da bleim unter die Bauern und Maler. Schließlich gewöhnt er sich noch 's Malen an.«
– »Dazu hat er ganz gewiß kein Talent.«
– »Also gut: dann werd ich ihn zu mir nehmen.«
– »Untersteh dich! Dann reis ich ab!«
– »Nachher net! Aber fort muß er hier!«
– »Und ich auch. Denn wenn ich den prächtigen Jungen nochmal seh, mach ich selber eine Dummheit.«
Eine halbe Stunde später fuhr Madam Sara mit ihrem Maler davon, ohne Felix nochmals gesehen zu haben. Der hatte sich in einen Winkel des Stalles versteckt und weinte zum ersten Male in seinem Leben bitterlich und doch beglückt.
Keine Himmelserscheinung, ja auch die Erscheinung des Königs nicht, hätte ihn so beseligen und so erschüttern können, wie die der schönen Frau, deren Beziehungen zu ihm er keineswegs ahnte, mit der aber zum ersten Male leibhaft vor ihn hingetreten war, was er längst in sich als das ihm Gebührende herbeisehnte: Schönheit, Liebreiz, Reichtum, Zärtlichkeit, – Weib.
Seit diesem Tage fühlte er sich fremd und unglücklich unter den Schirmerschen, wurde blaß, mager, launisch, heftig und entsetzte seine Umgebung durch Ausbrücbe einer Wildheit, die durch nichts zu bändigen war. Gewiß wäre er auf und davon gelaufen, wenn er nicht eines Tages geholt worden wäre.