Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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Tenor-Soli

Mit dem frühesten Schnellzug des nächsten Tages fuhr das gräfliche Paar, Berta in einem knappen englischen Reisekostüm, ganz Lady, Henry Felix in einem ditto englischen Zivil, ganz Lord, nach Berlin.

John, der mit Lala und der Zofe am nächsten Tage nachkommen und die Bagage mitbringen sollte, leitete das Geschäft des Einpackens von mehr als zwei Dutzend gewaltigen, grafenkronengeschmückten und schwarz-gelb gestreiften Koffern mit ernster Umsicht, aber fröhlichen Gemütes, denn er dankte seinem Schöpfer, daß er Hainbuchen auf eine, wie es allen Anschein hatte, nicht kurzbemessene Dauer verlassen durfte.

Die mit feierlich gemessenen Mienen vormittags erscheinenden Herren erhielten den Bescheid, der Herr Graf habe den ihm gewährten Hochzeitsreiseurlaub auf Wunsch der Gräfin sogleich angetreten. Prinz Assi, der kurz darauf angeritten kam und an John die Frage richtete, ob es Tatsache sei, daß sein Herr Hainbuchen auf längere Zeit verlassen habe, knirschte, als er ein Ja zur Antwort erhielt, »Canaille!«, und es blieb John unbenommen, anzunehmen, daß dieser Ausruf dem Pferde des Prinzen galt, das eben bockte.

Ein Hieb mit der Reitgerte, und der Prinz galoppierte davon. Aber schon nach zwei Minuten war er wieder da und fragte John: »Nichts, äh,... hinterlassen?«

– »Nichts, Durchlaucht.«

– »Nicht mal Adresse?«

– »Nein, Durchlaucht.«

– »Und, äh, bestimmt längere Reise?«

– »Solange der Urlaub des Herrn Grafen dauert.«

– »So!... Na ja... Schön... Sagen Sie Ihrem, äh, Herrn, daß sein Urlaub beträchtlich verlängert werden wird. Und er soll ja auch fernerhin gut auf seine Gesundheit achten. Haben verstanden?«

– »Zu Befehl, Durchlaucht.«

Der Prinz setzte sich wiederum in Galopp, nicht anders, als wenn ihm das Verweilen auf gräflich Hauartschem Grund und Boden höchst widerwärtig wäre.

Er ließ sich den ganzen Tag über nirgends sehen, so sehr schämte er sich seines ehemaligen Protégés. Am Abend aber ging er zum Grafen Pfründten, der ohne Licht in seinem Zimmer saß und ihn mit tonloser Stimme begrüßte.

»Gestatten, Graf,« sagte er, »daß um Verzeihung bitte.«

– »Wieso, Prinz?«

– »Wegen dieses, äh, dieses Elenden. Fühle mich schuldig. Wäre uns erspart geblieben ohne meine blöde Verblendung.«

– »Ach nein, Prinz. Auch ohne Ihr Zutun wäre ihm die ganze Stadt verfallen gewesen, vom Höchstseligen bis zur Populace. Die Millionen, Prinz, – das wars. Ich habe mich am längsten gewehrt. Aber ein prachtvoller Stall, brillante Gäule, – nun, kurz, Dinge, die man sich kaufen kann, wenn man viel Geld hat, haben auch mich überwunden. Ich sage Ihnen, Prinz, der größte Halunke, wenn er sehr viel Geld hat, ist eine Macht, der alles nachläuft. Ohne Geld vielleicht Jockei, mit ein paar Millionen Offizier, Graf. Wer weiß, was er noch wird. Tot in der wirklichen Gesellschaft ist er ja wohl. Was tuts ihm? Die Welt ist groß, und für Millionäre gibts viele glänzende Rollen darin. Seit er echappiert ist, habe ich über ihn nachgedacht, wie über einen Menschen, der mich nichts angeht. Ich hätte ihn gestern nacht, wie mich mein erstes Gefühl tun hieß, an dieses schmachvolle Bett schleppen und ihn, mit der Pistole in der Hand, zwingen sollen, sich mit demselben Messer den Hals aufzuschneiden. Ich sagte mir: dieser Mensch ist kein Mann mit dem man sich schießt. Er ist das, wofür ich ihn im Anfang hielt: ein Eindringling, eine Schmarotzerpflanze; seine Millionen sind die Saugzweige, mit denen er uns umschlungen hat. Aber, sehen Sie, selbst in diesen fürchterlichen Augenblicken kam diese Überzeugung nur als kurze, vorübergehende Erhellung über mich. Ich glaubte, mich beherrschen und den Offizier in ihm achten zu müssen. Den Offizier, – das heißt. die Uniform. So sind wir. – Erinnern Sie sich an den kleinen Herzfeld? Wie haben wir den malträtiert! Warum? Im Grunde deshalb, weil wir fühlten, daß er nicht zu uns gehören, daß er nicht unsern Rock tragen wollte. Hätte er wirklich nach dem Portepee gestrebt, hätte er sich uns akkommodiert, wie der andere, er hätte es auch erreicht. – Die heutige Gesellschaft hat sich aufgegeben. Sie ist keine Festung mehr, deren Wälle vor Eindringlingen schützen. Das Geld hat überall Breschen hineingelegt. Eine Weile noch, und die Hauarts sind die Kommandanten. – Aber was geht das mich an? Ich bin fertig. Auch ich habe das Prinzip verraten, obwohl mich mein Instinkt eindringlich genug gewarnt hatte. Es geht alles drunter und drüber. Wir haben nichts mehr, als alte Einbildungen, die früher einmal Wahrheit gewesen, jetzt aber höchstens noch die Schatten von Wahrheiten sind. Das Geld frißt uns auf. Ablösung vor! heißts auch in der Weltgeschichte. Jetzt kommen die Juden dran.«

»Bin jetzt auch überzeugt,« erklärte Seine Durchlaucht dumpf bekümmert: »alles Schwindel gewesen. Einfach Jude.«

Aber der alte Graf schüttelte den Kopf: »Ich bin nicht Antisemit mehr. Semit oder nicht, das ist einerlei. Das Kapital ist der Feind, der alles umstürzt. Die Juden sind nur die Avant-Garde. – Sie sagen: er ist ein Jude. Aber was sagen Sie damit? Daß ein Jude ein glänzender Offizier, ein brillanter Reiter, der Abgott unserer Damen, der Mittelpunkt unseres Interesses, kurz und gut äußerlich ein Kavalier sein kann, vor dem wir uns alle beugen. Und wenn er sich vor die Pistole gestellt hätte, was auch schon genug Juden getan haben, dann würden wir zugestehen, daß er auch innerlich Kavalier ist.«

– »Hat aber nicht.«

– »Lieber Prinz, die Sache ist komplizierter. Er ist nicht echappiert, weil er vielleicht Jude ist, sondern er ist echappiert, weil er ein Glied der neuen Macht ist, die noch keine Traditionen hat und nie christlich-ritterliche Traditionen haben wird, gleichviel ob der einzelne, der sie vertritt, Jude oder Christ ist. Das Ehrgefühl der alten Aristokratie, das Gefühl einer besonderen Ehre, die kitzlicher ist, als jede andere, hat sich durch lange Ahnenreihen entwickelt. Es ist ein Züchtungsergebnis, das uns ausschließlich angehört und nicht etwa identisch mit Mut ist. Mut hat das Volk auch, und es gibt feige Herren von Adel. Aber es gibt keinen echten Adeligen ohne das spezifisch adelige Ehrgefühl, während der Mann ohne Geburt es sich nur anzwingt, wenn er zufällig ein Mann von Mut ist. Die Gefahr besteht gerade darin, daß die Usurpatoren unserer Rechte zu einem großen Teile klug genug sind, sich uns auch darin zu akkommodieren. Aber sie eignen sich unser Ehrgefühl nur an, um es bei Gelegenheit wegzuwerfen. Wenn wir als Aristokratie einmal ganz von der neueren Macht abgelöst sein werden, wird die Nötigung, uns gleichzuscheinen, nicht mehr bestehen, und es wird in unserem Sinne kein Ehrgefühl mehr geben.«

Der Prinz hatte darauf nichts zu erwidern, und der Graf fuhr nach einer Weile fort: »Resignation. Was bleibt mir sonst noch übrig? Ich begrabe meine Frau und alles übrige von schönen Einbildungen. Mir fällt von ihr ein Gut im Mecklenburgischen zu. Da oben ist noch ein Rest aus der alten Zeit. Den will ich verwalten. Ich habe als Junker gelebt und will als Junker sterben. Mag das Heranwimmeln der neuen Herren nicht mitansehen, da ich es am eigenen Leibe verspürt habe, daß ich Echt und Unecht nicht mehr unterscheiden kann.«

 

Um dieselbe Zeit saß Henry Felix im Vestibül eines großen Berliner Hotels und bewunderte mit seiner Frau die Juwelen einer über jeden Verdacht der Unterernährung erhabenen amerikanischen Multimillionärin, indem er gleichzeitig deren preziöses Gebaren abschätzig kritisierte, das auch wirklich allzubewußt »schön« war.

»Dieses Chicagoer Büchsenfleischresultat«, meinte Henry Felix, der sich bei bester Laune befand und von den leidenschaftlich lüsternen Rhythmen der ungarischen Zigeunerkapelle angenehm inspiriert wurde, »ist eigentlich ein recht übles Phänomen. Diese gespreizte, überästhetische Manier, aus der Zuführung eines jeden Gabelbissens zum Munde eine Schönheitsoffenbarung zu machen, diese fortwährende Aufforderung zum Bewundern von Dingen, die nur als Selbstverständlichkeiten Reiz haben, ist widerwärtig kulturlos, gerade weil sie unablässig darauf ausgeht, Kultur zu manifestieren. Sie ist die schlechte Allüre eines allzuschnell erworbenen Reichtums von Leuten, die keine Vornehmheit im Blute haben. Nur der ererbte Reichtum macht vornehm. Es gibt keine frechere Blasphemie als das Wort ›Arbeit adelt‹.«

Gräfin Berta lächelte und hörte nur halb hin. Ihr war der Zigeunerprimas mit dem, was er seine Geige von seinem unvornehmen Blute verraten ließ, viel interessanter, als alle die Anstrengungen zum Lobe der Vornehmheit, die ihr Mann seinem Geiste zumutete. Sie sagte sich: Wie schön, daß wir nun reisen werden. Was werde ich alles zu sehen bekommen. Es gibt doch recht viele prachtvolle Männer, – Herren und andre. – Ich hätte ja auch als Witwe reisen können; scheinbar sogar freier. Doch nur scheinbar. Es hätte sich zuviel an mich herangedrängt, und überdies liebe ich es nicht, aufzufallen, aus dem Üblichen herauszufallen. Karl hatte auch darin recht: der wirklich vornehme Mensch muß alle Gesetze der Konvention um so strenger befolgen, je mehr er die Absicht hat, die Sittengesetze zu ignorieren. – Als alleinreisende Dame hätte ich mich dem Typus der Abenteurerin genähert, und der ist nicht nach meinem Geschmack. Ich will Abenteuer erleben, aber keinen abenteuerlichen Lebenswandel führen. Der gute Henry soll mir gewissermaßen das Licht der Reputation halten, – bis seine Stunde kommt. Es wäre ein großer Fehler von mir gewesen, mich seiner durch die Pistole des Grafen Pfründten zu entledigen, da ich ihn doch noch so nötig brauche. Ich bin überzeugt, daß ich augenblicklich in der ganzen Welt keinen Mann finden könnte, der mir so zu Gefallen sein würde, wie er. Dadurch, daß er jetzt ein Ausgestoßener, daß er auf mich angewiesen ist, gehört er mir sklavisch an. Wen, was hat er jetzt außer mir und meiner Erscheinung, in der er sich so selig sonnt? Der schlichte Abschied ist ihm sicher und der Wiedereintritt in »seine« Gesellschaft für immer versagt. Er war immer déraciné; jetzt ist ers auch offiziell. Das kann meinen Plänen nur günstig sein, und ich habe persönlich gar nichts damit verloren.

So fuhr man gemeinsam erster Klasse durch die Welt, sah, was die Vergangenheit Schönes hinterlassen hat und die Natur an Schönem immer wieder hervorbringt, gewöhnte sich an die Gleichmäßigkeit der Gesellschaft in allen ersten Hotels und lebte, wie es in dieser Gesellschaft an der Ordnung ist. Ein bißchen Langeweile gehört auch dazu, und so begann man, sich da und dort etwas an andere anzuschließen, wie es auf Reisen unter Leuten von gleich guter Kleidung und gleich tadelloser Turnüre möglich ist. Aber schon in Konstantinopel mußte Henry Felix Graf Hauart die Erfahrung machen, daß ein Teil der Gesellschaft nicht mehr für ihn existierte. Der dortige deutsche Militär-Attaché, der in dem Hotel verkehrte, wo das gräfliche Paar abgestiegen war, schnitt ihn nach erfolgter Vorstellung ostentativ, und kurz darauf kam auch über einige deutsche Herren, mit denen man schon gemeinsame Wanderungen durch die Stadt unternommen hatte, jener Geist der Kühle, der zu weiteren Gemeinsamkeiten nicht ermutigt.

Henry Felix biß die Lippen aufeinander und sagte zu Berta: »Hast du bemerkt?«

»Natürlich,« antwortete sie; »aber daran müssen wir uns gewöhnen. Was mich betrifft, so wird es mir nicht schwer fallen, – weder im Auslande, noch später zu Hause. Wir brauchen weder hier noch dort diese Gesellschaft, die einmal die deine war, und die sich leicht durch eine bessere ersetzen läßt, in der wir den Ton angeben.«

Das war eine Herzstärkung für den mit schlichtem Abschied Entlassenen. Er drückte seiner Frau die Hand und sagte mit etwas mehr Emphase, als gut war: »Ich danke dir für deine schöne Entschlossenheit. Du sollst mich immer auf gleicher Höhe mit ihr finden.«

Das Leitseil schloß sich fest um seinen Hals, aber Berta war klüger als Karl. Sie zog es nicht so heftig an, daß es schmerzte. Er trollte hinter ihr drein mit der Folgsamkeit eines Lammes, dem eine kluge Hand ein Büschel würziger Kräuter vor die Nase hält.


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